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Für einen Chinesen ist Luis Caminha schon ein recht seltsamer Name. Nicht mehr jedoch, wenn man wusste, dass er ein Chinese aus Macao war und ein portugiesischer Soldat sich mal frech in die Ahnenreihe gemischt und das von ihm geschwängerte Mädchen sogar geheiratet und ihm seinen Namen gegeben hatte, bevor er es hochschwanger sitzenließ.

Der Chinese Luis hatte deshalb zwar einen portugiesischen Pass, der ihm die ganze Welt öffnete - außer China selbstverständlich -, aß jedoch schon immer traditionsbewusst ausschließlich mit Stäbchen. Mit eben jenen, die Marija Pavlekovic durch das Astloch in den Dielenbrettern immer noch sah. Es gab auch keinen Zwischenboden in diesem Haus.

Wenn es gelbliche Breitmaulfrösche mit Schlitzaugen gibt, dann sah Caminha aus wie ein solcher, zumindest so ähnlich. Wie ein Frosch beim Balzquaken, weil sich unter dem eigentlichen Kinnknochen ein fleischiges Gebilde wölbte, das mehr als die Hälfte jenes Körperteils ausmachte, der sich oberhalb der Schultern befand. Seinen fülligen Körper hatte er in ein gelbseidenes Gewand ohne Schnitt gehüllt. Die Finger, mit denen er jetzt auf den Tisch trommelte, waren erstaunlich klein, wenn auch dicht mit Gold beringt. So, als würde er einen Kettenhandschuh tragen wie einst die mittelalterlichen Kreuzritter. Nur ein paar tausend Millionen Kreuzer teurer eben.

Er war es auch, der sein Englisch in jenem schrillen Singsang intonierte.

»Sie zahlen von Mal zu Mal weniger, Mister Novid! So geht das nicht weiter. Dabei erledige ich hier alles für Sie! Alles!«

»Die Weltmarktpreise für Opale sind gesunken, Luis. Warum streiten wir? Arbeite doch einfach für ein festes Gehalt. Dass du mich nach Strich und Faden bescheißt, weiß ich doch sowieso. Und meine Unkosten schießen hoch wie Raketen. Allein die neuen Mädchen!«

Da regte sich Jasna, umschmuste zärtlich sein mit Schmalz gesalzenes Ohr, und Stan Novid schauderte zusammen. Es lief ihm angenehm kalt den Rücken hinunter. Ihr Knie rieb zwischen seinen Schenkeln auf und ab. Zärtlich. Gekonnt. Vlatko hatte ihr auf den knapp vier Wochen auf dem Schiff eine Menge beigebracht und auch jene Hemmschwellen abgebaut, von denen sie bis zu dieser Überfahrt gar nicht gewusst hatte, dass es sie überhaupt gab.

»Lauter Europäerinnen! Die hier« - er quetschte Jasnas Brüste - », die kriegst du allerdings nicht. Dafür liegt da oben noch eine. Und der Rest kommt nach. Innerhalb von vierzehn Tagen. Das ist nicht der Schund, den du hier immer auftreibst. Indianerinnen! Pfui Teufel! - Meine neuen Mädchen, sie kommen mit dem Boot, kosteten mich allein schon Hunderttausend.«

Vlatko blieb unbewegt. Novid hatte wie immer übertrieben.

Luis Caminha versuchte eine schwache Abwehrfront aufzubauen.

»Aber ich besorge die Indiomädchen. Die kosten gar nichts und bringen auch ihr Geld.«

»Na, was denn schon? Drei Dollar die Nummer! Und die Weißen fassen sie nicht mal mit ’ner Beißzange an.

Sie ekeln sich vor denen. Außerdem halten sie immer nur ein Vierteljahr. Dann musst du sie in den Fluss schmeißen. Und es kommen immer mehr Weiße aufs Feld. Sie bringen die besseren Abbaumethoden mit. Schon jetzt bearbeiten sie ein Fünftel der Claims. Und sie schmuggeln! Sie verkaufen nicht alles an uns!«

»Ich weiß, Mister Novid. Und es werden auch Gegenmaßnahmen ergriffen. Erst gestern wurden drei Verdächtige von Kaimanen gefressen.«

»Dobro, dobro. Ist ja gut. So geht das Leben. Aber du bist doch schließlich Chinese. Du müsstest ein besserer Geschäftsmann sein. Doch du bist schwach, schwach, schwach. Die Umsatzsteigerung im letzten Jahr betrug nicht einmal vierzig Prozent. Und was haben wir ausgemacht? Erinnerst du dich noch? - Ich hab dich dagelassen. Vorher war das mal ein verkommenes Kaff mitten im Dschungel gewesen, in dem jeder machte, was er wollte. Aufkäufer nisteten sich wahllos ein und machten sich einander Konkurrenz. Das schlug sich auf die Preise. Bis ich zufällig daherkam, die Schwäche des Systems erkannte, nachdachte und den Betrieb auf Trab brachte. Weg mit diesen Stümpern und Einzelgängern! Etwas anderes musste her: Infrastruktur, eine Kneipe, Musik, Nutten, feste Abnahmepreise. Jetzt hab ich das Monopol hier, und dabei wird es auch bleiben. Wenn ich eines gelernt habe in den Staaten, dann ist es das: Was der Arbeiter verdient, das zieh’ ihm wieder aus der Tasche. An den Claims haben wir kein Recht. Niemand hat ein Recht daran. Aber ich bezahle dafür, dass ein Rudel Leute beide Augen zudrücken und sogar noch ihre Hühneraugen verpflastern. Ich hab’ den Laden aufgebaut, so wie er jetzt läuft. - Und ausgerechnet du willst mir dazwischenpfuschen? Willst mehr Geld haben? Zu dem, was du mich jetzt schon bescheißt?«

Stan Novid schüttelte seinen dicken Schädel. Das Mädchen auf seinem Schoß wurde lästig. Im Moment konnte er ihre Schmusereien nicht gebrauchen. Sie störten ihn bei der Konzentration.

»Hau ab, Jasna«, sagte er. »Verzieh dich in die Ecke. Wir werden unseren Spaß schon noch haben. Wenn die Zeit dafür ist.«

Gehorsam wie ein Hündchen glitt die junge Jugoslawin von Novids Beinen. Er hatte diese wenigen Sätze kroatisch gesprochen. Ein Zeichen der Vertrautheit.

Sie war zufrieden. Von der Unterhaltung hatte sie sowieso fast nichts mitbekommen. Nur in den Mienen gelesen. Und einmal Vlatkos aufmunterndes Zwinkern gesehen.

Alles würde gut werden. Sehr gut. Schon nach zwei Tagen war sie diesem Portugal-Jugoslawen hörig gewesen.

Luis Caminha sagte gar nichts. Auch wenn in seinem Gehirn diverse Pläne Gestalt wurden. So ging es nicht weiter. Es lief seiner Natur zuwider, zum bloßen Befehlsempfänger degradiert zu werden. Er war Geschäftsmann.

»Ihr Vorschlag, Sir? Habe ich Sie wirklich richtig verstanden? Sie wollen mich mit einem festen Gehalt beglücken?«

Novid atmete sichtlich auf.

»Na endlich hast du’s begriffen,

Chinaman. Zwölftausend Bucks im Jahr. Steuerfrei.« Der Susak-Exilant kicherte. »Und eine Prämie schaut vielleicht auch noch raus. Es kommt ganz auf dich an. Halte nur den Betrieb ordentlich zusammen.«

Stan Novid zog die Schlüssel mit den Opalen wie selbstverständlich zu sich herüber, besonders wertvolle Landschaftsopale, die weißen, so geheimnisvoll wie von innen erleuchteten, und auch die blutroten. Er griff mit vollen Händen hinein und schüttete sie Hand für Hand in einen Plastikbeutel, der die ganze Zeit über schon zusammengefaltet in der linken Innentasche seines Jacketts gewartet hatte.

Er schätzte den Wert auf rund 150.000 Dollar.

Gar nicht so schlecht für einen halben Monat Warten. In vierzehn Tagen würde er wiederkommen. Da war die Gesamtrechnung für den April fällig. Dann würden auch die neuen europäischen Mädchen schon mitten in der Arbeit sein. Pausenlos, wie er hoffte.

Die Nummer 15 Dollar. 30 Nummern pro Tag. Das war keine Illusion. Das war Realität. 450 Dollar pro Tag. Und das mal 17, die Indiomädchen nicht mitgerechnet. Machte 1750 Bucks pro Tag.

Davon konnte man leben.

Stan Novid stand auf.

»Alles klar, Chink? Oder willst du, dass ich einen Ersatzmann für dich finde? Nema Problema. Kein Problem. Ich hab’ an jedem Finger zehn, die mit Freuden deinen Posten einnehmen würden. Bei all den Vergünstigungen, die ich dir gewähre. Kostenlosen Eintritt bei allen meinen Mädchen. Wann immer es dir gefällt. Freie Kost und Logis. Und einen kleinen Rabatt für deine Betrügereien, die ich sowieso nicht unterbinden kann. Du wirst gut auf das Doppelte kommen. Ich denke, du bist mit dieser neuen Regelung hervorragend bedient.«

Vlatko de Figuera mischte sich erstmals wieder ein. »Was hast du vor?«

»Weg will ich. Ist doch alles erledigt. Du fliegst Jasna und mich jetzt nach Puerto Ayacucho. Läppische zweihundertfünfzig Kilometer. Eine Stunde Flug, wenn du dich anstrengst. Wir haben Vollmond. Keine Wolke steht am Himmel. Und es ist erst neun.«

Er winkte.

Jasna kam aus ihrer Ecke. Besitzergreifend umfasste er ihre schlanke Taille mit seinen schwarzgrau behaarten Pranken.

»Wir brauchen ein anständiges Hotel für unsere Hochzeitsnacht. In diesem Dreckloch möchte ich unter diesen Umständen nicht bleiben.«

»Das ist dein Ernst?«

»Sehe ich aus wie ein Clown?«

Vlatko de Figuera hätte die richtige Antwort schon gewusst.

Jasna Bockai auch.

Doch sie sagten sie beide nicht.

»Okay. Du bist der Boss.«

»Eben.«

Sie drängten zum Ausgang. In einem Anflug zufriedener Güte wandte sich Stan Novid noch mal zum Chinesen um.

»Wir haben doch heute noch dieses zweite Mädchen mitgebracht. Du hast es dir angesehen?«

»Sie ist hübsch.«

»Und blutjung. Und weiß. Du kannst sie als erster haben. Bedien dich ungeniert.«