März 1986, Sylt
Arne saß in einem schäbigen Büro auf einem unbequemen Holzstuhl vor einem alten, abgeschabten Schreibtisch und hielt sich den Kopf. Der Schlag war heftig gewesen. Nicht ganz so heftig, wie er vorgab, aber er hielt es für klug, auf starke Kopfschmerzen und einen schweren Schock hinzuweisen, wenn konkrete Angaben von ihm verlangt wurden.
Er war erst zu sich gekommen, als ihm zwei Polizeibeamte Handschellen anlegten. »Können Sie aufstehen?«
Wortlos hatte er sich aufgerappelt und sich umgesehen. Ein hässlich grinsender Securitymann stand vor ihm und schaute ihn triumphierend an. Arne wurde gleich klar, dass der es gewesen sein musste, der ihn entdeckt und niedergeschlagen hatte. Er schloss die Augen und ließ den Kopf hängen. Was war eigentlich geschehen? Er hatte Mühe, seine Erinnerungen in die Gegenwart zu holen. Er war doch allein gewesen, hatte niemanden gesehen. Dann fiel es ihm wieder ein: Er wollte sein Enkelkind retten. Alisia, die vielleicht in diesem Haus war. Während er den Polizisten zu dem Streifenwagen folgte, der auf der Einfahrt geparkt worden war, fielen ihm auch wieder alle Zweifel ein, die ihm gekommen waren, während er in dem Gebüsch auf eine Gelegenheit gewartet hatte, ungesehen ins Haus zu kommen. Und nun saß er hier im Polizeirevier an der Kjeirstraße und wartete darauf, vernommen zu werden. Ein älterer Polizist hatte ihn auf diesen Stuhl gedrückt und ihn zu seiner Person und seiner Motivation befragt. »Wer sind Sie? Was wollten Sie bei Mike Heiser?«
Er hatte seinen Namen genannt, seine Papiere vorgelegt und voller Entschiedenheit den Verdacht zurückgewiesen, er habe in die Villa einbrechen und nach Geld und Wertgegenständen suchen wollen. »Ich war nur neugierig«, hatte er behauptet. »Ich wollte mal sehen, wie so ein berühmter Mann wohnt.«
Aber dann hatte er durch die geschlossene Tür gehört, wie ein Polizist mit Julian Haarbeck telefoniert hatte. Wenn der erfuhr, wer im Garten der Heiser-Villa verhaftet worden war, wussten die Beamten mittlerweile, dass er sich recht gut dort auskannte. Wie sollte er erklären, dass er im Gebüsch gesessen und das Haus beobachtet hatte?
Die Tür öffnete sich, der ältere Beamte, der sich als Hauptwachtmeister Werries vorgestellt hatte, erschien und ließ sich an dem Schreibtisch nieder. Auf die leere Tischplatte legte er Arnes Personalausweis mit feierlicher Geste, genau in die Mitte der Schreibunterlage. Er korrigierte die Ecken seines Ausweises sogar, bis er sicher war, dass alle vier rechten Winkel korrekt verliefen.
»Wie heißen Sie?«, fragte er.
Arne war noch zu benommen, um die Frage merkwürdig zu finden. »Florian Aldenhof«, antwortete er folgsam.
»Ihren richtigen Namen will ich wissen«, sagte Werries und sah ihn unter heraufgezogenen Augenbrauen an.
Nun wurde Arne hellhörig. Richtiger Name? Was ging hier vor? »Florian Aldenhof«, wiederholte er leise und vorsichtig.
Werries nahm seinen Ausweis hoch, wedelte damit durch die Luft, als wollte er lästige Fliegen verscheuchen und positionierte ihn dann wieder so sorgfältig wie vorher auf der Tischplatte. »Das ist eine ziemlich plumpe Fälschung«, sagte er. »Wer sind Sie wirklich?«
Arne dachte an Carsten und seine Warnungen und leistete im Stillen Abbitte. Nun war es genau so gekommen, wie sein Freund befürchtet hatte. Worauf würde das hinauslaufen? Zurzeit war er unfähig, sich auszumalen, was auf ihn zukommen würde, wenn er seine wahre Identität preisgeben musste. Brits Gesicht erschien vor ihm, aber auch Lindas hochmütige Miene und das Lächeln ihres Vaters. Was hatte er Robert König angetan, als der damals glaubte, sein Schwiegersohn sei tödlich verunglückt? Diese Frage schoss ihm seit Jahren zum ersten Mal wieder durch den Kopf. Onkel Robert hatte ihn geliebt, als er sein Schwiegervater geworden war, noch ein bisschen mehr. Aber Verständnis dafür, dass er in seiner Situation als Erbe von Knut Augustin kreuzunglücklich war, hatte er auch nicht gehabt.
»Raus mit der Sprache«, forderte Polizeihauptwachtmeister Werries. »Wie ist Ihr Name? Und warum tragen Sie gefälschte Papiere bei sich?«
»Ich heiße Arne Augustin«, antwortete Arne so leise, dass Werries sein linkes Ohr vorschob, um besser zu verstehen. »Und gefälschte Papiere habe ich, weil ich tot bin.«