KAPITEL 10

Perschke bog auf die Wiese ein und fuhr langsam auf sie zu. Jacki gab Jan einen Schubs, als hätte sie Angst, dass der alte Mann sehen konnte, was sich in der Tüte befand.

Jan spurtete los. Die Tüte in seiner Hand wackelte so sehr, dass Frank einen Moment lang befürchtete, er könnte einen Teil des Inhalts verlieren.

Doch schon war der Junge in der Hütte verschwunden. Gerade rechtzeitig, denn Perschke brachte sein Moped bereits zum Stehen.

»Hallo«, rief er ihnen zu. »Ich hab meine alte Kreidler nicht angekriegt. Tut mir Leid, dass ich deswegen ein bisschen zu spät komme.«

»Kein Problem«, winkte Guido ab. »Wir sind auch noch nicht lange da. Eigentlich wollten wir gerade mit dem Training anfangen – aber Frank hat irgendwie so blöd seine Schnürsenkel verknotet, dass er sie jetzt nicht mehr aufkriegt.«

»So eine Kleinigkeit hält doch wohl kaum einen echten Kicker vom Spielen ab, was?« lachte der alte Mann, während er zu ihnen hinüberstapfte.

Er war abenteuerlich gekleidet. Statt eines Helms trug er eine lederne Schutzhaube, über die er die Kapuze seines Anoraks gezogen hatte. Dagegen sahen seine Beine fast aus, als ob sie in einem Raumanzug steckten, so dick aufgeplustert waren sie.

Als er zum Umziehen auf die Hütte zuging, stürmte ihm Jan so ungestüm entgegen, dass die beiden fast zusammengekracht wären.

»Was ist denn mit dir los, mein Junge?« fragte Perschke. »Du siehst ganz blass um die Nase herum aus.«

»Nee, nee, es ist alles in Ordnung«, stieß Jan aufgeregt hervor. »Die Wilderer sind bestimmt überhaupt nicht mehr in der Gegend. Deswegen haben wir auch nicht die geringste Spur von ihnen entdeckt.«

Frank klappte vor Entsetzen der Unterkiefer herunter. Der Traumtänzer stieß Perschke ja geradezu mit der Nase darauf, dass hier etwas nicht stimmte!

»Die Wilderer.« Perschke nickte langsam. »Ja, da könnte ich euch so manche Geschichte erzählen. Nach dem Krieg ist es hier ganz schön zur Sache gegangen. Ich hoffe nur, dass wirklich der ›wandernde Wilderer‹ dahintersteckt und nicht irgendein alter Wirrkopf, der schon damals mit seiner Flinte die Gegend hier unsicher gemacht hat.«

Sein Blick verlor sich in der Ferne. Vielleicht war es nur ein Zufall: aber in der Richtung, in die er sah, lag der Wenzelhof.

Ohne ein weiteres Wort drängte er sich an Jan vorbei und verschwand im Klubhaus.

»Das war knapp«, zischte Frank Jan zu.

»Wieso?« fragte Jan unschuldig.

»Um ein Haar hättest du ihm doch erzählt, dass wir hier die Patronen gefunden haben«, schimpfte Jacki.

Jan schaute betreten zu Boden. »Ihr tickt ja beide nicht mehr ganz sauber«, murmelte er schließlich. »Erst kratzt ihr euch fast die Augen aus und dann zieht ihr gemeinsam über mich her.«

Frank und Jacki runzelten wie auf ein gemeinsames Kommando hin die Stirn, sahen sich an – und platzten vor Lachen heraus.

»So ist das eben bei Geschwistern«, kicherte Jacki schließlich.

»Ich versteh schon«, sagte Jan düster. »Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.«

»So kann man das auch sehen«, sagte Guido ungewohnt heftig, drehte sich auf dem Absatz um und stapfte in Richtung Spielfeld davon.

»Oh, oh«, sagte Jan voller Schadenfreude. »Unserer tapferer Ritter scheint jetzt aber ganz schön beleidigt zu sein.«

Kaum hatten die Coolen Kicker ihr Aufwärmtraining hinter sich, als das Geräusch mehrerer Autos den Feldweg heraufdröhnte. Frank stoppte den Ball, den ihm Jan gerade zugespielt hatte, und drehte sich überrascht um. Es waren zwei Wagen, die auf die Fußballwiese einbogen und langsam auf das Klubhaus zufuhren.

Frank stockte der Atem. Es war ganz eindeutig der große Geländewagen der Familie Sendler, der vorausfuhr, und soweit Frank erkennen konnte, saßen zumindest drei Personen darin. Einen viel größeren Schreck verursachte ihm aber der zweite Wagen, der hier wirklich nichts verloren hatte.

Es war die Familienkutsche seines Vaters.

»Jetzt hol mich ...«, begann Perschke. Doch statt seinen Satz zu beenden, stiefelte er auf die Wagen zu, die mittlerweile vor dem Klubhaus stehen geblieben waren.

Frank hatte nicht unbedingt das Bedürfnis, ihm zu folgen. Er würde auch so früh genug erfahren, was dieser Aufmarsch zu bedeuten hatte.

Er brauchte nicht lange zu warten. Bauer Sendler und sein Vater begrüßten Perschke nur knapp und stiefelten dann auf die Coolen Kicker zu, als wollten sie ihnen eine Abreibung verpassen. Das sah überhaupt nicht gut aus. Frank hätte am liebsten auf dem Absatz kehrt gemacht, um ins Klubhaus zu flüchten.

»Jetzt reicht es endgültig«, schimpfte sein Vater. »Ihr packt sofort eure Sachen ein und kommt mit.«

»Aber warum ...?«, begann Frank, bis sein Blick auf Karin und Luki fiel, die gerade aus dem Geländewagen stiegen. Sie sahen ganz bleich und verstört aus.

Langsam begann Frank die Sache unheimlich zu werden. Seinen beiden Freunden erging es nicht besser. »Was ist denn passiert?«, wollte Guido wissen.

Sendler ließ seinen Blick über die Wiese schweifen, bevor er sagte: »Wir haben so eine Art Bombenalarm bekommen.«

»Bombenalarm?« Guido schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich verstehe rein gar nichts mehr.«

»Es hat nicht direkt mit Bomben zu tun«, berichtigte Franks Vater rasch. »Aber wir haben erfahren, dass ihr Munition beiseite geschafft haben sollt.«

»Was?«, schrie Jan. »Wer behauptet denn so einen Mist?«

Frank erkannte, dass sein Vater nahe dran war, vor Wut zu platzen – aber noch riss er sich zusammen. »Ich will keine vorschnellen Behauptungen aufstellen. Lasst uns erst mal einen Blick in euer Klubhaus werfen.«

»Aber wir haben nicht aufgeräumt«, wehrte Jan ab. »Und außerdem gibt’s da überhaupt nichts Interessantes zu sehen.«

»Das zu entscheiden solltest du lieber uns überlassen«, sagte Sendler. Sein typisch lustiges Lächeln war wie weggewischt und hatte einem fast verkniffenem Gesichtsausdruck Platz gemacht. Frank begriff überhaupt nicht, wie er und sein Vater zusammengekommen waren, denn soviel er wusste, kannten sie sich nur vom Sehen.

Aber das war jetzt seine geringste Sorge. Die beiden Männer stürmten an ihnen vorbei, rissen die Tür auf und polterten in die Hütte, als hätten sie keine Zeit zu verlieren. Jan wollte ihnen hinterher, aber Frank hielt ihn im letzten Moment am Kragen fest.

»Du bleibst besser hier«, zischte er.

»Aber«, stammelte Jan leise. »Wenn die die Tüte finden!«

Karin war mittlerweile so nahe herangekommen, dass sie seine letzten Worte mitgehört hatte. »Was für eine Tüte meinst du?«, fragte sie scharf.

»Na ... die Tüte eben«, sagte Jan unglücklich.

»Da sind doch nicht etwa Patronen drin, oder?«, bohrte Karin nach.

Jan wandte sich ohne zu antworten ab. Frank nickte an seiner Stelle: »Es sind Patronen drin und gleich wird sie dein Vater finden.«

Karin starrte nach oben in den Himmel, als würde sie von dort Hilfe erwarten. »Das darf doch alles nicht wahr sein«, stöhnte sie.

»Da kann ich dir nur Recht geben«, sagte der alte Perschke, der jetzt auf Hörweite herangekommen war. »Ich bin’s bald leid. Wenn das so weitergeht, kann ich euch nicht mehr trainieren!«