KAPITEL 5

Guido sprühte mal wieder geradezu vor Begeisterung. Wie ein Feuerwerk schoss er seine Ideen ab, ließ einen Einfall dem anderen folgen. Er wollte nicht nur den Fußballplatz in kürzester Zeit wieder in Form bringen, sondern hatte auch vor, ganz nebenbei ihr Klubhaus zu verschönern.

»Es wäre doch gelacht, wenn wir ›Oma ihr altes Häuschen‹ nicht wieder in Form bringen könnten«, grinste er.

Jan warf ihm einen giftigen Blick zu. »Fang nicht schon wieder an, auf meinem angeblich schlechten Deutsch herumzureiten.«

»Tu ich doch gar nicht«, sagte Guido unschuldig. »Nach diesem Juckangriff heute Morgen bin ich nur etwas großzügiger geworden. Ob ›Omas Häuschen‹ oder ›Oma ihr altes Häuschen‹ – das ist doch ganz egal. Hauptsache es sieht schön aus.«

»Aber ich hab echt keinen Bock drauf, mich auch noch als Maler zu betätigen.«

So ging es eine ganze Weile hin und her. Die 12-Volt-Deckenlampe, die von einer alten Autobatterie gespeist wurde, verbreitete ein schummriges Licht. Und trotz der Kälte war es eigentlich irre gemütlich, hier herumzuhocken, Kekse zu knabbern und sie mit Limo herunterzuspülen.

»O Mann, verdammt!«, rief Jacki plötzlich.

»Was ist denn?«, fragte Frank alarmiert

»Schau mal auf die Uhr«, stieß Jacki aufgeregt hervor. »Wir sollten schon seit einer Stunde zu Hause sein.«

Die anderen starrten erschrocken durch das kleine Fenster nach draußen. Es war bereits stockfinster.

»Verschärft«, meinte Frank »Da haben wir uns echt verquasselt.«

»Also nichts wie los.« Jan sprang auf. »Meine Alten machen mich rund.«

»Aber wieso haben sie denn nicht angerufen?«, fragte Jacki, während sie Jans Beispiel folgte.

»Hat denn einer von euch ein Handy dabei?«, fragte Guido. »Ich nämlich nicht.«

Die anderen schüttelten ihre Köpfe. Dabei hatten sie ihren Eltern fest versprochen, immer per Handy erreichbar zu sein, wenn sie auf ihrem eigenen Fußballplatz herumtobten. Dementsprechend groß würde das Donnerwetter ausfallen, wenn sie nach Hause kamen.

Sie ließen alles stehen und liegen und stürzten aus der Hütte. Guido fischte den Schlüssel aus der Jackentasche und schloss zweimal ab.

»Stockfinstere Nacht«, schimpfte Jacki »Das hätte uns wirklich nicht passieren dürfen. Mensch, Guido, warum musst du einen auch immer so zulabern.«

»Aber ich ...«

Ein dumpfer Knall zerriss die abendliche Stille. Die Coolen Kicker zuckten erschrocken zusammen.

»Wenn das jetzt wieder Eberhard ist, der hier mit Feuerwerkskörpern um sich schmeißt ...« Guido ließ den Rest des Satzes unbeendet. Aber die anderen wussten auch so, was er meinte.

Es war noch gar nicht lange her, dass Eberhard und Thomy ihr Einweihungsfest mit Chinakrachern auseinander gesprengt hatten – und nach seinem Schneeballangriff heute Morgen konnte es durchaus sein, dass die beiden einen neuen Großangriff wagten.

Es donnerte ein zweites Mal, diesmal näher und lauter und so ganz anders, als man es von Feuerwerkskörpern erwarten durfte.

»Das sind Schüsse«, flüsterte Karin entsetzt. »Irgendjemand ballert hier wild in der Gegend rum.«

Die anderen starrten sie fassungslos an, als würden sie gar nicht begreifen, was sie damit sagen wollte.

»Hat wirklich niemand von euch ein Handy dabei?«, fragte Guido schließlich leise.

Seine Freunde schüttelten beklommen die Köpfe. Das, was Karin für Schüsse hielt, war aus dem Wald hinter dem Klubhaus gekommen.

»Wir sollten ganz schnell auf unsere Räder steigen und verschwinden«, flüsterte Karin. »Ich möchte nicht über jemanden stolpern, der hier Schießübungen veranstaltet.«

»Quatsch doch nicht dämlich«, widersprach Jan. »Das sind keine Schüsse. Das sind nur wieder Eberhard und Thomy, die uns erschrecken wollen. Aber wartet hier, ich schnappe mir die beiden.«

Bevor ihn die anderen zurückhalten konnten, jagte er los.

»Der ist doch durchgeknallt«, sagte Karin entsetzt. »Ihr Städter habt vielleicht kein Ohr dafür, aber ich bin ganz sicher, dass das Schüsse waren!«

Wie zur Bestätigung ihrer Worte knallte es erneut. »Mensch, da ballert tatsächlich jemand rum!«, rief Guido erschrocken. »Also komm, Frank, sehen wir zu, dass wir Jan zurückholen.«

»Ich komme mit«, stieß Karin hastig hervor. »Ich kenn doch den Wald hier besser als jeder von euch.«

»Und wer bleibt bei Jacki?«, gab Guido zurück

Die Frage erübrigte sich, denn das schwarzhaarige Mädchen wirbelte auf dem Absatz herum und stürmte Jan hinterher.

»Auch das noch«, stöhnte Guido. »Zwei Idioten.«

Frank und Karin liefen Jacki sofort nach, sodass Guido nichts anderes übrig blieb, als ihnen auch schnellstmöglich zu folgen.

Fast gleichzeitig erreichten die vier den Waldrand.

»Jan ist bestimmt den Pfad hier runter«, sagte Karin und deutete nach rechts.

Es blieb ihnen keine Zeit für Diskussionen. Obwohl die Dunkelheit im Wald wie ein undurchsichtiges Tuch über sie fiel, rannte Karin mit erstaunlicher Geschwindigkeit weiter. Zweige und Laub knackten und raschelten unter ihren Füßen und doch war sie viel leiser als ihre Freunde, die wie eine durchgegangene Büffelherde den Waldweg entlangtrampelten.

Frank konnte sich nicht daran erinnern, schon jemals vorher so aufgeregt gewesen zu sein. Jan hatte mit seinem Alleingang nicht nur sich selbst in Gefahr gebracht, sondern auch Jacki und alle übrigen. Wenn deswegen seiner Schwester oder Karin auch nur das Geringste zustieß, konnte Jan sich auf etwas gefasst machen ...

Mitten in seine aufgewühlten Gedanken krachte erneut ein Schuss. Karin blieb so abrupt stehen, dass er fast in sie hineingestolpert wäre.

»Der Schuss kam von links«, keuchte Karin. »Es könnte sein, dass wir in die falsche Richtung gelaufen sind.«

»Und trotzdem könnte Jan hier lang sein«, stieß Frank hervor.

Er stand jetzt direkt neben seiner Schwester und es wäre ihm ein Leichtes gewesen, sie am Handgelenk zu packen und festzuhalten. Aber er ahnte, dass sie sich das kaum gefallen lassen würde. Er konnte sie schließlich nicht mit Gewalt bis zum Klubhaus zurückschleifen ...

»Was machen wir jetzt?«, fragte Jacki ängstlich.

»Ein paar Meter weiter gabelt sich der Weg«, sagte Karin leise. »Wir müssten uns teilen, um in beiden Richtungen nach Jan zu suchen – aber das ist viel zu gefährlich ...«

»Wenn das nur nicht Wenzel ist«, unterbrach sie Frank. »Der ist doch nicht ganz dicht im Kopf. Und außerdem hat er uns schon mal mit seiner Schrotflinte bedroht!«

»Das ist er nicht«, empörte sich Guido. »Heute Mittag wirkte er ganz normal – obwohl, ein bisschen schräg ist der Typ schon drauf.«

»Vielleicht sollten wir nach Jan rufen?«, überlegte Jacki.

»Und damit den schießwütigen Idioten auf uns aufmerksam machen?«, widersprach Karin. »Keine gute Idee.«

»Es könnte auch ein Wilderer sein«, meinte Guido.

»Blödsinn«, beschied ihm Karin. »Bei uns wird schon seit Jahrzehnten nicht mehr gewildert. Ach man, verdammt! Wir können doch nicht ohne Jan umkehren.«

Einen Herzschlag lang herrschte eine fast gespenstige Stille. Franks Magen verkrampfte sich und in seinem Kopf war ein einziges Wirrwarr. Jan, dieser Blödmann! Was hatte er sich dabei gedacht?

»Also?«, fragte Guido leise. »Was schlägst du vor?«

»Ich fürchte«, sagte Karin bedrückt, »dass wir keine andere Wahl haben, als wieder zum Klubhaus zurückzulaufen. Einer muss dann schnellstmöglich Hilfe holen und die anderen warten dort – falls Jan auftaucht und Unterstützung braucht.«