Kapitel 8

Es war Mittag. Die Skulptur – eine über den Ast geworfene Schlange – an der Kreuzung Wilhelmstraße schien zu zerlaufen, ein geschmolzener Ast, der in der Hitze des Tages seine Konsistenz und Integrität eingebüßt hatte und Stück für Stück auf den Teer zu tropfen drohte. Wie der Himmel, in dessen Mitte ein unersättliches, gleißendes Loch brannte, von dem das Licht senkrecht herabfiel, bemüht, jeglichen Rest von Schatten zu tilgen.

Es war wenig los auf der Straße, und umso unwirklicher erschien die Prozession aus in knalliges Rot und Grün gekleideten Zwergen mit spitzen Hüten, die mit Schildern und Rasseln bewaffnet den Fußgängerweg vor dem Schloss kreuzten und sich mit viel Lärm auf den oberen Eingang des Schlossgartens zubewegten. Sie wurden eingekesselt von mehreren jüngeren Frauen, die in der Vorhut des Zuges dafür sorgten, dass alle Zwerge sich um das Kassenhäuschen scharten, und in der Nachhut darauf achtgaben, dass die Nachzügler möglichst rasch über die Fußgängerampel kamen.

Rocco und Anna waren auf dem Weg ins Krankenhaus, auf dem Rücksitz lümmelten Garcia und McCarthy, die ihr Fahrrad nur unter Protest zurückgelassen hatten.

»So langsam glaube ich an die Story mit dem Zauberpilz unter der Stadt«, sagte Rocco und wies mit dem Finger auf die Zwerge.

»Rocco. Das sind Kinder«, erwiderte Anna.

»Ich hab’s euch doch gesagt«, meinte Garcia von der Rückbank und versuchte, sich aufzusetzen.

Die Zwerge versammelten sich vor dem Kassenhäuschen, hielten auf Kommando ihre Schilder hoch, auf denen mit bunten Farben größtenteils unkenntliche Zeichnungen und Schriftzeichen gemalt waren. Die Frauen verteilten Flugblätter an die Besucher. Dann wurde die Ampel grün und Anna gab Gas.

»Ich habe nichts lesen können«, protestierte Rocco.

»Was wird das schon sein«, sagte Anna. »Wahrscheinlich eine Demonstration gegen die Pläne deines Herrn Lohhausen.«

»Das ist nicht mein Herr Lohhausen. Was soll denn das heißen?« Rocco schüttelte den Kopf.

Roth erschien persönlich in Roccos und Annas Büro, um sich zu erkundigen, wie die Ermittlungen verliefen und ihnen die Meinung zu sagen. »Ich bitte Sie in aller Form darum, diesen Fall schnell und diskret zu erledigen, und Sie haben nichts Besseres zu tun, als eine halbe Stunde später in der Innenstadt eine Treibjagd auf Studenten zu veranstalten. Vor dem Märchengarten finden Demonstrationen statt, obwohl die Werbekampagne und die Pläne für den Umbau erst heute Morgen öffentlich gemacht wurden. Wie kann das sein? Es muss eine undichte Stelle in der Verwaltung oder in Lohhausens Firma geben. Und zu guter Letzt schleppen Sie mir schon wieder diese bekifften GI-Affen aus Pattonville ins Haus. Wollen Sie mir ans Leder? Haben Sie es auf mich abgesehen? Ist das tatsächlich Ihr Ernst? Wenn Sie nämlich so weitermachen, werde ich innerhalb kurzer Zeit an Herzversagen sterben. Den Löffel abgeben. Krepieren. Die Radieschen von unten betrachten.«

Rocco hatte Roth noch nie so viele Redensarten aneinanderreihen gehört. Abgesehen davon wunderte er sich darüber, wie die Demonstration ins Bild der Anklagepunkte passen sollte. Dafür konnten sie ja nun wirklich nichts. Er zog es jedoch vor, nicht zu erwähnen, dass seine Schwester an der Kampagne gegen den Umbau des Märchengartens maßgeblich beteiligt war.

»Bei dem Studenten handelt es sich um den bisher flüchtigen Exfreund der Toten«, sagte er stattdessen. »Dass er in ein anderes Fahrrad gerast ist, war von mir nicht beabsichtigt, hat ihn aber immerhin an der Flucht gehindert. Er ist im Krankenhaus, aber noch nicht vernehmungsfähig.«

»Aber Sie waren nicht in der Lage, Ihre Klappe zu halten, oder?« Roth war nicht zu besänftigen. »Ich hatte vor einer halben Stunde einen Anruf von der Presse. Die haben sofort versucht, den Mord im Märchengarten mit Lohhausens Umbauplänen in Verbindung zu bringen. Aus den Reihen der Bürgerinitiative würden solche Vermutungen kommen. Möglicherweise, so heißt es, hat Nicole Dahm für sie gearbeitet. Ich konnte ihnen das noch einmal ausreden – hoffe ich. Wie lange wird das halten, solange der Mord nicht aufgeklärt ist? Was ist mit dem Franzosen?«

»Flüchtig«, sagte Anna nur.

»Flüchtig«, wiederholte Roth. »Wollen Sie sagen, Sie könnten keinen Franzosen finden? Er muss irgendwo gemeldet sein. Er muss irgendwo arbeiten …«

»Soweit wir wissen, arbeitet er für Lohhausen«, unterbrach ihn Rocco.

»Lohhau…« Roth schwieg einen Augenblick. »Na gut, dann fragen Sie ihn doch. Ich bitte Sie nur, diskret vorzugehen. Diskret.« Er hob seinen gestreckten Zeigefinger in die Luft.

»Bürgerinitiative«, murmelte er, als er die Tür öffnete. »Bürgerinitiative. Wenn ich dieses Wort schon höre. Das ist der blanke Hohn. Als ob die Bürger uns gegenüber Initiative ergreifen müssten. Wir vertreten die Rechte der Bürger.« Er drehte sich noch einmal um. »Oder?«

»Nun ja, formal gesehen …«, setzte Anna an.

»Ach.« Roth winkte heftig ab. »Verschonen Sie mich mit Ihren Spitzfindigkeiten.« Er warf die Tür hinter sich zu.

Es war warm, die Jalousien waren heruntergelassen, und Rocco schaltete einen Ventilator an, der viel Krach machte und wenig Luft in Bewegung setzte. Anna starrte auf ihren Bildschirm, als könne der ihr sagen, wo der Franzose sich aufhielt. Rocco setzte auf die weniger arbeitsintensive Variante.

»Ich glaube, der Exfreund war es«, sagte er und legte die Beine auf seinen Schreibtisch.

»Besteht deine weitere Polizeiarbeit jetzt darin zu warten, bis er wieder aufwacht?«, zischte Anna.

»Hey, hey. Reg dich bloß nicht so auf. Ich habe nur gesagt, dass ich glaube, dass er es war. Warum sollte er sonst vor uns fliehen?«

»Dieser Arsch.« Anna starrte weiter auf ihren Bildschirm.

»Petz, oder wie er heißt?«

»Quatsch. Roth.« Sie stieß sich von der Schreibtischplatte ab, sodass ihr Stuhl ein Stück nach hinten rollte, und stand auf. »Willst du auch einen Kaffee?«

»Okay.«

Anna ärgerte sich nicht nur über Roth, sondern auch über sich selbst. Irgendetwas hatte sie vergessen. Sie wusste zwar, dass es etwas mit dem Fall zu tun hatte, doch was? Auf dem Weg zum Kaffeeautomaten grübelte sie darüber nach. Allerdings lenkte sie der Gedanke an Kaffee ab. Eigentlich hatten sie eine eigene Kaffeemaschine – Espressomaschine, würde Rocco sagen – in ihrem Büro. Aber es war kein Espressopulver mehr da. Rocco war an der Reihe, es zu besorgen, vergaß es jedoch seit mehreren Tagen. Dafür bezahlte er Anna den Kaffee, den sie auf dem Gang holte.

Na, klar, dachte sie, als sie für Rocco auf den Knopf ›Espresso, schwarz, mit Zucker‹ drückte und dem mechanischen Geräusch lauschte, das der Apparat fabrizierte, um den Becher in die richtige Position zu bringen. Louis. Sie hatten ihn einfach im Café sitzen lassen, und er war ihnen auch nicht gefolgt. Kein Wunder, schließlich war ihm sowieso nicht wohl in seiner Haut gewesen, weil er – so wie er das sah – seine Geschäftspartner quasi verpfiff. Jedenfalls gab es eventuell eine Verbindung zwischen Nicole und Lohhausen, die über das normale Angestelltenverhältnis hinausging. Vielleicht hatte sie für diese Bürgerinitiative gearbeitet, die dann allerdings sehr organisiert sein musste, und wohl nicht nur aus einer Handvoll protestierender Jungmütter bestand.

Rocco winkte ab, als sie ihm zusammen mit dem Espresso ihre Überlegungen präsentierte. »Vielleicht«, sagte er, »vielleicht. Aber es ist sehr unwahrscheinlich. Und selbst wenn was dran ist … Wie sollen wir das machen? Wenn wir bei der Party auftauchen, dann bekommt Lohhausen sofort mit, dass wir ihn und sein Umfeld beobachten. Dann wird dort nichts passieren. Und mal ehrlich, selbst wenn es bei der letzten Party Ärger gegeben hat … was sollen wir da schon rausfinden?« Allerdings musste er zugeben, dass es mehr als Ärger gewesen sein musste, wenn Louis es bemerkenswert genug fand, um es ihm als Tipp zu verkaufen. Aber sie würden von Roth nie einen verdeckten Ermittler bewilligt bekommen, um Lohhausens Party zu überwachen. Was sollten sie tun? Vorerst blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu warten, bis Petz wieder zu Bewusstsein kam.

Rocco ging zum Essen zu Natale.

Laura kochte Risotto, von dem Natale sagte, sie könne es fast ebenso gut wie ihre Tante, und die habe es von ihrer Mutter gelernt. Maria war draußen im Garten, Rocco konnte sie vom Fenster aus sehen. Sie grub Löcher und steckte etwas hinein. Rocco zupfte an seinem Hemd, das aufgrund der Hitze, trotz offener Tür in der Küche, an seinem Körper klebte.

»Was macht sie da draußen in der prallen Sonne?«, fragte er und wischte sich über die Stirn.

»Kinder spüren so was nicht«, sagte Natale. Er saß am Tisch und schälte Zwiebeln für den Salat.

»Sie pflanzt Parmesan«, sagte Laura.

Rocco stutzte. »Was?«

»Sie pflanzt Parmesan.«

»Ihr habt das Kind ver… ihr habt dem Kind erzählt, Parmesan würde aus dem Boden wachsen?«

Natale mochte es nicht, wenn man – wie er das nannte – Kraftausdrücke benutzte.

»Ja, klar.« Laura wischte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum. »Ich werde meiner Tochter erzählen, Parmesan wächst auf Bäumen. Sie hat es sich ausgedacht, oder was weiß ich. Jedenfalls ist sie nicht davon abzubringen, also soll sie es von mir aus versuchen.«

»Streitet euch nicht.« Natale drehte sich zu den beiden um. Sein Gesicht war schwarz-weiß gestreift vom Muster der Jalousie, die halb heruntergelassen vor dem Fenster hing. »Rocco, soll ich mal erzählen, was du so alles angestellt hast, als du klein warst?«

Rocco überlegte einen Augenblick, aber ihm fiel nichts ein. »Nein«, sagte er prophylaktisch. Wer wusste schon, welche unzähligen Peinlichkeiten, die er bereits in seiner Jugend erfolgreich verdrängt hatte, für Natale vielleicht schöne Erinnerungen waren.

Maria kam herein. Sie musterte Rocco.

»Was machst du?«, fragte er.

Maria hielt seinem Blick stand, sagte nichts und ging ins Badezimmer.

Sie weiß es, dachte Rocco.

»Wir haben den Betrieb kurzzeitig lahmgelegt«, sagte Laura. Sie saßen am Tisch, vor sich das dampfende Risotto. Natale achtete nicht auf Lauras Geschichte, er genoss das Essen. Natürlich war Laura bei der Demonstration heute Mittag am oberen Eingang zum Schlossgarten dabei gewesen. Die Mütter hatten ihre Kinder Protestplakate malen lassen und Flugblätter gedruckt, um die Besucher des Märchengartens auf die Vorhaben von Lohhausens Fairy Tale GmbH aufmerksam zu machen.

›Im September ist Schluss‹, stand darauf. Darunter prangten acht gläserne Särge, die nicht nur Schneewittchen, sondern auch die sieben Zwerge beinhalteten, und ein längerer Text, den Rocco sich nicht durchlas.

»Die instrumentalisieren ihre Kinder. Da demonstrieren Zwerge, Papa«, sagte er.

Natale sah von seinem Teller auf und nahm einen Schluck Wein. »Das hätte es früher nicht gegeben.« Er trank noch einmal, seufzte, schüttelte den Kopf und sah seine Tochter an. »Man soll sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern, Laura. Frauen sowieso. Politik ist nichts für euch. Es ist kein Wunder, dass dir der Mann weggelaufen ist.«

Laura warf ihre Gabel in den Teller. »Sag mal, was soll das denn jetzt? Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter. Du redest, als würdest du auf der Piazza eines Hinterwäldlerkaffs in Apulien hocken.«

»Na, na, na«, sagte Natale.

»Also wirklich, Papa«, mischte sich Rocco halbherzig ein.

»Wir haben uns einvernehmlich getrennt«, sagte Laura und Tränen stiegen in ihre Augen. »Und es geht uns sehr wohl was an, wenn die Stadt oder diese bescheuerte GmbH eines der Wahrzeichen der Stadt abreißen will. Sollen wir immer nur zusehen und Ja und Amen zu allem sagen?«

»Man sagt nicht bescheuert.« Natale runzelte die Stirn und senkte den Blick wieder auf seinen Teller, wie immer, wenn er sich nicht mehr sicher war, ob er recht hatte. »Und es gibt Wahlen, um seine Meinung auszudrücken.«

»Das reicht eben nicht immer. Manchmal laufen die Dinge aus dem Ruder, und dann muss man eingreifen.«

»Sie hat recht«, sagte Rocco. »Es ist ihr gutes Recht, gegen die Politik der Stadt zu demonstrieren. Aber Kinder als Zwerge verkleiden … ich weiß ja nicht.«

»Ja, danke«, fauchte Laura ihn wütend an. »Aber selbst machst du nichts.«

»Ich … ich versuche, einen Mord aufzuklären. Ist das vielleicht nichts?« Rocco hob abwehrend die Hände.

»Du hängst die ganze Zeit im Märchengarten rum, da könntest du wenigstens mal deine Nichte mitnehmen.«

Rocco sah sie konsterniert an. »Sag mal, was glaubst du, was ich da mache? Boot fahren? Die Lebkuchen vom Hexenhaus futtern, oder was? Ich suche einen Mörder. Da kann ich nicht mit kleinen Kindern spazieren gehen. Oder wie siehst du das, Maria?«

Maria stocherte mit der Gabel in ihrem Risotto. Mit der anderen Hand drehte sie an einem ihrer kurzen Zöpfe.

»Ich will mit«, sagte sie leise, aber bestimmt.

»Nein.« Rocco verdrehte die Augen.

»Grrr«, machte Maria und sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an.

Rocco zeigte seine Handflächen und zog die Schultern hoch. »Wo hat sie das her?«, fragte er.

Anna wollte eigentlich früh schlafen gehen, aber sie saß noch auf dem Sofa, als Julia nachts heimkam. Der Fernseher lief. Anna hatte gar nicht auf das Programm geachtet. Sie war in Gedanken versunken.

»Ich war mit Kollegen noch was trinken«, sagte Julia und warf ihre Schlüssel auf das Sideboard neben der Wohnungstür.

Anna zuckte mit den Schultern.

»Was ist los?«, fragte Julia. Sie ging in die Küche und kam mit einer Flasche Wein und zwei Gläsern wieder.

»Sag mal, du warst doch was trinken«, sagte Anna. Jetzt zuckte Julia mit den Schultern.

»Und? Absacker?« Sie schenkte ein. »Erzähl mal. Gibt’s Neuigkeiten?« Bevor Anna etwas sagen konnte, fuhr sie fort: »Bei mir im Büro waren heute alle ganz aufgeregt. Es gab eine Demonstration gegen den geplanten Umbau des Märchengartens. Du kannst dir ja vorstellen, wie empfindlich alle beim Thema Bürgerinitiative reagieren. Das waren ein paar Mütter mit ihren Kindern, und mein Chef vermutet gleich Propaganda einer außerparlamentarischen Opposition. Linke Terrorgruppen, wirtschaftsfeindliche Linke, linksradikale Planwirtschaftler, subventionierte Gewerkschaftler und was weiß ich nicht. Hauptsache, alles Linke.«

»Die Rechten haben in der Regel kein Problem, Profit auf der Prioritätenliste vor einigen anderen Themen anzusiedeln«, sagte Anna.

»Wie zum Beispiel Nostalgie«, meinte Julia.

»Zum Beispiel. Da würden mir aber auch noch einige andere einfallen.«

»Und? Seid ihr weitergekommen? Wir hatten im Kulturamt schon Anrufe wegen des Opfers. Ob sie bei der Stadt angestellt war oder bei der Fairy Tale GmbH.«

»Du meine Güte«, sagte Anna. »Da rufen die im Kulturamt an?« Sie nahm einen Schluck Wein. »Wir haben den Freund oder Exfreund von Nicole gefunden.«

»Wow. Na dann …«

»Er war heute Nachmittag noch nicht bei Bewusstsein.« Anna erzählte Julia von dem missglückten Fluchtversuch. »Und jetzt hoffen wir, dass er morgen vernehmungsfähig ist.« Sie sah nachdenklich zum Fenster hinaus. Der Himmel war nachtschwarz, aber der Mond tauchte die umliegenden Dächer der Altstadt in ein fahles, flüssiges grausilbernes Licht. Lauwarmes Mondlicht, von dem sie gerne eingehüllt wäre, das eine Sehnsucht in ihr weckte, von der sie nicht wusste, ob sie aus ihr kam oder vor ewigen Zeiten von irgendeinem Werbespot implantiert worden war. Gott bewahre, dachte sie –, eine Sehnsucht, die ganz leicht, aber physisch spürbar, an ihrem Hirn zog, zum Fenster hinaus … Aber sie saß hier auf der Couch unter der Stehlampe, die lampenschirmbegrenzte, ockerfarbene Gemütlichkeit ausstrahlte. Und Julia saß neben ihr.

»Weißt du, wir haben noch einen anderen Hinweis«, sagte Anna und unterdrückte eine aufkommende Traurigkeit. »Louis …«

»Ist das dieser halbseidene Portugiese?«, unterbrach Julia.

Anna nickte. »Ich glaube, seine Mutter ist Schweizerin, oder so. Jedenfalls hatte er einen Tipp bezüglich Lohhausens Firma. Das Thema ist allerdings etwas heikel, wie du ja schon bemerkt hast. Mein Chef ist deswegen heute auch schon ziemlich deutlich geworden. Lohhausen und seine Fairy Tale GmbH genießen sozusagen staatliche Immunität. Es sei denn, wir hätten etwas Handfestes gegen ihn … Haben wir aber nicht.«

»Du meinst, dass Lohhausen was mit dem Mord zu tun hat?«, fragte Julia.

Anna zuckte mit der Schulter. »Nein, nicht unbedingt. Aber es gibt ein paar Ungereimtheiten bei ihm. Er hat den Franzosen angestellt, der zur Fahndung ausgeschrieben ist und unauffindbar zu sein scheint. Außerdem veranstaltet Lohhausen Partys für Sponsoren und Investoren, bei denen es nicht ganz astrein zugehen soll, wenn man Louis glaubt. Es gab das letzte Mal wohl einen ziemlich heftigen Streit, und wahrscheinlich war Nicole Dahm darin verwickelt. Möglicherweise finden wir den Mörder in diesen Kreisen. Und am Wochenende ist wieder so eine Party. Aber Rocco und ich können da nicht so einfach reinplatzen. Das gäbe ziemlich Ärger.«

Sie schwiegen beide. In der Stille spürte Anna wieder diese Traurigkeit aufsteigen, besser gesagt kroch sie langsam aus ihrem Bauch, hinterhältig und gemein, wie ein Biest. Einen Anflug davon hatte sie bereits heute Nachmittag gespürt und sie wusste, dass sie heute nicht gut schlafen würde. Schon wieder … Julia schenkte die Gläser nach.

»Ich sage dir, was wir machen«, sagte sie. »Ihr lasst einfach mich auf die Party gehen. Ihr gebt mir ein Mikrofon oder so was, Louis soll mich einschleusen, und ich erstatte anschließend Bericht. Wenn da krumme Dinger gedreht werden, dann bekommen wir das raus. Das ist doch die Idee, oder?«

Anna sah sie lange an. »Quatsch«, sagte sie und trank ihr Glas in einem Zug aus.