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Die kühle Luft kroch von der Verandatür über den Boden und legte sich um seine Beine wie ein haariger eiskalter Teppich.

Wolff spürte, wie sein Herz hämmerte. Bumm-bumm-bumm. Einen Augenblick lang fürchtete er, es könnte zerplatzen, einfach explodieren. Hier und jetzt. Auf der Stelle tot.

Warum bin ich nicht abgehauen?, dachte er.

Lucas trat hinter dem Vorhang neben der offenen Verandatür hervor. „Jetzt sind wir beide allein, Wolff.“

„Ja“, sagte Wolff automatisch. Er hob die Hände auf Hüfthöhe und wand die Finger. „Lucas. Bist du das?“

„Wie konntest du es wagen?“, fragte Lucas. Seine Lippen waren schmal und seine Nase seltsam spitz. Die Nasenflügel waren bleich, beinahe weiß. Er war komplett in Schwarz gekleidet. Er sah aus wie ein Gespenst.

„Was hast du dir dabei gedacht?“, fragte er und stieß ein hartes, unangenehmes Lachen aus. „Ich meine, echt, Mann! Das musst du mir schon erklären. Was hast du dir dabei gedacht?“

„Aber ich war das nicht“, sagte Wolff. „Ich habe niemanden umgebracht. Ich war das nicht.“

„Das kümmert mich einen Dreck!“ Lucas warf die Hände in die Höhe. „Ich rede von Benedicte, Mann. Von Benedicte!“

Wolff verstummte. Seine Finger bewegten sich unablässig. Er konnte nicht antworten. Sein Kopf war leer. Außerdem erlebte er Lucas nicht zum ersten Mal so wütend. Er wusste, dass der Mann komplett die Kontrolle verlieren konnte, wenn man ihm auch nur den kleinsten Anlass bot. Wenn die Lunte brannte. Am besten, er hielt einfach die Klappe.

Lucas kam auf ihn zu. Mit großen Schritten durchquerte er den Raum und pflanzte seine Hand auf Wolffs Brust. „Wie konntest du es wagen, dich an Benedicte zu vergreifen?“

„Aber …“, fing Wolff an.

Lucas schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. „Jetzt red keinen Scheiß, Mann. Kein Wenn und Aber. Komm mir jetzt bloß nicht so!“

Wolff wich zurück. Sein Gesicht war gleichzeitig eiskalt und glühend heiß. Er prallte mit dem Rücken gegen die Wand und blieb stehen. „Ich wusste es nicht. Ich schwöre es dir, Lucas, ich wusste es nicht!“

Lucas folgte ihm und schlug erneut zu. Es gab einen lauten Knall, wie wenn man in die Hände klatscht. „Du hast sie angerufen. Du kanntest ihre Adresse.“

„Aber anfangs noch nicht. Ich wusste nicht, wer sie war!“

„Natürlich wusstest du es!“

„Lucas, bitte …“

„Du kotzt mich an, Wolff. Du kotzt mir gerade direkt ins Ohr, kapierst du das? Ins Ohr, Freundchen!“

„Ich habe sie im Internet kennengelernt. Ich habe erst gewusst, wer sie ist, als wir angefangen haben zu mailen. Und da war es … ja, irgendwie zu spät.“

„Irgendwie zu spät? Du hast rausgefunden, dass sie meine Tochter ist, und trotzdem weitergemacht. Weil es IRGENDWIE ZU SPÄT WAR?“

Diesmal schlug Lucas so heftig zu, dass Wolffs Kopf zur Seite flog. Er schmeckte Blut und wusste, dass sein Leben davon abhing, was er Lucas jetzt erzählte. Wenn er die Wahrheit sagte, war er ein toter Mann.

Ich habe es getan, weil ich dachte, es würde schon gut gehen. Ich habe es getan, weil ich scharf auf deine Tochter und ihre dunkelhaarige Freundin war und weil ich deine blank polierte Fresse hasse. Fuck you, Lucas. Fuck you von hier bis zur Hölle und zurück.

„Ich …“, begann Wolff. Aber er wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte keine Ausrede auf Lager, nichts parat, das ihn jetzt retten konnte. „Bitte“, flehte er, „bitte bring mich nicht um, Lucas. Das kannst du nicht tun. Es ist doch gar nichts passiert. Ehrlich! Komm schon, Mann …“

„Meine Tochter“, flüsterte Lucas. „Du vergreifst dich an meiner Tochter. Und als du erfährst, dass ich davon weiß, lässt du dich von der Polizei einbuchten, weil du Schiss vor mir hast!“

„Ja.“

„So war es doch! Hab ich recht?“

„Ja, ja!“

„Die Polizei. Und dann auch noch die Kripo! Wie blöd kann man eigentlich sein?“

„Ich habe ihnen nichts verraten.“

„Ihnen nichts verraten? Willst du mich auf den Arm nehmen? Warum haben sie dich denn dann so lange dabehalten? Irgendwas musst du ja gesagt haben!“

„Ich habe gesagt, dass ich der Mörder bin. Ich habe den Mord an dem Mädchen gestanden.“