März 1986, Achim

Mike Heiser erschien wie der Sieger über alle Philister, nach einem Kampf, den andere für ihn ausgefochten hatten, mit Lorbeeren bekränzt, die ihm nicht zustanden. Von seiner Entourage hatte er sich in der Hotellobby leutselig verabschiedet und ihnen versichert, sie herbeizurufen, sobald Mutter und Kind für die Fotos hergerichtet waren. Natürlich hatte er durchblicken lassen, dass er Frau und Tochter schon am Abend zuvor besucht habe, um festzustellen, dass es Kari sehr gut gehe und seine Kleine das entzückendste Baby sei, das ihm jemals untergekommen war. Das verständnisvolle Lächeln, das alle närrischen, übergeschnappten Väter erhielten, hatte er von den Journalisten wie Applaus entgegengenommen und war aus dem Hotel stolziert.

Die Stimmung auf der Entbindungsstation gefiel ihm nicht. Er hatte damit gerechnet, dass die Hebammen und Säuglingsschwestern schon auf ihn warteten und darin wetteifern würden, ihn zu seiner Frau zu führen. Tatsache aber war, dass nur der Portier ihn hereinließ und ihn dann zum Warten in eine Sitzecke schickte. »Ich schau mal, ob jemand da ist.«

Ärgerlich betrachtete er die Zeitschriften, von denen alle veraltet und voller Eselsohren waren, die schmuddeligen Titelseiten, die schon von vielen verschwitzten Händen aufgeblättert worden waren. Warteten hier etwa werdende Väter oder nervöse Großeltern? Abrupt stand er auf. Zu denen gehörte er nicht, zu denen wollte er nicht gehören. Warum ließ man ihn überhaupt warten? Er war der Ehemann von Kari Heiser, der Vater ihres Kindes, es gab keinen Grund, ihn nicht umgehend zu Frau und Tochter zu führen.

Als endlich eine Hebamme erschien, die – so vermutete er aufgrund ihres Alters – eine leitende Funktion hatte, war er gerade so weit, einen seiner Wutanfälle zu bekommen, die seine Models fürchteten. Mike Heiser war eigentlich ein freundlicher, umgänglicher Mann, immer höflich, meistens verständnisvoll. Aber die Grenze, hinter der seine Tobsucht lauerte, war wie der Sturz von einer sanften Wiese in einen brodelnden Gebirgsbach. Jeder, der ihn kannte, vermied es tunlichst, dort hineinzufallen. Solange man noch versuchte, den Kopf über Wasser zu halten, konnte man schon Worte wie »Idiot«, »unfähig« oder »Kündigung« zu hören bekommen.

Die Hebamme hatte es also gerade noch geschafft, diesen Sturz zu verhindern, wusste es allerdings nicht. Sonst wäre sie nicht das Risiko eingegangen, Mike Heiser kühl und ohne die geringste Bewunderung anzusprechen, so wie jedermann. Ein Unding! So was war Mike Heiser schon lange nicht mehr untergekommen.

Zehn Minuten später allerdings wurde ihm schlagartig klar, warum man ihn behandelte wie Apollon, der den Überbringer einer schlechten Nachricht zum Tode verurteilte. Schon Karis schuldbewusste Miene machte ihn stutzig, hatte er doch glückliches Strahlen erwartet, und als er sich über das Babybett beugte, traf ihn beinahe der Schlag. Er starrte das Kind an, das friedlich schlief, dann blickte er auf und suchte in Karis Gesicht nach einer Erklärung. Natürlich musste sie ihm keine geben, er wusste auch ohne jedes Wort von ihr, was geschehen war. Was das für seine Zukunft bedeutete, fiel ihm erst Stück für Stück ein. Und mit jedem Stück, das in sein Bewusstsein fiel, brach ein Stück von dem Gebäude ein, das er hatte errichten wollen. Ein Leben als Heterosexueller, ein Leben als erfolgreicher Mann, ein Leben als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft. Kein Schwuler, der nicht wirklich dazugehörte!

Dann fiel ihm das Naheliegendste ein. »Wie sollen wir dieses Kind der Presse präsentieren?«

Natürlich nahm Kari ihm übel, dass er so reagierte, dass er kein nettes Wort für ihr Kind hatte, dass er nicht einmal der Form halber und mit gewohnter Höflichkeit herausbekam, wie süß die Kleine war.

»Wer war das?«, fragte er dann und vergaß, den Brillantring hervorzuziehen, den Kari später, beim Fototermin, der Presse präsentieren sollte. »Einer der Half Brothers ? Oder der Kerl, den du mitgebracht hast?«

»Ich habe dir vorher schon gesagt, dass ich einen Filmriss hatte …«

»Du weißt es also nicht?«

Darauf antwortete Kari nicht. Aber sie präsentierte ihm zum Glück einen guten Weg, aus diesem Dilemma herauszukommen. Fürs Erste! »Wie wir später damit umgehen, müssen wir dann in aller Ruhe bereden.«

Damit war Mike einverstanden. Das letzte und entscheidende Treffen mit den Fernsehproduzenten war in Kürze geplant. Wenn er die Verträge unterschrieben hatte, würde Zeit genug sein, das weitere Vorgehen zu besprechen. Erst mal die Presse zufriedenstellen! Nur darauf kam es im Moment an!