Vierzig

»Paula Hecht?«

»Wer will das wissen?«

»Gestatten, Himmler!« Zorn knallte die Hacken zusammen. »Heinrich Himmler!«

Die blasse Frau sah ihn durch den Türspalt ausdruckslos an.

»Ich komme im Auftrag der Ortsgruppe Wildeck-Obersuhl!« Zorns Stimme schnarrte durch das Treppenhaus. »Als stellvertretender Schriftführer bekunde ich hiermit unsere Betroffenheit über den Verlust des Kameraden Kuchta und soll ausrichten, dass unsere Ortsgruppe unverbrüchlich an eurer Seite steht im Kampf gegen den Monopolkapitalismus imperialistischer Prägung! Weder Behördenwillkür noch staatliche Büttel werden uns … Moment, ich bin noch nicht fertig!«

Die Frau wollte die Tür schließen.

»Unser Kampf geht weiter!« Zorn schob einen Fuß in den Spalt. »Gemeinsam werden wir der Krake des internationalen Finanzsystems die Tentakel aus dem Gesicht, äh …«, er verhaspelte sich, »schneiden! Wir werden die Marionetten des imperialistischen …«

»Verpiss dich, Bulle.«

»Aber …« Zorn riss scheinbar entsetzt die Augen auf. »Erkennt man das so schnell?« Er senkte bekümmert den Blick. »Ich bin nämlich neu, das ist mein erster verdeckter Einsatz. Ich konnte mich kaum vorbereiten und hatte nicht mal Zeit, mir ein ordentliches Hitlerbärtchen wachsen zu lassen. Ach je, ich hab geahnt, dass das nix wird«, murmelte er und hob traurig den Arm mit der fehlenden Hand. »Ich kann ja nicht mal richtig grüßen.«

Erneut machte Paula Hecht Anstalten, die Tür zuzuknallen. Zorn kam ihr mit einem Schritt auf die Schwelle zuvor. »Darf ich trotzdem reinkommen?«

»Und wenn ich nein sage?«

»Werden Sie nicht«, strahlte Zorn. »Weil ich in spätestens einer Stunde wieder hier wäre. Mit einem Durchsuchungsbefehl und ein paar Typen vom SEK . Könnten Sie denen dann sagen, dass meine Tarnung ein bisschen länger gehalten hat?« Er schlug betrübt die Augen nieder. »Wenn die erfahren, dass ich sofort aufgeflogen bin, lande ich nämlich wieder in der Poststelle.«

*

Die Wohnung war klein. Zorn hatte mit den üblichen Devotionalien gerechnet, doch er sah sich getäuscht. Die Einrichtung erinnerte eher an eine Studentenbude; anstelle einer Reichskriegsflagge hing ein Picasso-Plakat über dem Ikea-Sofa, auf der gedrechselten Stele in der Ecke zwischen den Zimmerpalmen stand keine martialische Goebbels-Büste, sondern eine Lavalampe. Abgesehen von einem halbvollen Aschenbecher auf dem Couchtisch war das Wohnzimmer aufgeräumt.

»Sie haben geübt?« Zorn deutete auf eine Gitarre, die an der Stirnseite des Sofas lehnte. »Was denn? Das Horst-Wessel-Lied?«

»Was wollen Sie?«

»Das wissen Sie nicht?«

Paula Hecht lehnte sich ans Fensterbrett und verschränkte die Arme vor der schmalen Brust. Soweit Zorn es beurteilen konnte, trug sie kaum Schminke, abgesehen von den kajalumrandeten Augen und dem dunklen Lippenstift. Die bleiche Haut schien sie von Natur aus zu haben, was den Kontrast zu dem rabenschwarzen, über dem rechten Ohr bis zur Schläfe geschorenen Haar noch verstärkte.

»Ich dachte, Sie hätten früher mit uns gerechnet«, sagte Zorn. »Tja, der Verfassungsschutz ist auch nicht mehr das, was er mal war. Die haben ewig gebraucht, bis sie uns …«

»Björn.«

»Genau«, seufzte Zorn. »Der Björn. Um den geht’s.«

Paula Hecht griff nach einem Lederetui und entzündete eine Zigarette.

»Sie wissen ja, wie der Björn gestorben ist. Jetzt fragen wir uns …«

»Rauchen verboten.«

Zorn, der automatisch ebenfalls eine Zigarette in den Mundwinkel geschoben hatte, steckte das Feuerzeug wieder ein. »Der Björn wurde ermordet.«

»Ich weiß.«

»Wir suchen seinen Mörder.«

»Viel Spaß.«

»Und Sie haben …«

»… keine Ahnung.«

»Auch keine Vermutung?«

»Nein.«

»Vielleicht einen Tipp? Ein Ausländer vielleicht? Oder ein Echsenmensch?«, überlegte Zorn laut. »Ein arbeitsloser Flüchtling? Das wäre naheliegend, der Björn war nahezu ausgeblutet. Kein Deutscher würde das gute arische Blut einfach so in den Dreck fließen lassen, oder?«

Paula Hecht funkelte ihn durch den Zigarettenqualm an.

»Waren Sie mit Björn Kuchta … liiert?«

»Das geht dich einen Dreck an!«

»Darf ich das als Bejahung werten, Frau Hecht?«

»Ich sagte, das geht dich einen verdammten Scheißdreck an!«

»Herrje«, seufzte Zorn. »Ich wünschte, es wäre so.«

»Leck mich.«

Zorn lehnte das Angebot artig ab, da er leider in einer festen Beziehung sei.

Paula Hecht stieß den Rauch heftig durch die Nase aus. »Verpiss dich, Bulle.«

»Bulle?« Zorn tat, als müsste er nachdenken. »Richtig, das darfst du sagen.« Er duzte die junge Frau jetzt ebenfalls. »Verpiss dich allerdings nicht. Und duzen darfst du mich auch nicht. Beamtenbeleidigung kann ganz schön teuer werden. Umgekehrt gilt das übrigens auch, ich darf nämlich ebenfalls nicht alles aussprechen, was ich denke. Zum Beispiel könnte ich sagen, dass du ein verlogenes Miststück bist.«

Zorn grinste.

»Oder ’ne stinkende Nazikuh.«

Ihre Blicke trafen sich.

»Aber das mache ich ja nicht«, schmunzelte Zorn. »Weil ich clever bin. So wie der Björn, der wusste genau, was er sagen durfte.«

Paula Hecht zog schweigend an ihrer Zigarette.

»Da wäre noch was.« Zorns Tonfall wurde offiziell. »Vor zwei Wochen ist in diesem Hinterhof ein Mann zusammengeschlagen worden. Im Zuge der Ermittlungen wurden die Hausbewohner befragt. Darunter auch Sie.« Er zog ein gefaltetes A4-Blatt aus der Lederjacke, kniff kurzsichtig die Augen zusammen und las aus dem Protokoll vor. »Sie waren in der fraglichen Nacht hier?«

»Steht doch da drin.«

»Und Sie haben nichts mitbekommen?«

»Steht auch da drin.«

»Der Name des Geschädigten ist Jakob Fender.«

»Nie gehört.«

»Vielleicht haben Sie ja was an den Ohren?« Zorn faltete das Papier und steckte es wieder in die Innentasche. »Da hinten«, er deutete zur Wand mit dem Picasso-Plakat, »ist das Schlafzimmer?«

»Ja.«

»Die Nacht war ziemlich warm. Ich nehme an, Sie schlafen bei geöffnetem Fenster?«

»Das geht dich nichts …«

»Das Fenster geht in den Hof. Der Mann wurde fast totgeprügelt, ein paar Meter unter Ihnen. Und Sie haben nichts davon mitbekommen?«

»Ich habe alles gesagt.«

»Vielleicht sollten Sie’s mal mit einem Hörgerät versuchen?«

»Raus hier.« Paula Hecht griff nach dem Aschenbecher und drückte die Zigarette so heftig aus, dass die Funken stoben. »Schickt mir ’ne Vorladung, wenn ihr was von mir wollt.«

»Machen wir«, lächelte Zorn. »Ist hiermit versprochen.«