Die Zeit in Venezuela stimmt mit jener an der amerikanischen Ostküste nicht überein. Sie differiert um drei Stunden. Deshalb dämmerte auch schon der Abend über Manhattan, als Bount und June befanden, sich die Köpfe genug zerbrochen und sich die Ohren in einem gerade noch vertretbaren Ausmaß vollgesumst zu haben.
Schauplatz: Musil’s Bar & Grill.
Menü: Hummercocktail als Vorspeise, Spargelcremesuppe und als Hauptgang zwei Scheiben einer Wildsau aus den Appalachen mit Serviettenklößen, Rotkraut und Preiselbeeren.
»Ich bin geschafft!«, stöhnte June March.
»Vom Essen oder von der Arbeit?«
»Von beidem. Du glaubst also wirklich, dieser Stan Novid ist unser Mann?»
»Ich denke ja. Wir hatten unverschämtes Glück.« Der Ober brachte Kaffee, einen Scotch für Bount und einen Daiquiri für das Minnesota-Girl.
»Er hat selbst vier Jahre in Venezuela gelebt«, fuhr Reiniger fort. »Und als armer Hund kam er auch wieder zurück. Doch er muss etwas mitgebracht haben, das mehr wert war, als eine Handvoll mickriger Opale.«
»Eine Idee?«
»Du sagst es überdeutlich, meine Liebe. Wie werden Leute bei uns schon reich? - Indem sie eine Marktlücke entdecken! Und Stan Novid, der rasante Emporkömmling, scheint so ein Glückspilz zu sein.«
June nippte an ihrem Cocktail.
»Tedschman, der Juwelier an der Fifth Avenue, kennt ihn, wie du ja inzwischen weißt. Und er ist unter anderem auch ein Fachmann für Opale. Novid hatte nicht darauf verzichten können, mit seinen Erfolgen zu prahlen. Hin und wieder ließ er einige Bemerkungen darüber fallen, woher er seine Ware bezieht.«
Bount nickte.
»Vom Oberlauf des Orinoco. Überhaupt so ein komischer Fluss. Er hat zwei Mündungen. Eine oben im Norden, und dann füttert er auch noch den Amazonas.«
»Willst du Geographie mit mir betreiben?«
»Himmel, nein! Geologie käme der Sache schon näher. Während du deinem Juwelier Löcher in den Bauch gefragt hast, belästigte ich einige Wissenschaftler. Danach dürfen wir davon ausgehen, dass es im westlichen Bergland von Guayana Opale jener Qualität gibt, die Novid deinem Juwelier ständig anbietet. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass im venezolanischen Generalkonsulat hier in New York nichts von einer Opal-Lagerstätte dort bekannt ist. Trotzdem führt Novid die Steine regulär ein und deklariert Venezuela als Ursprungsland. Jedenfalls hat er sich hier in den Staaten nichts zuschulden kommen lassen. Er trägt seine Weste blütenweiß.«
»Was glaubst du?»
»Dass er Caracas nur als Drehscheibe benutzt, natürlich. Er fliegt tatsächlich weiter. Doch wohin, das lässt sich von hier aus nicht checken, fürchte ich.«
»Du glaubst, du musst runter nach Südamerika?«
»Weißt du eine andere Möglichkeit? Dann gibt es ja auch noch diese vielen verschwundenen Mädchen aus Jugoslawien. Diese Marija Pavlekovic und diese Jasna Bockai waren schließlich nicht die Einzigen. Ich habe mir inzwischen auch noch die Zahlen von den vergangenen Jahren besorgt. Immer zu Beginn des Frühjahrs steigen die entsprechenden Vermisstenmeldungen sprunghaft an. Wenn wir weiterhin davon ausgehen, dass sich irgendwo im Dschungel, abgeschnitten von der üblichen Welt, ein Digger-Camp befindet, frauenlos wie alle diese Fundstätten, dann kannst du dir ja ausmalen, wo die Mädchen gelandet sind. Drüben in Little Susa zumindest, werde ich unserem Mann kaum an die Karre fahren können. Es sei denn, er beging irgendeinen Kardinalfehler, von dem wir bisher noch nichts wissen.«