März 1986, Hamburg

Arne hatte eine Weile im Vorratsraum zugebracht, um einen Rotwein zu suchen, nach dem ein Stammgast gefragt hatte. Nun musste er leider bekennen, dass er diesen Wein nicht auf Lager hatte. Er wand sich durch das vollbesetzte Lokal, schob hier einen Kellner beiseite und bat dort einen Gast, ihn durchzulassen. Das Stimmengewirr war gewaltig, das Gelächter manchmal so laut, dass es in den Ohren wehtat. Als er fast bei dem Stammgast angekommen war, um ihm einen anderen Rotwein zu empfehlen, traf ihn ein Name, der an einem kleinen Tisch fiel, an dem drei Männer saßen. Offenbar Geschäftsfreunde. »Olaf Rensing.«

Arne blieb wie angewurzelt stehen, griff nach einer Speisekarte, die auf einem Stehtisch lag, und gab vor, sie durchzublättern. Aber die drei steckten nun die Köpfe zusammen, es war nicht zu verstehen, was über Olaf Rensing gesprochen wurde.

Carsten kam vorbei, ein Tablett mit Sektgläsern in der Hand. »Hast du es mitbekommen?«, fragte er flüsternd.

Arne schüttelte den Kopf. »Nur den Namen.« Er betrachtete Carstens ernstes Gesicht. »Was ist mit Olaf?«

»In fünf Minuten hinter der Theke«, gab Carsten zur Antwort und trug sein Tablett zu einem Tisch im hinteren Bereich das Carar .

Sechs Minuten später wusste Arne Bescheid. Olaf Rensing war gestorben, plötzlich und unerwartet, von einem Augenblick auf den anderen.

Carsten sah ihn misstrauisch an. »Vielleicht war es ein Fehler, dass ich es dir gesagt habe?«

Arne wusste, was er meinte, bemühte sich aber, seine Aufregung herunterzuspielen. »Das hätte ich doch sowieso irgendwann erfahren.«

»Du meinst, aus der Zeitung? Weil es sich um den Schwiegervater von Mike Heiser handelt?«

»Zum Beispiel.«

»Du willst also nicht schon wieder Urlaub nehmen, um nach Sylt zu fahren?«

Arne drehte seinem Freund den Rücken zu, nahm eine Flasche Campari aus dem Regal und antwortete, bevor er sich wieder umdrehte: »Doch, das will ich.«

»Florian!«, sagte Carsten, weil der Barkeeper ihnen sehr nah war. »Sag mir, was das für einen Sinn haben soll?« Er zog Arne nun mit sich zu einer Tür, auf der »Privat« stand. Dahinter gab es einen Flur, der nach draußen führte, und eine Treppe ins erste Obergeschoss. »Geht es um dein Erbe? Was Olaf Rensing hinterlässt, gehört eigentlich dir.«

»Das will ich nicht. Ich heiße Florian Aldenhof und habe mit dem Erbe von Knut Augustin nichts mehr zu tun. Ich habe mich damals entschieden, darauf zu verzichten. Dabei bleibe ich.«

»Also geht es dir um Brit?«

Arne schaffte es, weder Ja noch Nein zu sagen. »Sie braucht mich.«

In Carstens Gesicht stieg dunkle Röte. Arne kannte ihn, sein Freund war jetzt so wütend, dass er damit rechnen musste, von ihm geschüttelt und angeschrien zu werden. Aber er hatte Glück. Carsten holte tief Luft und riss sich zusammen. »Sie braucht einen Mann, auf den sie sich verlassen kann. Genau so einen Mann hat sie soeben verloren. Sie hat jetzt das König Augustin allein am Hals. Und die Cafés deines Vaters. Wie willst du ihr dabei helfen, Arne? Du hast hier deinen Lebensmittelpunkt, hier in Hamburg. Das Carar ist dein König Augustin. Vergiss das bitte nicht.«

Arne ließ den Kopf hängen. »Du hast ja recht.«

»Außerdem … du heißt Florian Aldenhof. Du könntest nicht wieder mit ihr zusammen sein. Nicht einmal als Florian Aldenhof. Weißt du, wie stümperhaft deine falschen Papiere sind? Bis jetzt ist immer alles gut gegangen. Aber was ist, wenn mal irgendein Beamter genauer hinsieht? Fordere das Schicksal nicht heraus!«

»Ich habe keine Straftat begangen, nichts getan, womit jemand geschädigt wurde. Ich wollte nur nicht mehr Arne Augustin sein, das ist alles.«

»Falsche Papiere sind eine Straftat.«

»Wetten, dass ich dafür nicht in den Knast muss?«

Das gab Carsten widerwillig zu. »Aber was ist mit Linda? Jetzt ist sie Witwe. Wenn du wieder auftauchst, ist sie nach wie vor mit dir verheiratet.«

»Nicht, wenn ich Florian Aldenhof bleibe.«

»Sie war im Carar , vergiss das nicht. Ich glaube nicht, dass sie zufällig hier war.«

Die Tür zum Thekenraum öffnete sich, ein Kellner blickte in den Flur. »Hier sind Sie! Ich habe Sie schon überall gesucht, Herr Aldenhof.«

»Was ist los?«, fragte Arne.

»Eine Dame möchte Sie sprechen. Sie sitzt an dem kleinen Tisch am Fenster.«

»Okay.« Arne folgte ihm. Der Kellner wies knapp zu dem Tisch, an dem eine Frau saß, die Arne ihr Profil zukehrte.

Arne prallte zurück, fuhr zu Carsten herum und versuchte, sich an ihm vorbeizudrängen, als wollte er flüchten.

Aber Carsten hielt ihn auf. »Die kommt mir bekannt vor. Wer ist das?«

Doch Arne schüttelte ihn ab. Nein, nie wieder weglaufen! Er antwortete nicht auf Carstens Frage, er ging auf die Frau zu …