März 1986, Sylt
Hauptwachtmeister Werries saß mit offenem Mund da, als Arne geendet hatte. »Sie … Sie haben … Sie hatten ein Leben, um das Sie viele beneideten. Einen reichen Vater, eine bildschöne Frau, und trotzdem …?« Werries brach ab, völlig fassungslos.
»Trotzdem war ich nicht glücklich«, beendete Arne den Satz. »Aber die Gründe dafür möchte ich hier nicht darlegen.« Er hatte, während ihm nichts anderes übrig geblieben war, als mit der Wahrheit herauszurücken, an Sicherheit gewonnen. Wenn er zwischendurch Luft geschöpft und eine kurze Pause gemacht hatte, war ihm jedes Mal Brits Bild vor dem geistigen Auge erschienen und ihr Name durch seinen Kopf gehuscht. Brit! Aber auch Olafs Name und dessen Gesicht hatte er vor sich gesehen. Sein Halbbruder! »Es ist nicht strafbar, sein Leben ändern zu wollen.«
Werries überlegte, als wollte er Arnes Satz nicht bestätigen. »Aber sich Papiere fälschen zu lassen ist durchaus strafbar«, fiel ihm schließlich ein.
Arne zuckte mit den Achseln. »Eine Geldstrafe?«
Werries nickte zögernd. »Aber … das Geld Ihres Vaters hat ein anderer geerbt.«
»Die Geldstrafe werde ich mir trotzdem leisten können.«
»Und was ist mit dem unerlaubten Eindringen in ein fremdes Grundstück?«
Arne beugte sich vor und sah Werries eindringlich an. »Auch eine Geldstrafe?«
Werries überlegte. »Ist Arne Augustin vorbestraft?«
Arne schüttelte den Kopf. »Florian Aldenhof auch nicht.«
»Dann könnten Sie mit einer Bewährungsstrafe davonkommen.« Er sah Arne streng an. »Sie haben nichts gestohlen?«
»Nein.«
»Aber Sie wollten.«
»Auch nicht.«
»Was wollten Sie dann bei Mike Heiser?«
»Das … möchte ich Ihnen nicht erklären.«
Diese Antwort gefiel Hauptwachtmeister Werries nicht. Er überlegte lange und angestrengt, und Arne sah ihm an, dass er ihn gern in Untersuchungshaft nehmen würde. »Sie haben einen festen Wohnsitz?«
»In Hamburg.« Arne diktierte ihm seine Adresse.
»Sie sind verheiratet?« In Werries’ Augen blitzte der Verdacht auf, Arne Augustin der Bigamie verdächtigen zu dürfen.
Aber Arne schüttelte den Kopf. »Nein. Ich nehme an, dass meine Ehe mit Linda König noch Gültigkeit hat.«
Werries nickte, als hätte er nun doch etwas gegen Florian Aldenhof in der Hand, was sofortige Verhaftung möglich machte. Aber dann fiel sein kleiner Triumph wieder in sich zusammen. »Soviel ich weiß, ist Frau König auch nicht verheiratet.« Er sah Arne streng an. »Das wäre ein Problem geworden.«
Arne nickte folgsam und gab sich zerknirscht, weil er merkte, dass er damit am weitesten kam. »Sie haben recht.«
Hauptwachtmeister Werries machte sich eine Notiz, die Arne gerne gelesen hätte. Aber er bekam nicht die Gelegenheit dazu. »Sie halten sich zu meiner Verfügung«, sagte Werries mit dröhnender Stimme, als hätte er einen Schwerkriminellen vor sich. »Zurück nach Hamburg kommen Sie nicht, bis das hier alles aufgeklärt ist. Sobald ich das Gefühl habe, dass Fluchtgefahr besteht …«
Arne ließ ihn nicht ausreden. »Sie können sich auf mich verlassen.«
»Wo werden Sie auf Sylt wohnen? Bei Ihrer Frau?«
»Nein, im Hotel König Augustin .«
Diese Antwort fand Hauptwachtmeister Werries bemerkenswert. »Das Hotel Ihres Vaters?«
Arne nickte und hielt seinem Blick stand.
»Sie wissen, dass Olaf Rensing, der Ihren Vater beerbt hat, soeben verstorben ist?«
Wieder nickte Arne, diesmal mit niedergeschlagenen Augen.
»Und Ihr Auftauchen hier hat nicht zufällig etwas damit zu tun?«
»Was wollen Sie damit sagen?« Mit Arnes zur Schau getragener Demut war es vorbei.
Werries’ Antwort kam prompt: »Dass Sie womöglich doch noch an Ihr Erbe wollen.«
Arne beschloss, darauf nichts zu sagen. Während Werries auf eine Antwort wartete, wurde ihm wohl klar, dass dieser Aspekt ein privates und kein polizeiliches Problem war. »Also gut. Mal sehen, wie Mike Heiser reagiert. Mit einer Anzeige wegen Hausfriedensbruch müssen Sie rechnen.« Als Arne auch darauf nicht antwortete, stand Werries auf und gab ihm ein Zeichen, sich ebenfalls zu erheben. »Sie können gehen.«