In den letzten Jahren hatte Isabelle es perfektioniert, eine gelassene, abgeklärte und kühle Miene aufzusetzen, wenn sie nervös war. Und sie war oft nervös gewesen, weshalb ihr diese Miene mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen war.
Wenn man es als Frau wagte, in eine absolute Männerdomäne wie den Football einzudringen und einen Job auszuüben, von dem nicht gerade wenige Männer noch immer dachten, dass man ihn nur dann ausüben konnte, wenn man einen Penis, einen Adamsapfel und Brusthaare besaß, dann gab es verdammt viele Situationen, in denen man gelassen, abgeklärt und kühl sein musste.
Vor allem zu Anfang ihrer Karriere hatte Isabelle mit vielen Vorurteilen, Klischees und reichlich Empörung zu kämpfen gehabt.
Oft war sie auch einfach nur ausgelacht worden – von Funktionären, von Fans und von Footballspielern, die sich weigerten, von einer Frau trainiert zu werden. Wann immer sie ein neues Team trainieren wollte, hatte sie ein und denselben Kampf geführt, bis sie akzeptiert worden war. Manchmal hatte es länger und manchmal hatte es kürzer gedauert, bis der letzte dickköpfige Spieler einer Mannschaft kapierte, dass sie gut in ihrem Job war, auch wenn sie weder einen Penis noch einen Adamsapfel oder Brusthaare besaß. Jedenfalls hatte sie nichts davon besessen, als sie zum letzten Mal nachgeschaut hatte.
In ihren alten Teams hatte sie sich irgendwann durchgesetzt und war zu einem Punkt gekommen, an dem keine ihrer Methoden oder Entscheidungen angezweifelt wurde. Irgendwann war es für ihre Spieler normal gewesen, von ihr – einer Frau – gecoacht zu werden. Nach und nach hatte sich Isabelle hochgearbeitet, hatte zuerst als nicht beachtete Praktikantin bei der Recruiting-Abteilung gearbeitet, die dann dem Assistenztrainer der Defense zur Hand ging, anschließend selbst Assistenztrainerin wurde und nach und nach immer mehr beachtet wurde, bis sich der Head Coach dazu entschied, sie zu seiner Vertreterin zu machen.
Vermutlich wäre es bei dieser Position geblieben, wenn nicht eine geplatzte Gallenblase am Tag eines entscheidenden Spieles dazwischengekommen wäre und sie plötzlich als verantwortlicher Head Coach auf dem Feld gestanden hätte. Das Spiel, bei dem ihr Team als absoluter Außenseiter galt und bei dem es trotzdem als Sieger vom Feld ging, war ein Wendepunkt gewesen. Zwar hatte es weiterhin Stimmen gegeben, die ihren Erfolg schmälerten und behaupteten, dass sie nur als Statistin auf der Trainerbank gesessen hätte, während die eigentlichen Anweisungen vom erkrankten Coach aus dem Krankenhaus gekommen wären, oder dass ihre Spieler auch ohne sie gewonnen hätten, aber Isabelle hatte endlich einen Fuß in der Tür gehabt. Anschließend war sie zu einem anderen College gewechselt, dessen Footballteam renommierter und erfolgreicher gewesen war. Der dortige Head Coach hatte sie sofort zu seiner Stellvertreterin gemacht und ihr irgendwann das Zepter übergeben, was jedoch nicht hieß, dass sie dort nicht ebenfalls den einen oder anderen Kampf hätte führen müssen.
Wenn sie jedes Mal für den Satz Aber sie ist eine Frau und hat selbst nie gespielt einen Dollar bekommen hätte, könnte sie sich heute vermutlich ein eigenes Profi-Footballteam kaufen.
Unter diesen Umständen war es also kein Wunder, dass sie gelernt hatte, wie sie nach außen gelassen, abgeklärt und kühl wirkte, während sie innerlich angespannt und nervös war.
Und dennoch fiel es ihr schwer, diese Miene aufrechtzuerhalten, als sie vor den versammelten New York Titans stand, ihren Trainingsplan vorstellte und den Blick ihres Ex-Mannes auf sich spürte.
Um ehrlich zu sein, war sie schon lange nicht mehr derart angespannt gewesen. Vielleicht war sie es auch noch nie gewesen. Es kostete sie ziemlich viel Standhaftigkeit, ihn zu ignorieren und ihm nicht zu zeigen, dass er sie nervös machte. Unter keinen Umständen wollte Isabelle, dass der Mann, der sie wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen, ihr das Herz gebrochen und den Preis als größtes Arschloch des gesamten Jahrzehnts verdient hatte, sah, dass er sie nervös machte und durcheinanderbringen konnte. Isabelle hatte lange gebraucht, um über ihn hinwegzukommen und an den Punkt zu gelangen, an dem ihr egal war, was er tat oder was er nicht tat. Mittlerweile interessierte sie sich nicht mehr für das, was mit Hawke geschah. Stattdessen konzentrierte sie sich auf sich selbst und lebte ihr eigenes Leben, zu dem vor allem ihre Karriere gehörte.
Die hatte oberste Priorität für sie.
Isabelle würde nicht zulassen, dass ausgerechnet Hawke Reynolds ihre Karriere störte oder torpedierte.
„Aus diesem Grund werden wir dieses Training intensivieren. Die Gegner der ersten Spiele sind nicht zu unterschätzen und haben seit der letzten Saison ihre Defense verstärkt, während die Titans einige personelle Veränderungen vorgenommen haben“, erklärte sie und war stolz darauf, wie gefasst und gelassen ihre Stimme klang. Ohne das Gesicht zu verziehen oder ein lautes Würgen von sich zu geben, was sie normalerweise tat, wenn sie seinen Namen in den Mund nahm, fuhr sie fort: „Die personellen Veränderungen betreffen insbesondere die Offense, und mit Reynolds als Quarterback, der unbestritten ein Ausnahmetalent und ein außergewöhnlich guter Spieler ist, steht ein neuer Kapitän auf dem Feld, dem wir die Chance geben wollen, so gut wie möglich mit dem restlichen Team zusammenzuwachsen, bevor das erste Spiel stattfindet. Deshalb haben wir die Extratrainingseinheiten für die Offense angesetzt. Außerdem habe ich mir erlaubt, dem bisherigen Playbook ein paar neue Spielzüge beizusteuern, die den jeweiligen Trainingsplänen beiliegen. Für übermorgen habe ich einen Termin für das ganze Team anberaumt, um die neuen Spielzüge durchzugehen. Bis dahin sollte jeder die Zeit gefunden haben, diese zu studieren. Gibt es dazu irgendwelche Fragen?“
Offenbar waren sie alle vor Schreck erstarrt, weil niemand die Hand hob oder auch nur den Mund öffnete. Stattdessen blickten ihr Dutzende Gesichter entgegen, die zwischen Fassungslosigkeit, Unglauben und Skepsis schwankten. Mit Skepsis kam Isabelle klar, denn sie wusste, dass sie die Spieler nach und nach durch ihr Können von sich überzeugen würde.
In Hawkes Gesicht konnte sie keine Skepsis entdecken. Er wirkte lediglich fassungslos, und das nervöse Zucken seiner dunkelblonden Augenbraue zeugte davon, dass er fuchsteufelswild war. Aber auch das war nichts Neues für Isabelle. Mit einem fuchsteufelswilden Hawke Reynolds kannte sie sich aus.
Sie lächelte zufrieden und drehte den Kopf nach rechts, um Coach Brennan zuzunicken. „Das wäre für den Anfang alles, denke ich.“
„Gut.“ Auch er wirkte zufrieden und nickte nachdenklich. „Dabei belassen wir es vorerst und machen für heute Schluss, damit sich jeder seinen Trainingsplan holen und die neuen Termine koordinieren kann. Coach Moore und ich stehen euch als Ansprechpartner jederzeit zur Verfügung. Fürs morgige Training erwarte ich absolute Einsatzbereitschaft, aber ich gehe davon aus, dass das eine Selbstverständlichkeit für euch ist.“
Isabelle war ihm wegen seiner Worte nicht böse, denn er hatte den Spielern nicht befohlen, nett und nachsichtig mit ihr zu sein, sondern seine Anweisung sehr allgemein gehalten, auch wenn sie – und vermutlich das gesamte Team – wussten, was er im Sinn hatte. John Brennan wollte sie in Schutz nehmen, obwohl das gar nicht nötig war. Sie brauchte keinen Beschützer, sondern war sehr wohl in der Lage, für sich selbst zu sprechen. Dass der Coach sich für sie aussprach, war für sie okay. Isabelle wusste, welche Schlachten sie schlagen musste und wann sie ein Auge zudrücken konnte. Irgendwann würde auch John begreifen, dass sie ohne seine Hilfe ihren Mann stehen konnte.
Während sich der Besprechungsraum leerte, besprach sie letzte Details mit dem Coach und mit einem der Assistenztrainer, der ihr einige Unterlagen über die Spieler gebracht hatte, auf die sie ihr Augenmerk richten wollte. Die Akten würde sie später mit ins Hotel nehmen, um sie dort zu studieren, damit sie in den kommenden Tagen für das anstehende Training gerüstet war. Da ihr dieser Job erst vor knapp einer Woche angeboten worden und sie Hals über Kopf nach New York geflogen war, hatte Isabelle nicht genügend Zeit für eine gründliche Vorbereitung gehabt. Normalerweise bereitete sie sich akribisch auf ihre Jobs vor, kannte jede Spielerstatistik und jede noch so winzige Taktik eines Coachs auswendig, bevor sie ihre Arbeit antrat, aber ausgerechnet bei dieser so wichtigen Stelle – bei ihrem Debüt in der NFL – war alles so schnell gegangen, dass sie kaum die Zeit gefunden hatte, ihre Unterwäsche einzupacken.
Dass dieser Job nicht nur eine Chance, sondern auch ein Risiko war, wusste sie. Und sie wollte es nicht vermasseln. Die kommenden Monate würden ihr wahnsinnig viel abverlangen – auch ohne die Tatsache, dass sie mit Hawke arbeiten musste. Zeit zum Ausspannen oder Ausruhen würde es nicht geben. Sie musste beweisen, dass sie dem Job als Coach in der NFL gewachsen war.
Aber es ging um noch viel mehr.
Isabelle musste beweisen, dass eine Frau dem Job als Coach in der NFL gewachsen war. Sie würde alles dafür tun, damit dieses bisher einmalige Experiment nicht in die Hose ging, denn das würde die Chancen der Frauen, die nach ihr kommen würden, mindern, es in diese exklusive Männerdomäne zu schaffen.
Sobald sie das Gespräch mit John Brennan beendet hatte, klemmte sie sich die Akten unter den Arm und machte sich auf den Weg in ihr Büro, wo sie ihren Kram deponiert hatte, nachdem ihr der große, lichtdurchflutete Raum mit Blick auf das Trainingsgelände vor wenigen Stunden gezeigt worden war. Das riesige Büro war eine Überraschung gewesen, wenn sie an das dunkle, fensterlose Kabuff dachte, das ihr bei ihrem ersten Job als Assistenztrainerin gegeben worden war. Damals hatte kaum der Schreibtisch in die Abstellkammer gepasst, und heute hing nicht nur ein edles Messingschild mit ihrem Namen an der Tür, sondern das Zimmer war auch noch klimatisiert, besaß einen eigenen kleinen Kühlschrank und hatte sogar ein eigenes WC hinter der Holzvertäfelung. Von der herrlichen Ledercouch und den großartigen Schwarz-Weiß-Fotografien an den Wänden einmal abgesehen!
Von so einem Büro hatte Isabelle vor wenigen Jahren nur träumen können. Und auch von dem Gehalt, das sie hier bei den Titans verdiente, zu dem sich noch einige Sonderleistungen gesellten. Beispielsweise hatte sie einen Fahrer, der sie gleich zu ihrem Hotel fahren und sie morgen früh wieder abholen würde. Gerade dieses Extra war eine Erleichterung, weil sie hier in New York nicht …
„Izzie.“
Mitten im Schritt blieb sie stehen und ließ die Schultern nach unten fallen.
Natürlich hatte sie gewusst, dass Hawke nicht so einfach nach Hause gehen würde, als sei nichts passiert. Er war schließlich der dickköpfigste Footballspieler von allen. Dass er sie allerdings auf ihrem Weg ins Büro abfangen würde, hatte sie nicht geahnt.
Sie drehte sich in die Richtung, aus der seine Stimme gekommen war, und straffte die Schultern, während sie betont neutral erwiderte: „Hawke.“
Da stand er – groß, imposant und wütend. Dass er wütend war, war leicht zu erkennen, weil seine Gesichtsfarbe einen rötlichen Ton angenommen hatte. Als Blondschopf, der er war, wurde er schnell rot, wenn er wütend war, auch wenn sein Teint zurzeit ziemlich gebräunt war, was man auch an den Sommersprossen über seiner Nase erkennen konnte. Vermutlich war die karibische Bräune auf einen Strandurlaub mit irgendeinem Unterwäschemodel zurückzuführen – oder gleich mit mehreren Unterwäschemodels. Zuzutrauen wäre es ihm auf jeden Fall. Immerhin sprach sie hier von Hawke, der nichts anbrennen ließ, wenn sich ihm die Gelegenheit bot.
Dass sich ihm solche Gelegenheiten oft boten, stand außer Frage, schließlich war er Hawke Reynolds – ein millionenschwerer Sportler, dessen Gesicht landesweit bekannt war und der mit seinem Geld protzte, indem er Autos fuhr, die mehr kosteten, als die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben verdienten, und die gemeinhin als Schwanzersatz galten. Dumm nur, dass Hawke auf diesem Gebiet rein gar nichts zu kompensieren hatte.
Er kam ein paar Schritte auf sie zu und schenkte ihr einen stechenden Blick aus seinen grünen Augen, bei deren Anblick sie früher dahingeschmolzen war. Heute empfand sie bei diesem Anblick nichts, wenn man von der Reue einmal absah, diesen Mistkerl geheiratet zu haben, als sie nicht einmal alt genug gewesen war, um legal Alkohol zu kaufen.
„Was tust du hier, Izzie?“
War es zu viel verlangt, dass er sie fragte, wie es ihr ging, nachdem sie sich so viele Jahre nicht gesehen hatten? Oder dass er sie nicht ansah, als würde er sie am liebsten erwürgen? Warum zum Teufel war er so kalt und unnahbar, während sie sich davon abhalten musste, ihn anzustarren und nach so langer Zeit jede Winzigkeit in seinem Gesicht zu mustern?
„Mir geht’s gut, Hawke. Danke der Nachfrage“, entgegnete sie so salopp, als wäre ihr letztes Gespräch nicht derart unerfreulich und lautstark beendet worden, dass sie sich beide geschworen hatten, den anderen nie wiederzusehen.
Seine Nasenflügel blähten sich auf, während er geradezu knurrte: „Was zum Teufel tust du hier in New York, Izzie?“
Sie presste die Akten vor ihre Brust und zog gemächlich eine Augenbraue in die Höhe. „Ich bin die neue stellvertretende Cheftrainerin der New York Titans. Ich dachte, das wäre gerade in der Besprechung deutlich geworden.“ Niemals zuvor hatte sich ein einziger Satz so gut angefühlt.
Eine Ader pochte auf seiner Stirn.
O ja – er war rasend vor Wut, und Isabelle hätte gern vor lauter Genugtuung gegrinst. Das mochte kleinlich und gemein klingen, aber so war es. Gemessen an dem Herzschmerz und dem Kummer, den dieser Idiot ihr bereitet hatte, war seine momentane Gefühlswallung nichts!
Er schnaubte. „Das meinte ich nicht, und das weißt du!“
Abwartend sah sie ihn an und musste daran denken, dass dies hier tatsächlich ihr erstes Gespräch seit fast vierzehn Jahren war.
In dieser Zeit hatte sich Hawke verändert.
Er war älter geworden, hatte die letzten jungenhaften Züge verloren und erschien heute noch größer und gewaltiger. Für einen Quarterback war er ziemlich muskulös mit den breiten Schultern und den kräftigen Armen. Quarterbacks waren normalerweise schlanker und weniger gewaltig, aber Hawke überzeugte seit vielen Jahren mit schierer Muskelkraft, die ihn einen Ball zielstrebig und kraftvoll werfen und ihn verdammt schnell laufen ließ. Auch sein Hals war breit und entblößte am geöffneten Kragen seines Poloshirts ein paar blonde Haarbüschel. Die blonden Haare auf seinem Kopf trug er mittlerweile viel kürzer als früher. Damals hatten sie noch seine Ohren bedeckt und waren glatt gewesen. Nun waren sie so kurz geschnitten, dass sie sich ein bisschen lockten. Bei anderen Männern hätte das vielleicht albern ausgesehen, aber Hawke gaben sie ein verwegenes Aussehen.
Dass er älter geworden war, erkannte Isabelle auch an den Fältchen um seine tief liegenden grünen Augen, die früher nicht da gewesen waren. Auch auf seiner Stirn konnte sie solche Falten ausmachen, die jetzt sehr deutlich zu sehen waren, weil er aufgebracht die Stirn runzelte. Auch der Bartschatten auf seinen schmalen Wangen, die früher etwas runder gewesen waren, war neu.
In seinem Gesicht, das nicht mehr dem Jungen von damals, sondern inzwischen einem erwachsenen Mann gehörte, hatte sich vieles verändert.
Was sich jedoch nicht geändert hatte, war die Tatsache, dass sie nicht miteinander reden konnten, ohne zu streiten.
„Du tauchst einfach bei dem Verein auf, für den ich spiele, und stellst dich als neue Trainerin vor? Ist das dein Ernst?!“
Auch Isabelle runzelte die Stirn. „Es ist mein voller Ernst. Ich arbeite ab sofort hier.“
Er schob das Kinn nach vorn. „Nein, nein. Ich arbeite hier! Du kannst …“
„Was hast du denn erwartet?“, unterbrach sie ihn grob. „Dass ich dieses unglaublich gute Angebot ablehne, weil du zufälligerweise ebenfalls hier arbeitest?“
Finster zog er seine Augen zusammen. „Eine kleine Vorwarnung wäre zumindest nett gewesen!“
„Eine Vorwarnung?“ Verächtlich schnalzte sie mit der Zunge. „Hätte ich dich etwa anrufen sollen?“
„Ja!“
„Mach dich nicht lächerlich“, entgegnete sie kühl und schüttelte den Kopf. „Das Telefonat wäre absolut unerfreulich verlaufen und hätte keinem von uns etwas gebracht. Abgesehen davon habe ich deine Nummer längst entsorgt und hätte nicht gewusst, wie ich dich erreichen kann.“ Isabelle konnte nicht glauben, dass er wirklich von ihr erwartete, sich bei ihm zu melden, weil sie ein Jobangebot bei den Titans erhalten hatte. Ihre Karriere ging ihn einen Dreck an!
Nun war es an Hawke, verächtlich zu schnauben. „Dein Anwalt hat mich sogar in Arkansas aufgespürt, um mir die Scheidungspapiere zustellen zu lassen, Izzie, und jetzt willst du allen Ernstes behaupten, dass du keine Möglichkeit gefunden hättest, mir eine kurze Botschaft zukommen zu lassen, dass du ausgerechnet in dem Team Assistenztrainerin wirst, bei dem ich spiele?“
„Stellvertretende Cheftrainerin“, verbesserte sie ihn augenblicklich und spannte sich an. „Ich bin die stellvertretende Cheftrainerin – keine Assistenztrainerin.“
„Und wenn du die neue Ernährungsberaterin wärst!“ Er knirschte sichtlich mit den Zähnen. „Verdammt, du kannst doch nicht bei dem Team als Coach arbeiten, bei dem ich spiele!“
Sie fand schon, dass sie das konnte. „Und wieso soll ich das nicht können? Ich kann dir sagen, dass ich verdammt gut darin bin, Hawke.“
„Das bezweifle ich nicht, schließlich warst du schon immer gut darin, deinen Willen durchzusetzen und Männer nach deinem Belieben durch die Gegend zu schubsen“, erwiderte er grollend.
Sie schnappte nach Luft und funkelte ihn an. Jedoch antwortete sie ruhig und kühl: „Dann habe ich ja den perfekten Job für mich gefunden.“
Seine Miene wurde noch finsterer als zuvor. „Du und ich in ein und demselben Team? Wie soll das funktionieren?“
Weil sie wusste, wie sehr es ihn auf die Palme brachte, setzte sie eine geringschätzige Miene auf und erwiderte gedehnt: „Hawke, unsere Scheidung ist vierzehn Jahre her …“
„Was du nicht sagst!“
Isabelle zeigte ihm nicht, wie wütend sie war, dass er sie unterbrochen hatte, sondern fuhr fort: „Nach so vielen Jahren hätte ich nicht erwartet, dass es dir etwas ausmachen würde, mit mir zu arbeiten.“
„Aber es macht mir etwas aus“, entgegnete er störrisch.
Sie zuckte mit den Schultern. „Das ist dein Problem – nicht meins.“
Hawke presste die Lippen aufeinander. „Und wie das dein Problem ist, Izzie.“
„Wieso?“
„Du musst kündigen“, befahl er ihr wie selbstverständlich.
Sie hob das Kinn in die Höhe und musste sich gewaltsam davon abhalten, ihm nicht die Faust in sein arrogantes Gesicht zu schlagen. „Ich muss gar nichts!“
„Willst du etwa mit mir zusammenarbeiten? Ernsthaft?!“
„Nein, natürlich nicht“, wehrte sie ab. „Das ist das Letzte, was ich will.“
„Wirklich? Warum hast du das Angebot dann angenommen? Für mich wirkt es nämlich, als hättest du mich wiedersehen wollen und …“
„Ich wiederhole: Mach dich nicht lächerlich, Hawke. Für mich ist diese Situation genauso unangenehm wie für dich, und wenn ich hätte wählen können, wäre es mir lieber, mit einem ausgehungerten Kannibalen zusammenzuarbeiten als mit dir, aber das Angebot der Titans auszuschlagen, wäre pure Dummheit gewesen. Das musst sogar du einsehen.“
„Sogar ich?“
„Ja, sogar du, der sich für seine Mitmenschen einen Scheiß interessiert und nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist.“
Er versteifte sich sichtlich und ballte die Hände zu Fäusten. Bei seinen Gegnern auf dem Feld musste diese einschüchternde Pose Wirkung zeigen, aber nicht bei Isabelle. Das einzig Positive, das sie über Hawke nämlich sagen konnte, war, dass sie zu einhundert Prozent wusste, dass er ihr gegenüber niemals handgreiflich werden würde. Er mochte ein Mistkerl sein, es mit der ehelichen Treue nicht so genau nehmen und er konnte sogar ein arroganter Chauvinist sein, aber er war kein Mann, der gegen eine Frau die Hand erheben würde.
„Und das aus deinem Mund?“, spottete er stinkwütend. „Wenn ich mich recht erinnere, hast du dich für meine Karriere einen Scheiß interessiert und nur an dich gedacht!“
Wenn sie nicht die Akten in ihren Händen gehalten hätte, hätte auch sie die Hände zu Fäusten geballt. „Deine Erinnerung zeigt nur, dass du in den letzten Jahren ein paar Bälle zu viel an den Kopf bekommen hast, denn es war genau andersherum!“
Seine Antwort bestand aus einem lauten Schnauben.
Isabelle wollte ihm bereits eine weitere Entgegnung an den Kopf werfen, als sie bemerkte, was sie hier tat. Ein Streit mit Hawke brachte sie nicht weiter – das hatte es nie getan. Stattdessen atmete sie tief durch, um sich zu beruhigen. Das Letzte, was sie momentan wollte, war, eine Szene bei ihrem neuen Arbeitgeber zu veranstalten, weil sie sich mitten im Vereinsgebäude einen lautstarken Streit mit ihrem Ex-Mann lieferte, der ihr eigentlich völlig egal war. Das Einzige, was sie noch von ihm wollte, war eine gute Leistung beim Training und auf dem Feld. Ansonsten konnte er tun und lassen, was er wollte. Sie war fertig mit Hawke Reynolds, und das schon lange.
„Weißt du was, Hawke? Wenn du ein Problem damit hast, dass ich ab sofort stellvertretende Cheftrainerin der Titans bin, dann solltest du kündigen. Ich bin nämlich professionell genug, um mein Privatleben von meiner Arbeit zu trennen.“
„Soll das etwa heißen, dass ich nicht professionell bin?“ Es hätte nicht viel gefehlt und Hawke hätte sich vor ihr aufgeplustert.
Sie schnalzte mit der Zunge. „Sagen wir doch einfach, dass ich hier nicht derjenige bin, der den anderen dazu animieren will, den Job zu kündigen, weil er meint, dass er es nicht schafft, mit seiner Ex-Frau zusammenzuarbeiten und sich von ihr coachen zu lassen.“
Er warf den Kopf in den Nacken. „Eigentlich wollte ich nur vermeiden, dass du in Tränen ausbrichst, wenn du irgendwann bemerkst, dass der Job als stellvertretende Cheftrainerin eines NFL-Teams eine Nummer zu groß für dich ist.“
Das traf sie in ihrer Ehre. „Keine Sorge, Hawke.“ Sie lächelte milde. „Ich bin nicht einmal dann in Tränen ausgebrochen, als du mit diesem Cheerleaderflittchen in unserem Bett gevögelt hast, und …“
„Ich habe mit ihr nicht gevög…“
„Und ich bin in den vergangenen Jahren mit ganz anderen Kalibern fertig geworden als mit einem alternden Quarterback, der von Zeit zu Zeit an totaler Selbstüberschätzung leidet. Deshalb bin ich mir ziemlich sicher, dass der Job in der NFL keine zu große Nummer für mich ist.“
Innerlich jubelte sie auf, als ihm erst der Mund weit aufklappte und er dann ungläubig nach Luft schnappte, bevor seine grünen Augen so dunkel wurden, dass sie fast schwarz wirkten.
„Alternder Quarterback?! Und was zum Teufel meinst du mit totaler Selbstüberschätzung?!“
Vermutlich klang ihr Lachen ein bisschen zu sehr nach Schadenfreude, als sie erwiderte: „Im Spiel gegen die Eagles hättest du einen todsicheren Pass auf Carson werfen können, der völlig frei stand und den entscheidenden Touchdown gemacht hätte, aber stattdessen wolltest du selbst glänzen, weil Bradberry von Sports Network dich in der Woche zuvor interviewt und Anspielungen auf dein Alter gemacht hatte. Du wolltest allen beweisen, dass du noch lange nicht zum alten Eisen gehörst, und hast dich deshalb zu diesem Fehler hinreißen lassen, der euch das Spiel gekostet hat. Hast du wirklich geglaubt, die gesamte Defense der Eagles überwinden, vierzig Yards laufen und einen Touchdown machen zu können?“
Nun hatte sie ihn in seiner Ehre gekränkt. Sein gesamter Oberkörper spannte sich an und seine Miene wurde noch abweisender als zuvor. Gleichzeitig wurden seine Ohren knallrot.
Geringschätzig wedelte er mit seiner linken Hand vor ihr herum. „Die Situation war völlig anders.“
„Die Situation war völlig eindeutig“, widersprach sie ihm kopfschüttelnd. „Dein Ego stand dir im Weg, Hawke.“
„Wenn du das wirklich glaubst, sollten wir nicht in dem gleichen Team arbeiten“, spottete er abschätzig.
Wenn sie ihm jetzt gesagt hätte, dass er sich solche Kapriolen nicht hätte leisten können, wenn sie sein Coach gewesen wäre, hätte er vermutlich Mord und Totschlag geschrien. Er würde schon früh genug erleben, wie sie solche selbstherrlichen Aktionen sturköpfiger Footballspieler regelte. „Wie gesagt: Von meiner Seite gibt es kein Problem, wenn du und ich hier arbeiten.“
„Ach ja?“ Er legte den Kopf schief und meinte wohl, einen Trumpf im Ärmel zu haben, weil er überheblich grinste. „Was wird die Chefetage dazu sagen, wenn sie erfährt, dass wir ein Ehepaar waren, das inzwischen nicht in demselben Raum sein kann, ohne sich an die Gurgel zu gehen?“
„Mrs. MacLachlan-Palmer weiß, dass wir verheiratet waren“, antwortete sie gelassen. „Denkst du wirklich, ich würde meinen neuen Arbeitgeber darüber im Unklaren lassen, dass wir beide – unglücklicherweise – einmal verheiratet waren? Auch John weiß darüber Bescheid, und er weiß auch, dass ich kein Problem damit habe, mit dir zusammenzuarbeiten. Wenn du zu zartbesaitet bist, um von mir trainiert zu werden, solltest du das John sagen und deine Konsequenzen ziehen, Hawke.“
„John?“ Bedeutungsvoll zuckten seine Augenbrauen in die Höhe.
Auf diesen Seitenhieb ging sie nicht ein. „Und bevor du fragst: Ich habe beiden zu verstehen gegeben, dass du und ich unsere unangenehme und erfreulicherweise ziemlich kurze Ehe gern für uns behalten wollen. Kaum jemand weiß darüber Bescheid und so soll es auch bleiben.“
„Vielen Dank für die kleinen Freuden im Leben“, antwortete er sarkastisch.
Sie schenkte ihm ein falsches und aufgesetztes Lächeln. „Da sind wir ausnahmsweise einer Meinung.“
Weil er verstummte und sie schweigend ansah, seufzte Isabelle schwer. „Wie sieht’s aus? Denkst du, dass du professionell genug sein kannst, um damit klarzukommen, dass ich ab sofort im Trainerstab arbeite?“
„Ich bin die Professionalität in Person“, behauptete er tonlos.
Isabelle sah an die Decke und räusperte sich. „Da bin ich erleichtert!“
„Aber ich nehme keine Befehle von dir an!“
Zuckersüß lächelte sie ihn an. „Das werden wir dann ja sehen.“