April 1986, Sylt

Robert König ließ sich schwer in einen Sessel fallen, während seine Tochter stehen blieb und sich vor Arne aufbaute, als stellte sie sich in Positur.

Brit, die sich zunächst in einem Sessel in Roberts Nähe niedergelassen hatte, stand wieder auf, weil sie nicht zu Linda hochblicken wollte. So kam sie nicht dazu, Robert Königs Hand zu ergreifen, der Trost offenbar bitter nötig hatte.

»Ihr habt mich von Anfang an belogen«, stieß er hervor. Und seiner Tochter schleuderte er entgegen: »Du auch! Du hast gewusst, dass Arne lebt! Chris etwa auch?«

Nun verlor Linda etwas von ihrer Herablassung. »Er war dabei, als Carsten Tovar zu mir kam. Du wolltest damals unbedingt, dass ich ihn im Krankenhaus besuche. Von ihm habe ich erfahren, dass Arne das Unglück überlebt hat. Aber …«

»Aber?«, schrie Robert. »Warum hat es sonst niemand erfahren?«

Lindas Antwort war nun ebenso heftig. »Arne wollte aus seinem Leben verschwinden. Warum sollte ich ihn zwingen zu bleiben?«

Robert König schloss die Augen, Linda zog sich einen Stuhl heran, als wollte sie noch immer auf die anderen herabsehen, die tiefer, in weichen Polstern saßen. Brit hatte gezögert, am liebsten hätte sie sich neben Arne aufs Sofa gesetzt, zog dann aber doch den Sessel vor, in dem sie Robert König am nächsten war. Und nun nahm sie seine Hand, die er ihr aber schnell wieder entzog.

»Knut hat so gelitten«, stöhnte er.

Endlich meldete sich auch Arne zu Wort, der bis dahin wie erstarrt dagesessen hatte und sich zu fragen schien, was er angerichtet hatte. »Ich bin kurz vor seinem Tod noch zu ihm gegangen. Ich hatte gehört, dass er im Sterben liegt. Ich wollte ihm vorher sagen, dass ich lebe.«

Robert König blickte auf. »Warum? Warum das alles? Du hattest doch ein schönes Leben.«

»So kam es dir vor«, antwortete Arne schnell. »Dir und meinem Vater.« Er warf Linda einen Blick zu. »Und dir vermutlich auch? Du warst mit einem Mann verheiratet, der dir bieten konnte, was du brauchtest, und hattest deinen Liebhaber, der …«

Brit und Arne verständigten sich mit einem Blick, dass nun die ganze Wahrheit gesagt werden musste. Und sie erzählten Linda und Robert König, dass Brit das Mädchen gewesen war, das von Arne schwanger wurde, das von Knut Augustin abgelehnt wurde, dessen Kind von seinen Freunden adoptiert werden sollte, damit er es im Auge behalten konnte, und dass Kari dieses Kind war, dass sie nicht Olafs Tochter war. »Kari selbst hat es erst vor ein paar Monaten erfahren. Als sie heiratete …«

Mit einem weiteren Blick verständigte Brit sich mit Arne darüber, dass von Alisias Entführung weiterhin kein Wort gesagt werden durfte. Die Warnung des Kidnappers stand noch im Raum. »Keine Polizei!« Also so wenig Mitwisser wie möglich.

»Willst du dich scheiden lassen?«, fragte Linda in diesem Moment, sah Arne eindringlich an und warf dann Brit einen vielsagenden Blick zu. »Mir ist es egal, Chris und ich wollen nicht heiraten. Aber ihr vielleicht?«

Nun brachte Robert König ein so qualvolles Stöhnen hervor, dass er die ganze Aufmerksamkeit der anderen erhielt und niemand daran dachte, Lindas Frage zu beantworten. Er schlug die Hände vors Gesicht, aber nur kurz, dann stand er auf, obwohl er dazu kaum in der Lage zu sein schien. Mühsam rappelte er sich hoch, schwankte, griff um sich, ins Leere, und wurde schließlich von seiner Tochter aufgefangen, die als Erste reagierte und aufsprang. »Papa! Setz dich wieder!«

Aber Robert König wehrte alles ab, seine Tochter, ihre Hände, die Hilfe von Brit und Arne, die nun ebenfalls versuchten, Robert König zu stützen, und alle guten Worte. »Ich will hier raus«, stöhnte er. »Wenn Knut das wüsste! Dass er derart betrogen worden ist … Wir haben es immer gut gemeint mit euch. Aber ihr … Und der arme Olaf! So ein guter Mann. Er hatte es wirklich verdient, geliebt zu werden. Aber was tut seine Witwe?«

Brit war froh, dass er nicht auf einer Antwort bestand. Sie selbst machte nicht einmal den Versuch, darauf etwas zu sagen. Sie wusste, wie es auf Robert König wirken musste, dass Arne bei ihr war, und sie hätte keine Erklärung geben können, wenn Robert König sie von ihr gefordert hätte. Alles hätte wie billige Rechtfertigung geklungen.

Linda dagegen schien Verständnis zu haben. Vermutlich verstand auch sie alles falsch, aber sie gehörte zu den Menschen, die andere leben ließen, wie sie wollten, die moralische Grundsätze immer ihren eigenen Bedürfnissen anpassten und die es normal fanden, wenn auch andere es so hielten. Sie führte ihren Vater zur Tür des Wohnzimmers. »Du brauchst Ruhe, Papa. Morgen sieht alles schon ganz anders aus. Und Onkel Knut … als gutes Beispiel hat der nun wirklich nicht getaugt.«