Juni 1985, Riekenbüren

Hasso Heflik kam mit der Zeitung in der Hand aus der Schreinerei, überquerte den Hof und pochte an die Tür seiner Eltern. Sie war noch verschlossen. Wenn die beiden aufgestanden waren, wenn seine Mutter vor dem Frühstücken den Schlüssel herumgedreht hatte, blieb sie für den Rest des Tages offen. Aber nun schienen sie noch nicht so weit zu sein.

Hasso sah auf die Uhr. Kurz nach sieben. Er war zu früh. Zwar hing der Schlüssel für die Wohnung seiner Eltern in der Schreinerei, aber er sollte nur für den Notfall benutzt werden. Hasso machte kehrt und ging zurück. Er würde warten, bis seine Mutter in der Küche mit dem Kaffeekochen anfing.

In der Schreinerei faltete er die Zeitung noch einmal auseinander und starrte den Artikel an, der ihn am Morgen regelrecht angesprungen hatte. Es stimmte also, was Nicole am Abend erzählt hatte. Er selbst hatte es nicht glauben können, obwohl Nicole versichert hatte, dass sie es von Romy gehört hatte, die wiederum von Brit in Kenntnis gesetzt worden war. Warum war seine Schwester nicht auf die Idee gekommen, auch in Riekenbüren anzurufen?

Er war fassungslos, dass er es aus der Zeitung erfahren musste: Seine Nichte hatte sich mit Mike Heiser verlobt, da stand es schwarz auf weiß. »Ich glaub’s nicht!«, murmelte Hasso.

Was wurde nun aus dem König Augustin und den Hotels, die Knut Augustin hinterlassen hatte? Er ließ sich schwer auf seinen Schreibtischstuhl fallen. Was hatte er selbst doch für ein Glück, dass es einen Nachfolger gab, der die Schreinerei Wunder weiterführte!

Er hörte Halinas Stimme, die zwei Gesellen begrüßte, ihr helles Lachen, ihre leichten Schritte. Noch einmal bedankte er sich heimlich für sein Glück, mit Halina verheiratet zu sein. Als sie in sein Büro kam, strahlte er ihr entgegen, sodass sie stutzte. »Ist was?«

»Ich freue mich, dich zu sehen.«

Sie runzelte die Stirn. »Du hast mich noch vor einer Stunde gesehen.«

»Darf ich mich nicht trotzdem freuen, dich zu sehen?«

Halina schüttelte den Kopf, konnte sich aber ein Grinsen nicht verkneifen. »Was meinst du? Wird es eine große Verlobungsfeier geben? Dann brauche ich ein neues Kleid.«

Hasso wehrte ab. »Das glaube ich nicht. Wenn die Verlobung noch groß gefeiert wird, dann mit irgendwelchen Promis. Ein Schreiner aus Riekenbüren wird garantiert nicht eingeladen.«

»Das glaube ich nicht«, sagte Halina. »Kari ist zwar ein verrückter Feger, aber die Familie bedeutet ihr viel.«

»So viel, dass wir aus der Zeitung von ihrer Verlobung erfahren müssen? Und überhaupt … war sie in den letzten Monaten mal hier? Hat sie ihre Großeltern besucht? Oder sich nach ihnen erkundigt?«

Halina winkte ab, als wollte sie nichts davon hören. Sie hockte sich auf die Ecke von Hassos Schreibtisch. »Wenn ich noch daran denke, wie du früher heimlich mit Brit telefoniert hast …! Als sie noch Angst haben musste, dass deine Eltern sie finden und ihr das Kind wegnehmen könnten!«

»Kari hat keine Ahnung, was ihre Mutter auf sich genommen hat, um sie behalten zu können.«

»Das ist ganz normal für eine Mutter.«

»Auch wenn sie noch so jung ist wie Brit damals? Und wenn sie nicht weiß, wie sie ihr Kind ernähren soll? Dass Brit Arbeit gefunden hat, obwohl sie minderjährig war, grenzte an ein Wunder.«

»Sie hatte Romy, die ihr geholfen hat. Und dann hat sie zum Glück Olaf gefunden. Brit ist der Beweis dafür, dass es immer weitergeht, wenn man nur will.«

Hasso dachte eine Weile über ihre Worte nach. »Meine Eltern bereuen heute noch sehr, dass sie Brit damals weggeschickt haben. Wenn das auch die Idee des anderen Großvaters war, sie haben sich gern darauf eingelassen, damit niemand erfuhr, dass Brit schwanger war. Dabei haben sowieso alle durchschaut, was Sache war.«

»Die Leute! Die Leute!« Halina spuckte diese Worte beinahe aus. »Das Gerede der Nachbarn war wichtiger als Brit.«

Hasso stand auf. »Das alles ist jetzt Vergangenheit! Meine Eltern würden nicht noch einmal so handeln. Und zum Glück hat Brit ihnen verziehen.«

Ein Geselle steckte den Kopf ins Büro. »Können Sie mal eben kommen, Chef?«

»Bin sofort da!« Hasso küsste seine Frau. »Sie entschuldigen mich, Madame?«

»Nur, wenn ich den Lieferwagen haben kann. Ich muss Getränke für den Campingplatz holen.«

»Genehmigt!«

Als sie vom Büro in die Werkstatt traten, kam Edward Heflik von draußen herein, Frida folgte ihm auf dem Fuße. Hasso grinste sie an. »Ihr seht so aus, als hättet ihr es bereits erfahren.«

Edward nickte. »Die Jonkers waren gerade da. Sie haben die Zeitung früher gelesen als wir.«

Fridas Stimme war ganz ehrfürchtig. »Sie hat sich mit einem sehr reichen Mann verlobt. Das ist einer, der manchmal sogar in der Zeitung steht.«