„Machst du das mit Absicht?“
„Hm?“ Isabelle sah von den Papieren auf ihrem Schoß auf und begegnete Hawkes missmutigem Blick. Weil sie auf einem Stück ihres Schokoriegels herumkaute, musste sie diesen erst hinunterschlucken, bevor sie nachfragen konnte: „Was meinst du?“
Er schnalzte mit der Zunge und ließ seine grünen Augen bedeutungsvoll zu dem angebissenen Schokoriegel in ihrer rechten Hand wandern. „Das weißt du genau, Izzie. Du isst mit purer Absicht in meiner Gegenwart einen Schokoriegel, für den ich einen Mord begehen würde. Das ist der mit Erdnüssen und Karamell, oder?“
Angesichts des hochgewachsenen Footballspielers, der in einem dunkelblauen Anzug samt weißem Hemd und hellblauer Krawatte neben ihr im Flugzeug saß, zig Millionen Dollar auf dem Konto hatte und voller Sehnsucht auf einen schnöden Schokoriegel im Wert von zwei Dollar starrte, konnte Isabelle nicht anders, als amüsiert vor sich hinzuprusten.
Niemand würde vermuten, dass der knallharte Footballspieler Hawke Reynolds eine Schwäche für Süßkram hatte. Auch der ordentliche Anzug, den er ebenso wie die restlichen Spieler auf Teamreisen zu Auswärtsspielen trug, täuschte nicht darüber hinweg, dass sich Hawke von nichts und niemandem aufhalten ließ und mit purer Muskelkraft seinen Willen durchsetzte, wenn es sein musste.
Das hatte er erst beim letzten Spiel bewiesen und nicht nur das gegnerische Team auf dessen Platz verwiesen, sondern auch die kritischen Pressestimmen verstummen lassen, die sich nach dem fulminanten Sieg erst einmal nicht mehr wagen würden, Hawkes Spielweise, seine Ausdauer oder sein Alter infrage zu stellen. Nach dem Spiel, das er in der letzten Woche gezeigt hatte, würden sich die Journalisten lächerlich machen, wenn sie ihn weiter kritisierten.
Unermüdlich hatte er einen Pass nach dem nächsten geworfen und dabei seinen exzellenten Wurfarm unter Beweis gestellt, der den Titans einen verdienten Sieg eingebracht hatte. Hawke war blitzschnell gewesen, hatte stets den richtigen Riecher besessen, wenn es darum ging, auf das veränderte Spielgeschehen zu reagieren, und er war nicht aus der Ruhe zu bringen gewesen. All das machte einen hervorragenden Quarterback aus, der sich endlich auch im Training voll ins Zeug legte und sich aufs Spiel konzentrierte.
Er war in seiner alten Form, und niemand war darüber erleichterter als Isabelle.
Auch sie konnte sich nämlich jetzt endlich aufs Coachen konzentrieren, weil sie nicht mehr um Hawkes Aufmerksamkeit und seine Billigung kämpfen musste, nachdem er begriffen hatte, dass sie nicht gegen ihn arbeitete, sondern mit ihm, und dass sie ihn dabei unterstützen wollte, erfolgreich zu sein.
Und wie es aussah, hatte er zudem begriffen, dass sie gar kein so schlechter Coach war, denn er – o Wunder – führte ihre Anweisungen aus, stellte ihre Vorschläge nicht mehr infrage und saß stundenlang mit ihr zusammen, um Spielzüge zu besprechen, an neuen Taktiken zu tüfteln und frühere Fehler zu analysieren. Genau so musste eine gute, fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Quarterback und Coach aussehen, die sich auch auf das restliche Team auswirkte, denn Isabelle bemerkte sehr wohl, dass die Akzeptanz ihr gegenüber unter den anderen Spielern gestiegen war.
So machte ihr der Job bedeutend mehr Spaß als mit einem Haufen unwilliger Spieler, die durch sie hindurchsahen oder den Macho heraushängen ließen.
Ja, Hawke und sie waren ein tolles Team – jedenfalls was die Arbeit miteinander anging.
Wer hätte das gedacht, nachdem sie als Paar eine Katastrophe mit Ansage gewesen waren?
Und weil sie gut miteinander arbeiteten, saßen sie jetzt auch nebeneinander in der letzten Reihe des Fliegers, debattierten über mögliche Taktiken für das kommende Spiel gegen die Texans und studierten den Bericht über die Defense des gegnerischen Teams. Isabelle hatte sich nach einer Besprechung mit dem Trainerstab nach hinten gesetzt, um den knapp vierstünden Flug zu nutzen und mit Hawke das Vorgehen für das kommende Spiel zu besprechen. Die nächste Woche würde ihnen allen viel abverlangen, weil sie nach diesem Spiel nicht zurück nach New York fliegen würden, sondern sich eine Woche lang in ein Trainingslager mitten in Texas einquartiert hatten, um sich dort auf das Spiel gegen die Cowboys vorzubereiten, das in einer Woche stattfinden würde.
Doch jetzt ging es erst einmal um das Spiel gegen Houston, auf das sie sich mit dem sichtlich schmollenden Mann an ihrer Seite vorbereiten musste, der neidisch ihren Schokoriegel fixierte.
Grinsend bot sie ihm den Rest des zuckerhaltigen Snacks an. „Ja, Karamell und Erdnüsse. Du kannst gern den Rest haben. Ich werde es auch niemandem verraten.“
„Nein, danke.“ Er schniefte hoheitsvoll und hob das Kinn. „Ich hatte schon einen Bananen-Hafer-Muffin voller gesunder Ballaststoffe und Proteine. Mit diesem Schokoriegel kannst du mich nicht in Versuchung führen.“
Das beantwortete Isabelle, indem sie einen weiteren Bissen nahm und genießerisch aufseufzte. „Bist du sicher?“
„Scheiße, nein“, raunte er mit einem gequälten Laut. „Jetzt iss das Ding schon auf, bevor ich mich blamiere, weil ich ihn dir aus den Fingern reiße und damit auf dem Klo verschwinde, damit mich die Diätassistentin nicht erwischt.“
Fast hätte sie sich an ihrem fröhlichen Gelächter verschluckt, während sie den Schokoriegel aufaß und ihn mit einem Glucksen informierte: „Es ist erstaunlich, dass Millionen Männer euch Footballspieler beneiden. Wenn sie wüssten, dass ihr nicht einmal einen Schokoriegel essen dürft, dann sähe das ganz anders aus.“ Geräuschvoll leckte sie etwas Schokolade von ihrem Finger.
„Manche Dinge sind viel besser als ein Schokoriegel“, behauptete er, obwohl er das letzte Stück des Riegels fixierte und dabei trocken schluckte. Der Mann war in Nöten – so viel war klar. „Der Superbowl zum Beispiel. Den würde ich nicht gegen eintausend Schokoriegel tauschen.“
Da mochte er recht haben, denn Isabelle hätte ebenfalls mit Freuden auf eintausend Schokoriegel verzichtet, wenn sie stattdessen den Superbowl gewinnen könnte.
Natürlich hätte sie ihn jetzt auch daran erinnern können, dass es noch andere Vorteile gab, wenn man ein Footballspieler war. Willige Groupies, die sich einem an den Hals warfen, war ein solcher Vorteil. Aber weil das Verhältnis zwischen ihr und Hawke zurzeit fast schon freundschaftlich war, verkniff sie sich eine solche Bemerkung. Sie wollte nicht, dass es wieder zu Spannungen zwischen ihnen kam.
Was sollte es außerdem bringen, wenn sie sich an die Gurgel gingen? Vorbei war vorbei. Was früher geschehen war, war heute einfach nicht mehr wichtig.
Sie waren ineinander verliebt gewesen und hatten den Fehler begangen, zu heiraten, obwohl diese Ehe von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen war. Wenn Isabelle damals nicht Hals über Kopf in ihn verliebt gewesen wäre, hätte sie das erkannt, als er ihr den Antrag gemacht hatte. Hätte sie damals rational darüber nachgedacht, was das Vernünftigste war, wäre ihr klar gewesen, dass sie beide noch viel zu unreif gewesen waren, um eine lebenslange Bindung einzugehen.
Und ihr wäre klar gewesen, dass Hawke ihr nur deshalb den Antrag gemacht hatte, weil sie beide ungefähr drei Tage lang befürchtet hatten, dass Isabelle schwanger sein könnte. Noch bevor sie den Test gemacht hatte, war er vor ihr auf die Knie gesunken und hatte sie gebeten, ihn zu heiraten.
Das war süß und romantisch gewesen – jedenfalls hatte Isabelle es so empfunden.
Und zu ihrer Überraschung hatte er den Antrag nicht zurückgezogen, sondern weiterhin darauf beharrt, sie zu heiraten, obwohl der Test negativ und sie gar nicht schwanger gewesen war. Aus diesem Grund hatte Isabelle sich eingebildet, dass Hawke es wirklich ernst mit ihr gemeint hatte und dazu bereit war, sein restliches Leben mit ihr zu verbringen.
Kurz darauf hatte sie ihn dabei erwischt, wie er mit einer Kommilitonin flirtete, woraufhin sie völlig ausgerastet war und sich mit ihm gestritten hatte. Von da an hatte es kein Halten gegeben. Sie hatte solche Angst gehabt, dass er ihr untreu sein könnte, dass sie vor lauter Eifersucht durchgedreht war, während Hawke ihr ständig vorwarf, ihm nicht zu vertrauen. Sobald er nach dem Training nicht sofort nach Hause kam, sondern mit seinen Kumpels unterwegs war, hatte sie sich gefragt, ob eine andere Frau dahintersteckte. Und Hawke hatte das Ganze forciert, indem er immer öfter aus war, länger wegblieb und ihr nicht sagen wollte, wo er gewesen war – und mit wem.
Und dann war da dieses Flittchen von Cheerleaderin gewesen, die sich ihm an den Hals geworfen hatte und derentwegen sie sich mehr als einmal gestritten hatten. Hawke hatte zwar immer wieder behauptet, dass zwischen ihnen nichts lief, und hatte ihr vorgeworfen, paranoid zu sein und ihm nicht zu vertrauen, aber nachdem sie ihn dabei ertappt hatte, wie er die Cheerleaderin küsste, war sie nicht mehr in der Lage gewesen, ihm zu vertrauen.
Noch heute zog sich ihr Magen schmerzhaft zusammen, wenn sie an jenen Abend dachte. Jedoch war das allemal besser als das Gefühl, das sie gehabt hatte, als sie den Kuss beobachtete, denn damals war ihr das Herz gebrochen worden.
„Ist alles okay?“ Hawkes tiefe Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Du bist plötzlich so still.“
„Ich denke gerade über die gegnerische Defense nach. Ihr neuer Cornerback bereitet mir noch Sorgen“, log Isabelle. Sie atmete durch und schüttelte die Erinnerungen von damals ab. Mit denen durfte sie sich ausgerechnet jetzt nicht belasten.
Hawke lehnte sich so weit zu ihr hinüber, dass Isabelle automatisch den Atem anhielt.
Er war ihr so nah, dass sie seine Wärme spüren und seinen Geruch wahrnehmen konnte. Noch immer roch er wahnsinnig gut – würzig, herb und durch und durch nach Mann. Sogar wenn er verschwitzt war und ein ausdauerndes Training hinter sich hatte, roch er gut.
Das hatte sich nicht geändert, wie Isabelle in der letzten Zeit herausgefunden hatte.
Jetzt gerade musste sie sich davon abhalten, an ihm zu schnuppern und ihm näher zu kommen. Sie konzentrierte sich lieber auf seine hageren Wangen, die so früh am Morgen frisch rasiert waren und noch keinen Bartschatten aufwiesen. Auf seiner gebräunten Haut konnte sie einige Sommersprossen erkennen und bemerkte auch die winzigen Fältchen, die sich um seine Augenwinkel gegraben hatten. Seine dichten Wimpern warfen Schatten auf seine Haut, als er den Blick auf die Papiere in Isabelles Schoß senkte. Sobald er wieder aufsah und in ihre Richtung blickte, fiel ihm eine kurze blonde Strähne in die Stirn, und Isabelle konnte den dunkelgrünen Rand erkennen, der seine Iris umgab.
Wieso musste er auch so verdammt gut aussehen?
„Das wäre die perfekte Gelegenheit für deinen neuen Spielzug – der angetäuschte Weak-Side-Play über O’Neill, Adams und Stone.“ Er zwinkerte ihr zu. „Der führt sie aufs Glatteis, Izzie. Da bin ich sicher.“
Offenbar hatte er nicht bemerkt, dass sie ihn wie ein Teenager mit Schmetterlingen im Bauch gemustert hatte. Dafür war sie dankbar und erwiderte sein Augenzwinkern, während sie fahrig die Papiere in ihrem Schoß sortierte.
„Habe ich gerade meinen Namen gehört?“ Blake O’Neill, der in der Reihe vor ihnen saß, hatte sich zu ihnen gedreht und schaute sie über die Rückenlehne seines Sitzes verschlafen an. Dass ausgerechnet der großmäulige Runningback eine Schlafmaske trug, die er sich in die Stirn geschoben hatte, um sie mit blinzelnden Augen anzuschauen, war ziemlich witzig. Wie nicht anders zu erwarten, grinste er großspurig. „Hätte mich auch gewundert, wenn mein Name nicht erwähnt würde, sobald es darum geht, wer das nächste Spiel bestreitet.“
„Wir denken darüber nach, dich auf die Bank zu setzen und jemand anderen spielen zu lassen“, verkündete Hawke todernst. „Deine Leistungen haben ganz schön nachgelassen.“
Blake O’Neill schien ebenfalls leicht aufs Glatteis zu führen zu sein, weil seine blauen Augen kreisrund wurden und er entsetzt nach Luft schnappte. „Was?!“
Hawke nickte verhalten. „Tut uns leid, Kumpel, aber dein Run ist nicht mehr das, was er mal war. Wir müssen daran denken, was das Beste fürs Team ist. Das verstehst du doch, oder?“
Das Entsetzen des Runningbacks war zum Greifen nahe.
Isabelle kämpfte gegen das Zucken ihrer Mundwinkel an und erwiderte mit gesenkter Stimme an Hawke gewandt: „Ich wollte es ihm doch in einer ruhigen Minute erklären und nicht hier im Flugzeug.“
„Ach Mist, entschuldige“, entgegnete er mit zerknirschter Miene. „Du hast recht. Niemand sollte auf diese Weise erfahren, dass er ab sofort auf der Bank sitzen muss und ausgemustert wird.“
Blake röchelte schockiert.
Sobald Isabelle das Zucken von Hawkes Mundwinkeln wahrnahm, konnte sie nicht mehr an sich halten und lachte los, woraufhin auch er lachen musste.
Der Einzige, der nicht lachte, war Blake. Empört und mit knallroten Wangen brüllte er ihnen zu: „Das ist alles andere als komisch! Ich hätte vor Schreck fast einen Herzinfarkt bekommen! Verdammt, ich wäre beinahe …“
„Klappe, O’Neill! Wir versuchen hier zu schlafen“, erscholl es genervt aus einigen Reihen vor ihnen.
„Und ich war gerade erst eingeschlafen. Danke, Blake, du Armleuchter!“
Wieder schnappte Blake empört nach Luft und rief mit seiner unüberhörbaren Stimme: „Ey, ihr Idioten, ich habe doch gar nicht damit angefangen und …“
„Ruhe, verdammt!“
„Hat einer von euch Klebeband dabei, um ihm den Mund damit zu verbinden?“
Jemand stöhnte gereizt: „Mir wird eindeutig zu wenig Geld gezahlt, um Blakes Gebrüll um sieben Uhr morgens zu ertragen.“
„Von seinem nackten Anblick in der Kühlkammer ganz abgesehen!“
„Ja, der ist wirklich nicht zu ertragen!“
Ein paar der Spieler lachten, bis Johns Stimme durch das gesamte Flugzeug erklang: „Ruhe, verflucht noch mal! Wer mich in den nächsten zwei Stunden stört oder nervt, kriegt eine Geldstrafe aufgebrummt und muss bis nach Texas laufen!“
Isabelle musste sich ein weiteres Lachen verkneifen, als die Footballspieler – allesamt gestandene Männer – verstummten und sich wieder beruhigten. Blake warf ihr und Hawke einen letzten, eingeschnappten Blick zu, schob sich würdevoll die Schlafmaske zurück auf das Gesicht und verkroch sich in seinem Sitz.
Ihre Schultern bebten, während sie das Gefühl nicht abschütteln konnte, auf einer Klassenfahrt zu sein und gerade vom Lehrer einen Rüffel bekommen zu haben.
„Vermutlich ist Blake jetzt beleidigt“, raunte Hawke ihr amüsiert zu. „Er kann eine ziemliche Diva sein.“
Isabelle hustete leise und bedeutungsvoll. „Da ist er nicht allein. Ich kenne einige Footballspieler, die Diven sind.“
„Ich habe keine Ahnung, von wem du sprichst“, behauptete Hawke unschuldig.
„Das kann ich mir denken.“ Sie streckte die Beine so gut wie möglich von sich und fuhr versonnen fort: „Schon Grandpa warnte mich davor, dass Footballspieler Diven und schnell beleidigt sind.“
Hawke antwortete nicht sofort. Stattdessen konnte sie hören, wie er tief Luft holte, bevor er mit verhaltener und gedämpfter Stimme entgegnete: „Das mit deinem Großvater tut mir leid, Izzie.“
Der Überschwang von gerade eben war verschwunden. „Danke“, antwortete sie leise und versuchte sich an einem schiefen Lächeln. „Ich weiß, dass du nicht unbedingt sein größter Fan warst.“
Das war vermutlich die Untertreibung des Jahres.
Hawkes Lächeln erreichte seine Augen nicht. „Das basierte wohl auf Gegenseitigkeit.“ Er wurde wieder ernster. „Mir tat es dennoch leid, als ich gehört habe, dass er gestorben ist. Ein Schlaganfall?“
„Ja.“ Sie schluckte schwer. „Er war mit Grandma in einem Supermarkt und wollte gerade ins Auto steigen, um nach Hause zu fahren, als er plötzlich umfiel. Auch die Rettungssanitäter konnten nichts mehr machen.“ Isabelle schluckte ein weiteres Mal und konnte hören, wie heiser sie klang, als sie fortfuhr: „Der einzige Trost war, dass es zum Glück nicht ein paar Minuten später passiert ist, wenn er hinter dem Steuer gesessen hätte und über den Highway gefahren wäre.“
Hawke brummte eine Zustimmung. „Wie geht es deiner Grandma?“
„Anfangs war sie erschüttert, aber mittlerweile hat sie sich gefangen und ist wieder die Alte. Du kennst sie ja – ein Fels in der Brandung.“
„Das beschreibt deine Großmutter ziemlich genau.“ Er fuhr sich durch sein Haar und fragte höflich und gleichzeitig vorsichtig nach: „Was macht deine Schwester?“
Isabelle konnte den vorsichtigen Tonfall in seiner Stimme nachvollziehen, immerhin war Nicky diejenige gewesen, die ihm in die Eier getreten hatte, als sie ihr half, ihre Sachen aus der Wohnung zu holen, die sich Isabelle während ihrer kurzen Ehe mit Hawke geteilt hatte.
„Nicky geht es sehr gut. Sie hat als Grafikdesignerin gearbeitet, bis sie geheiratet hat.“ Spitzbübisch fügte sie hinzu: „Du wirst nicht glauben, wen sie geheiratet hat.“
Hawke verzog den Mund. „Wen?“
„Marcus.“
„Marcus?“ Er keuchte überrascht auf. „Du nimmst mich doch auf den Arm! Sie konnte Marcus auf den Tod nicht ausstehen!“
„Das scheint sich geändert zu haben, schließlich sind sie ein Herz und eine Seele. Und sie haben eine Tochter – Alison. Sie ist mittlerweile sieben Monate alt.“
Der knallharte, arrogante Hawke Reynolds bekam einen weichen Ausdruck in den Augen. „Alison? Nach deiner Mom?“
Isabelle nickte stumm.
„Das ist wunderbar, Izzie.“
Das ist wunderbar, Izzie.
Der leise Satz, der geradezu zärtlich klang, hallte in ihrem Kopf wieder und brachte sie völlig aus der Fassung. Vielleicht lag es daran, dass er ihren Spitznamen mit so viel Gefühl ausgesprochen hatte, dass es sie an die Zeit erinnerte, als zwischen ihnen alles gestimmt hatte und sie beide wahnsinnig glücklich gewesen waren.
Hier passierte gerade etwas, was ganz und gar nicht gut war, entschied sie mit einem Anflug von Panik. Es durfte unter keinen Umständen geschehen, dass sie ihm wieder Gefühle entgegenbrachte. So dumm und so vergesslich durfte sie einfach nicht sein.
„Du solltest dich ausruhen“, schlug sie ihm gespielt leichthin vor und sammelte ihre Unterlagen zusammen.
„Ist alles in Ordnung?“
Während sie ihren Gurt öffnete, beschied sie: „Natürlich. Die nächsten Tage werden ziemlich anstrengend sein, deshalb will ich dich nicht länger stören.“ Isabelle erhob sich, winkte ihm lässig und verschwand auf ihren Sitz in der vorderen Reihe, wo auch die übrigen Coaches saßen, dösten oder im Flüsterton miteinander sprachen, um die allgemeine Ruhe nicht zu stören.
Sie versuchte ebenfalls, ein bisschen Ruhe und Ablenkung zu bekommen, aber das war nicht so einfach, denn ihre Gedanken kreisten um Hawke und darum, dass sie nicht zulassen durfte, wieder etwas für ihn zu empfinden. Es wäre eine absolute Katastrophe, wenn sie sich dazu hinreißen lassen würde, wieder Gefühle für ihn zu entwickeln.
Bis sie in Texas landeten, war Isabelle völlig rational und hatte erkannt, dass sie sich umsonst Sorgen gemacht hatte.
Natürlich empfand sie nichts für Hawke.
Dieses Kapitel hatte sie längst und unwiderruflich beendet.
Vermutlich war einfach ein bisschen Wehmut über sie gekommen, als sie dicht neben ihm gesessen und mit ihm über ihre Familie geredet hatte. Wehmut gepaart mit Erinnerungen an schöne Zeiten miteinander war kein Gefühl, das tiefer ging oder das man empfand, wenn man in jemanden verliebt war. Das durfte sie nicht verwechseln.
Hawke war nichts anderes als ihre Jugendsünde gewesen – eine Dummheit, die man beging, wenn man unreif und voller Hormone war und es nicht besser wusste.
Heute wusste sie es besser und würde deshalb nicht den gleichen Fehler ein weiteres Mal machen.
Er war ein Footballspieler und sie war ein Coach.
Mehr gab es zu ihnen nicht zu sagen.
Als sie am nächsten Abend jedoch an der Seitenlinie stand, ihm dabei zusah, wie er das Spiel gewann, und anschließend von ihm stürmisch umarmt wurde, schlug ihr Herz so schnell und so aufgeregt, wie es ihr bisher mit keinem anderen Footballspieler passiert war, den sie gecoacht hatte.