Janor kämpft allein

Terrloff erreichte den Unterschlupf im hohen Gebirge, als die Sonne am höchsten stand. Er war so wild geritten, dass sein Pferd und er schweißgebadet waren. Mit finsterer Miene sprang er ab und überließ das Tier Cyril, der es sorgfältig abrieb, mit Futter versorgte und aus einem Ziegenledersack Wasser in einen Eimer goss, um es zu tränken.

Janor lehnte am Eingang zur Felsenhöhle und sah Terrloff forschend an. »Was ist geschehen?«, fragte er vorsichtig. Aber sein Freund ließ ihn ohne Antwort. Er war zu rastlos, um sich in den Schatten zu setzen. Ohne Pause ging er auf und ab, schließlich sagte er zu Janor: »Rufe Coral!«

Coral hatte tief im Innern der Höhle geschlafen. Er rieb sich müde die Augen, als er in das helle Sonnenlicht hinaustrat. Auch Cyril kam herübergelaufen. Sie setzten sich am Fuß eines hohen Felsbrockens nieder.

»Ich habe heute noch einmal mit Riamis gesprochen«, sagte Terrloff mit ungewohnt leiser und schleppender Stimme. Dann erzählte er den Freunden die Geschichte von Chlenos.

»Ein mutiger Bursche«, sagte Janor mit Bewunderung in der Stimme. Coral nickte nachdrücklich dazu. Cyril sprang auf und rief: »Wir müssen ihn herausholen!«, Terrloff lächelte. »Mein Bruder Chlenos ist der Liebling des Volkes von Ilaniz«, sagte er bedächtig, »er hat den Menschen deutlich gemacht, dass sie sich von ihrem Joch befreien können. Kaim wäre nicht mehr als ein Staubkorn, wenn er keine Macht mehr hätte; er lebt nur dafür, andere beherrschen zu können. Deshalb habe ich meinen Plan geändert. Wir werden ihm seine Macht rauben, wir werden das Volk unterstützen und schließlich dazu bringen, sich von Kaim zu befreien.«

Coral blinzelte Terrloff an: »Die Idee ist gut, aber wie willst du dieses Ziel erreichen?«

»Cyril hat recht«, sagte Terrloff, »wir müssen zuallererst Chlenos befreien. Wenn die Bauern und Arbeiter von Ilaniz erfahren, dass Chlenos entkommen ist, werden sie Kaim gleich für weniger mächtig halten.«

Janor hatte die ganze Zeit geschwiegen. Terrloff forderte ihn auf, etwas zu sagen. Der hagere Mann sah seinem Freund so lange in die Augen, bis Terrloff wegschaute. »Ich weiß, was du denkst«, sagte Terrloff, »ich will den Freiheitswillen des Volkes von Ilaniz für meine Sache nutzen. Ja, es ist wahr, genau das ist mein Plan. Wir nutzen uns gegenseitig, was soll daran schlecht sein?«, Janor schritt auf und ab. Er dachte lange nach. Dann unterbrach er seine Wanderung und sagte: »Daran ist nichts Schlechtes, wenn die Menschen keine zu großen Opfer bringen müssen und wenn sie am Ende auch wirklich frei sind«; wieder machte er eine lange Pause, dann trat er dicht vor Terrloff hin und sah ihm direkt in die Augen: »Wenn irgendeiner Kaim nur die Macht entreißen wollte, um sie dann selbst auszuüben, würde er mich immer auf der Seite des betrogenen Volkes finden.« Terrloff wandte sich von Janor ab und ging zum Eingang der Höhle. »Wir wollen dem Bauern seine Pferde zurückbringen«, sagte er, ohne auf Janors Worte einzugehen. Die Stimmung war gedrückt, als die vier Männer ihre Bündel packten und die Pferde talwärts führten.

Zur gleichen Stunde hatte Kaim fünf seiner besten Reiterführer um sich versammelt. Sie saßen um den mächtigen Eichentisch und blickten zu dem Herrn von Ilaniz auf, der breitbeinig am Kopfende der Tafel stand und finster dreinsah.

»Männer«, sagte er, »ich habe Nachrichten bekommen, die besagen, dass Terrloff vom Festland aus nach Ilaniz aufgebrochen ist. Er könnte schon gelandet sein.« Unter den Kriegsleuten entstand sofort Unruhe.

»Das ist doch nicht möglich!«, rief Yato, der Älteste von ihnen, »wie kann er unerkannt auf die Insel kommen?«, »Wir sind zu sorglos geworden in der letzten Zeit«, sagte Kaim finster, »nachdem so lange nichts geschehen war, glaubten wir einfach nicht mehr, dass irgendjemand uns auf unserer Insel stören könnte.«

Die Männer um den Eichentisch nickten zustimmend. »Es ist natürlich nicht sicher, ob er wirklich auf Ilaniz gelandet ist«, sagte Kaim nun etwas ruhiger, »die letzten Nächte waren stürmisch und der Himmel war bedeckt. Doch Terrloff ist ein erfahrener Mann. Wir müssen damit rechnen, dass es ihm gelungen ist, Ilaniz zu erreichen.«

»Ein Mann allein?«, fragte Yato zweifelnd.

»Wer weiß«, Kaim war sehr nachdenklich geworden, »auf dem Festland heißt er ›Terrloff, der einsame Reiter‹, aber meine Späher berichten, dass mehrere Männer nach Booten für eine Überfahrt gefragt haben. Wir müssen also annehmen, dass er Gefährten hat.«

»Er müsste eine Armee haben, wenn er gegen uns bestehen wollte«, wendete Yato ein.

Das schien Kaim etwas zu beruhigen. Er ließ sich nun auch in seinen fellbelegten Stuhl nieder und griff nach dem Weinbecher. »Drei von euch nehmen zwei Dutzend Männer und durchstreifen das Land«, er reichte drei Karten über den Tisch.

»Rulant hat genau eingezeichnet, welche Wege ihr nehmen sollt.« Kaim trank einen langen Schluck Wein, dann sagte er: »Wenn er auf der Insel ist, will ich ihn in drei Tagen hier sehen, tot oder lebendig.«

Die Männer nickten und Yato sagte stellvertretend für alle: »Du kennst uns, Kaim, wir finden ihn, wenn er auf Ilaniz ist.«

Dann gingen die Reiterführer hinaus, nur Rulant blieb zurück. Er sah seinen Herrn nachdenklich an: »Hast du daran gedacht, Riamis zu überwachen, zu ihr wird er zuerst gehen.«

Kaim schien die Worte nicht gehört zu haben, er blickte auf Rulant, als ob er durch ihn hindurchsehen würde, dann sagte er mit leiser Stimme: »Riamisich denke jeden Tag an sie.« Rulant setzte sich auf einen der massiven Hocker. »Wenn wir Terrloff lebend finden, solltest du den Versuch machen, dich mit ihm zu versöhnen. Das würde dir, Riamis, Adaline und mir helfen… «, weiter kam er nicht.

»Schweig!«, schrie Kaim mit seiner machtvollen Stimme, »ich will nichts davon hören.«

Rulant erhob sich. »Dein Hass ist wie eine Krankheit«, sagte er und ging durch die eisenbeschlagene Tür hinaus. Kaim blieb unbeweglich zurück, er setzte den Becher an die Lippen und leerte ihn mit einem mächtigen Zug.

 

Die Sonne ging bereits unter, als Terrloff, Coral, Janor und Cyril die nördliche Küste des Eilands erreichten. Sie hatten einen mühevollen Weg durch enge Gebirgstäler hinter sich, über steile Felsengrate, durch Schluchten und über zerbrechliche Brücken. Jetzt zogen sie die Tiere unter einen überhängenden Felsen. Cyril sollte in dem kleinen Dorf, das nur aus wenigen Häusern bestand und in dem nur vier Bauern und sieben Fischer mit ihren Familien wohnten, auskundschaften, ob Gefahr drohte. Der Junge schlich sich langsam an den Dorfrand heran. Auf den Feldern arbeiteten Bauersfrauen, tief gebückt. Mit kurzstieligen Harken lockerten sie die Erde rund um die niedrigen Orangenbäume. Andere Bäuerinnen holten aus nahegelegenen Ziehbrunnen in hölzernen Bottichen Wasser, das sie an die Wurzeln der Stauden gossen.

Cyril kam unbemerkt an den Frauen vorbei. Der Bauer, der ihnen die drei Pferde geliehen hatte, wohnte nahe am Strand. Sein Haus duckte sich hinter dichtem Buschwerk und zwei mächtigen Zypressen in eine Art Felsenkuhle hinein. Treppenstufen führten hinunter zu einer niedrigen Tür. Cyril hatte sich bis an die Hecke herangearbeitet, welche den steil abfallenden Garten begrenzte, und lag nun eng an den Boden gedrückt im hohen Gras, über sich das dichte Blattwerk der Hecke.

Mit schlangenartigen Bewegungen schob er sich unter den Zweigen des Buschwerks hindurch, blieb aber plötzlich regungslos liegen. Er hörte aus dem Haus Stimmen. Vorsichtig und ohne Lärm zu machen schlängelte er sich weiter in den Garten hinein. Da sah er zwei Pferde an der anderen Seite des Hauses stehen. An der Satteldecke erkannte er sofort, dass es sich um Tiere von Kaims Soldaten handelte.

Die Stimmen waren zu leise, um etwas zu verstehen. Cyril glitt durch das hohe Gras immer näher an das Haus heran. Jetzt konnte er Wortfetzen vernehmen.

»Ich sage euch doch, dass ich keine Fremden hier gesehen habe«, das war die laute Stimme des Bauern.

Darauf folgte unverständliches Gemurmel. »Wenn mein Nachbar so etwas behauptet, ist es gelogen. Meine Pferde sind auf der Weide, oberhalb des Teutonfelsens.«

Aus dem folgenden Gemurmel konnte Cyril das Wort »überprüfen« heraushören.

Jetzt hieß es Zeit gewinnen. Cyril wusste, wo der Teutonfelsen lag. Es war gut eine Meile von dem Punkt, wo er die anderen mit den Pferden zurückgelassen hatte, bis zu der Weide, von der der Bauer sprach.

»Ich kann euch nicht hindern«, sagte der Bauer trotzig, aber Cyril glaubte ein Zittern in der Stimme zu hören. Jetzt wurde einer der Soldaten laut: »Du kommst mit, dreckiger Bauer!«

»Wie ihr wollt«, sagte der, »aber zuvor muss ich die Schweine füttern.«

Cyril schlich tief geduckt an dem Haus vorbei zu den Pferden der Soldaten. Mit ein paar schnellen Griffen hatte er die Zügel losgebunden, dann eilte er wieder auf seinen alten Platz zurück, sammelte einige Kieselsteine und warf sie nach den Tieren. Er traf sofort. Mit einem wilden Wiehern stiegen sie hoch und galoppierten auf den Strand zu. Cyril glitt unter der Hecke hindurch. Er wandte sich noch einmal kurz um und konnte gerade noch sehen, wie die beiden Bewaffneten den Pferden nachrannten. Ohne darauf zu achten, ob er beobachtet wurde, hastete Cyril zum Dorf hinaus und in schnellem Lauf zum Versteck seiner Freunde. Als die drei ihn herankommen sahen, sprangen sie auf die Pferde. Cyril schwang sich zu Janor hinauf und schrie völlig außer Atem: »Schnell zum Teutonfelsen.«

Ohne zu fragen galoppierte Terrloff los, Janor hielt sich dicht neben ihm.

»Was ist geschehen?«, schrie Terrloff zu Cyril hinüber, der noch immer völlig erschöpft hinter Janors Sattel auf dem Rücken des Pferdes hing.

»Zwei Soldaten. Der Bauer sagte, die Pferde sind auf der Weide hinter dem Teutonfelsen. Sie kommen. Ich habe ihre Pferde verjagt, aber es kann nicht lange dauern.« Terrloff lachte laut, dann ließ er sein Pferd in Trab fallen. Sofort verlangsamten auch die anderen das Tempo.

»Was ist los?«, rief Cyril ratlos.

»Wenn wir zu schnell reiten, sind die Tiere schweißnass und erschöpft. Dann kann jeder erkennen, dass sie gerade noch geritten wurden. Wir müssen es darauf ankommen lassen. Kommen sie uns zuvor, dann werden wir sie töten müssen.«

Der Teutonfelsen war schon von weitem zu erkennen. Er schimmerte weiß in der Dämmerung.

Terrloff und seine Männer erreichten ihn. Niemand war zu sehen. Mit katzenartiger Gewandtheit kletterte Cyril auf den steil aufragenden Stein hinauf, während die anderen Männer das Sattelzeug beiseite schafften und die Tiere trockenrieben.

»Ich sehe sie!«, rief Cyril, »sie haben gerade den Dorfrand verlassen. Den Bauern zerren sie an einem Strick hinter sich her. Jetzt ist er gestürzt. Sie nehmen keine Rücksicht auf ihn. Sie schleppen ihn auf dem Boden hinter sich her. Diese Unmenschen«, der junge Cyril ballte die Faust.

»Jetzt ist er wieder auf den Beinen. Er muss sich die Lunge aus dem Leib rennen.«

»Komm herunter«, rief Terrloff, »wir müssen uns verstecken.«

Cyril hangelte sich hinab und sprang dann mitten unter die drei anderen.

»Die bringen den Bauern um!«, sagte er atemlos.

Keiner sagte etwas dazu.

Die Weide war von Felsbrocken umstanden. Jeder suchte sich einen dieser mächtigen Steine als Deckung. Reglos blieben sie liegen.

Die beiden Reiter tauchten neben dem Teutonfelsen auf. Der Bauer, an beiden Händen gefesselt, taumelte von einem der Pferde gezogen hinter ihnen her. Erschöpft brach er zusammen. Friedlich grasten die drei Tiere auf der Weide. Sie hoben die Köpfe und schnaubten, als sie die anderen Pferde witterten. Einer der Soldaten sagte: »Hol sie der Teufel!«, er machte den Strick los, an dem der Bauer hing, und der am Sattelknauf des Pferdes festgebunden war.

»Und wenn er trotzdem gelogen hat?«, fragte der andere Soldat listig.

»Kaim will nicht, dass wir ihm seine Bauern abschlachten«, sagte der erste grimmig, »sie sollen lieber arbeiten als sterben.«

Die beiden Berittenen wendeten ihre Pferde auf der Hinterhand und stoben im Galopp davon, ohne den Bauern weiter zu beachten.

Janor, der ihm am nächsten war, erhob sich, sobald die Soldaten außer Sicht waren und ging mit schnellen Schritten zu dem am Boden liegenden Mann hinüber. Cyril gab er ein Zeichen, er solle seinen Beobachtungsposten auf dem Teutonfelsen wieder einnehmen.

Als Janor sich über den Bauern beugte und ihm sacht die Hand auf die Schulter legte, fuhr der erschrocken auf. »Ruhig, ganz ruhig«, sagte Janor leise, »wir sind gut Freund!«

»Die Pferde!«, sagte der Bauer mit atemloser Stimme. »Alles in Ordnung«, Janor lächelte, »wir haben sie rechtzeitig zurückgebracht.«

Der Bauer setzte sich mit einer großen Kraftanstrengung auf. Seine Kleider waren zerrissen, das Gesicht zerschunden. Er blutete an den Händen, den Ellbogen und den Knien. »Ich bin verraten worden.«

»Von wem?«

»Ein Nachbar, der euch gesehen hat.«

»Wie heißt er?«

»Tirot.«

Janor erhob sich, nickte seinen Freunden zu, klopfte dem unglücklich am Boden hockenden Bauern auf die Schulter und ging mit ausgreifenden Schritten auf das Dorf zu. Terrloff wollte dem Bauern eine Handvoll Silbertaler geben. Aber der übel zugerichtete Mann schüttelte den Kopf. »Das Geld würde mich verraten.«

Gierig trank er aus dem Ziegenledersack, den Coral ihm reichte. Er gab sich Mühe, ein Lächeln auf sein Gesicht zu bringen.

»Ich lebe noch«, sagte er, »es ist nicht das erste Mal, dass Kaims Leute mich so misshandeln.«

Terrloff sah ihn an. »Und warum wehrt ihr euch nicht?«, Der Bauer lachte nur und verzog dabei sein Gesicht vor Schmerzen. »Wie sollen wir uns wehren? Wir dürfen keine Waffen haben, die wenigsten von uns haben Pferde. Ein Soldat Kaims wiegt hundert Bauern auf im Kampf.« Er erhob sich mit großer Kraftanstrengung auf die Füße. Coral stützte ihn.

Terrloff sah dem Mann ins Gesicht: »Du warst sehr mutig, als du meinen Männern die Pferde gegeben hast.«

»Dann bist du also Terrloff?«

»Ja, und ich bin gekommen, um der Schreckensherrschaft des Kaim ein Ende zu bereiten.«

Der Bauer sah ihn voller Zweifel an. »Der Hass ist eine Falle, in der du dich selber fängst, sagt bei uns ein Sprichwort. Auf Ilaniz hat es keinen Hass und keine Gemeinheiten gegeben, ehe Kaim uns das Land nahm. Jetzt gibt es beides. Aber es sind Fallen, glaube mir.« Cyril rief vom Teutonfelsen herab: »Im Dorf brennt ein Haus dicht neben dem deinen, Bauer.«

»Janor!«, sagte Coral.

»Das wollte ich nicht«, sagte der Bauer.

Im gleichen Augenblick sagte Janor unten im Dorf mit kalter, teilnahmsloser Stimme zu Tirot, dem Fischer: »Der nächste Verrat kostet dich das Leben.«

Die beiden Soldaten, die zur gleichen Zeit einen Bergkamm jenseits der Bucht erreicht hatten, wendeten ihre Pferde und jagten ins Dorf zurück, als sie das Feuer entdeckten. Der Fischer Tirot und seine Familie versuchten, die brennende Hütte zu löschen. Die beiden Reiter hielten dicht neben ihnen. Im flackernden Feuerschein schillerten ihre Panzer.

»Helft mir!«, rief Tirot. Die Reiter regten sich nicht. »Wer war das?«, fragte einer von ihnen mit lauter Stimme durch das Prasseln des Feuers hindurch.

»So helft mir doch!«, schrie Tirot.

»Wer es war, will ich wissen!«, schrie der Soldat.

Da blickte Tirot zu ihm auf und stammelte: »Ich selbst, ich war ungeschickt beim Anzünden des Herdfeuers!«, da zuckten die Männer auf den Pferden mit den Schultern und ritten auf den Dorfausgang zu.

Dort stand Janor im Schatten eines schlanken Felsens. In der Hand hielt er ein Seil, das auf der anderen Seite des Weges in Hüfthöhe an einem Baum festgebunden war. Wie eine dünne Schlange lag das Seil auf dem Weg. Nur wer wusste, dass es da war, konnte es erkennen, denn Janor hatte es mit Lehm eingerieben und ihm so die Farbe des Bodens gegeben. Der hagere Mann stand gelassen und völlig ruhig da. Sein Atem ging gleichmäßig. Seine scharfen Augen erkannten die Figuren der Reiter vor dem schwachen Feuerschein des brennenden Hauses.

Er hörte Stimmen.

»Der hat vor Angst gezittert«, sagte einer der Reiter. »Du glaubst, dass Terrloff… “

»Ich glaube gar nichts, aber mir ist das unheimlich. Am Mittag noch hat er geschwatzt wie ein Waschweib und heute Abend war er verschlossen wie ein Muschelhändler. Da stimmt doch etwas… «

Die Stimme brach ab. Dann folgte ein langer Fluch. Janor hatte das Seil straff gezogen, als die Pferde in leichtem Trab auf seiner Höhe angekommen waren. Fast gleichzeitig knickten die Tiere in den Vorderbeinen ein, die Reiter schossen über die Hälse der Pferde hinaus und landeten auf der Erde. Einer von ihnen versuchte sich noch am Zügel festzuhalten. Da trat eine große, schwarze Gestalt aus dem Schatten des Felsens am Wegrand und stieß den Fuß gegen das Handgelenk des Reiters, so dass dieser mit einem Schmerzensschrei losließ. Das Gesicht des Hageren war mit Ruß geschwärzt. Er griff ohne Hast nach dem Zügel, schwang sich in den Sattel, packte die Zügel des anderen Pferdes und ritt davon in die Richtung des Bergsattels, von dem Kaims Reiter gekommen waren.

Janor ritt sicher und ohne Eile. Er wusste, dass ihn die Soldaten gegen den hellen Himmel als Silhouette erkennen konnten. Ein Pfeil schwirrte dicht an seinem Körper vorbei. Janor grinste. Er ritt bis auf den Bergkamm hinauf, überschritt ihn, und als er auf der anderen Seite war, trieb er die Pferde zum Galopp an. Dicht unter dem Kamm ritt er nach links, dabei achtete er genau darauf, felsigen Untergrund zu haben, um keine Spuren zu hinterlassen. Er schlug einen weiten Bogen, und der Mond stand schon hoch am Himmel, als er endlich den Teutonfelsen erreichte.

Er berichtete seinen Kameraden. »Als ich den Kamm erreichte«, sagte er, »sah ich ein Feuer auf einem Felsplateau, nicht weiter als einen Stundenritt entfernt, eher näher. Ich denke, dort lagert der Trupp, zu dem die beiden Soldaten gehören.«

Coral hatte eine Fackel entzündet und sie im Windschatten eines Felsbrockens in die Erde gerammt. Terrloff zog mit einem Ast Linien in den weichen Untergrund, die in dem hellen Schlaglicht der Fackel wie tiefe Täler aussahen.

»Wir sind an diesem Punkt«, sagte Terrloff und zeichnete einen kleinen Kreis, »hier liegt das Dorf, dort der Bergkamm, und wo etwa würdest du die Stelle einzeichnen, an der du das Feuer gesehen hast?«

Janor bohrte etwa eine Handbreit neben dem kleinen Kreis einen spitzen Stein in den Boden.

»Hier entlang führt eine direkte Verbindung nach Ilaniz. Wir müssen nunmehr davon ausgehen, dass Kaim von unserer Anwesenheit weiß. Also dürfen wir keinen der üblichen Wege nehmen. Deshalb schlage ich vor, dass wir noch einmal über den Gipfel gehen und parallel zum Pass durch die Felsen absteigen.«

Coral stöhnte: »Noch einmal den ganzen Weg da hinauf. Vergiss nicht, Terrloff, wie viele Pfunde ich schleppen muss.«

»Wenn du oben bist, werden es weniger sein.«

»Cyril und ich gehen zu Fuß«, sagte Janor, »ihr beiden könnt die Pferde nehmen.«

Coral atmete erleichtert auf: »Das werde ich dir nie vergessen, dafür verzichte ich sogar einmal auf meine Fleischportion.«

Janor, der seine ernste Miene fast niemals änderte, musste grinsen: »Das glaube ich nicht, wenn es soweit ist, wirst du mir anbieten, dass ich das nächste Mal reiten darf, wenn du auch noch meine Portion bekommst.«

Mit diesen Worten schritt er in die Nacht hinein.Der Mond stand tief im Westen, als die beiden Reiter Kaims bei ihrem Trupp ankamen. Die Männer schliefen, nur die Wachevier Mann mit gespannter Armbrustbeobachteten die Umgebung.

»Wer da?«, brüllte einer von ihnen, als er schlurfende Schritte hörte.

Mit müder Stimme sagte einer der beiden: »Losungswort Brandung.«

Yato war von dem Wortwechsel sofort aufgewacht und erhob sich aus dem Schatten eines Felsens. Sein faltiges, weißes Gesicht sah im Mondlicht wie eine Geistermaske aus.

»Was ist mit euch?«, herrschte er die beiden Männer an. Keiner wollte so recht etwas sagen.

»Wo sind eure Pferde?«

»Gestohlen«, antwortete einer der beiden.

»Was?«

»Ja, wir wurden überfallen«, sagte nun der andere. »Überfallen? Zwei bewaffnete Soldaten Kaims lassen sich von Pferdedieben überfallen? Hat es so etwas schon einmal gegeben?«

»Einer«, sagte der erste Soldat schüchtern.

»Was, einer?«

»Es war nur einer, der uns überfallen hat.«

»Das wird ja immer schöner!«

»Es muss Terrloff gewesen sein«, brachte der zweite Reiter nun etwas mutiger hervor.

Für einen Augenblick herrschte Stille im Lager Yatos. »Ausreden«, brummte der alte Reiterführer. Aber es war ihm anzusehen, dass er selbst nachdenklich geworden war. Er ließ sich nun einen genauen Bericht geben und als die beiden erschöpften Soldaten am Ende waren, forderte er seinen Adjutanten auf, Signal zu geben.

Auf geschreckt vom durchdringenden Klang der Trompete sprangen die Soldaten auf.

»Ausschwärmen«, befahl Yato, »Gruppen zu vier Mann.« Doch als die Männer sich im Morgengrauen im Lager wiederfanden, hatte niemand eine Spur von Terrloff gefunden. Trotzdem schickte Yato einen Meldereiter zu Kaim nach Ilaniz.