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Einen Tag, nachdem Wolffs Leiche gefunden worden war, fuhr Lucas an dessen Haus vorbei. Auf der Straße parkten ein paar Polizeiwagen. Die Einfahrt war mit Absperrband abgeriegelt.
Lucas konnte nur einen kurzen Blick riskieren. Er sah, wie ein weiß gekleideter Kriminaltechniker mit blauen Plastiküberziehern an den Füßen aus dem Haus kam. In der Hand hielt er Bretter oder so etwas Ähnliches. Hinter ihm kam ein zweiter Techniker im gleichen Aufzug zum Vorschein. Er trug etwas, das Lucas an ein Bücherregal von Ikea erinnerte, ohne dass er sagen konnte, warum.
Es machte den Eindruck, als würde die Polizei das Haus völlig auseinandernehmen. Verdammt. Dass sie so genau waren! Irgendwas, irgendeine Kleinigkeit würden sie bestimmt finden. Unbewusst trat Lucas aufs Gas. Der Wagen beschleunigte. Er konnte gerade noch sehen, wie zwei Leute in der Einfahrt auf den plötzlichen Motorlärm reagierten und den Kopf hoben.
Scheiße! Er schlug mit dem Handballen aufs Lenkrad. Wie konnte er nur so dumm sein? Er hätte nie hier vorbeifahren dürfen, um zu gucken. Jetzt nur nicht in Panik geraten!
Du musst einen kühlen Kopf bewahren. Du bist schon beinahe Home free, Mann. Home free.
Das stimmte nicht. Nicht, wenn sie etwas fanden. Vielleicht hatte Wolff ein Lager und etwas unter den Bodendielen oder in der Wand versteckt. Irgendwo, wo er nicht hatte suchen können und wo die Polizei es bei der ersten Hausdurchsuchung, als sie Wolff festnahmen, nicht entdeckt hatte.
Es kann ja überall sein, dachte Lucas. Er kann es im Garten vergraben oder es in den Schornstein geschoben haben oder …
Verdammt! Diesmal schlug er so fest aufs Lenkrad, dass er kurz die Kontrolle über den Wagen verlor. Jetzt hundert Meter von Wolffs Haus entfernt einen Unfall zu bauen – das hätte gerade noch gefehlt.
Er schwitzte. Im Gesicht, auf der Brust, unter den Armen. Alles war klamm. Die Klamotten klebten an seiner Haut. Bestimmt roch er nicht besonders gut. Streng. Wie ein alter ungewaschener Kerl.
Plötzlich verspürte er einen ungewohnten Ekel vor sich selbst. Ich hätte es nicht tun sollen, dachte er. Ich hätte Ruhe bewahren und mich an den ursprünglichen Plan halten sollen.
Der war ganz einfach gewesen: Er hatte Wolff unter einem Vorwand nach Oslo locken wollen, wo er von fachkundigen Leuten entsorgt worden wäre, während er selbst mit einem lupenreinen Alibi zu Hause in Dypdal saß.
Aber als er Wolff an diesem Nachmittag gesehen hatte, wusste er, dass er auf sämtliche Pläne pfeifen und ausnahmsweise seinem Impuls folgen würde. Er konnte nicht anders. Er konnte diesen Idioten nicht sterben lassen, ohne zum ersten Mal selbst Hand anzulegen.