Januar 1986, Riekenbüren
Riekenbüren befand sich im Ausnahmezustand. Piet, der älteste Geselle, hatte mitbekommen, wie sein Chef einen Anruf erhielt, der ihn aufwühlte, und gehört, wie er zu seiner Frau sagte: »Stell dir vor, Kari kommt.«
Piet erzählte es seiner Frau, die sich gerade zum Friseur aufmachte und es dort natürlich zum Besten gab. Eine besonders zuverlässige Art, aus einer Neuigkeit ein Lauffeuer zu machen. Die Friseurin verriet es daraufhin jeder Kundin, alle gaben es in der folgenden Stunde überall dort weiter, wo mehrere Menschen aufeinandertrafen, und schon am Ende des Tages bekamen die Letzten, die noch an eine Sensation glaubten, zu hören: »Weiß ich schon.«
Kari Heiser, die Frau des berühmten Modedesigners, deren Verlobung und Hochzeit durch den Blätterwald gerauscht war und deren Hochzeit es sogar auf die Titelseiten der Regenbogenpresse geschafft hatte! Kari Heiser, die nun zum Jetset gehörte, machte einen Besuch in Riekenbüren! Dabei war sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr da gewesen. Ursula Berghoff hatte bereits die allerschlimmsten Befürchtungen nicht nur gehegt, sondern hinter vorgehaltener Hand auch geäußert, da man ja schließlich wusste, wie es damals mit Brit gewesen war, als sie so lange von der Bildfläche verschwunden war. Jahrelang sogar! Nun aber machten ganz andere Vermutungen die Runde. Für eine Frau wie Kari war es doch in Riekenbüren viel zu langweilig und uninteressant. Sie war extravagante Orte gewöhnt, Luxus und Überfluss. Sie verkehrte nun dort, wo man ihr jeden Wunsch von den Augen ablas. Wie war es möglich, dass sie sich entschloss, sich im Heimatdorf ihrer Mutter blicken zu lassen? Alle wollten sich mit einem Mal daran erinnern, wie sie ausgesehen hatte, als sie zum ersten Mal nach Riekenbüren kam. Drei oder vier Jahre alt war sie gewesen, da gab es unterschiedliche Ansichten, und ein süßes, blond gelocktes kleines Mädchen. Brit war frisch verheiratet gewesen, und keiner der Frauen von Riekenbüren war klar, ob dieser Mann eigentlich Karis Vater war. Zwei oder drei Frauen, die die Mutter von Romy Wimmer kannten, wollten dort mal nachfragen, ob die etwas wusste. Vergessen hatte natürlich auch niemand, dass Brit und Olaf Rensing mit einem Automodell vorgefahren waren, das in Riekenbüren bisher nur gesehen worden war, wenn der Fabrikbesitzer aus dem Nachbarort in der Schreinerei Wunder eine Bestellung aufgab. Staunend hatte man damals zur Kenntnis genommen, dass Brit nun die Frau eines Café- und Hotelbesitzers war. Angeblich! Dieses Wort war lange beigefügt worden, bis sich endlich ein Riekenbürener entschloss, Urlaub auf Sylt zu machen. Richard Diekamp, der Gewerbelehrer, hatte geerbt und befunden, dass er sich mal etwas gönnen könne. Er bekam natürlich den Auftrag, sich das König Augustin gründlich anzusehen und zu kontrollieren, ob das Haus wirklich so erstklassig war, wie Brit hatte durchblicken lassen.
Ursula Berghoff hatte den heimkehrenden Sylturlauber schon ins Kreuzverhör genommen, da war er gerade erst aus dem Auto gestiegen und hatte sich noch nicht mal den Rücken gedehnt. Als Richard bestätigte, dass das König Augustin genau so war, wie Brit berichtet hatte, war nicht ganz klar gewesen, ob Ursula Berghoff sich darüber freute oder nicht. Dass ausgerechnet Brit, die heimlich ein gefallenes Mädchen genannt worden war und ihren Eltern viele Sorgen gemacht hatte, nun in besonders guten Verhältnissen lebte, fanden einige nicht ganz gerecht. Ursula Berghoff erst recht nicht. Der Pfarrer war der Einzige, der sich unverhohlen freute, dass ein verlorenes Schaf mit besonders viel Wolle zur Herde zurückkam, wie er es nannte.
Frida und Edward wurden von Hassos Nachricht überrascht, während Frida Kartoffelsuppe kochte und Edward sich schimpfend eine Fernsehsendung ansah, die ihm nicht gefiel.
Frida begannen die Knie zu zittern. »Sie kommt allein?«
Hasso ließ sich am Küchentisch nieder und bat um einen Kaffee. »Klar.«
»Den weiten Weg von Sylt nach Riekenbüren?«
»Sie ist nicht auf Sylt, sondern ganz in der Nähe. In Achim.«
Edward begriff sofort, was das bedeutete. »Sie ist in das Entbindungsheim gezogen?«
Hasso nickte. »Nicole hat erzählt, dass Kari auf Sylt ständig von Reportern belagert wird. Sie will ihre Ruhe. Offenbar ist bisher niemand darauf gekommen, dass sie sich im Entbindungsheim versteckt hat.«