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Den Fahrer kannte Reiniger nicht. Doch wenn Novid ihm die Schlüssel zu diesem Wagen überließ, dann musste er ein Mann seines Vertrauens sein.

Er stieg als Erster aus und war ein kräftiger Brocken mit leeren, nichtssagendem Gesicht und mit seinen geschätzten ein Meter fünfundachtzig etwa so groß wie Bount. Nur brachte er bei rund dreißig Jahren noch etliche Pfund mehr auf die Waage, ohne fett zu sein. Alles festes, auf den Docks mühsam erwirtschaftetes, kerniges Muskelfleisch.

Bount überquerte die Straße, jetzt hatte er Novid am Wickel. Der Kapitalfehler war tatsächlich passiert. Es würde dem Jugoslawen verdammt schwerfallen zu erklären, wieso ein auf Susak verlorengegangenes Mädchen hier in New York wieder auftauchte.

Reiniger ging recht hastig. Am Schluss lief er. Der Fahrer riss gerade den hinteren Wagenschlag auf, als er ankam.

Da hörte er den Opal und Mädchenhändler rufen: »Vorsicht, Mladen! Ein Überfall!«

Irgendwie hatte Novid ja recht, doch jener »Mladen« nahm das wörtlich. Und weil es Bount nicht für nötig befunden hatte, seine 38er Smith & Wesson zu ziehen, war der Fahrer auch mit keinerlei Hemmungen belastet. Ehe Bount Reiniger sich’s versah, explodierte eine rechte Gerade mitten auf seiner Stirn und zeigte ihm den Sternenhimmel aus der ohnmachtnahen Perspektive. Bount stolperte zurück, fand Halt am Kotflügel und verfluchte seine Fahrlässigkeit.

Rote Schlieren vor den Augen zeigten ihm den Schleiertanz, ganz ohne arabische Dame. Und durch diese Schleier drohte ihm ein bulliger Jugoslawe, ein Prachtbolzen von einem Athleten. Eine reine Reflexbewegung war es, die Bount Reiniger den rechten Fuß hochreißen ließ.

Er hatte seine Gucci-Treter an, die allen anderen Modetrends zum Trotz immer noch spitz zuliefen. Er bevorzugte diese Marke deshalb auch ganz besonders und nicht etwa deswegen, weil diese Schuhe so schamlos überteuert waren. Doch er durfte immerhin davon ausgehen, dass dieses Produkt nicht schon beim ersten Feindkontakt aus allen Nähten platze und er barfuß dastand.

Bount schlug sehr heftig zu, wenn es nötig wurde. Und so eine Situation schien ihm an diesem verdüsterten Maienmorgen aktuell zu sein.

Novids Fahrer bekam’s zu spüren. Bounts Tritt brachte Verwirrung in sein »Sonnengeflecht«, den Solarplexus. Er schloss Synapsen kurz, jagte Ströme von Schmerz in das Gehirn des Hünen, machte ihm die Knie schwach und den stählernen Blick zu einem »silbernen«. Mitten in dieses Schielen hinein platzte Reinigers nächster Hieb. Die Fäuste taten es wieder, seine Regenerationsfähigkeit war sagenhaft. Aber vielleicht kämpfte auch nur der Körper unverdrossen weiter, während der Geist noch weitgehend abgetreten war. Die Folgen eines übertrieben abenteuerlichen Lebenswandels, seiner ständigen Gratwanderung zwischen Leben und Tod. Bount Reiniger lebte nur insofern gesund, als es seine Ernährung, den Alkohol, Sex und Nikotinkonsum anbetraf.

Die Schleier lichteten sich, verschwanden. Bount sah wieder klar, und was er sah, gefiel ihm. Der Riese stand gekrümmt wie ein Fragezeichen und war kurz vor dem Zusammenbrechen. Um ihm die Entscheidung zu erleichtern, ließ Bount eine Handkante der Marke Guillotine auf seinen Nacken sausen.

Der Erfolg war umwerfend. Mladens Knie gaben endgültig nach, seinen Silberblick verbargen nun geschlossene Lider. Er schlug mit dem kantigen Kinn auf das Pflaster des Bürgersteigs, genau vor dem Eingang zu Novids Zehnstockwerk-Granithäuschen. Der Dreißigjährige brauchte keinen Arzt, bestimmt jedoch mindestens eine halbe Stunde Pause. Und weil die Fahrertür ebenfalls noch offen stand, wuchtete Bount ihn hinter das Steuer.

Jasna Bockai hatte währenddessen - das Intermezzo war nach rund zehn Sekunden beendet gewesen - Lots Weib Konkurrenz gemacht. Nur schmeckte sie auch jetzt gewiss nicht so salzig. Sie war ein ausnehmend hübsches Girl. Appetitlich von den Zehennägeln bis zum Scheitel.

Was man von Stan Novid nicht behaupten konnte. Er kauerte mit angezogenen Beinen auf seinem Superpolsterrücksitz, bange gegen das Mädchen gelehnt, und fand sich nur langsam wieder zurecht. Danach allerdings wurde er sehr agil. Dass er dabei zugleich geschäftsmäßig wurde, deutete darauf hin, dass er über eine Rossnatur verfügte. Mochte sein Körper noch so schwabbelig erscheinen - der Verstand arbeitete wie ein Computer der fünften Generation. Gleichzeitig verlor er seine Ängstlichkeit.

»Sie handelten wohl in einer Notwehrsituation«, stellte er fest, wieder größer werdend in seinem Sitz und sich von Jasna lösend. »Außerdem sind Sie vom Fach. Mladen wurde vorher noch nie auf die Bretter geschickt. Nicht von einem einzigen Mann. - Sie sind Polizist?«

Bount ersparte sich den Hinweis, dass es sich bei den Pflastersteinen, auf denen dieser Mladen gelegen hatte, nicht um »Bretter« handelte. Stattdessen zückte er seinen richtigen Ausweis. Jenen, der ihn als amtlich zugelassenen Privatdetektiv deklarierte.

»Reiniger? Bount Reiniger?«

»Yes, Sir.«

»Private Eye?«

»Ja.«

»In wessen Auftrag?«

»Sie wissen sehr gut, dass Sie diesen Namen von mir nicht erfahren werden.«

»Hm. Ich kenne die einschlägigen Bestimmungen. Ich muss Ihnen keine Auskünfte erteilen.«

»Stimmt.« Der Chauffeur wälzte sich stöhnend in die Seitenlage. »Sie brauchen überhaupt nichts zu sagen. Dann haben Sie in spätestens einer Viertelstunde die Polizei und auch G-Gen vom FBI in Ihrem Penthouse. Werden Sie meinetwegen glücklich mit diesen Leuten. Ich wünsche Ihnen jetzt schon viel Vergnügen. - So long.«

Bount wandte sich ab, machte Anstalten, auf seinen Mercedes zuzustiefeln.

»Warten Sie, Mister Reiniger!«

Bount blieb stehen, Gesicht und Körper zur Kneipe gegenüber ausgerichtet. Immerhin warteten dort ein Dutzend köstlicher Cevapcici auf ihn. Die besten im Großraum New York, wie der Keeper behauptet hatte.

»Ja?«

»Haben Sie es nicht so eilig, Mann. Ich möchte mit Ihnen sprechen.«

»Oben?«

»Ja. In meiner Wohnung. Und ich sorge auch dafür, dass sich jemand um Mladen kümmert. - Er ist doch nicht ernsthaft verletzt?«

»Keine Sorge, Mister Novid. Er hat noch alle seine Gräten. Vielleicht tut ihm die eine oder andere beim Aufwachen weh, doch er trägt verlässlich keinen bleibenden Schaden davon.«

»Profi, eh?«

»Das haben Sie gesagt, Mister.»

»Kommen Sie mit. Ich habe den Eindruck, dass Sie dem Unschuldigsten aller Unschuldigen aus welchen Gründen auch immer an die Wolle wollen. Sie laufen offene Türen ein, Mister Reiniger. Bei mir gibt es nichts zu verbergen.«

Novid warf keinen einzigen Blick mehr auf seinen Leibwächter, oder was auch immer dieser Hüne darstellen mochte. Mit der jungen Jugoslawin im Schlepp, die Bount mit einer Mischung aus durchaus weiblicher Neugier und Respekt anstarrte. Unbewusst huschte ihr eine rosa Zungenspitze über die volle Unterlippe. Bount fühlte sich ungeniert auf seine Qualitäten als Mann hin taxiert. Diese Jasna Bockai war eine »Lolita« ersten Ranges.

Der Geschäftsmann wechselte ein paar Worte mit einem altersgebeugten Mann, der mit einem Spültuch den Boden zwischen den Lifts und dem Eingang aus mattiertem Glas aufwischte, und benützte dabei wieder diese Bount so vollkommen unverständliche Sprache. Einmal glaube er den Namen »Mladen« herauszuhören.

»Alles erledigt, Mister Reiniger. Wenn Sie mir bitte folgen würden?«

Wie ein ertappter Sünder führte sich dieser Mann keinesfalls auf, wie Reiniger zu seiner Verwunderung feststellen musste, sondern eher wie ein Spieler, der sämtliche Trümpfe zu einem unschlagbaren Royal Flush in der Hand hielt. Er steuerte auf den linken der Aufzüge zu und schloss ihn auf. Die geräumige Kabine hatte nur drei Knöpfe: zwei für Erdgeschoss und die Tiefgarage und noch einen weiteren, unbeschilderten. Also ein Privatlift, den nur er benutzte und der direkt im Penthouse endete.

Bounts Annahme bestätigte sich schon nach wenigen Sekunden. Wie zufällig hatte er seine Rechte in die Nähe des obersten Jackettknopfs gebracht. Stan Novid grinste nur abfällig. Er fühlte sich sichtlich nicht bedroht.

Die Tür surrte zurück und gab den Blick in einen schmalen Flur frei, mit bunten Läufern bedeckt. Ihre Ornamentik stammte vom Balkan. Das Mädchen mit dem schwarzen Wuschelkopf und den dick angemalten Lippen schaute sich staunend um. An den Wänden hingen Hinterglasbilder naiver jugoslawischer Künstler, und selbst Bount musste zugeben, dass allein schon dieser Korridor nicht ohne Geschmack ausgestattet war. Er glaubte nicht, dass Stan Novid dafür verantwortlich zeichnete. Dieser Eindruck vertiefte sich noch, als der Opalhändler sie in ein weiträumiges Wohnzimmer mit offenem Kamin führte. Doch im Gegensatz zu den üblichen Panoramascheiben waren die Fenster hier eher klein und gaben trotzdem die Aussicht auf einen Dachgarten frei, der ebenfalls mit viel Liebe zur dalmatischen Landschaft angelegt war. Nur die Palmen fehlten, doch dafür gab es Kies in rauen Mengen. Im Osten grüßte die dunstverhangene Skyline Manhattans wie der Velebit herüber. Auch sie ein gigantischer Steinhaufen.

»Willst du dich nicht frisch machen?«, wandte Novid sich an Jasna. »Das Bad findest du am anderen Ende des Flurs. Sobald Mladen sich erholt hat, wird er unser Gepäck heraufbringen. Nun verschwinde schon endlich! Kann ich Ihnen einen Drink anbieten?«

Trotz seiner mehr als dreißig Jahre Aufenthalt in den Staaten beherrschte der massige Mann aus Susak das Englische immer noch nicht richtig. Seine Syntax, der Satzbau, war slawisch geblieben.

»Einen Slibowitz?«, schlug Bount Reiniger tapfer vor und nahm auf einer breiten Couch Platz. Auch auf ihr eine Decke, auf der er die Muster von den Teppichen im Flur wiederfand. Geknüpftes zierte auch die Wände aus Bruchsteinquadern. Irgendwie erinnerte ihn das Ganze an das Innere einer Burg. Auch beschied sich Novid offenbar mit einem »Penthäuschen«, denn der Garten nahm zweifellos den größten Teil des Dachgeschosses ein. Amerikanisch war hier nur die Hausbar aus poliertem Mahagoni. Stan Novid schenkte großzügig ein und kam mit den beiden Gläsern an den rustikalen Tisch mit der Platte aus rissigem, fast schwarzem Olivenholz. Er hatte sich seine Heimat nach Hoboken geholt, wenngleich auch modern durchgestylt bis ins letzte Detail. Es fiel Bount schwer, in diesem Mann einen erbarmungslosen Verbrecher zu sehen. Doch das musste wohl sein, ihm blieb gar keine andere Wahl. Novid hatte die Flasche gleich mitgebracht.

»Civeli«, sagte er, bevor er sich den Schnaps mit einem Zug hinter die Binde kippte. »Cheers.«

Bount nippte nur vorsichtig und stellte sein Glas dann wieder ab.

»Sie können sich natürlich denken, warum ich hier bin«, begann er diplomatisch.

Novid lehnte sich in seinem Sessel zurück, verschränkte die Arme gemütlich vor der breiten Brust und grinste noch genüsslicher.

»Keine Ahnung«, behauptete er.

Reiniger seufzte. »Dann muss ich wohl deutlicher werden. Es geht um Jasna Bockai, Ihre Begleiterin. Sie wurde vor etwa vier Wochen in Jugoslawien gekidnappt.«

Das Wort »Kidnapping« schreckte ihn in keiner Weise. Novid tat vielmehr, als müsse er überlegen. »Bockai ...? Bockai?«, rätselte er schlecht geschauspielert, dann hellte sich seine Miene plötzlich genauso unglaubwürdig auf. »Ach! Sie meinen Jasna, meine Frau? In der Tat. Das ist ihr Mädchenname. Ein schnuckeliges kleines Ding, nicht wahr?«

Bount verschluckte sich.

»I... Ihre Frau?«

»Natürlich.« Stan Novid zuckte die Schultern. »Wie hätte mein Goldstück sonst legal in die Staaten einreisen können? Ich habe sie in Venezuela geheiratet. Ich bin ein Mann, der die Gesetze buchstabengetreu befolgt, Mister Reiniger ...«