März 1986, Riekenbüren
Seit Edward das Baby mit der dunklen Haut gesehen hatte, war er noch grantiger geworden als zuvor. Wenn er früher wenigstens noch gelegentlich gelächelt hatte, war es damit nun ganz vorbei. Er klagte über die Schlechtigkeit der Welt, über die Leichtlebigkeit der jungen Leute von heute, darüber, dass die Moral mit Füßen getreten wurde und niemand mehr wusste, was Anstand bedeutete.
»Angefangen hat alles mit Brits Klassenfahrt nach Sylt«, sagte er oft, und seit er Alisia gesehen hatte noch öfter. »Wenn sie dort diesem gewissenlosen Kerl nicht begegnet wäre …«
Spätestens an diesem Punkt seiner Tiraden unterbrach Frida ihn. »Es hat keinen Sinn, über etwas zu jammern, was sich nicht rückgängig machen lässt.«
»Das ist sein Erbgut«, klagte Edward diesmal trotzdem weiter. »Geld verdirbt den Charakter, das habe ich immer schon gesagt. Unsere Enkelin betrügt ihren Mann schon vor der Hochzeit! Das muss man sich mal vorstellen!«
Frida war in die Küche zurückgekehrt, nachdem sie das Telefonat mit Dennis geführt hatte. Das Telefon stand auf dem Flur, auf einem Tischchen direkt neben der Haustür. Edward hatte diesen Ort ausgewählt, weil es dort kalt und zugig war und niemand auf die Idee kommen würde, lange, teure Ferngespräche zu führen.
»Dennis behauptet, Nicole wäre krank«, erzählte Frida nun, um ihren Mann von dem Thema abzulenken, das immer im Streit endete.
Aber es gelang ihr nicht. »Dennis kann nicht mit Geld umgehen, und Nicole ist so dumm, dass sie zur Sonderschule gehen musste. Das kann nur von Halinas Seite kommen, in meiner Familie hat es so was nie gegeben.« Er blickte seine Frau fragend an. »In deiner etwa?«
Frida antwortete nicht darauf, weil es vollkommen sinnlos war, auf diese Klagen einzugehen. Auch sie war erschüttert über das, was ihr Mann Karis moralische Verkommenheit nannte, und hatte Mühe, einen schonungsvolleren Begriff für das Verhalten ihrer Enkelin zu finden. Auch sie fragte sich oft, warum Dennis Schwierigkeiten hatte, an einer Spielhalle vorbeizugehen und Nicole auf der Sonderschule gelandet war. Aber diese Fragen nagten nicht an der Liebe zu ihren Kindern und Enkelkindern. Zwar war sie davon überzeugt, dass auch Edward seine Nachkommen liebte, aber es machte sie doch immer wieder betroffen festzustellen, wie sehr seine Liebe an den Erfolg der Kinder gekoppelt war. Hasso war ein würdiger Nachfolger für seinen Betrieb, worüber Edward einerseits glücklich war, andererseits konnte er nicht vergessen, dass er für ihn eigentlich die Tochter des benachbarten Bauern vorgesehen und sein Sohn sich unterstanden hatte, eine andere zu heiraten, die aus ärmlichen Verhältnissen stammte. Seine Tochter hatte sich noch Schlimmeres zuschulden kommen lassen. Brit war mit sechzehn schwanger geworden, hatte sich überdies geweigert, diesen Umstand zu vertuschen, war dann aber immerhin mit dem richtigen Mann zu einer wohlhabenden Frau geworden, womit sie einiges abgebüßt hatte. Nun aber die Enkel! Dennis konnte nicht mit Geld umgehen, Nicole hatte nicht richtig lesen und schreiben gelernt, und Kari hatte diesen Problemen noch die Krone aufgesetzt: ein Kind von unklarer Herkunft, dazu ein Ehemann, der nicht der Vater sein konnte, und das nach dem allerersten großen Stolz, weil die Enkelin einen berühmten und sogar reichen Mann geheiratet hatte. Wenn Frida diese Positionen heimlich auflistete, konnte sie sogar verstehen, dass Edward enttäuscht und unglücklich war. Sie selbst war es dann auch.
»Was wird nun aus Kari und Mike Heiser?«, wollte sie wissen, richtete diese Frage aber mehr an sich selbst als an Edward.
»Natürlich lässt er sich scheiden«, antwortete ihr Mann. »Was denn sonst? Es wundert einen ja, dass die Zeitschriften noch nicht darüber berichten.«
»Noch weiß es ja keiner.«
»So was lässt sich doch nicht lange vertuschen.«
»Stimmt.« Frida war genauso ratlos wie Edward. »Aber Brit hat gesagt, wir sollen nicht darüber reden.«
Edward schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Als wenn ich freiwillig darüber reden würde, dass ich ein Enkelkind habe, das so aussieht.«