Kurz nachdem ich meine Firma verkauft hatte, führte die Fachzeitschrift »immobilien-manager« eine Umfrage unter Immobilienunternehmen und Immobilienjournalisten durch, also in den beiden Gruppen, mit denen mein Unternehmen in den vergangenen 15 Jahren täglich zu tun hatte. Inzwischen waren wir nicht mehr allein: In den Jahren zuvor hatten zahlreiche andere PR-Agenturen die Immobilienbranche entdeckt und traten als Wettbewerber auf. Dennoch lautete das Ergebnis der Befragung: Bei allen Kompetenzfragen und bei der Frage nach dem Ruf im Markt setzten Immobilienjournalisten die Dr. ZitelmannPB. auf Rang 1. Darüber hinaus belegte die Dr. ZitelmannPB. bei beiden befragten Gruppen, also bei Immobilienunternehmen und Immobilienjournalisten, Rang 1 bei der Frage nach der Bekanntheit im Markt.
Um es vorweg zu betonen: Ich berichte in diesem Kapitel über die Firma Dr. ZitelmannPB., wie sie zu der Zeit war, als ich Eigentümer und Geschäftsführer war. Manches davon ist heute noch so, aber mein Nachfolger hat auch eine Menge geändert – zum Vorteil des Unternehmens. Bewährte Dinge hat er beibehalten, andere Dinge umgekrempelt. Diese Lernfähigkeit ist meiner Meinung nach die wichtigste Voraussetzung für einen erfolgreichen Unternehmer.
Ich bin der Überzeugung, der Erfolg einer Firma hängt nicht so sehr davon ab, wie viel Sie wissen, wenn Sie sie gründen, sondern wie rasch Sie dazulernen, nachdem Sie einmal gegründet haben. Bei mir war es jedenfalls so. Zwar hatte ich anfangs einen bunten Strauß von Leistungen der »Positionierungsberatung« angeboten, aber schon im ersten Jahr merkte ich, dass vielen Kunden vor allem die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit wichtig war. Als ehemaliger Journalist dachte ich, davon verstünde ich etwas, doch das war nicht der Fall. Zumindest verstand ich weniger davon, als notwendig war, um unsere Kunden erfolgreich in die Medien zu bringen.
Wenn man etwas nicht weiß, ist das nicht schlimm, aber man muss halt Leute finden, die diese Lücke füllen. Deshalb war es ganz entscheidend, dass ich genau ein Jahr nach Gründung der Firma Holger Friedrichs eingestellt hatte. Erst durch ihn wurde die Firma zur führenden PR-Agentur im Immobilienbereich. Mit Staunen beobachtete ich, wie Friedrichs anfing, unsere Kunden professionell in der Pressearbeit zu beraten und Gespräche mit Journalisten zu vereinbaren. Unsere Kunden waren begeistert, und ich war es auch.
Nicht alle Mitarbeiter teilten diese Begeisterung. Es gab Auseinandersetzungen, in denen es hieß: »Wir sind doch keine PR-Agentur, wir machen Positionierungsberatung.« Ich erwiderte, es sei völlig unwichtig, mit welchem Programm wir ursprünglich angetreten seien, sondern viel entscheidender sei es, was unsere Kunden als wichtig erachteten. Und das war die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, von der Friedrichs mehr verstand als jeder andere in der Firma, einschließlich meiner eigenen Person.
Wie bringt man Unternehmen in die Zeitung? Für viele Menschen hat PR etwas Geheimnisvolles. Da ist manchmal von »Spindoctors« die Rede, die im Hintergrund die Fäden ziehen und die Medien im Sinne ihrer Auftraggeber manipulieren. In Wahrheit ist die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit keine Geheimwissenschaft, sondern ein Handwerk, das nach sehr einfachen Regeln funktioniert.
Für uns gab es zwei Möglichkeiten, unsere Kunden in die Medien zu bringen: Der erste Weg war die Vereinbarung von Gesprächen mit Journalisten, der zweite Weg die Platzierung sogenannter »Namensbeiträge«. Gespräche zwischen Journalisten und Unternehmensvertretern müssen für beide Seiten einen Nutzen bringen: Der Journalist muss für sich bzw. seine Leser neue Informationen erhalten, das Unternehmen wiederum will als kompetenter Marktteilnehmer zitiert werden. Der PR-Berater ist der ehrliche Makler zwischen beiden Seiten. Unternehmen verstehen oft nicht, was für Journalisten interessant ist – und was nicht. Sie neigen dazu, allzu werblich aufzutreten und dem Journalisten etwas »verkaufen« zu wollen, was diesen wiederum abstößt. Aufgabe eines PR-Beraters ist es daher, gemeinsam mit dem Unternehmen herauszufinden, welche Kernbotschaften es aussenden will, und dann zu überlegen, wie man diese so attraktiv verpackt, dass sie das Interesse von Journalisten finden. Dazu muss ein PR-Berater in der Lage sein, wie ein Journalist zu denken.
Schon kurz nach Gründung meiner Firma hatte ich die Idee, Veranstaltungen mit Journalisten zu organisieren, in denen diese selbst berichten, »wie sie es denn gerne hätten«. Das war ein Rollentausch. Vorne stand ein Journalist und referierte über sein Medium und seine Arbeitsweise. Im Publikum saßen Vertreter der Unternehmen, die zuhörten und Fragen stellten. Die erste Veranstaltung dieser Art führte ich am 24. Oktober 2000 im Rahmen der Berliner Immobilienrunde durch. Markus Gotzi, damals Redakteur der Zeitschrift »Capital«, sprach über das Thema: »Welche Fehler machen Immobilienunternehmen im Umgang mit den Medien – und was kann man besser machen?« Jens Friedemann von der FAZ hielt einen Vortrag zur Krisenkommunikation: »Was tun, wenn es brennt? Wie sollen Immobilienunternehmen in Krisensituationen mit Medien umgehen?« Robert Ummen, mein Nachfolger bei der »Welt«, informierte über die Kriterien, nach denen Journalisten Nachrichten auswählen. Stefan Loipfinger beantwortete die Frage: »Warum werden manche Fonds in den Medien besprochen und andere nicht?«, Jochen Dietrich von n-tv erläuterte die Immobilienberichterstattung des Nachrichtensenders.
In den folgenden Jahren führte ich regelmäßig derartige Veranstaltungen durch, und es gab keine bedeutende überregionale Tageszeitung oder Immobilien-Fachzeitung, deren Redakteure nicht die Möglichkeit nutzten, ihre Arbeitsweisen vor diesem Branchenforum zu erklären. Alle Medien sandten Journalisten als Referenten in unsere Runden: Publikumsmedien wie die »Süddeutsche Zeitung«, die »Welt«, die FAZ und das »Handelsblatt« ebenso wie alle führenden Wirtschaftsmedien und natürlich Fachmedien wie die »Immobilien Zeitung«. Auch Vertreter von Nachrichtenagenturen wie Bloomberg und Thomson Reuters sprachen bei uns.
Darin spiegelte sich wider, dass wir nicht nur bei Immobilienunternehmen – unseren Kunden –, sondern auch bei den Immobilienjournalisten Vertrauen aufgebaut hatten. Ich denke, sie schätzten an uns, dass wir sie nicht mit Marketingphrasen abspeisten, sondern stets versuchten, ihnen interessante Informationen aus der Immobilienbranche zu vermitteln, und dies in einer betont sachlichen Art, ohne Schaumschlägerei.
Selbstverständlich muss man die wichtigen Journalisten kennen und einen guten Draht zu ihnen aufbauen. Das ist jedoch nicht so entscheidend wie das Verständnis dafür, welche Botschaften man wie verpackt und wie man einen genuinen Nutzen auch für den Journalisten findet. Bei uns war es jedenfalls nicht so, dass Journalisten über unsere Kunden berichteten, um uns damit einen Gefallen zu tun. Warum denn auch? Friedrichs war und ist ein Meister darin, Schnittmengen zwischen den Interessen der Medien und denen der Unternehmen zu entdecken und Gespräche zwischen ihnen zu vereinbaren und zu begleiten.
Hier konnte ich nichts Sinnvolles beitragen. Friedrichs hatte ja einige Jahre PR-Erfahrung hinter sich, ich hingegen hatte auf der anderen Seite gestanden und war Journalist gewesen. Was ich gut konnte, war Artikel zu schreiben. Und das war das zweite Standbein unserer Pressearbeit. Viele Medien boten und bieten die Möglichkeit, dass Vorstände, Geschäftsführer oder Experten eines Unternehmens Namensbeiträge zu Fachthemen veröffentlichen. So gab es in der FAZ über Jahre hinweg jeden Freitag zwei Rubriken, in denen Personen aus der Immobilienwirtschaft unter ihrem Namen Gastkolumnen veröffentlichen konnten. Wir nannten das »Autorenbeiträge«.
Die Unternehmensvertreter selbst tun sich oft schwer, solche Artikel ohne Hilfe zu verfassen. Regelmäßig fallen die Artikel zu werblich aus. Wir sprachen von »pro domo Artikeln«, in denen das Unternehmen sich oder seine Produkte mehr oder minder unverblümt selbst lobt. Solche Artikel druckt kein seriöses Blatt ab. Auch bei Autorenbeiträgen muss eine Win-win-Situation für beide Seiten bestehen: Das Medium soll einen Artikel bekommen, in dem für die Leser Informationen vermittelt oder interessante Meinungen vertreten werden. Derjenige, unter dessen Namen diese erscheinen, kann damit wiederum Kompetenz beweisen.
Um einen solchen Artikel für ein Qualitätsmedium zu schreiben, muss man eine Menge mitbringen. Man muss wissen, welche Themen der Redakteur, der über den Abdruck entscheidet, mag und welche nicht. Das haben wir herausgefunden, indem wir genau analysierten, worüber das Medium Autorenbeiträge veröffentlichte und worüber nicht. Natürlich haben wir die Journalisten auch direkt gefragt. Im Übrigen sammelten sich Erfahrungswerte darüber an, welche unserer Artikelangebote abgedruckt und welche abgelehnt wurden. All diese Informationen hat das einzelne Immobilienunternehmen naturgemäß nicht oder nur in einem geringen Maß.
Zudem muss man wissen, in welcher Sprache ein solcher Artikel geschrieben sein muss, wie lang er sein darf, was man fachlich voraussetzen sollte und was nicht. Der viele Jahre lang für Immobilienthemen bei der FAZ zuständige Journalist Jens Friedemann erzählte mir mal, dass ein Unternehmen ihm einen sechs Seiten langen Artikel anbot, mit dem Hinweis, dieser dürfe auf gar keinen Fall gekürzt werden. Tatsächlich war in der Rubrik nur Platz für etwa 4.000 Zeichen, was zwei Manuskriptseiten entspricht. Außerdem bekommen Journalisten oft von schlechten PR-Agenturen »pro domo Artikel« angeboten, in denen in kaum verhohlener Weise für die Produkte des Unternehmens geworben wird. All das ist für Journalisten ärgerlich.
Bald fand ich heraus, dass man in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit unterschiedliche Kompetenzen braucht. Friedrichs konnte am besten Kunden betreuen, mit ihnen Themen entwickeln und dann auf Journalisten zugehen, um Gespräche zu vereinbaren. Ich selbst habe nie Pressegespräche vereinbart und begleitet, auch weil ich das Gefühl habe, dass ich eine zu dominante Persönlichkeit bin, zu viel rede und mich nur schwer im Hintergrund halten kann. Hingegen schrieb ich gerne die Autorenbeiträge für unsere Kunden. In den 15 Jahren verfasste ich viele Hundert solcher Artikel als Ghostwriter, die in Medien wie der »Börsen-Zeitung« oder der FAZ unter dem Namen unserer Kunden veröffentlicht wurden.
Nachdem ich das nicht mehr alleine leisten konnte, stellten wir Mitarbeiter ein, die sich ebenfalls darauf verstanden. Allerdings genügt es nicht, gut formulieren zu können, sondern man muss sich tiefe Fachkenntnisse aneignen und teilweise fast wissenschaftlich in die nicht immer einfachen Fachgebiete eindringen. Der erste Texter neben mir war Peter Dietze, ein besonders netter Kollege, der über zehn Jahre in unserer Firma blieb und eine gute Feder hatte. Später stellten wir viele weitere Mitarbeiter für die Namensbeiträge ein. Der beste von allen war Dr. Oliver Wenzlaff, der zuvor bei einem Immobilien-Projektentwickler gearbeitet hatte und von dessen Artikeln die Kunden begeistert waren und sind.
Anderen PR-Agenturen, die nicht auf Immobilienthemen spezialisiert sind, fehlte in der Regel das fachliche Wissen, um solche Artikel zu schreiben. Deshalb legte ich sehr viel Wert auf die innerbetriebliche Aus- und Fortbildung. Wir veranstalteten regelmäßig Schulungen zu Immobilien-Fachthemen, teilweise auch in englischer Sprache. Zudem besuchten die Mitarbeiter die von mir veranstaltete »Berliner Immobilienrunde«, um ihr Fachwissen zu vertiefen.
Bei den meisten PR-Agenturen gibt es einen Kundenbetreuer, der alles macht: Er soll neue Kunden an Land ziehen, Gespräche mit Journalisten vereinbaren und Texte schreiben. Ich finde das nicht sehr klug. Die Kompetenzen und die Persönlichkeitsmerkmale, die für diese Aufgaben wichtig sind, unterscheiden sich so stark, dass man kaum eine Person findet, die all dies in gleicher Weise beherrscht. Meine Folgerung daraus war, dass ich bald schon einzelne Abteilungen mit unterschiedlichen Arbeitsbereichen in unserer Firma bildete. Aufgabe der PR-Abteilung war es, Journalisten anzurufen, Termine zu vereinbaren und zu begleiten sowie Pressegespräche zu organisieren. Aufgabe der Textabteilung war es, Autorenbeiträge zu schreiben oder auch Texte für Broschüren, Internetauftritte oder Kundenmagazine. Später richtete ich eine weitere Abteilung ein, die sich ausschließlich mit der Online-Positionierung und der Suchmaschinenoptimierung befasste. Die Aufgabe der Neukundengewinnung wiederum lag bei mir, doch dazu später mehr.
Das Schwerste für uns – wie wahrscheinlich für jedes Dienstleistungsunternehmen – war es, die richtigen Mitarbeiter zu finden. Dieser Aufgabe maß ich die größte Bedeutung bei. Denn das Schlimmste, was einer PR-Agentur passieren kann, ist, dass über sie gesagt wird: »Da ist oben ein Chef, der ist kompetent und akquiriert die Kunden, die später dann von inkompetenten Mitarbeitern verprellt werden.« Zwar lässt es sich nicht vermeiden, dass es Kompetenzunterschiede gibt, aber unsere Kunden erwarteten zu Recht für den stolzen Preis, den sie bei uns bezahlten, erstklassige Mitarbeiter.
Auch bei der Mitarbeiterauswahl lernte ich durch Erfahrung. Sehr bald schon führte ich einen Schreibtest für Bewerber ein. Die Kandidaten bekamen einen längeren, anspruchsvollen Text – etwa zu einem juristischen Thema – und mussten diesen in einfachen Worten, verständlich und kurz zusammenfassen. Daran scheiterten die meisten Bewerber, auch solche, die vorher Journalisten waren oder in anderen PR-Firmen gearbeitet hatten. Viele waren intellektuell nicht in der Lage, komplexe Zusammenhänge zu verstehen, geschweige denn, diese dann verständlich darzustellen. Diese Fähigkeit war jedoch, vor allem für Mitarbeiter der Textabteilung, entscheidend.
Wir gestalteten die Tests immer anspruchsvoller. Später mussten sich unsere Bewerber vier Wochen lang in ein ihnen unbekanntes Thema einlesen – zum Beispiel in das Thema »offene Immobilienfonds« –, um dann in einem mündlichen Test zu beweisen, dass sie in der Lage waren, sich in ein neues Sujet einzuarbeiten. Bei diesen fachlich sehr anspruchsvollen Tests waren zwei meiner Mitarbeiter und ich dabei. Die Bewerber wurden regelrecht in die Mangel genommen, viele unterschätzten den Schwierigkeitsgrad. Am Schluss gaben wir eine Note, so wie in der Schule, und Kandidaten, die schlechter als mit »2« abschnitten, wurden abgelehnt.
Nach einigen Jahren rückten wir davon wieder ab. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hatte sich verändert, und wir fürchteten, wir würden in den vier Wochen, die zwischen Erstgespräch und Test lagen, zu viele Kandidaten an andere Firmen verlieren, bei denen sie nicht erst einen aufwendigen Test absolvieren mussten.
Als ich 2012 in den USA den LSAT-Test entdeckte, den dort Bewerber für Law Schools zu bestehen haben, war ich begeistert: Hier wurde genau das getestet, worauf es bei uns ankam: Kann jemand anspruchsvolle Texte verstehen und logisch denken? Vorwissen ist bei diesen Tests nicht erforderlich. Der komplette Test wäre viel zu lang gewesen, aber einige Seiten daraus mussten unsere Bewerber von nun an absolvieren. Die Testverfahren wurden immer wieder geändert, und auch heute sind es andere als damals. Was gleich blieb, war stets ein höherer Anspruch an die Qualität der Mitarbeiter, als ihn viele andere PR-Agenturen haben.
Wir machten bessere Erfahrungen damit, gute Leute frisch von der Universität zu holen und sie bei uns als Trainees auszubilden, als Leute mit Agenturerfahrung einzustellen. Mit dem typischen PR-Mitarbeiter, der Kulturwissenschaften oder Literaturwissenschaft studiert hat und schon in der Schule mit der Mathematik auf Kriegsfuß stand, konnten wir in der Regel nichts anfangen. In der Branche lachten mich manche aus, weil ich großen Wert auf die Abiturnote eines Bewerbers legte, vor allem auf die Noten in Deutsch und Mathematik. Aber ich hatte die Erfahrung gemacht, dass jemand, der im Abitur eine schlechte Note hat – beispielsweise eine 2,6 –, auch in unseren Tests in der Regel nicht überzeugend abschnitt.
Es gab zwar Ausnahmen, aber in der Regel schnitten die gut ab, die in der Schule ein 1er-Abi hingelegt hatten. Die Abiturnote war mir wichtiger als der Studienabschluss, da es viele Fächer gibt – besonders in den Geisteswissenschaften –, bei denen ein Großteil der Absolventen eine 1 bekommt, womit diese Note wenig Aussagekraft hat. Auch beim Abitur wird inzwischen die 1 viel leichter vergeben als früher (bundesweit hat jeder Vierte ein 1er-Abi!), aber die Spreizung dieser Noten ist doch höher als in vielen Studienfächern.
Zudem stellte ich sehr gerne ehemalige Leistungssportler ein, so wie Holger Friedrichs, der zehn Jahre lang bei Bayer Uerdingen Fußball gespielt hatte. Der ideale Bewerber hatte ein 1er-Abitur, war in seiner Jugend Leistungssportler und studierte später ein wirtschaftswissenschaftliches Fach. Natürlich hatten wir aber auch sehr gute Mitarbeiter, auf die keines dieser Merkmale zutraf.
Ein Problem in unserer Firma war die hohe Mitarbeiterfluktuation. Es sprach sich bald herum, dass wir die am besten ausgebildeten Mitarbeiter im Bereich der Immobilien-PR hatten. Insbesondere eine große PR-Agentur warb im Laufe der Jahre immer wieder Mitarbeiter bei uns ab. Allerdings blieben sie nicht lange bei diesem neuen Arbeitgeber, sondern zogen weiter. Unter der Mitarbeiterfluktuation leiden viele Beratungsunternehmen, insbesondere im PR-Bereich.
Wie hoch wir im Ansehen der Immobilienbranche standen, sieht man beispielsweise daran, dass die Pressesprecher des Zentralen Immobilien Ausschusses – das ist einer der führenden Verbände der Immobilienbranche – bei uns ausgebildet wurden. Denis McGee, ein hervorragender Mitarbeiter unserer PR-Abteilung, war dort – nach einer Zwischenstation bei einem anderen Unternehmen – Pressesprecher. Und als er den Verband verließ, heuerte der ZIA wieder einen unserer besten Leute an, Andy Dietrich, den stellvertretenden Leiter der PR-Abteilung.
Unsere Kunden ärgerten sich, wenn sie immer wieder mit neuen Ansprechpartnern konfrontiert wurden. Das Problem in unserer Firma wurde verschärft durch meinen Führungsstil, der zu Recht immer wieder kritisiert wurde. Ich stelle extrem hohe Anforderungen an mich – und entsprechend auch an die Mitarbeiter. Ein Beispiel dafür sind meine Vorstellungen von Termintreue. Ich hatte und habe kein Verständnis dafür, wenn Terminzusagen gegenüber einem Kunden nicht eingehalten werden: »Überlegt euch vorher genau, wenn ihr eine Terminzusage abgebt, aber wenn ihr sie erst einmal gegeben habt, dann muss sie zu 100 Prozent eingehalten werden, statt dem Kunden zu erklären, warum es doch nicht geklappt hat. Ein Versprechen ist, wie wenn man den Knopf bei einer Rakete gedrückt hat – die kann man auch nicht mehr zurückholen.«
So bin ich von meinen Eltern erzogen worden, für die unbedingte Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sehr wichtig waren. Ich selbst kann von mir sagen, dass ich noch nie in meinem Leben einen Text
auch nur einen Tag später als vereinbart abgegeben habe. Das verlangte ich auch als Maxime für meine Firma, aber dennoch kam es immer wieder dazu, dass einzelne Mitarbeiter gegenüber den Kunden gegebene Versprechen brachen. In solchen Fällen reagierte ich ziemlich extrem, sodass ich Mitarbeiter vor den Kopf stieß. Ich litt regelrecht darunter, dass ich erstmals in meinem Leben – als verantwortlicher Geschäftsführer – für nicht eingehaltene Terminzusagen kritisiert wurde.
Besonders unbeliebt war in meiner Firma die sogenannte »Freitagssitzung«, und mein Nachfolger Holger Friedrichs erwarb sich sofort Pluspunkte bei den Mitarbeitern, als er diese als erste Amtshandlung nach meinem Ausscheiden abschaffte und stattdessen Meetings in einer freundlicheren Atmosphäre einführte. Bei meinem Ausscheiden aus der Firma stellten die Mitarbeiter in einem Abschiedsbuch für mich Daten und Fakten über die Firmengeschichte zusammen. Unter anderem lernte ich daraus, dass es 425 Freitagssitzungen gegeben hatte – zumindest lagen über so viele Sitzungen die Protokolle vor.
In den ersten zehn Jahren versammelten sich jeden Freitag früh alle Mitarbeiter der Firma – mit Ausnahme der Assistenz – in unserem Sitzungssaal. Die Mitarbeiterzahl schwankte in den späteren Jahren zwischen 40 und 50. Die Sitzung begann mit etwas Positivem, nämlich mit kurzen Präsentationen der Abteilungsleiter über den »Output« der vergangenen Woche, also jener Artikel, die in den Medien über unsere Kunden erschienen waren und die auf unsere Arbeit zurückgingen. Das war meist sehr erfreulich, denn es verging keine Woche, ohne dass Artikel erschienen, die entweder auf von uns initiierte Pressegespräche zurückgingen, oder die wir als Namensbeiträge für unsere Kunden verfasst hatten.
Die wichtigste Funktion der Sitzung war aus meiner Sicht, Schwachstellen zu identifizieren und insbesondere über Kunden zu sprechen, von denen ich den Eindruck hatte, dass für sie in den letzten Wochen nicht genug getan worden war. Für jede Sitzung suchte ich genau jene Kunden heraus, bei denen Unzufriedenheit drohte, weil sie vernachlässigt wurden. Schon wenn ich einige Tage vor der Sitzung per Mail bekannt gab, über welche Kunden ich am kommenden Freitag sprechen würde, fingen die Mitarbeiter an, sich verstärkt mit diesen zu beschäftigen.
Manche Chefs wollen gar nicht so genau wissen, was in ihrer eigenen Firma schlecht läuft. Wenn sie einen Mitarbeiter nach dem Stand eines Projektes fragen und der antwortet: »Alles im grünen Bereich«, sind sie damit zufrieden. Zu insistieren und mit bohrenden Fragen der Sache auf den Grund zu gehen, könnte ja zu Konflikten führen und vor allem dazu, dass man als Chef aktiv handeln muss. Wer sich dagegen als Chef selbst täuscht, indem er unangenehme Dinge ausblendet, kann sich einreden, alles sei in Ordnung, und vor allem: Er muss nicht handeln.
Sagt ein Mitarbeiter: »Ich gehe davon aus, dass …«, dann akzeptieren manche Vorgesetzte allzu rasch eine solche Antwort. Bei mir war und ist das anders. Erklärt mir ein Mitarbeiter auf meine Frage nach dem konkreten Sachstand: »Ich gehe davon aus, dass …« oder »Ich denke, es müsste …«, dann übersetze ich das für mich so: »Ich habe keine Ahnung, wie der Stand der Sache ist«. Mitarbeiter wussten, dass ich »rotsehe«, wenn mir jemand mit solchen vagen Formulierungen kam. Ich fragte so lange nach, bis ich ganz genau wusste, was vorgeht – und vor allem: was nicht gut läuft.
Meine Rolle in der Firma definierte ich als die des »obersten Anwalts der Kunden«: »Ich habe die Kunden gebracht und denen eine Leistung versprochen. Und ich möchte, dass wir unsere Versprechen halten.« Es gab manche Kunden, die drängten und mahnten, wenn sie den Eindruck hatten, dass sie vernachlässigt worden waren. Andere waren zurückhaltender und beschwerten sich auch dann nicht, wenn sie eigentlich Grund dazu gehabt hätten. Besonders für diese Kunden fühlte ich mich verantwortlich. »Wenn ihr euch nur um die Kunden kümmert, die meckern, dann habt ihr irgendwann nur noch Meckerkunden«, hörten die Mitarbeiter immer wieder von mir.
Ich denke, das alles war nicht nur legitim, sondern auch dringend notwendig. Gerade für eine Firma, die faktisch über viele Jahre ohne ernstzunehmenden Wettbewerb agierte, ist diese Selbstkritik besonders wichtig. Ich fand mich bestätigt, als ich las, wie Bill Gates effiziente Meetings definiert: »Wir verlieren nie viel Zeit damit, darüber zu sprechen, was wir richtig machen. Das ist nicht unsere Firmenkultur. In jedem Meeting geht es darüber: ›Klar, wir haben in sieben Kategorien gewonnen, aber was ist mit der achten Kategorie?‹«
Was jedoch kontraproduktiv war: Ich stellte die Mitarbeiter, die für die Versäumnisse verantwortlich waren, vor versammelter Mannschaft bloß. Den anderen Kollegen taten diese Mitarbeiter leid, sie sahen nicht deren Fehler, sondern einen Chef, der jemanden niederbürstete.
Andererseits war ich auch stets selbst offen gegenüber Kritik. Ich war immer der Meinung, wer hart austeilt, muss auch einstecken können. Man kann nicht von Mitarbeitern verlangen, dass sie berechtigte Kritik annehmen, und selbst als Chef empfindlich reagieren, wenn man kritisiert wird. Eine Zeit lang übernahm es eine Abteilungsleiterin, aufzuschreiben, wann ich mich wieder danebenbenommen hatte, und mir diese Kritik nach jeder Freitagssitzung zu mailen. Ich war dafür dankbar, aber mir fiel es schwer, mich dauerhaft zu ändern. Schließlich sah ich ein, dass es besser war, wenn nicht alle Mitarbeiter bei der Sitzung teilnahmen, sondern überwiegend die Führungskräfte. Nun hieß es: Jeder kann kommen, aber keiner muss – es sei denn, er gehört zu den Abteilungsleitern.
Ich bin ehemaligen Mitarbeiter dankbar, dass sie mir trotz meiner Schwächen nicht böse sind, sondern bis heute unterstreichen, wie viel sie in der Firma gelernt haben. Meine erste Mitarbeiterin, Sandra Puls, die lange die Abteilung Corporate Publishing leitete, schrieb in einem Büchlein, das mir die Mitarbeiter zum Abschied schenkten: »Ich glaube, so viel wie ich bei Ihnen in zehn Jahren gelernt habe und erfahren durfte, ist einmalig. Sie haben einen sehr großen Anteil daran, dass ich heute selbst erfolgreich ein kleines Unternehmen führe.« Julian Caspari, der unsere SEO-Abteilung leitete, schrieb ebenfalls, dass er bei mir in viereinhalb Jahren so viel gelernt habe, wie man sonst in 18 Jahren in einer anderen Firma lerne. Dadurch fühle er sich nun gerüstet für sein eigenes Unternehmen. Ich bin stolz darauf, dass ich einigen talentierten jungen Menschen Rüstzeug mitgegeben habe, das sie befähigte, selbst Unternehmer zu werden – trotz und vielleicht zum Teil auch wegen der harten Schule. Vier von fünf langjährigen Abteilungsleitern, die im Schnitt neun Jahre bei unserer Firma waren, sind heute selbst unternehmerisch tätig.
Meine persönlichen Stärken lagen – neben dem Verfassen von Namensbeiträgen – hauptsächlich in der Neukundengewinnung und in der Lösung schwieriger Situationen mit bestehenden Kunden. Zudem habe ich einen Sinn für Zahlen und Verträge, was leider manchem, der sich selbstständig macht, fremd ist. Ich wusste in jedem Moment, wo wir finanziell standen, ließ permanent die Gewinnprognosen anpassen und beschäftigte mich ausführlich und gerne mit den Zahlen, die mir die Buchführung lieferte. Neben Holger Friedrichs und meiner persönlichen Referentin war für mich unsere Buchhalterin Mandy Bastian, die mich mit ihrer großen Genauigkeit und Zuverlässigkeit beeindruckte, eine der Schlüsselpersonen.
Sie wusste, dass ich nachfragen würde, warum diese Rechnung noch nicht bezahlt sei oder wie jene Zahl zustande komme. Nach meiner Überzeugung scheitern viele Firmen daran, dass sich ihr Inhaber zwar für die Inhalte interessiert, aber zu wenig für die Zahlen. Und obwohl ich sonst gerne alles delegiere, unterschrieb ich jede Rechnung und jeden Überweisungsträger persönlich. Das hilft, die Kosten im Blick zu behalten.
Namensbeiträge zu schreiben und neue Kunden zu gewinnen machte mir großen Spaß, weil hier meine beiden Talente zur Entfaltung kamen, nämlich in kurzer Zeit gute Texte schreiben zu können und etwas zu verkaufen. Der Verkauf der Dienstleistungen unserer Firma fiel mir leicht, weil ich wusste, dass wir besser als unsere Mitbewerber sind.
In den ersten zehn Jahren war eine sehr aktive Kundenakquise nicht notwendig. Erstens verfügten wir ja über einen stabilen Kundenstamm, und zweitens kamen auch ohne aktives Zutun immer wieder potenzielle Kunden auf uns zu, weil wir uns einen sehr guten Ruf in der Branche erarbeitet hatten. In den letzten Jahren musste ich mich hingegen sehr viel stärker um die Kundengewinnung kümmern, und das hatte seinen Grund in der Marktentwicklung.
In der Anfangszeit waren die meisten unserer Kunden Initiatoren von geschlossenen oder offenen Immobilienfonds. In dieser Branche kannten uns alle, und auch ich kannte fast alle Marktteilnehmer persönlich. In den Jahren nach 2008 brach jedoch die Branche der geschlossenen Fonds fast komplett zusammen. Das war Folge der Finanzkrise, der schärferen gesetzlichen Regulierung, aber auch vieler selbst verschuldeter Skandale. 2007 hatte das mit geschlossenen Fonds platzierte Eigenkapital noch bei 12,6 Mrd. Euro gelegen, 2013 waren es nur noch 2,2 Mrd. Euro. Wir verloren in dieser Zeit viele unserer langjährigen Kunden. Nicht etwa, weil wir einen schlechten Job gemacht hätten, sondern weil diese Branche, von der wir gelebt hatten, in Auflösung war.
In diesen Jahren kündigten uns Initiatoren wie Doric, DWS, DFH, Commerz Real, Buss Capital, HGA Capital, BA/CA Real Invest, Flex, Hahn, Hamburg Trust, HCI Capital, HIH, Lloyd, Oltmann, Voigt & Collegen, FHH und WestLB Trust. Mit vielen dieser Kunden hatten wir sehr lange zusammengearbeitet, mit manchen bereits mehr als ein Jahrzehnt. Etliche dieser Kunden hatten ihren Sitz in Hamburg, sodass wir das Hamburger Büro auflösten. Nur sehr wenige Marktteilnehmer, die exzellente Ergebnisse gebracht hatten, blieben erfolgreich. Die meisten Initiatoren geschlossener Fonds stellten ihr Neugeschäft ein. Das war eine für uns hochdramatische Situation.
Parallel dazu gerieten auch die offenen Immobilienfonds in die schwerste Krise ihrer bis dahin 50-jährigen Geschichte. Obwohl wir viele Kunden aus diesem Bereich betreuten, darunter die Tochtergesellschaften der Deutschen Bank, der Commerzbank, der Credit Suisse, der Dresdner Bank und von Morgan Stanley, hatte ich seit Jahren auf Fehlentwicklungen aufmerksam gemacht. Ich hatte die Strickfehler bei der Konstruktion der offenen Immobilienfonds gesehen und war auch nicht überzeugt, dass die Bewertung der Immobilien immer sachgerecht erfolgte.
Die Vertreter der offenen Immobilienfonds saßen lange auf einem hohen Ross und waren äußerst empfindlich gegenüber jeder Kritik. Nach der Finanzkrise mussten viele Fonds die Rücknahme von Anteilsscheinen aussetzen. Dabei waren die gleichmäßige Wertentwicklung sowie die Möglichkeit, jeden Tag seinen Anteilsschein zurückgeben zu können, die wichtigsten Verkaufsargumente für die offenen Immobilienfonds gewesen. Zahlreiche offene Fonds wurden geschlossen, und die Anleger kamen nicht mehr an ihr Geld. Das betraf Fonds der KanAm, der AXA, der UBS, der Credit Suisse, der SEB, der DEGI, von TMW und von Morgan Stanley. Fondsvermögen in Milliardenhöhe wurden eingefroren, danach wurden die meisten dieser Fonds aufgelöst.
Jetzt zeigte sich, dass die Bewertungen durch die Gutachter oft nicht gestimmt hatten, denn zu den von ihnen angesetzten Werten ließen sich die Immobilien in vielen Fällen nicht verkaufen. Das führte zu massiven Abwertungen, und erstmals verloren Anleger offener Immobilienfonds, die früher als »mündelsichere« Anlagen galten, Geld. Später sah sich der Gesetzgeber gezwungen, als Reaktion auf dieses Desaster die gesetzlichen Rahmenbestimmungen für die offenen Immobilienfonds zu verändern. Wer sich neu an einem offenen Immobilienfonds beteiligt, muss seitdem zwei Jahre warten, bis er seine Anteilsscheine zurückgeben kann.
Die Dramatik dieser Entwicklung und die Konsequenzen für die Branche sah ich wesentlich früher als viele andere Dienstleister, die im Segment der geschlossenen und offenen Fonds tätig waren und die dadurch selbst in eine heftige Krise gerieten. Mich erinnerte diese Entwicklung an die Auflösung der ML-Bewegung, die ich in meiner Jugend erlebt hatte: Solche Prozesse vollziehen sich in einer erstaunlichen Geschwindigkeit und Radikalität.
Ein befreundeter Analyst sagte mir: »Nun ja, da kann man nichts machen, da werden Sie die Hälfte der Mitarbeiter entlassen müssen.« Das wäre für mich jedoch die allerletzte Notlösung gewesen, die ich um jeden Preis vermeiden wollte. Ich hatte nie ein Problem damit, Mitarbeiter zu entlassen, die versagt hatten. Aber bis heute musste ich in meinem Leben noch nie jemandem gegenübertreten und sagen: »Sorry, Sie waren loyal und haben einen super Job gemacht, aber Sie müssen gehen, weil ich Sie nicht mehr bezahlen kann.«
Als meine größte Leistung rechne ich es mir an, die schwierige Situation mit den geschlossenen – und auch mit den offenen – Immobilienfonds sehr frühzeitig erkannt zu haben und vor allem die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Für mich hieß es, innerhalb der Immobilienbranche verstärkt in anderen Kundensegmenten zu akquirieren. Wir hatten früher schon hie und da einmal Projektentwickler oder große Maklerunternehmen als Kunden gehabt, aber das waren nie viele. Und in der Szene der Projektentwickler waren wir bei Weitem nicht so bekannt wie in der Fondsszene.
Einem anderen Dienstleistungsunternehmen der Immobilienbranche, das wir berieten, erklärte ich: »Wenn man Geld in dieser Branche verdienen will, muss man schauen, in welchen Bereichen heute Geschäft gemacht wird, und dort die Kunden gewinnen.« Das klingt einfach und logisch, aber in der Praxis hieß das, völlig neue Kundensegmente zu erschließen. Denn die Immobilienbranche ist äußerst heterogen, es gibt dort sehr unterschiedliche Unternehmen mit grundverschiedenen Geschäftsmodellen und »Kulturen«.
Den Wohnungsprojektentwicklern und den Wohnungsunternehmen ging und geht es – anders als den Fondsgesellschaften – sehr gut. Ihr Geschäft boomt, weil angesichts der Wohnungsknappheit in den Metropolen die Mieten und die Kaufpreise stark gestiegen sind und ein erheblicher Nachholbedarf im Wohnungsneubau besteht. Daher richtete ich meine Anstrengung darauf, unsere Firma bei diesen Unternehmen bekannter zu machen und sie als Kunden zu gewinnen.
Hilfreich war dabei die »Berliner Immobilienrunde«. Auch sie war von den Marktänderungen negativ betroffen. Zunächst hatten die Veranstaltungen von den Steuerthemen gelebt, danach von Themen aus dem Fondsbereich, besonders zu vertrieblichen Fragen. Nun entwickelte ich ein neues Veranstaltungsformat. Wohnungsprojektentwickler in Berlin, Hamburg, München und Frankfurt stellten auf Veranstaltungen in diesen vier Städten ihre interessantesten Projekte vor, im Publikum saßen weitere Projektentwickler sowie Investoren oder Vertreter von Banken. Dadurch lernte ich die wichtigsten Projektentwickler in Deutschland kennen und – mindestens ebenso wichtig – diese lernten mich und meine Firma
kennen. Den Verlust der Kunden aus dem Bereich der offenen und geschlossenen Fonds konnten wir so durch die Gewinnung von Projektentwicklern ausgleichen. Zudem fanden wir andere renommierte Immobilienunternehmen als Kunden, etwa CBRE, das größte Immobilienberatungsunternehmen der Welt.
Ein wichtiges Instrument, um uns in der Branche bekannt zu machen, waren die »Immobilien News der Woche«. Ich gab diesen Newsletter schon ab dem Jahr 2000 heraus, als ich die Firma gegründet hatte. Wir verschickten ihn per E-Mail an einige Tausend Entscheider in der Branche sowie an sämtliche Immobilienjournalisten. In den »News« wurden und werden die wichtigsten Nachrichten zu Immobilienthemen knapp zusammengefasst und kommentiert. Wir abonnierten alle wichtigen Tageszeitungen, Wirtschaftsmedien und Fachzeitschriften und werteten diese unter den Gesichtspunkten aus, die für Führungskräfte der Immobilienbranche wichtig sind.
In den ersten zehn Jahren machte ich alles selbst: Ich bekam jeden Freitag zwei prall gefüllte Schnellhefter mit allen in der vergangenen Woche erschienenen Artikeln zu Immobilienthemen, las diese und schrieb auch alle Zusammenfassungen und Kommentare. Das war einerseits eine enorme Arbeit an den Wochenenden, andererseits war ich durch die wöchentliche Lektüre und die Zusammenfassungen stets sehr gut informiert. Irgendwann ging ich dazu über, die Zusammenfassungen der Zeitungsartikel an die Mitarbeiter zu delegieren und selbst nur die Kommentare und die Buchbesprechungen zu verfassen. Beides mache ich auch heute noch, nach dem Verkauf der Firma.
Die »Immobilien News« machten eine Menge Arbeit, nicht nur für mich, aber sie steigerten unseren Bekanntheitsgrad und hielten uns im Gespräch. Viele Führungskräfte der Branche begannen Montag früh die Woche mit der Lektüre des Newsletters, der es ersparte, selbst Dutzende Zeitungen zu lesen. Unser Wochenperiodikum half auch bei der Neukundengewinnung, denn in der Branche waren wir schon dadurch bekannter als die Wettbewerber. Alle zwei Wochen brachten wir zudem eine angepasste englische Übersetzung heraus, die »German Real Estate News«.
Dass die Mitarbeiter irgendwann begannen, die »Immobilien News der Woche« selbst zu schreiben, war für mich nur konsequent. Mein ganzes Leben lang habe ich immer so viel delegiert wie möglich, nach dem Motto: »Alles, was auch ein anderer machen kann, auch wenn es vielleicht nur 90 Prozent so gut wird, wie wenn ich es machen würde, delegiere ich.« Dadurch hatte ich Freiraum gewonnen, um an Wochenenden, an denen ich bisher an den »Immobilien News« gearbeitet hatte, wieder Bücher zu schreiben.
Nach meinem Buch »Setze dir größere Ziele!« folgten die »Worte des Erfolges«. Die Idee zu dem Büchlein kam mir nachts im Traum, und ich begann gleich am Morgen danach mit dessen Umsetzung. Ich sah im Traum ein Büchlein im Format der »Mao-Bibel« vor mir, die mich als Teenager ständig begleitet hatte. Der Inhalt sollte natürlich ein anderer sein: Ich trug 140 Aphorismen und Zitate von Persönlichkeiten aus 2000 Jahren zusammen. Die Aussprüche, die ich sammelte und kommentierte, stammten von Philosophen ebenso wie von modernen Schriftstellern, von erfolgreichen Unternehmerpersönlichkeiten wie von Wissenschaftlern und Künstlern – von Cicero über Goethe bis zu Steve Jobs. Dabei ging es um Themen wie »Vertrauen«, »Überzeugen und Verkaufen«, »Lernen aus Leidenschaft«, »Entscheidungen treffen« und »Selbstvertrauen gewinnen«.
Dann suchte ich nach einer Druckerei, die das Büchlein exakt in der gleichen Ausstattung herstellen könnte wie die »Mao-Bibel«, nur mit blauem statt rotem Umschlag. Gleichzeitig ließ ich eine Geschenkausgabe mit zwei CDs herstellen, die man kostenlos von meiner Website herunterladen kann.
Ich schrieb zudem ein Buch über mein Hobby, das mir viel bedeutete, seit ich 20 Jahre alt war: »Erfolgsfaktoren im Kraftsport«. Dafür fand ich einen angesehenen Fachverlag. Viel anstrengender als das Schreiben des Buches war es, zur Illustration der Übungen Modell zu stehen. Das hatte ich ursprünglich nicht vorgehabt, aber der Verlag bat mich, das selbst zu machen. Ich war von Natur aus als Teenager sehr dünn gewesen, hatte mir aber viel Wissen über Trainingstheorien angeeignet und regelmäßig trainiert. Stolz bin ich, dass ich – anders als viele andere Sportler – niemals der Versuchung erlag, mit anabolen Steroiden nachzuhelfen.
Das Kraftsport-Buch schickte ich Albert Busek, dem Herausgeber der deutschen Ausgaben der führenden Kraftsport-Zeitschriften »Flex« und »Muscle & Fitness«. Busek ist seit fünf Jahrzehnten einer der engsten Freunde von Arnold Schwarzenegger und hat dessen Karriere von Anfang an begleitet. Ich lernte Busek kennen, und er ließ mich regelmäßig in den Kraftsport-Zeitschriften Artikel schreiben. Dafür hätte ich damals, als ich die »Immobilien News« an den Wochenenden selbst verfasste, keine Zeit gehabt.
Meine Wochenenden sahen ansonsten immer ähnlich aus: Meist besuchte ich nachts, so von Mitternacht bis etwa vier Uhr früh, Diskotheken, mit 20 Jahren ebenso wie mit 30, 40 oder 50 Jahren. Ich ging erst zwischen vier und fünf Uhr früh schlafen, stand dennoch um acht Uhr wieder auf und war nicht müde. Nach dem Schreiben ging ich samstags und sonntags zum Sport und sonntags in die Kirche. Für mich ist es ein wichtiges Ritual, einmal in der Woche das »Vaterunser« zu beten und zwei Kerzen anzustecken. Ich bete für die Gesundheit meiner Eltern und der Menschen, die mir nahestehen. Und ich danke Gott für die Kraft und für die Gesundheit, die er mir geschenkt hat.
Samstag- und sonntagmittags holte ich den Schlaf nach, den ich nachts nicht gehabt hatte. Nach dem Mittagsschlaf schrieb ich meist wieder etwas und ging dann vor dem nächtlichen Ausgehen noch einmal für eine Stunde schlafen. Ich schlafe lieber mehrmals am Tag verteilt einige Stunden als – wie die meisten anderen Menschen – nachts sieben oder acht Stunden am Stück.
Unter der Woche sah mein Tagesablauf natürlich ganz anders aus. Oft war ich an drei oder vier Tagen in anderen Städten. Morgens nahm ich meist einen Flieger um neun Uhr, und dann ging es auf Geschäftsreisen nach Frankfurt, München, Köln oder in andere Städte. Ein Hotel brauchte ich selten, abends kam ich in der Regel zurück. Da ich im Flieger immer schlief, war das nicht anstrengend für mich und ich konnte am späten Abend noch Mails und Post erledigen und zum Sport gehen – manchmal erst um 22 Uhr oder sogar noch später.
Ich war in den vergangenen Jahren sehr viel in ganz Deutschland unterwegs. Jedes Jahr führte ich über 100 Gespräche mit potenziellen Neukunden. Denn in der Regel reichte ein Treffen nicht, um einen neuen Kunden zu gewinnen. Meist waren es drei, vier oder fünf Gespräche, die sich über viele Monate oder gar mehrere Jahre hinzogen, bis ein Kunde unterschrieb. Etwa jedes zehnte Unternehmen, dem ich unsere Firma vorstellte, gewann ich als Kunden.
Es wären mehr gewesen, wenn ich bei dem Preis und den Konditionen flexibler gewesen wäre. Aber genau dies wollte ich nicht. Die meisten potenziellen Kunden, mit denen ich sprach, sahen unsere Leistungsfähigkeit und hätten auch gerne mit uns zusammengearbeitet. Aber sie hatten ein Problem mit zwei Dingen: Erstens mit der Laufzeit unserer Verträge und zweitens mit der Höhe des Honorars.
Meine Geschäftspolitik bestand darin, nur Kunden zu akzeptieren, die bereit waren, einen Vertrag mit einer Laufzeit von 15 Monaten zu akzeptieren, wobei das Honorar monatlich zwischen 9.000 und 12.000 Euro betrug. Ich hatte die durchschnittlichen Honorare gegenüber den Anfangsjahren im Laufe der Zeit ungefähr verdoppelt. Zudem hatten die meisten Verträge eine Klausel, wonach sich das Honorar jährlich um mindestens 2,5 Prozent erhöhte. Auch in Zeiten, als die Kundengewinnung schwierig war, erlag ich nicht der Versuchung, die Honorare zu reduzieren. Eine erhebliche Reduktion, so meine Überlegung, hätte Begehrlichkeiten bei bestehenden Kunden geweckt und zudem unsere Gewinnmarge geschmälert; eine nur leichte Reduktion hätte hingegen bei der Gewinnung neuer Kunden nicht geholfen.
Jeder potenzielle Neukunde hatte eine andere Vorstellung: Viele Unternehmen wollten nur bestimmte Leistungsbausteine, dafür aber lediglich 3.000 oder 4.000 Euro bezahlen. Das lehnte ich prinzipiell ab. Andere Firmen wollten sich nicht für 15 Monate binden, sondern nur für einzelne Projekte Vereinbarungen abschließen. Auch das machte ich nicht mit. Wieder andere Unternehmen wollten uns auf der Basis von Stundenhonoraren oder in Abhängigkeit von erschienenen Presseartikeln bezahlen – das kam für mich erst recht nicht infrage, weil auch Journalisten so etwas nicht mögen.
Ich erwarb mir den Ruf, sehr hart in den Verhandlungen zu sein. Wenn ein bestehender Kunde kündigte und mir vorschlug, er wolle künftig projektbezogen weiter mit uns zusammenarbeiten, lehnte ich stets ab, weil ich befürchtete, dass sich dies herumsprechen und ich damit unser Geschäftsmodell zerstören würde. Selbst wenn es renommierte Gesellschaften waren, wie etwa die Deutsche-Bank-Tochter DWS, die Immobilientochter der Bank Austria Real Invest, Deloitte & Touche oder der Zentrale Immobilienausschuss (ZIA): Ich ließ einen Kunden lieber ziehen, als mich auf eine projektbezogene Zusammenarbeit einzulassen, die mir diese Unternehmen vorschlugen.
Allerdings bemühte ich mich immer wieder, Kunden, die gekündigt hatten, zu überzeugen, dass sie es sich anders überlegten, und den Schritt rückgängig zu machen, was nicht selten gelang. Darauf war ich dann besonders stolz. Holger Friedrichs und die anderen Mitarbeiter waren stets neugierig, »ob es dem Zitelmann wieder gelingt, den Kunden umzudrehen«.
Auch wenn ich mit meiner harten Haltung kurzfristig Kunden verlor und viele grundsätzlich interessierte Unternehmen nicht als Kunden gewinnen konnte, bewährte sich unter dem Strich die Strategie, strikt an dem Geschäftsmodell der langfristigen Verträge festzuhalten und in der Preispolitik nicht nachzugeben. Denn es sprach sich in der Branche, in der jeder jeden kennt, herum, dass in dieser Beziehung nicht mit mir zu reden war. Einmal fragte mich die Geschäftsführerin eines Unternehmens in der Endphase der Vertragsgespräche zwischendrin zum Preis: »Kann man da noch verhandeln?« Ich sagte einfach kurz »Nein« und redete ohne Unterbrechung von einem anderen Thema weiter. Die Geschäftsführerin fragte nicht mehr nach und unterschrieb. Friedrichs saß neben mir und blickte etwas ungläubig drein. »Verstehen Sie, die wollte nur für sich und ihren Geschäftsführer-Kollegen sagen können, dass sie wegen des Preises nachgefragt habe, aber sie hätte es nie daran scheitern lassen«, sagte ich ihm zur Erklärung.
Das heißt nicht, dass ich nicht manchmal dem Kunden ein wenig entgegengekommen wäre. Einer sagte mir zum Beispiel: »Das Honorar wäre ja in Ordnung, aber nur dann, wenn ich auch zufrieden bin.« Ich hatte einen spontanen Einfall und fragte ihn: »Wenn Sie nach 15 Monaten verlängern, dann würde das doch Ihre Zufriedenheit zeigen?« Der Kunde: »Ja klar, warum fragen Sie?« Daraufhin schlug ich vor: »Ich gehe beim Honorar in den ersten 15 Monaten um 1.000 Euro im Monat herunter. Die stelle ich in das Risiko. Die zahlen Sie nur nach, wenn Sie nach 15 Monaten zufrieden sind, also verlängern.« Damit zeigte ich ihm erstens mein Selbstvertrauen in unsere Leistungsfähigkeit und vermittelte ihm zweitens das Gefühl, er habe doch noch etwas herausgeholt.
Anderen Kunden aus dem Bereich der geschlossenen Fonds bot ich an, das Pauschalhonorar zu reduzieren, dafür jedoch eine variable Zusatzvergütung zu vereinbaren, die einmal im Jahr fällig würde und sich an dem platzierten Eigenkapital bemessen würde. »Damit reduzieren Sie Ihr Risiko für den Fall, dass Ihr Geschäft doch nicht so gut läuft. Und wenn es sehr gut läuft, freuen wir uns gemeinsam und Sie haben dann gewiss kein Problem, uns eine schöne variable Zusatzvergütung zu zahlen.«
Ein Ärgernis war für mich mitunter, dass Kunden gerne die Vorteile mitnahmen, wenn ich – unabhängig von der PR-Beratung – wertvolle Kontakte für sie herstellte, aber meinten, das sei ja im Honorar inbegriffen und dafür müssten sie nicht bezahlen. Deshalb schrieb ich in die Verträge, dass solche Leistungen (ich nannte das »Beziehungsmanagement«) nicht in dem Pauschalhonorar inbegriffen sind, sondern gesondert vergütet werden. Manche drückten sich dennoch um die Zahlung, weil sie davon ausgingen, ich würde das schon nicht einfordern, um den Hauptvertrag nicht zu gefährden. Für diese arg kurzfristig denkenden Kunden, die ich hier nicht nennen will, erbrachte ich solche Leistungen nicht mehr.
Andere verhielten sich dagegen sehr fair und zuverlässig. Besonders erwähnen möchte ich Lothar Estein von der US-Treuhand, einem Unternehmen, das – ähnlich wie Jamestown – geschlossene US-Immobilienfonds initiiert. Ich hatte auch von diesem Unternehmen einen sehr guten Eindruck und mich an einigen Fonds beteiligt. Estein, der seit 20 Jahren in Orlando wohnt und daher in Deutschland nicht so intensive Kontakte hat wie ich, bat mich eines Tages, einen Partner für ihn in Deutschland zu suchen, um das institutionelle Geschäft auszubauen. Er versprach mir vorher eine Vergütung, die sich daran orientierte, welchen Preis er für die Beteiligung erzielen würde. Ich fand für ihn einen Partner und schließlich bekam ich – ohne jede Diskussion – eine Vergütung im oberen sechsstelligen Bereich, obwohl ich an der Einfädelung dieses Deals nur wenige Tage gearbeitet hatte. Das merkte ich mir, und seitdem sage ich jedem, dass man sich nach meiner Erfahrung 100 Prozent auf ihn verlassen kann. Er hat mich 2016 erneut damit beauftragt, ihm zu helfen, und ich konnte wieder einen für das Unternehmen sehr wichtigen Beitrag leisten. Daraus lernte ich, dass gute Ideen und ein gutes Beziehungsnetzwerk oft mehr Geld bringen als bloßer Fleiß und harter Arbeitseinsatz. Allerdings war viel Fleiß notwendig, um ein solches Netzwerk über etliche Jahre aufzubauen. War es einmal geknüpft, konnte man damit jedoch gut verdienen. Ein anderer Kunde zahlte uns ein Prozent Provision für die Vermittlung von drei Wohnimmobilienprojekten an institutionelle Investoren für einen Preis von insgesamt 80 Millionen Euro. So konnten wir manchmal Zusatzeinnahmen zu den Honoraren aus den PR-Verträgen generieren.
Diskussionen gab es anfangs manchmal, weil unsere potenziellen Kunden aus der Immobilien- und Fondsbranche Interessenkonflikte befürchteten, wenn wir auch für ihre Wettbewerber arbeiteten. Es gab fast kein Akquisegespräch, bei dem dieses Thema nicht angesprochen wurde. Aber später in der Zusammenarbeit spielte es keine Rolle mehr. Im Gegenteil: Wir hatten die Fachkompetenz bei Immobilienthemen und das Netzwerk zu Immobilienjournalisten ja nur deshalb, weil wir nicht nur für eines, sondern für mehrere Unternehmen arbeiteten. Oft organisierten wir sogar gemeinsame Pressegespräche mit drei oder vier unserer Kunden, weil es für Journalisten mitunter attraktiv ist, bei einem Termin gleich mehrere unterschiedliche Stimmen und Sichtweisen zum Thema einzufangen.
Zurück zu den Kundenverträgen: Ich war, wie geschildert, generell nicht sehr kompromissbereit bei meinem Geschäftsmodell und wollte lieber weniger Kunden betreuen, diese jedoch langfristig und mit einem ordentlichen Honorar, als zu viele Kunden anzunehmen, die dann unzufrieden würden, weil die Kapazitäten zu deren Betreuung nicht ausreichten. Ohnehin bestand meist ein Missverhältnis zwischen der Zahl der Kunden und der Zahl der qualifizierten Mitarbeiter, was zu einer ständigen Überlastung von Mitarbeitern führte, die nicht selten über 60 Stunden in der Woche arbeiteten. Das war einer der Gründe für die hohe Fluktuation. Ein sehr guter Mitarbeiter erklärte mir bei seiner Kündigung: »Dr. Zitelmann, ich habe so viel hier gelernt und hatte viel Freude bei der Arbeit. Aber ich muss mich jetzt entscheiden, ob ich mir einen neuen Arbeitgeber oder eine neue Freundin suche. Meine jetzige Freundin, die mir sehr wichtig ist, macht das auf jeden Fall nicht mehr mit.«
Zu der hohen Arbeitsbelastung für die Mitarbeiter kam der extreme Stress hinzu. Die Immobilienbranche ist eine harte Branche, in der Kunden (zu Recht) große Ansprüche stellen, wenn sie einen hohen Preis bezahlen, aber dies dann manchmal auch sehr hart formulieren. Damit konnten viele Mitarbeiter nicht umgehen. Ich führte daher Schulungen dazu durch, wie man mit Kundenkritik klarkommt. Das half den Mitarbeitern. Aber zu dem Stress, den Kunden verursachten, kam noch der Druck hinzu, den ich ausübte.
All das spitzte sich im Jahr 2015 zu, als ich ein wenig das Interesse an der Firma verloren hatte und mit größerer Begeisterung bei meiner zweiten Doktorarbeit war. Das war ein Grund dafür, warum Holger Friedrichs, der diese Probleme erkannte, mir Ende Dezember ankündigte, er wolle die Firma in vier Wochen verlassen. Umso schöner ist es, dass ich mich – wie im Prolog zu diesem Buch beschrieben – mit ihm einigen konnte und er heute das Unternehmen erfolgreich fortführt. Insgesamt waren die 15 Jahre sehr erfolgreich. Ich hatte ein Unternehmen aufgebaut, das aufgrund seiner hervorragenden Reputation unangefochtener Marktführer und zugleich wirtschaftlich ungewöhnlich erfolgreich war.
Neben dem wirtschaftlichen Erfolg war es mir wichtig, in der Immobilien- und Fondsbranche die seriösen Kräfte zu stärken, unseriöse Kräfte zurückzudrängen und auf das Verbandswesen Einfluss zu nehmen. Besonders viele unseriöse Marktteilnehmer tummelten sich in der Branche der geschlossenen Fonds. Der »Verband Geschlossener Immobilienfonds« (VGI), der sich 2004 in »Verband Geschlossener Fonds« (VGF) umbenannte, spiegelte das wider. Der Vorsitzende war Thomas Engels von der Falk-Gruppe, der später wegen Untreue zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt wurde. Geschäftsführer war Carsten Lucht, der schon von seinem Habitus und äußeren Erscheinungsbild her – hochgezwirbelte Bartspitzen wie Kaiser Wilhelm I. – wie die Karikatur eines Vertreters des »Grauen Kapitalmarktes« wirkte.
Im Jahr 2005, als die Schwäche der Fondsbranche in der Lobbyarbeit im Zusammenhang mit der Verabschiedung des sogenannten »Anlegerschutzverbesserungsgesetzes« allen Marktteilnehmern schmerzlich bewusst wurde, kamen verschiedene Fondsinitiatoren mit dem Plan auf mich zu, einen neuen Verband zu gründen. Ich war dagegen, weil dies zu einer weiteren Zersplitterung der Kräfte
geführt hätte. Mit dem VGF gab es ja schon einen Verband, der lediglich den Nachteil hatte, dass einige seriöse Marktteilnehmer dort nicht vertreten waren und er von unseriösen Initiatoren dominiert wurde. Stattdessen entwickelte ich die Idee, diesen Verband zu unterwandern, indem ihm seriöse Marktteilnehmer beitraten, um dann den Vorstand und die Geschäftsführung zu entmachten.
Tatsächlich gewann ich mehrere unserer Kunden für diesen Plan, darunter die Unternehmen Jamestown, HGA Capital (eine Tochter der HSH Nordbank) und DB Real Estate (eine Tochter der Deutschen Bank). Der Plan ging auf: Es traten auf meine Initiative mehrere renommierte Fondsinitiatoren dem Verband neu bei. Der Verband trennte sich von seinem Geschäftsführer Carsten Lucht. Vorstand Thomas Engels musste schon einige Monate vorher gehen, und dessen Nachfolger wurde nicht mehr bestätigt. Der neue VGF-Vorstand bestand aus Vertretern von sieben Unternehmen, von denen vier Kunden meiner Firma waren (die anderen drei wurden später Kunden). Der runderneuerte Verband, der sich später in »Bundesverband Sachwerte und Investmentvermögen« umbenannte, wurde von der Politik als Gesprächspartner ernst genommen und leistete in vieler Hinsicht eine bessere Arbeit als zuvor. Seriöse Marktteilnehmer waren gestärkt und unseriöse Marktteilnehmer geschwächt worden – so wie ich es geplant hatte.
Weil ich mir meine Unabhängigkeit wahren wollte, strebte ich nie Verbandsfunktionen an. Obwohl ich der Initiator des erneuerten Verbandes war, begleitete ich seine Aktivitäten durchaus kritisch. Insbesondere kritisierte ich eine Kampagne, in der der Verband geschlossene Fonds mit einer groß angelegten Imagekampagne schönfärberisch als »neue Wirtschaftswunder« pries. Geworben wurde mit frisierten Zahlen über die Renditen geschlossener Fonds, und mir war klar, dass diese Kampagne genau das Gegenteil dessen bewirken würde, was beabsichtigt war.
Die vielen Anleger, die Geld mit geschlossenen Fonds verloren hatten, würden sich veralbert fühlen und die Medien die Kampagne eher zum Anlass zu kritischen als zu positiven Berichten über die Branche nehmen. Genauso kam es dann auch. Dass ich diese Kampagne in meinen »Immobilien News« sehr scharf kritisierte und einige Kunden von mir darin unterstützte, ihre Kritik öffentlich vorzutragen, trug mir eine Menge Ärger mit anderen Kunden ein. Einer drohte sogar mit dem Abbruch der Geschäftsbeziehungen.
Rein wirtschaftlich gesehen waren meine Bemühungen um eine seriöse Interessenvertretung der Fondsbranche übrigens für mich eher abträglich. Denn der VGF begann, Seminare zu Themen der Fondsbranche anzubieten, die meiner »Berliner Immobilienrunde« Konkurrenz machten. Teilweise wurden die Überschriften meiner Veranstaltungen fast wörtlich abgeschrieben und die Seminare zu einem günstigeren Preis angeboten. Ich sagte dem neuen Vorstand Dr. Joachim Seeler: »Ich will ja keine Urkunde für meine Verdienste, aber wenn der Verband jetzt als Wettbewerber zu meinen Veranstaltungen auftritt, dann ärgert mich das schon.«
Auch auf die Gründung eines anderen Verbands nahm ich Einfluss. Mit John von Freyend von der IVG, der – wie in Kapitel 11 berichtet – eine wichtige Rolle beim Start meines eigenen Unternehmens gespielt hatte, diskutierte ich häufig darüber, wie man das hoffnungslos zersplitterte Verbandswesen in der Immobilienwirtschaft einen könnte. Aus diesen Gesprächen entwickelte sich die Idee, eine neue Vereinigung ins Leben zu rufen, den »Zentralen Immobilienausschuss«. Der ZIA wurde 2006 gegründet. Ursprünglich sollte es eigentlich nicht ein neuer Verband werden, sondern ein Zusammenschluss bestehender Verbände, um die Zersplitterung zu überwinden. So vermittelte ich Gespräche mit dem VGF und dem »Immobilienverband Deutschland« (IVD). Der IVD, der 2004 aus einer Fusion der Maklerverbände RDM und VDM hervorgegangen ist, war vom ersten Tag an Kunde der Dr. ZitelmannPB. und ist es bis heute geblieben. Beide Verbände schlossen sich zunächst dem ZIA an.
Ich stellte John von Freyend einen aus meiner Sicht geeigneten Geschäftsführer für den ZIA vor, nämlich Axel von Goldbeck, Anwalt bei der damals mit Ernst & Young Real Estate verbundenen Kanzlei Luther und Kunde meiner Firma. Später entwickelte sich der ZIA in eine andere als die anfangs beabsichtigte Richtung, weil immer mehr Einzelunternehmen beitraten, was seinen Erfolg jedoch nicht schmälerte. Der Verband war seit der Gründung Kunde meiner Firma; wir gestalteten die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und standen auch sonst in einem engen fachlichen Dialog.
Nachdem John von Freyend 2009 das Präsidentenamt niederlegte und Andreas Mattner von dem Shoppingcenter-Entwickler ECE sein Nachfolger wurde, kühlten sich die Beziehungen ab. Zwar blieb der Verband noch einige Jahre Kunde meiner Firma. Aber mir gefiel nicht, dass Mattner, ein sehr engagierter CDU-Politiker, eine unkritische Haltung gegenüber der Regierungspolitik einnahm. So wurde beispielsweise die sogenannte »Mietpreisbremse« in ersten Stellungnahmen anpasserisch als Schritt in die richtige Richtung gepriesen, was ich ganz anders sah. Mattner war glücklich, wenn CDU-Minister zu seinem Verbandstag kamen, markige Worte für Marktwirtschaft und Eigentum fanden und den Immobilienleuten Komplimente machten, wie wichtig sie für die Volkswirtschaft seien. Ich war – und bin – dagegen der Meinung, dass man Politiker an ihren Taten messen soll und nicht an schönen Worten bei Verbandstagen.
Persönlich initiierte ich im Jahr 2000 die WVFI. Diesen Verein mit dem sperrigen Namen »Wissenschaftliche Vereinigung zur Förderung des Immobilienjournalismus« gründete ich zusammen mit Professor Karl-Werner Schulte, der als Begründer der wissenschaftlichen Immobilienökonomie in Deutschland gilt. Eine der Aktivitäten des WVFI war die jährliche Verleihung des »Deutschen Preises für Immobilienjournalismus«. Mir war es wichtig, dass damit auch kritische Journalisten ausgezeichnet wurden. Um die Unabhängigkeit zu gewährleisten, entwickelte ich ein System, das aus festen und aus jährlich rotierenden Jurymitgliedern bestand.
Es gelang mir, renommierte Persönlichkeiten für die Jury zu gewinnen, darunter meinen früheren Chef bei der »Welt«, Thomas Löffelholz, und den angesehenen Medienwissenschaftler Professor Hans Mathias Kepplinger. Natürlich war auch Professor Schulte Jurymitglied. Ich selbst war Vorstand des Vereins und Jürgen Michael Schick wurde zu meinem Stellvertreter gewählt. Jährlich bei der Immobilienmesse »Expo Real« in München wurde im Rahmen einer feierlichen Veranstaltung der Preis verliehen. Nach dem Verkauf meiner Firma im Jahr 2016 trat ich als Vorstand zurück und Holger Friedrichs wurde als neuer Vorstand gewählt.
Politisch fühlte ich mich in der Immobilienbranche wohl mit meinen Überzeugungen. In der Welt der Wissenschaft und der Medien ist derjenige, der nicht irgendwie politisch links steht, meist ein Außenseiter. Das störte mich nicht besonders, weil ich ja ganz gerne gegen den Strom schwimme. Andererseits fand ich es durchaus angenehm, dass die Menschen in der Immobilienwirtschaft politisch überwiegend ähnlich denken wie ich.
Die »Immobilien Zeitung« führt im Umfeld der Bundestagswahlen Befragungen in der Immobilienbranche durch. Auf die Frage: »Wenn heute Bundestagswahl wäre, welcher Partei würden Sie Ihre Stimme geben?«, antworteten 2009 42 Prozent FDP, 29 Prozent CDU/CSU, 14 Prozent Grüne und 9 Prozent SPD. Bei der Befragung vor der Bundestagswahl 2013 lagen CDU/CSU bei 46 Prozent, die FDP immerhin noch bei 18 Prozent, die SPD bei 11 Prozent, die Grünen bei 9 Prozent und die AfD bei 8 Prozent. Bei den Führungskräften der Branche, mit denen ich zu tun hatte, war das Meinungsbild noch ausgeprägter konservativ oder liberal. Nur in Hamburg traf man vereinzelt Sozialdemokraten in der Branche.
Obwohl die meisten Immobilienleute ähnlich wie ich denken, sind viele in politischer Hinsicht leider ziemlich naiv. Sie glauben, wenn man »den Politikern« die Zusammenhänge – etwa über die Wohnungswirtschaft und das Mietrecht – nur geduldig erkläre, würden sie es verstehen und sachgerechte Entscheidungen treffen. Unternehmer und Manager neigen dazu, ihre eigene Rationalität auf den Ablauf politischer Entscheidungsprozesse zu projizieren, und wundern sich immer wieder, wenn dort ganz andere Kriterien den Ausschlag geben. Denn manche Politiker mögen sich eher von Ideologien leiten lassen, andere beschließen symbolische Maßnahmen zur Befriedigung ihrer Klientel, wohl wissend, dass diese in der Praxis oft wenig bewirken.
Auch wenn ich politisch in der Immobilienbranche – anders als in dem intellektuellen Umfeld, in dem ich mich davor bewegte – nicht mehr gegen den Strom schwamm, sondern mich eher im Einklang befand, galt dies ganz und gar nicht für meine Investitionen. Hier war ich wieder ein Außenseiter, doch dafür sollte ich belohnt werden.