Manche Autoren erklären zu Beginn ihrer Autobiografie, sie hätten lange mit sich gerungen und gezweifelt, ob es richtig sei, über ihr Leben zu schreiben. Und dann sei es dem Lektor eines Verlages, ihren Freunden und ihrer Frau mit vereinten Kräften doch noch gelungen, sie zu überreden, sich der Mühe zu unterziehen. Sie fügen dann bescheiden hinzu, vielleicht gebe es ja auch das eine oder andere, was nicht völlig uninteressant sei … Ich habe diese Selbstzweifel nicht. Ich finde mein Leben unglaublich interessant, aufregend und vor allem ziemlich ungewöhnlich. Das reicht mir als Grund, um darüber zu berichten.
Von meiner Berufsausbildung her bin ich Historiker. Dessen Aufgabe ist es, wie Leopold von Ranke einmal formuliert hat, aufzuzeigen, »wie es eigentlich gewesen« ist. Um nichts anderes geht es in dieser Autobiografie. Ich will damit weder irgendjemanden belehren noch versuchen, mich selbst zu analysieren. Das zumindest war mein Vorsatz, als ich mit dem Schreiben begann. Später konnte ich es mir dann doch nicht verkneifen, hie und da selbstanalytische und auch einige »belehrende« Passagen einzuflechten.
Es kann große Freude machen, gegen den Strom zu schwimmen – aber man braucht viel Kraft und starke Nerven dafür. Und es ist aufregend, mehr als nur ein Leben zu führen. Seit ich 20 Jahre alt bin, bewundere ich Arnold Schwarzenegger, der mehrere Leben gelebt hat, als Bodybuilder, Geschäftsmann, Filmstar und Politiker. Das war und ist auch mein Lebenskonzept.
Das Modell, das früher vorherrschte, nämlich eine Ausbildung zu machen oder ein Fach zu studieren und dann das ganze Leben lang das Gleiche zu tun, hat eine Berechtigung, und es wird – entgegen anderen Voraussagen – auch in Zukunft Menschen geben, die einem solchen Weg folgen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Wer aber darüber nachdenkt, aus gewohnten Pfaden auszubrechen, für den könnte dieses Buch eine Ermutigung sein. Die Schnelligkeit der Veränderungen in unserer Welt wird ohnehin immer mehr Menschen dazu zwingen, herauszufinden, ob in ihnen mehr als nur eine Begabung steckt.
Viele Bürger der neuen Bundesländer waren nach dem Zusammenbruch des Sozialismus zu einem beruflichen Neustart gezwungen. Manche haben darüber geklagt, andere haben darin eine große Chance gesehen und diese genutzt. Bei mir, einem Westdeutschen, war es anders: Ich habe nicht deshalb mit etwas Neuem begonnen, weil ich dazu gezwungen gewesen wäre, sondern weil ich neugierig war. Und weil ich irgendwann merkte, dass ich meinen Beruf zwar gerne ausübte, aber nicht mehr mit brennender Begeisterung. Das war für mich Grund genug, nach Neuem Ausschau zu halten. Nacheinander war ich Historiker, Cheflektor, leitender Journalist, Unternehmer und Investor. Alles, was ich unternahm, tat ich mit Freude und Begeisterung. Aber nichts davon wollte ich mein ganzes Leben lang tun.
Sie erfahren in diesem Buch unter anderem, wie ich
–eine Zeitungsanzeige mit 128 Worten formulierte und damit die politische Klasse (einschließlich Bundeskanzler Kohl) in helle Aufregung versetzte;
–als Cheflektor des Ullstein-Verlages und Ressortleiter der »Welt« die politische Linke herausforderte, bis mein Auto in Flammen aufging;
–dank der (teilweise geheimen) Unterstützung mächtiger Männer im Axel-Springer-Konzern überlebte, obwohl meine politischen Gegner mich vorübergehend ins Abseits gestellt hatten;
–von der Politik und Geschichte zur Immobilie kam und das führende Unternehmen für die PR-Beratung der Immobilienbranche aufbaute;
–mit einem anfänglichen Kontostand von minus 10.000 Mark in wenigen Jahren Millionär wurde;
–fast ohne Eigenmittel am Berliner Immobilienmarkt viele Millionen investierte und damit »unendliche« Renditen erzielte.
Ich verschweige aber auch nicht meine Dummheiten und Schwächen – vom exzessiven Hasch- und Alkoholmissbrauch bis zu Fehlern in der Menschenführung während meiner Zeit als Unternehmer. Ausführlich wird zudem meine Zeit als Gründer einer Roten Zelle und Gefolgsmann der maoistischen KPD/ML beschrieben.
Ein kluger Kopf, auf dessen Urteil ich sonst viel gebe, hat mir empfohlen, nicht so offen über meine Schwächen zu schreiben. Er hat mir zugleich nahegelegt, etwas bescheidener zu sein, wenn es um meine Erfolge geht. Ich bin weder dem einen noch dem anderen Rat gefolgt. Dies soll eine ehrliche Autobiografie sein, in der Sie als Leser mich so erleben, wie ich bin.
Schon früh habe ich fast alles aufbewahrt: von den Schülerzeitungen über die politischen Abhandlungen in meiner linken Periode bis zu den Unterlagen über meine Immobilieninvestitionen, mit denen ich in den vergangenen zwei Jahrzehnten vermögend wurde. Das war gut so, denn ich habe zwar ein sehr gutes Gedächtnis, weiß jedoch aus wissenschaftlichen Untersuchungen, wie stark dies Menschen täuschen kann, wenn es um ihre eigene Vergangenheit geht.
Es gibt Autobiografien, in denen die Autoren ausführlich von Erlebnissen in ihren ersten Lebensjahren (manche sogar vor ihrer Geburt!) berichten, obwohl wissenschaftlich bewiesen ist, dass es unmöglich ist, sich daran zu erinnern. Wer sich für das Thema interessiert, dem empfehle ich die faszinierenden Arbeiten der Gedächtnisforscherin Julia Shaw. Sie weist nach, dass die meisten Menschen ihre autobiografische Gedächtnisleistung massiv überschätzen und selbst felsenfest überzeugt sind, bestimmte Dinge hätten sich so zugetragen, die sich tatsächlich nie oder ganz anders ereignet haben. Daher stütze ich mich, anders als viele auf Erinnerungen basierende Autobiografien, in diesem Buch, so weit möglich, auf schriftliches Material. Und dies ist auch ein Grund, warum ich erst mit dem siebten bzw. achten Lebensjahr beginne. Nicht, weil ich nicht wüsste, dass frühkindliche Erfahrungen prägend sein können. Sondern weil ich weiß, dass unsere vermeintlichen Erinnerungen gerade an diese Zeit besonders anfällig für Fehler sind.
Ganz persönliche Dinge, die den Privatbereich anderer Menschen – etwa meiner Freundinnen oder Geschwister – berühren, lasse ich weg. Nicht, weil mir diese Menschen nicht wichtig wären. Im Gegenteil. Aber ich möchte deren Privatsphäre respektieren.
Das ist eine Zwischenbilanz zu meinem 60. Geburtstag. Ich denke, dass ich in 10 oder 20 Jahren noch mehr zu berichten haben werde. Meine Großmutter mütterlicherseits, Marie Hock, ist 106 Jahre alt geworden, mein Vater Arnulf Zitelmann hat mit 87 Jahren ein 1.200 Seiten starkes Buch geschrieben, meine Mutter Dietlinde Zitelmann mit 82 Jahren Kurse für Erwachsene in der Volkshochschule gegeben. Ich hoffe, ich habe gute Gene, und setze auf ein langes Leben. Ich habe noch viel vor. Erst vor einem halben Jahr habe ich meine zweite Promotion abgeschlossen und nach dem Verkauf meiner Firma einen beruflichen Neustart begonnen. Ich stehe erst am Anfang.
Dr. Dr. Rainer Zitelmann, April 2017