Auf diesen Tag hatte sie hingearbeitet, seit sie sich dazu entschlossen hatte, Footballcoach zu werden. Während sie immer ihr Bestes gegeben hatte, um irgendwann hier zu stehen, hatte sie es gleichzeitig nicht gewagt, davon zu träumen, ihr Ziel zu erreichen.
Aber jetzt war sie wirklich hier, stand in den Katakomben des Meadowlands Stadium und gehörte zum Trainingsstab eines NFL-Teams, das heute das erste Spiel der Saison absolvierte. Isabelle gab es nicht gern zu, aber ihr war so schlecht wie nie zuvor. In der letzten Nacht hatte sie kein Auge zugetan und war alle Eventualitäten im Kopf durchgegangen, um für jede Situation die richtige Spieltaktik parat zu haben.
Vor den Footballspielen am College war sie auch oft nervös gewesen, aber das hier war etwas anderes. Es war die NFL. In der NFL durfte man sich keine Fehler erlauben – schon gar nicht als Frau.
Sie war weder blind noch taub noch dumm und wusste daher, dass nicht gerade wenige Fans es kritisierten, dass sie den Posten als stellvertretender Head Coach bekommen hatte. Der allgemeine Tenor war, dass sie zu jung war, dass sie selbst nie gespielt hatte, dass sie keine Erfahrung in der NFL hatte und natürlich dass sie eine Frau war. Einige forderten ihre Kündigung. Andere prophezeiten die schlechteste Saison in der Vereinsgeschichte, wenn eine Frau die Zügel in der Hand hielt. Und ein paar andere ergaben sich in ganz normalem Sexismus.
Isabelle kannte diese Sprüche zuhauf.
Frauen sollten sich um die Familie kümmern, kochen und putzen und sich nicht in die Angelegenheiten der Männer einmischen. Das stünde schon in der Bibel.
Frauen sollten die Klappe halten, weil sie sowieso zu dumm wären, um mit Männern mithalten zu können. Das wäre evolutionstechnisch bewiesen.
Frauen wie sie sollten im Bett mal ordentlich rangenommen werden, damit sie wüssten, wo ihr Platz ist. Das würde sie davon abbringen, Männern sagen zu wollen, was diese tun sollten.
Dieser Sexismus war ihr nicht neu.
Keine Frau konnte von sich behaupten, noch nie in ihrem Leben auf die eine oder andere Art sexistischen Sprüchen oder Verhaltensweisen begegnet zu sein. Isabelle war schon mit vielen Begriffen bedacht worden, seit sie begonnen hatte, in der Welt des Footballs zu arbeiten. Kampflesbe, Schlampe, verbitterte Emanze, Männerhasserin, Hure. Ein paar besonders kreative Kritiker hatten einen Porno ins Netz gestellt, dessen Original sie verfälscht hatten. Anstatt die Darstellerin zu zeigen, die in einer Umkleidekabine Sex mit rund einem Dutzend Footballspieler hatte, war Isabelles Gesicht auf den Körper der Darstellerin montiert worden.
Dieser Porno war ziemlich schmeichelhaft gewesen, wenn man es genau nahm, denn die Darstellerin hatte eine beneidenswerte Figur und eine außergewöhnliche Ausdauer besessen. Isabelle wusste, dass ihre eigenen Brüste vor einer Kamera nicht so gut aussehen würden und dass sie weder die Energie noch die Lust hätte, ungefähr vierzehn Männern nacheinander einen Blowjob zu geben.
Wenn es nicht so erschreckend gewesen wäre, dass es tatsächlich Menschen gab, die ganz offensichtlich so wütend und voller Hass darüber waren, dass eine Frau Footballcoach war, dass sie so viel Zeit und so viel kriminelle Energien darauf verwendeten, solche Videos anzufertigen, hätte man darüber lachen können.
Über die Sprachnachrichten, die sie in der vergangenen Woche erhalten hatte, würde niemand lachen können. Völlig fremde Männer, die sich nicht einmal die Mühe gemacht hatten, halbwegs inkognito zu bleiben, hatten sie eine dreckige Fotze genannt, die sich verpissen oder zu Tode gefickt werden sollte, weil sie es gewagt hatte, ihr Footballspiel zu besudeln.
Isabelle war bereits einiges gewohnt, aber das hatte selbst sie schockiert. Noch mehr schockiert hatte sie die Erkenntnis, dass diese Männer tatsächlich glaubten, im Recht zu sein. Sonst hätten sie ihr diese Nachrichten nicht über ihre offenen Profile in den sozialen Medien geschickt, über die sie auch Fotos mit ihrer Familie, Fotos aus ihrer Kirchengemeinde und Fotos von ihren Barbecue-Partys teilten. Es wäre ein Leichtes gewesen, ihre Adressen herauszubekommen und die Polizei zu informieren.
Aber Isabelle wollte diesen Arschlöchern nicht noch mehr Aufmerksamkeit schenken und ihre eigene Energie dafür verschwenden. Der einzige Trost war, dass all diese Trolle ganz offensichtlich keine Fans der Titans waren. Sie waren Anhänger anderer Vereine und dennoch eskalierten sie im Netz, obwohl Isabelles Job keinerlei Auswirkung auf ihr eigenes Team hatte. Das sollte einer verstehen!
Gerade jetzt wollte sie nicht an diese Nachrichten denken, sondern musste sich auf das bevorstehende Spiel konzentrieren. Das war viel wichtiger.
„Hallo, Coach!“ Brian Palmer kam ihr mit einem breiten Lächeln auf den Lippen entgegen und zwinkerte ihr zu. „Schon aufgeregt vor dem ersten Spiel?“
Er hatte ja keine Ahnung! Sie blieb vor ihm stehen und war dankbar für die kurze Ablenkung, bevor sie sich in die Umkleide des Teams wagte, um ein letztes kurzes Gespräch mit einigen Spielern zu führen, bevor John seine Ansprache halten würde und es danach aufs Feld ging. „Sagen wir doch einfach, dass ich gespannt bin, was mich erwartet“, entgegnete sie ruhig.
„Das kann ich dir sagen: betrunkene Zuschauer, die irgendwelche Beleidigungen grölen, nach Schweiß riechende Footballspieler, deren Trikots man nicht mehr sauber bekommt, und endlose Kommentare nervtötender Journalisten.“ Der frühere Quarterback lehnte sich zurück und zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, warum alle Welt Football so toll findet.“
„Weil es das ist“, entgegnete sie schmunzelnd und schnitt anschließend eine Grimasse. „Vielen Dank für die aufmunternden Worte. Jetzt fühle ich mich direkt besser und bin beruhigt.“
„Du machst das schon“, beruhigte er sie. „John hat dich nicht grundlos nach New York geholt und hält so große Stücke auf dich. Teddy tut das übrigens auch. Du wirst also nicht nach dem ersten Spiel gefeuert, falls es in die Hose geht.“
Isabelle wusste nicht, ob sie lachen sollte oder nicht. Ihre Handflächen schwitzten auf jeden Fall und ihr Herz klopfte schneller als gewöhnlich. Ihre größte Sorge war es nicht, gefeuert zu werden, sondern inkompetent zu wirken und ihren Kritikern in die Hände zu spielen, die bereits behaupteten, dass dieser Job eine Nummer zu groß für sie war. Sie wollte nicht versagen und dem Andenken an ihren Großvater nicht gerecht werden.
„Ich will dich nicht länger aufhalten und verziehe mich wieder auf die Tribüne, um mir von dort das Spiel anzusehen.“ Brian klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter. „Das ist entspannter, als nach einem besonders harten Tackling nur noch Sterne zu sehen.“
„Da kann ich nicht mitreden. Zum Glück stehe ich am Spielfeldrand und schaue zu, anstatt zu spielen.“
„Das ist wahr. Ich hoffe, du hast Ohropax dabei, denn John hat die Angewohnheit, die Spieler niederzubrüllen, wenn es nicht so läuft, wie er es geplant hat. Manchmal hatte ich Angst, dass mein Trommelfell geplatzt sein könnte.“
Isabelle zog eine Augenbraue in die Höhe. „Ich dachte, du wolltest mich aufmuntern?“
Darauf erwiderte Brian nichts. Er fügte jedoch hinzu: „Und denk dran: Jeder war mal ein Rookie – auch großmäulige Quarterbacks, die denken, dass sie die Einzigen sind, die Ahnung von Football haben. Lass dich von den Jungs nicht unterkriegen und tritt ihnen ordentlich in den Hintern.“
Sie wurde den Verdacht nicht los, dass er von Hawke sprach, als er großmäulige Quarterbacks erwähnte. Außerdem ahnte Isabelle, dass Brian irgendwelche Gespräche der anderen Spieler mitgekriegt hatte, in denen von ihr geredet worden war. Gerade jetzt wollte sie nicht daran erinnert werden, dass die meisten Spieler ihr noch immer distanziert, skeptisch und zurückhaltend begegneten. Dabei war es für den Job als Coach unerlässlich, dass man ihr rückhaltlos vertraute.
Brian winkte ihr fröhlich zu und verschwand in dem geradezu klinisch beleuchteten Gang, durch den Isabelle gerade gekommen war. Sie sah ihm kurz nach, straffte die Schultern und machte sich auf den Weg in die Umkleidekabine, wo eine betriebsame Anspannung herrschte. Normalerweise blödelten die Spieler untereinander herum, rissen ihre Scherze und zogen sich gegenseitig auf. Heute war das nicht der Fall.
Heute machten sich die meisten schweigend fertig, zogen sich mithilfe der Betreuer die starren Schulterpolster über die Köpfe oder saßen vor ihren Spinden in völliger Konzentration.
Dupree Williams hatte die Augen geschlossen und bewegte die Lippen, als würde er ein Gebet sprechen. Al Rory saß vor seinem Spind und dehnte ausgiebig seine Finger. Blake O’Neill machte sich warm, indem er mit einem Springseil ein kurzes Workout absolvierte, während er starr vor sich hinschaute. Und Hawke stand vor seinem Spind und band gerade seine Schulterpolster fest.
Obwohl Isabelle an halb nackte und sogar an völlig nackte Footballspieler in Umkleidekabinen gewöhnt war, stockte sie beim Anblick von Hawke kurz, der außer der weißen Footballhose nichts trug. Ihn hatte sie zwar schon nackt gesehen, aber das war eine Weile her, und in den vergangenen vierzehn Jahren hatte er einiges an Muskelmasse hinzugewonnen, die ihr im unbekleideten Zustand völlig neu war. An diese gewaltige Muskelmasse schmiegte sich das Schulterpolster, dessen Riemen Hawke gerade an der Seite nachzog, wobei sich sein Bizeps hervorwölbte und preisgab, wie viel Kraft in ihm steckte. Bei dieser Bewegung stach auch sein breiter Rippenbogen deutlich hervor. Sie konnte sich plötzlich daran erinnern, wie sie mit den Fingern federleicht über ebendiesen Rippenbogen geglitten war und ihn dabei gekitzelt hatte. Damals war zwischen ihnen beiden die Welt noch in Ordnung gewesen.
Isabelle ging auf ihn zu und versuchte, nicht allzu intensiv auf seine nackte Brust und den flachen Bauch zu starren, der ein beachtliches Sixpack und eine schmale Spur blonder Haare vorweisen konnte, die über seinen Bauch abwärts führte und in der halb offenen Hose endete, die ihm locker auf den Hüften saß.
Und da die Hose ziemlich tief saß, konnte Isabelle erkennen, dass Hawke in letzter Zeit tatsächlich im Strandurlaub gewesen sein musste, schließlich sah sie den Streifen heller Haut unter seinem Nabel. Wie es aussah, war er mit seiner Urlaubsbegleitung nicht an einem Nacktstrand gewesen.
Gerade rechtzeitig riss sich Isabelle vom Anblick seiner Leistengegend los und richtete ihren Blick auf sein Gesicht, weil er genau in diesem Moment aufsah und sie anstarrte.
Obwohl sich sein Gesicht augenblicklich verschloss, sobald er sie sah, nickte sie ihm zu und setzte ihren Weg zu ihm fort. Seit dem Training, bei dem er sie so wütend gemacht hatte, dass sie ihm einen Ball an den Kopf geworfen hatte, war er noch unzugänglicher als normalerweise. Nicht ein einziges Wort hatte er an sie gerichtet, als sie vor wenigen Tagen gemeinsam beim Frühstücksfernsehen aufgetreten waren. Er konnte so ein verdammter Sturkopf sein.
„Hey“, begrüßte sie ihn kurz. „Bist du fit für das erste Spiel?“
Hawke sah sie nicht an, sondern konzentrierte sich scheinbar darauf, seine Ausrüstung anzuziehen. „Soll das eine Anspielung darauf sein, dass ich alt und träge bin?“
Er war nicht nur ein verdammter Sturkopf, sondern auch eine beleidigte Leberwurst, weil er ihr noch immer übel nahm, dass sie sein Alter und seine Kondition infrage gestellt hatte. „Nein. Ich wollte dich lediglich fragen, ob du fit bist“, erwiderte sie gelassen.
„Ja, das bin ich. Willst du eine Blutprobe von mir haben oder glaubst du mir auch so?“
Darauf ging sie gar nicht ein, sondern erwiderte schlicht: „Der neue Linebacker täuscht mit seiner Drehbewegung jeden Tackle und sackt den gegnerischen Quarterback so schnell, dass der kaum Zeit hat zu reagieren. Wenn du …“
Er unterbrach sie mit einem Schnauben und schaute ihr nun doch in die Augen. „Meinst du, ich wüsste das nicht? Es ist mein Job, das gegnerische Team genau zu kennen. Ich bin schließlich seit dreizehn Jahren in der NFL und kenne mich aus.“
„Soll das schon wieder eine Anspielung darauf sein, dass ich bisher nur Collegeteams gecoacht habe?“
Er zuckte mit den Schultern. „Sieh es, wie du willst.“
Sie runzelte die Stirn und dachte an das, was Brian ihr vor wenigen Minuten geraten hatte. „Ich habe es langsam satt, mir das von dir ständig vorwerfen zu lassen. Jeder fängt irgendwann bei null an und war ein Rookie. Du auch, Hawke.“
Er nickte mit finsterer Miene. „Das mag zwar stimmen, aber ich lasse mir nicht schon wieder von einem Rookie-Coach die Saison ruinieren. Das habe ich bereits hinter mir, Izzie.“
Isabelle spürte, wie sie wütend wurde. Sie wollte ihre persönliche Beziehung zu Hawke Reynolds jedoch nicht die Oberhand gewinnen lassen, sondern musste sich vor Augen halten, dass er ein Spieler war. Und sie war sein Coach.
Deshalb entgegnete sie so beherrscht und autoritär wie möglich: „Für dich heißt es Coach. Coach Moore, um genau zu sein.“
Und bevor er ihr ein weiteres Mal beweisen konnte, was für ein selbstgerechter Idiot er doch war, drehte sie sich um und ging zu John, der gerade dabei war, letzte Anweisungen vor dem Spiel zu geben.
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Hawke hatte gerade das erste Spiel der Saison verloren und dachte nur daran, dass Izzie tatsächlich von ihm verlangt hatte, sie Coach Moore zu nennen.
Verdammt, was stimmte nicht mit ihm?
„Dein letzter Pass auf Graham war nicht von dieser Welt“, säuselte ihm Rob Savage vor, der nach dem verpatzten Spiel in die Umkleidekabine gehumpelt gekommen war, um sie alle aufzumuntern und dem Team seelischen Beistand zu leisten. „Die Videoaufnahmen davon werden für Schlagzeilen sorgen. Das war der mit Abstand beste Wurf, der mir jemals untergekommen ist.“
Hawke stopfte sein Zeug in die Tasche und wusste nicht, was er erbärmlicher fand – dass der sehr viel jüngere Rob glaubte, ihm Honig ums Maul schmieren zu müssen und ihn dadurch aufzumuntern, oder dass Hawke sich tatsächlich gebauchpinselt fühlte, weil Rob den großartigen Pass ansprach, der zu einem Touchdown geführt hatte.
Ein einziger Touchdown bedeutete keinen Sieg, wenn das andere Team öfter punktete und einfach besser spielte. Dieser eine Pass mochte vielleicht für Schlagzeilen sorgen und bewiesen haben, dass Hawkes Wurfarm noch immer fantastisch war, aber was brachte der eine Touchdown, wenn die Titans das erste Spiel der Saison in ihrem eigenen Stadion verloren hatten?
Noch nie hatte Hawke besonders gut verlieren können, und die heutige Niederlage war da keine Ausnahme.
„Unsere Defense konnte einfach zu wenig Druck auf Callahan ausüben. Deshalb hatte er ständig die Möglichkeit zu punkten.“
Vermutlich wollte Rob ihm mit diesem Kommentar Mut zusprechen, aber er streute noch mehr Salz in die Wunde, schließlich war Callahan kein überragender Quarterback, sondern spielte streng nach dem Playbook und ohne Fantasie und war überfordert, wenn sich die gegnerische Taktik plötzlich änderte. Dass Callahan heute als siegreicher Quarterback vom Feld gegangen war, während sein eigenes Team verloren hatte, nagte wie verrückt an Hawkes Stolz.
Diese Saison sollte seine werden. Er wollte – er musste – es bis in die Finals schaffen und dort den Superbowl holen, aber bereits beim ersten Spiel hatte er versagt, obwohl der Gegner nicht einmal besonders gut gewesen war! Natürlich hatte jedes Team in der NFL seine Berechtigung und so etwas wie leichte oder sichere Spiele gab es nicht, aber ihr heutiger Gegner war eigentlich berechenbar gewesen. Die Titans hätten gewinnen müssen, denn ihr Potenzial und ihr Talent waren viel größer als die der anderen. Dennoch hatte Hawke heute kaum einen Fuß auf die Erde bekommen. Und auch die Defense der Titans hatte stark zu wünschen übrig gelassen.
Wie sollte es erst laufen, wenn sie gegen wirklich starke Teams spielten? Verflucht, das würde ein Blutbad geben, wenn sich nichts änderte!
Und obwohl Hawke alles andere als abergläubisch war, dachte er daran, dass er in den beiden Jahren, in denen er den Superbowl geholt hatte, das erste Spiel gewonnen hatte. In den Jahren, in denen er vor den Play-offs rausgeflogen war, hatte er das jeweils erste Spiel verloren. Schöne Scheiße!
„Außerdem wird ihre Defense von diesem neuen Linebacker angeführt, der als König der Sacks gilt. Verdammt, diese Drehbewegung, mit der er die Tackles aufs Glatteis führt, habe ich vorher noch nie gesehen.“
Hawke biss die Zähne zusammen, denn die Sacks, von denen Rob sprach, waren auf sein Konto gegangen. Er kam sich wie ein Rookie vor, der vor Zigtausenden Zuschauern vorgeführt worden war. Dass Izzie ihn vor dem Spiel vor besagtem Linebacker hatte warnen wollen, machte alles nur noch schlimmer.
„Nächste Woche wirst du deinen Arm unter Beweis stellen können. Da bin ich mir sicher.“
Der Kleine fing an, ihm auf den Geist zu gehen.
Nach dem verlorenen Spiel wollte Hawke jedoch nicht auch noch dadurch negativ auffallen, indem er Rob Savage, dem neuen Liebling der gesamten NFL, mit deutlichen Worten sagte, dass er die Klappe halten sollte. Also brummte er eine nichtssagende Erwiderung, stopfte den Rest seiner Sachen in die Tasche und zog den Reißverschluss zu. Er musste hier raus und seine Wunden lecken. Morgen würde er genug auf den Deckel kriegen, wenn es an die Nachbesprechung des Spiels ging.
„Wir sehen uns, Savage.“ Er klopfte ihm auf die Schulter, nickte Blake O’Neill zu, der ebenfalls eine finstere Miene zur Schau stellte und nicht glücklich über das Ergebnis des Spiels zu sein schien, und verließ die Umkleidekabine, in der die Stimmung nicht beschissener hätte sein können.
Er war gerade um die Ecke des Gangs gelaufen, der zum Parkplatz der Angestellten führte, als er die Journalisten bemerkte, die nur darauf lauerten, die Spieler vor ihre Mikrofone und Kameralinsen zu bekommen. Dummerweise war der Presse für heute der Zugang zu den Spielern erlaubt worden.
„Reynolds, wie fühlen Sie sich nach der heutigen Niederlage?“
„Warum haben Sie im dritten Viertel keinen Pass auf Stone versucht, der völlig frei stand?“
„Die Offense gab heute ein deprimierendes Bild ab – woran lag das?“
„Haben Sie sich noch nicht in Ihr neues Team eingefunden? Was können wir in der nächsten Woche erwarten?“
Weil sie ihn längst entdeckt hatten und mit Fragen bombardierten, konnte er nicht einfach kehrtmachen und sich einen anderen Ausgang suchen. Also schulterte er seine Tasche und kämpfte sich mit einer entschuldigenden Geste durch die Pressemeute, die ihn förmlich bedrängte und ihm dann und wann ein Mikrofon mitten ins Gesicht hielt.
„Die Offense wirkte überfordert und bekam kaum ein Bein auf die Erde, dabei gehörte gerade die Offense der Titans in der letzten Saison zu den stärksten der gesamten Liga. Was sagen Sie denjenigen, die Sie dafür verantwortlich machen?“
Hawke fand, dass weichgespülte, übergewichtige und keuchende Journalisten, die vermutlich zum letzten Mal Sport während der Highschool gemacht hatten, kein Recht darauf hatten, Profisportler zu kritisieren. Aber das sagte er natürlich nicht, während ein rotgesichtiger Reporter, dessen verschwitztes Gesicht auf einen immensen Bluthochdruck hindeutete, ihn geradezu schadenfroh ansah.
„Es war unser erstes Spiel“, erwiderte er stattdessen sehr gelassen. „Wir sind noch in der Findungsphase und trainieren erst seit Kurzem als Team miteinander. Dank heute wissen wir, welche Schwächen wir verbessern müssen.“
„Glauben Sie wirklich, dass Sie dies innerhalb einer Woche schaffen?“
„Ich glaube, dass die Titans ein Team mit wahnsinnig viel Talent und Potenzial sind. Viele der Spieler haben bisher eine sehr erfolgreiche Karriere hingelegt und wir alle wollen daran anknüpfen.“
„Ihr letzter Superbowlsieg ist sechs Jahre her.“ Der rotgesichtige Journalist grinste geradezu verächtlich. „Und in Ihrer letzten Saison in Seattle sind Sie nicht einmal in die Play-offs gekommen. Wie rechtfertigen Sie nach der heutigen Niederlage die bombastische Summe von zwölf Millionen Dollar, die Ihnen von den Titans gezahlt wurde, um für den verletzten Rob Savage einzuspringen?“
Hawke spürte, wie ein Muskel in seiner Wange zuckte und wie Groll in ihm aufstieg, weil er wie ein Versager und Bittsteller dargestellt wurde, dem zu Unrecht ein Haufen Geld angeboten worden war, um in New York zu spielen. Ein einziges vermasseltes Spiel hatte es geschafft, seinen Wechsel nach New York nicht länger wie eine fulminante Schlagzeile erscheinen zu lassen, sondern seine gesamte glorreiche Karriere vergessen zu lassen.
„Sie sollten mich noch nicht so früh abschreiben“, entgegnete er mit einem schwachen Lächeln, auch wenn er sich dazu hatte zwingen müssen. „Ein Spiel macht noch keine ganze Saison.“
„Glauben Sie, dass die Titans noch in die richtige Spur kommen nach all den personellen Veränderungen der letzten Zeit?“
Er setzte zu einer Antwort an, als ein besonders eifriger Journalist, der sich offenbar witzig fand, einwarf: „Wie ist es, von einer Frau gecoacht zu werden, Reynolds? Müssen die Spieler ab sofort die Klobrillen runterklappen und im Sitzen pinkeln?“
„Ich habe gehört, dass in der Umkleide bald Tamponspender aufgestellt werden“, offenbarte ein anderer augenzwinkernd.
„Zwingt Coach Moore das Team dazu, ihr eine Wärmeflasche zu bringen, wenn sie ihre Tage hat?“, ergänzte ein dicklicher Journalist lachend und hielt sich den Bauch.
„Vermutlich muss das Team ab jetzt immer mit einer Notfallration Schokolade verreisen, falls sie PMS bekommt. Meine Ex mutierte ohne Schokolade zur Furie, wenn sie ihre Tage bekam.“
„Und meine Ex hatte einen Putzfimmel, sobald bei ihr die gewisse Zeit im Monat einsetzte.“ Seufzend schüttelte der eifrige Journalist, der mit dem Scheiß angefangen hatte, den Kopf. „In eurer Haut will ich nicht stecken, Reynolds. Mit dem ganzen Frauenkram will man doch beim Football nichts zu tun haben! Die Teams müssen sich auf die Spiele konzentrieren und nicht auf eine Trainerin, die unter PMS leidet.“
„Solange sie ihre PMS nicht an uns auslässt, kann sie ruhig einen verdammten Tamponspender in der Umkleide aufstellen“, entgegnete Hawke schulterzuckend und war feigerweise froh, dass sich die Journalisten auf Izzie eingeschossen hatten und nicht länger seine Qualifikation in Zweifel zogen. „Und ich persönlich hätte auch nichts dagegen, wenn sie ihren Putzfimmel an der Umkleide auslässt, denn da sieht es immer wie ein Schweinestall aus, sobald Blake O’Neill duschen war.“
Während die anwesenden Journalisten lachten und weitere dumme Sprüche über Frauen und deren Menstruationsbeschwerden rissen, verabschiedete sich Hawke ohne großes Aufheben und machte sich auf den Weg zu seinem Auto.
Sein Bugatti Divo stand auf dem ihm zugewiesenen Parkplatz und war dankenswerterweise nicht mit faulen Eiern oder anderen unaussprechlichen Dingen beworfen worden. Manche Fans nahmen Niederlagen wie die heutige persönlich und ließen ihren Frust gern an den Besitztümern der Spieler aus.
Er warf seine Sporttasche auf den Beifahrersitz und wollte sich gerade ins Auto setzen, um nach Hause zu fahren, als sein Handy klingelte. Beim Anblick des Namens auf dem Display verfinsterte sich seine Laune, die eigentlich bereits auf dem Tiefpunkt gewesen war. Wie er seinen alten Herrn kannte, würde der nicht davor zurückschrecken, die ganze Nacht hindurch anzurufen, wenn Hawke den Anruf nicht annahm. So war es immer.
„Was willst du, Dad?“ Er lehnte sich gegen sein Auto und hoffte, dass dieses Telefonat schnell ein Ende nahm.
„Kann ein Vater nicht seinen Sohn anrufen, um ihn zu fragen, wie es ihm geht?“
Ein zynisches Lächeln schlich sich auf Hawkes Gesicht, denn sein Vater erinnerte sich immer nur dann daran, dass er einen Sohn hatte, wenn er etwas brauchte und sich dieses von ihm erhoffte. Immer war dieses Etwas Geld. Aus diesem Grund hatte Hawke erst dann wieder etwas von seinem Vater gehört, als er in die NFL gekommen war. Ab jenem Moment war Hawke nützlich gewesen, weil er plötzlich über Geld verfügt hatte. Während seiner gesamten Highschoolzeit und auch während des Colleges, das er sich durch ein Stipendium hart erarbeitet hatte, war Hawke nie in das Vergnügen gekommen, etwas von seinem alten Herrn zu hören. Und während der besonders schwierigen Zeit, als Hawke zwischen acht und zwölf Jahre alt gewesen war, hatte sein Dad nur sporadisch bei ihnen zu Hause vorbeigeschaut.
„Wie viel brauchst du dieses Mal?“, wollte er von ihm wissen und klang dabei erstaunlich gelassen für jemanden, der von seinem eigenen Vater ständig um Geld angepumpt wurde. Hawke sah es pragmatisch – solange er seinem Dad Geld gab, hatte dieser keinen Grund, bei ihm vorbeizuschauen und sich in sein Leben zu drängen. Ein gesundes Maß an Abstand war das Beste für ihre Beziehung, die sich darauf beschränkte, dass Hawke ihm Geld schickte und sein Dad anrief, wenn er neues brauchte.
Es hatte eine Zeit gegeben, als Hawke sich nichts mehr gewünscht hatte, als eine Familie zu haben. Mittlerweile hatte er jedoch begriffen, dass sein Vater niemand war, den er gern in seiner Familie hätte.
„Ein Freund von mir hat eine todsichere Geschäftsidee“, erklärte er mit aufgeregter Stimme. „Mit zehn Riesen könnte ich bei ihm einsteigen. Mit zwanzig Riesen wäre ich sein Geschäftspartner und wir würden die Gewinne fifty-fifty teilen.“
Hawke hatte zu zählen aufgehört, was die todsicheren Geschäftsideen irgendwelcher Freunde und Saufkollegen seines Vaters betraf. Er wollte nicht einmal wissen, um was für eine todsichere Geschäftsidee es sich handelte, weil er sich dann womöglich dazu gezwungen sehen könnte, seinem Dad zu sagen, dass diese Idee absoluter Schwachsinn war.
„Zwanzigtausend Dollar, um gleichberechtigter Geschäftspartner zu werden? Das ist viel Geld, Dad, und …“
„Für dich sind das doch nur Peanuts“, unterbrach er ihn mit harter Stimme. „Mein Kumpel Oliver hat gehört, dass dein neuer Verein zwölf Millionen Dollar für dich springen lässt! Und du willst deinem alten Herrn nicht einmal lumpige zwanzig Riesen geben, damit er endlich etwas aus sich machen kann? Du solltest dich schämen, Hawke. Tom Brady würde seinem Dad so etwas nie antun.“
Tom Brady hatte vermutlich auch nicht mitansehen müssen, wie sein Vater sein Sparschwein einsackte, den Kühlschrank leerte und seinen achtjährigen Sohn allein mit dessen depressiver Mutter zurückließ. Tom Brady hätte seinem Vater wahrscheinlich einen Arschtritt verpasst und ihm keinen einzigen Cent gegeben. Und wer hätte es ihm vergolten?
„Du hast das Geld morgen auf deinem Konto“, erwiderte Hawke dumpf.
Sein Dad, der von einer auf die andere Sekunde komplett umschwenken konnte, erwiderte euphorisch: „Du bist der Beste, mein Sohn. Es war auch das letzte Mal, dass ich dich anpumpen musste. Versprochen.“
Anpumpen bedeutete im Allgemeinen, dass man sich Geld lieh und dieses zurückzahlte. Sein Dad hatte noch nie etwas zurückgezahlt. Und versprochen, dass es das letzte Mal gewesen sei, hatte er ebenfalls jedes Mal. Das Wort seines alten Herrn bedeutete nicht viel.
„Ja, ja. Schon klar.“ Er seufzte schwer.
Ganz offensichtlich glaubte sein Dad, jetzt da er das bekommen hatte, was er wollte, einen Anflug von Interesse vorzuheucheln, weil er von ihm wissen wollte: „Und sonst? Läuft es bei dir?“
„Es könnte nicht besser sein“, stieß er im ätzenden Tonfall aus. Wenn sich sein Dad auch nur einen Funken für ihn interessieren würde, wüsste er, dass momentan nichts bei ihm lief.
„Schön, schön. Du … ähm … Mach weiter so, Sohn.“
„Ich muss jetzt auflegen“, erwiderte Hawke kurz angebunden. „Bis dann, Dad.“
Er legte auf und war verdammt froh, dass dieses Gespräch nicht länger gedauert hatte.
Je länger es nämlich dauerte, desto mehr musste Hawke an seine Kindheit und an seine Jugend denken – Zeiten, die er hinter sich gelassen hatte und die er nicht einmal seinem schlimmsten Feind wünschte. Für so etwas hatte er momentan keine Zeit und vor allem keine Kraft. Es gab nämlich Wichtigeres, als an seine zerrüttete Familie zu denken. Der Football stand ganz weit oben auf seiner Prioritätenliste, und danach kam nichts anderes mehr.