Meine publizistische Tätigkeit bei Ullstein war einem Mann im Axel-Springer-Verlag aufgefallen, zu dem der Buchverlag gehörte: Claus Jacobi, einer der bekanntesten deutschen Journalisten. In den 60er Jahren war er zusammen mit Johannes K. Engel Chefredakteur des »Spiegel«. Im Zuge der Spiegel-Affäre wurde er gemeinsam mit dem Herausgeber des Nachrichtenmagazins, Rudolf Augstein, verhaftet. Nach seiner Freilassung leitete er das Magazin während der einhunderttägigen Haft von Augstein. 1993 bis 1995 war er Chefredakteur der »Welt«. Jacobi erklärte mir, ihm hätten meine Aktivitäten bei Ullstein und Propyläen gefallen und ich sei ihm von verschiedenen Leuten im Axel-Springer-Konzern empfohlen worden. Er suche jemand für die Leitung der Wochenendbeilage »Geistige Welt«. Die »Geistige Welt« hatte eine große Tradition und war 1953 von dem engen Vertrauten Axel Springers, dem bekannten Journalisten Hans Zehrer, gegründet worden.
Ich sagte Jacobi, dass mir diese Aufgabe gefalle, da ich hier die Möglichkeit sähe, das fortzusetzen, was ich bei Ullstein begonnen hatte. Allerdings wollte ich meine Verantwortung für das politische und zeitgeschichtliche Programm bei Ullstein-Propyläen nicht abgeben, sondern wollte das parallel zur neuen Tätigkeit fortführen. Das war auch die Bedingung, die Herbert Fleissner stellte, um dem Wechsel zuzustimmen. Ihm gefiel es gar nicht, dass sein Cheflektor intern im Springer-Verlag abgeworben wurde. Fleissner machte es zur Bedingung, dass die »Welt« mir gestatte, als Berater des Ullstein-Verlages weiterhin tätig zu sein und das Programm für Politik und Zeitgeschichte dort zu verantworten.
Das war ganz in meinem Sinne. Ich schloss einen Vertrag, in dem es hieß: »Herr Dr. Zitelmann bleibt dem Buchverlag auch nach dem 1.12.1993 als Programmverantwortlicher für Politik und Zeitgeschichte weiter verbunden.« In unmittelbarer und direkter Absprache mit dem Verleger solle ich für die »Programmplanung, die Autorenakquisition und die Konzeption der zeitgeschichtlichen und politischen Titel, und zwar sowohl im Hardcover-Bereich wie für die Reihe ›Ullstein Report‹« weiterhin verantwortlich zeichnen und den Verlag zudem für die Presse- und PR-Arbeit zu den zeitgeschichtlichen und politischen Titeln beraten. Damit hatte ich eine wichtige Stellung im Springer-Verlag, weil ich die Inhalte der »Geistigen Welt« und das politische Programm des Buchverlages bestimmen konnte.
Auch finanziell zahlte es sich aus, denn bei der »Welt« erhielt ich mit 170.000 DM ein etwas höheres Gehalt als bei Ullstein; hinzu kamen Vergütungen in Höhe von 48.000 DM aus dem Beratervertrag mit Ullstein. Für einen Journalisten war das Anfang der 90er Jahre ein weit überdurchschnittliches Gehalt.
Allerdings hatte ich keine Ahnung, auf was ich mich dabei einließ. Es kommt wohl selten vor, dass schon drei Wochen vor dem Amtsantritt eines Ressortleiters der Chefredakteur Mitarbeitern unmissverständlich und schriftlich klar machen muss, wer künftig das Sagen hat. Denn die Mitarbeiter der »Geistigen Welt« waren über den neuen Chef keineswegs froh. Am 10. November 1993 schrieb Claus Jacobi persönlich einem für eine Seite in der Beilage zuständigen Redakteur folgende »Hausmitteilung-Aktennotiz«: »Lieber Herr xxx, für den Fall, dass es in dieser Hinsicht Unklarheiten geben sollte: Die Seite xxx ist Teil der ›Geistigen Welt‹ und untersteht deren Ressortleiter.« Das war ich, ab dem 1. Dezember 1993.
Auch die anderen Kollegen im Feuilleton hatten nicht auf mich gewartet. Sie waren meist links eingestellt und zeigten das demonstrativ durch entsprechende Aufkleber an ihren Türen (»Ausländer, lasst uns nicht mit diesen Deutschen allein«). Ebenso demonstrativ hängte ich ein großes Bild des verstorbenen Verlegers Axel Springer, den ich sehr bewunderte, in meinem Zimmer auf. Viele Kollegen reagierten darauf mit Kopfschütteln: Anders als ich waren sie keineswegs stolz darauf, im Verlag von Axel Springer zu arbeiten. Statt »Axel Springer Verlag« sagten sie lieber »ASV«.
Als ein mir wohlgesinnter Kollege – ich glaube, es war Herbert Kremp – diese Journalisten auf den kurz zuvor verübten Brandanschlag auf mein Auto ansprach, antworteten sie ausweichend: »Das kann man gut finden, das kann man schlecht finden.« Also: Willkommen war ich nicht. Später erst wurde mir klar, dass Jacobi mich gerade deshalb geholt hatte. Ihm passten diese Stimmungslage und die Einstellungen nicht, und ich hatte mir bei Ullstein den Ruf erworben, mich gegen massive Widerstände durchzusetzen und keinen Konflikt zu scheuen.
Ich startete schon kurz nach meinem Amtsantritt mit einem Paukenschlag. Am 18. Dezember veröffentlichte ich auf der ersten Seite der »Geistigen Welt« einen ganzseitigen Artikel »Wenn Herrschaftsfreie herrschen«. In der Einleitung hieß es: »In der Folge der Kulturrevolution von 1968 kam es zu einer Verschiebung des politischen Koordinatensystems. Die einstigen Tabubrecher haben neue Tabus aufgerichtet. Denkverbote behindern die freie Diskussion. Der linke Konformismus hat zu einem Pluralismus-Verständnis geführt, das rechte und konservative Positionen ausgrenzt.« Ich kritisierte, es herrsche ein unerträglicher Konformismus in weiten Teilen der Republik, und zwar besonders dort, wo »kritische« Geister einflussreich seien, also an geistes- und sozialwissenschaftlichen Fachbereichen der Universitäten, in Medien und Gewerkschaften.
Der Artikel machte deutlich klar, dass ich das, was ich bei Ullstein begonnen hatte, nun bei der »Welt«, einer der angesehensten deutschen Qualitätszeitungen, fortzusetzen gedachte. Viele kluge Köpfe, die ich als Buchautoren für Ullstein gewonnen hatte, schrieben jetzt in der »Geistigen Welt«. Tilman Fichter, der bei Ullstein das Buch über »Die SPD und die Nation« herausgebracht hatte, publizierte im Februar 1994 einen großen Artikel. Im gleichen Monat schrieb Ullstein-Autor Karlheinz Weißmann eine ganze Seite über die »Doppelmoral der deutschen Gesellschaft im Umgang mit der braunen und roten Vergangenheit«.
Im April veröffentlichte die konservative CDU-Politikerin Elisabeth Motschmann, deren Ehemann Jens einen Ullstein-Report über die Evangelische Kirche, den Sozialismus und das SED-Regime (»Die Pharisäer«) veröffentlicht hatte, eine ausführliche Kritik der feministischen Theologie. In derselben Ausgabe schrieb der Liberale Werner Bruns, ebenfalls Ullstein-Autor, über das »Tabu Sozialkriminalität«. Und Gerd Habermann, der Autor des kritischen Propyläen-Buches zum Wohlfahrtsstaat, publizierte im März 1994 eine Seite zum Thema: »Wenn die Freiheit der Gleichheit geopfert wird: die Entfremdung des Menschen im modernen Wohlfahrtsstaat«.
Klaus Rainer Röhl, Ex-Ehemann der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof und einst Herausgeber der linksextremen »Konkret«, inzwischen jedoch ein kämpferischer Konservativer, schrieb im Februar 1994 einen satirischen Beitrag über »Die Generation der Hypochonder«, der Historiker Michael Wolffsohn steuerte im Januar 1994 einen kritischen Artikel über die ausgebliebene »westdeutsche Vergangenheitsbewältigung« und den »Fall Herbert Wehner« bei. Auch die beiden »Welt am Sonntag«-Redakteure Ulrich Schacht und Heimo Schwilk, von denen später die Rede sein wird, veröffentlichten im März 1994 jeder einen ganzseitigen Artikel auf der ersten Seite der »Geistigen Welt«.
Zu den meisten dieser Artikel stehe ich auch heute noch, zu einem jedoch nicht. Das war ein Artikel von Will Tremper, dem Regisseur und Drehbuchautor. Tremper gehörte zum Springer-Urgestein, war seit Jahren regelmäßiger Autor für »Welt am Sonntag«, »Die Welt« und »Hörzu« und verfasste dort viele Filmkritiken. Zudem war er eng befreundet mit Manfred Geist, dem neuen Redaktionsdirektor bei der »Welt«. Ein Artikel von ihm über den Film »Schindlers Liste« führte zu berechtigter Kritik – ich hätte den Artikel verhindern müssen. Geist, der Tremper direkt nach Erscheinen ganz begeistert zu dem Artikel gratuliert hatte, stahl sich aus der Verantwortung, als die Wellen der Empörung hochschlugen.
Der Artikel war Vorwand für all jene, denen die ganze Richtung, die die »Geistige Welt« eingeschlagen hatte, schon längst nicht mehr passte. Der Widerstand richtete sich nicht nur gegen mich, sondern auch gegen Geist, der zuvor bei der »Welt am Sonntag« Chefredakteur gewesen war und jetzt seine beiden Mitarbeiter Heimo Schwilk und Ulrich Schacht mitbrachte. Schwilk, der sich einen Namen als Ernst-Jünger-Biograf gemacht und für seine Reportagen über den Golfkrieg den Theodor-Wolff-Preis für herausragenden Journalismus verliehen bekommen hatte, wurde Chef des Feuilletons der »Welt«. Ulrich Schacht, der im Frauengefängnis Hoheneck während der dortigen Inhaftierung seiner Mutter geboren wurde und in der DDR später selbst wegen »staatsfeindlicher Hetze« zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war, wurde Kulturreporter der »Welt«.
Eine Gruppe von »Welt«-Journalisten, insbesondere aus dem Feuilleton, versorgte regelmäßig die linksalternative taz (die in der gleichen Straße ihr Redaktionsbüro hat wie der Springer-Verlag) mit Informationen und vor allem mit den passenden Stichworten. Am 12. März 1994 schrieb die taz: »Ausgerechnet die Redakteure der erzkonservativen ›Welt‹ proben den Aufstand. Aus spektakulärem Grund: Das Banner, das Redaktionsdirektor Manfred Geist aus dem Springer-Flaggschiff hisste, ist den meisten entschieden zu braun.« Der Fallschirmjäger-Reservist Geist, den die Kollegen, die ihn nicht mochten – und so auch die taz –, als »Manöver-Manni« und »Militärfetischisten« bezeichneten, habe bei seinem Antritt als Redaktionsdirektor gefordert, »das Blatt müsse politischer werden, eindeutiger rechts stehen«. Dafür stünden nun Zitelmann, Schwilk und Schacht, so die taz.
Die Stimmung gegen Schwilk, Schacht und mich wurde vor allem von dem Schriftsteller Rolf Hochhuth angeheizt. Er nutzte die berechtigte Kritik an dem Tremper-Artikel, aber mir war damals schon klar, dass das nicht der wahre Grund für seine Aufregung war (bestätigt fühlte ich mich, als er Jahre später seinen Freund, den rechten Historiker David Irving in einem Interview mit der »Jungen Freiheit« vehement verteidigte). Hintergrund für Hochhuths Aufregung war vielmehr, dass ich seinen lukrativen Vertrag mit der »Welt«, laut dem er regelmäßig Texte veröffentlichen und Literaten vorstellen dürfte, kündigen wollte. Ich konnte ihn von Anfang an nicht leiden, aus verschiedenen Gründen. Er hatte kurz davor den von der RAF ermordeten Detlev Karsten Rohwedder in einem Theaterstück verunglimpft.
Meine linken Kollegen hatten ein Schriftstück aus meinem Aktenkoffer entwendet und kopiert, aus dem u.a. hervorging, dass Hochhuth auf Geheiß von Geist gekündigt werden solle. Er sprach mich direkt darauf an: »Ich weiß, Sie wollen mich abschaffen.« Geist, der ihn auch nicht leiden konnte, hatte mir gleich nach seinem Amtsantritt gesagt: »Kündigen Sie dem Hochhuth, der passt nicht zu uns.« Ich ließ mich nicht zweimal bitten und kündigte den gut dotierten Vertrag. Hochhuth ging an die Presse und heizte damit die Stimmung weiter gegen mich an. Die linke »Frankfurter Rundschau« brachte einen Artikel »Kolumnist Rolf Hochhuth über Kündigung erzürnt«, in dem es hieß: »In einem Brief an Redaktionsdirektor Manfred Geist, der der ›Frankfurter Rundschau‹ vorliegt, nennt Hochhuth diese Kündigung ein ›Liquidieren nach fünfjähriger treuer Mitarbeit‹ … Ihm sei vorgeworfen, worden, so beklagt er, ›stinkfaul‹ zu sein.«
»Die Zeit«, die taz, die »Süddeutsche Zeitung« und der »Spiegel« berichteten über die internen Kämpfe in der »Welt«. Geist meinte daraufhin zu mir, ich hätte Hochhuth besser nicht kündigen sollen, und nahm den Rauswurf wieder zurück. Trotz seines »militärischen« Auftretens und Images war Geist wahrhaftig kein Held.
Schwilk, Schacht und ich schrieben am 13. März 1994 einen Brief an wichtige Entscheider im Springer-Konzern, nämlich an die Verleger-Witwe Friede Springer, an Ernst Cramer und Bernhard Servatius und an den Anteilseigner Leo Kirch – mit Kopie an Manfred Geist. Darin warnten wir: »Die ›Welt‹ entwickelt sich in eine Richtung, die Axel Springer nie akzeptiert hätte. In der Redaktion werden wir von Mitarbeitern bekämpft, die noch vor wenigen Jahren bei der taz, beim ›Neuen Deutschland‹ oder beim ›Vorwärts‹ tätig waren.«
In diesen Wochen erlebte ich aber auch viel Solidarität. Angesichts der Medienkampagne gaben bekannte Persönlichkeiten eine Ehrenerklärung ab. »Aus langjähriger Kenntnis seiner Person und seiner Veröffentlichungen wissen wir, dass es sich bei Dr. Rainer Zitelmann um einen Historiker und Journalisten handelt, der seine ganze politische Erfahrung zur kompromisslosen Verteidigung der Demokratie gegen Angriffe von Links- und Rechtsextremisten eingesetzt hat.« Neben meinem Doktorvater Prof. von Aretin unterschrieben Brigitte Seebacher-Brandt, der DDR-Bürgerrechtler und Grünen-Politiker Wolfgang Templin, Tilman Fichter von der SPD, der bekannte Fernsehjournalist Andreas Bönte, der Adenauer-
Biograf Prof. Hans-Peter Schwarz und der Historiker Prof. Arnulf Baring.
Diejenigen, die mich unterstützten, wurden dafür in linken Medien beschimpft. Die taz veröffentlichte am 19. März einen Artikel von Micha Brumlik, in dem es über den DDR-Bürgerrechtler und Grünen-Politiker Templin hieß, vielleicht sei dieser »nur verwirrt« oder aber »ein Nischenossi«. Fichter gab ein ausführliches Interview in der taz, in dem er erklärte, dass Zitelmann »in das demokratische Spektrum gehört und weiter in der ›Welt‹ schreiben soll, was er denkt ... Wo kommen wir hin, wenn wir anfangen, Leute mit Mehrheiten aus dem Diskussionsspektrum auszugrenzen? Wir landen in einer Erziehungsdiktatur«.
Brigitte Seebacher-Brandt verteidigte mich in einem großen Artikel in der FAZ am 18. April. Sie wies darin einige Unwahrheiten zurück, die gegen mich verbreitet wurden, etwa, ich sei ein Nolte-Schüler oder ein Gegner der Westbindung Deutschlands. »Wenn Zitelmann beabsichtigt haben sollte, das imperiale Gehabe der Meinungsmacher bloßzustellen und deren geistige Leere zu beleuchten, so hat er sich geschickt angestellt … Die Erfahrung lehrt, dass je größer das Getöse, desto größer nicht nur das Unrecht, sondern auch die Unsicherheit derer ist, die das Getöse veranstalten. Trägt die Erfahrung auch in diesem Fall? Einem Fall, der den Namen eines einsamen ›Welt‹-Redakteurs angenommen hat, dessen Bedeutung aber weit über die Person hinausreicht.«
Unter der Überschrift »Erster Erfolg für ›Redaktions-Sowjet‹« triumphierte die taz am 30. März: »Die Redakteure, die gegen den Rechtsruck ihrer Zeitung protestierten, dürfen einen ersten Erfolg verbuchen. Heimo Schwilk und Ulrich Schacht, zwei der umstrittenen Kollegen, wurden vergangene Woche zur ›Welt am Sonntag‹ zurückdelegiert … Der Abgang von Schwilk und Schacht macht ihnen Mut. Zitelmann jedoch bleibt ihnen vorerst erhalten.«
Doch auch ich musste einer Änderung zustimmen und als Chef der »Geistigen Welt« zurücktreten. Ich war mit dem, was ich mir bei der »Welt« vorgenommen hatte, gescheitert. Für Manfred Geist hatte ich ein Papier verfasst, in dem ich aus meiner Sicht »Chancen und Defizite« der Zeitung beschrieb. Darin kritisierte ich, dass sich die »Welt« nicht nach den (vorwiegend konservativen) Lesern ausrichte, »sondern nach den Ansichten der Kollegen von der linksliberalen Konkurrenz«. Als Ursache benannte ich »die traumatische Angst vor dem ›Kampfblatt‹-Image vergangener Zeiten. Hier hat die Anti-Springer-Kampagne Wirkungen bis heute gezeigt. Man hat vor allem Angst, als ›reaktionär‹ oder ›rechts‹ zu gelten. Richtig links kann man auch nicht sein. Das Ergebnis ist Profillosigkeit und Beliebigkeit.« Mein Plädoyer lautete: »›Die Welt‹ muss Konservatismus in moderner Form präsentieren. Das heißt aber gerade nicht Anpassung an einen linksliberalen Zeitgeist.« Mit diesen Auffassungen konnte ich mich jedoch nicht durchsetzen.
Ich hatte unterschätzt, wie stark die Furcht vieler Springer-Journalisten davor war, ihre Zeitung werde als »Kampfblatt« wahrgenommen, das es – so zumindest ihre Sicht – früher gewesen war, als Enno von Loewenstern und andere betont konservative Kommentatoren die Linie bestimmten. Die »Zeit« hatte den konservativen Publizisten von Loewenstern, einstmals stellvertretender Chefredakteur der »Welt« und verantwortlich für die Meinungsseite, als »rechtesten Rechtsaußen der rechten Welt in der nach rechts offenen Richterskala« bezeichnet. Von den – ganz überwiegend linken – Kollegen anderer Zeitung wurden »Welt«-Mitarbeiter damals geschnitten.
Jetzt waren die »Welt«-Macher froh, diesen vermeintlichen Makel langsam abgelegt zu haben. Alle Anstrengungen waren darauf gerichtet, nicht mehr so rechts zu erscheinen. Deshalb wurden Leute wie Rolf Hochhuth engagiert. Und nun, so ihre Sicht, kam der »rechte Zitelmann« und drohte, all diese Bemühungen vieler Jahre in wenigen Monaten wieder zunichtezumachen.
Mir war es dagegen gerade recht, wenn linke Medien wie taz und »Frankfurter Rundschau« unsere Zeitung und ihre Linie bekämpften. Meine alte Mao-Parole »Wenn der Feind uns bekämpft, dann ist das gut und nicht schlecht«, leitete mich.
War es nicht vermessen zu glauben, ich könnte die Linie der Zeitung gegen den Widerstand eines Großteils der Redaktion ändern? Prägend war für mich die Erfahrung, dass ich bis dahin stets Vorgesetzte gehabt hatte, die mich rückhaltlos unterstützten. Mein Doktorvater von Aretin hatte mich gegen die Widerstände linksstehender Professoren geschützt. Beim Ullstein-Verlag standen der Verleger Herbert Fleissner und sein Sohn Michael bedingungslos zu mir. Fleissner hatte mir einmal versichert: »Ich stehe immer zu Ihnen, auch und gerade dann, wenn Sie Fehler machen.« Meine forsche Haltung gefiel ihm.
Bei der »Welt« war alles anders. Das war für mich eine ganz neue Erfahrung. Claus Jacobi, dem selbst ein wenig unwohl angesichts der vielen linken oder opportunistischen »Welt«-Journalisten war, hatte mich zwar bewusst an Bord geholt. Aber nachdem er mich eingestellt hatte, war er nicht mehr lange Chefredakteur, sondern andere hatten das Sagen. Und diese waren mit meiner Linie ganz und gar nicht einverstanden. Hinzu kam, und auch dies hatte ich unterschätzt, dass Journalisten wie der stellvertretende Chefredakteur Peter Philipps neue Kollegen wie Heimo Schwilk und mich als Bedrohung für die eigene Position wahrnahmen. Ich agierte bei der »Welt« genauso, wie ich es bei Ullstein und in anderen Situationen getan hatte: Mit wenig Geduld und kompromissloser Begeisterung für meine Vorhaben. Ich wollte lieber in einem Kampf mit offenem Visier unterliegen, als mich anzupassen oder Personen unterzuordnen, denen ich mich intellektuell überlegen sah.
In diesem Verhalten wurde die Prägung durch das protestantische Pfarrhaus deutlich, in dem ich aufgewachsen war. »Widerrufen kann ich nicht« und »Keiner dreht mich um«, waren Titel von Büchern, die mein Vater geschrieben hatte. Sich gegen seine inneren Überzeugungen Autoritäten unterzuordnen oder langsam und vorsichtig zu taktieren – all das war mir durch meine familiäre Prägung vollkommen fremd.
Das waren die Hintergründe, warum ich bei der »Welt« nicht vorsichtiger agiert hatte – und warum ich bei den Machtkämpfen letztlich unterlag. Ab dem 1. Juni, darauf hatte ich mich mit dem Verlag und der Chefredaktion geeinigt, übernahm ich das Ressort Zeitgeschichte. Offenbar gab es im Springer-Verlag unterschiedliche Meinungen zu meiner Person, und dies war der Kompromiss zwischen jenen, die hinter mir standen, und anderen, die mich loswerden wollten.
Die Sache war so weit hochgekocht, dass sich sogar der Springer-Aufsichtsrat des Themas annahm. Als Ernst Cramer, einst enger Weggefährte von Axel Springer, von der Kritik an meiner Person gehört hatte, rief er mich an und bat mich, ihm mein Hitler-Buch zur Lektüre zu geben. Er wolle sich eine eigene Meinung über mich bilden. Der Chef des Springer-Archivs berichtete mir, dass Cramer alle meine älteren Artikel aus dem Archiv angefordert habe. Ich hatte und habe einen großen Respekt, wenn sich Menschen ihre Meinung nach sorgfältiger Prüfung bilden und nicht einfach vom Hörensagen.
Nachdem Cramer meine Bücher und Artikel gelesen hatte, bat er mich zu sich. Er erklärte mir, er sei nicht immer meiner Meinung, teile aber viele meiner Ansichten und werde mich gegen ungerechtfertigte Angriffe von Leuten, die mich in eine Rechtsaußen-Ecke stellen wollten, verteidigen. Das tat er denn auch, obwohl er zugleich meine Umsetzung vom Ressort »Geistige Welt« zur »Zeitgeschichte« rechtfertigte. Am 20. Mai 1994 schrieb Cramer einem Leser, meine Berufung zum Chef der »Geistigen Welt« sei ein Fehler gewesen, denn »eine derartige regelmäßige Beilage muss ein bunter Strauß sein, vergleichbar mit einem Buffet, auf dem neben Rehrücken, Buletten und Hühnchenkeule auch Salate, Radieschen, Eis-Schleckereien und Petits Fours angeboten werden, nicht zu vergessen Champagner, Weine, Spirituosen, aber auch Obstsäfte und Mineralwasser«. Diese Mischung hätte ich nicht hinbekommen, weil ich kein »Blattmacher« sei.
Zitelmann, so beruhigte Cramer den kritischen Leser, werde »weiter für ›Die Welt‹ schreiben und ihr neue Federn zuführen … Er ist ein begabter Autor mit fundiertem Wissen der Zeitgeschichte und ein Mann, der jüngere Autoren kennt, hauptsächlich auch solche, die sich mit neuen und akuten Argumenten dem in Deutschland wachsenden links-restaurativen Trend widersetzen.« Daher sei ich »für ›Die Welt‹ gar nicht verzichtbar«, betonte Cramer. Auch er sehe die Gefahr, so endete sein Brief, »dass der freiheitliche demokratische Grundkonsens bei uns durch einen Neokommunismus im Gewande des Kampfes gegen rassistische Tendenzen aufgeweicht werden könnte«. Cramer schickte mir eine Kopie dieses Briefes und später auch weiterer Briefe, die er zu meiner Verteidigung schrieb.
Dafür bin ich ihm dankbar. Cramer war eine moralische Autorität bei Springer, und ohne ihn wäre es meinen linken Kritikern wohl gelungen, mich abzuschießen. Neben ihm standen zwei weitere Personen hinter mir, der enge Vertraute von Friede Springer und Aufsichtsratsvorsitzende Professor Bernhard Servatius sowie der Springer-Aktionär Leo Kirch. Auf beide werde ich später zurückkommen.
Ab dem 1. Juni 1994 war ich Leiter des Ressorts Zeitgeschichte. In dieser Funktion führte ich einige größere, ganzseitige Interviews mit Personen, die ich sehr schätzte. Im August lud ich Joachim Gauck in die Redaktion ein. Gauck war seit 1992 »Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik«. Seine Behörde, bald »Gauck-Behörde« genannt, beschäftigte seinerzeit 3.000 Mitarbeiter, die 178 Kilometer Stasi-Akten sichteten. Ich bewunderte den späteren Bundespräsidenten Gauck damals und weiß noch, wie peinlich es mir war, als Geist den von mir Eingeladenen nicht so begrüßte, wie es sich meiner Meinung nach gehörte, sondern sich über den Tisch lehnte und in einer sehr laxen Weise sagte: »Na, dann fangen wir mal an.«
Das anschließende Interview führte ich zusammen mit meinem Kollegen Peter Schmalz, der mir in den internen Auseinandersetzungen bei der »Welt« zur Seite gestanden hatte und später Chefredakteur des von der CSU herausgegebenen »Bayernkurier« wurde. »Wer nicht imstande ist, gegen die Wegnahme von Freiheits- und Persönlichkeitsrechten durch Kommunisten eine antikommunistische Antwort zu geben«, so Gauck, »der verfehlt Tugenden, die ein wirklicher Antifaschist hat … Und es ist richtig, dass man den Anti-Antikommunismus bekämpfen muss.« Die Unterlagen, die er in seiner Behörde verwaltete, belegten auch die Einflussnahme der Stasi auf westliche Intellektuelle. »Die zeitgeschichtliche Forschung wird sehr viel deutlicher zeigen können, wie die Einflussmöglichkeiten der kommunistischen Ideologie des Ostens gerade auf dem Umweg über den intellektuellen Diskurs in Westdeutschland oder überhaupt in Westeuropa sich Räume geschaffen hat.«
Einen Monat darauf veröffentlichte ich, wiederum zusammen mit Peter Schmalz, ein ganzseitiges Interview mit der bekannten Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann. Sie sah damals schon, dass die sich abzeichnende Zusammenarbeit der Sozialdemokraten mit der PDS »die SPD als Volkspartei gefährdet«. Zudem kritisierte sie in dem Interview, »dass die Einbeziehung der PDS in den politischen Entscheidungsprozess die Grenzen zwischen Demokratie und Totalitarismus verwischt«. Noelle-Neumann, die damals schon 78 Jahre alt war, mahnte uns zur Geduld: »Ich habe Theodor Adorno bewundert, weil er in der Verfolgung seines Zieles, die Gesellschaft und die Menschen zu verändern, so ungeheuer geduldig war. An einer Strategie sollten sich auch jene ein Beispiel nehmen, die ein rechtes Weltbild haben. Regelmäßig hat er Journalisten und Wissenschaftler zu einem Gesprächskreis eingeladen, alle paar Monate, vier Jahre lang. Eine Wirkung hat das aber erst nach etwa zehn Jahren gehabt. Das heißt also: Warum sollten die Konservativen und die demokratischen Rechten ungeduldig sein, wenn sie davon überzeugt sind, dass ihre Sache gut und richtig ist.«
So sah ich das auch: Politische Veränderungen beginnen im intellektuellen Milieu, zuerst oft an den Universitäten. Später erreichen sie die Medien und verändern das politische Denken der Menschen. So war es bei der linken 68er-Bewegung und so würde es auch sein, wenn man eine geistige und politische Gegenbewegung dazu initiieren wollte. Noelle-Neumann, die mich einlud, sie und ihren Mann (ein berühmter Neutronenphysiker und bekannter Koch) zu Hause zu besuchen, bestärkte mich immer wieder darin, trotz aller Schwierigkeiten und Anfeindungen durchzuhalten und in meiner Stellung bei der »Welt« auszuharren. Sie wisse aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühle, in die rechte Ecke gestellt zu werden. Ihre Empathie und Ermutigung waren für mich sehr wichtig.
Denn in der folgenden Zeit wurde es bei der »Welt« zunächst noch schwieriger für mich. Ich hatte zwar Schutz von »ganz oben«, aber in der »Welt« viele Gegner, allen voran den stellvertretenden Chefredakteur Peter Philipps, einer der vielen SPD-nahen Journalisten bei der »Welt«. Es mag einen Außenstehenden angesichts des konservativen Images der »Welt« wundern, aber die Mehrheit der Redakteure sympathisierte mit SPD und Grünen. Als die »Welt« später intern eine geheime »Bundestagswahl« veranstaltete, votierten 60 Prozent für Rot-Grün.
Eine Zeit lang hatte Philipps eine starke Stellung in der »Welt«, und ich hatte faktisch Schreibverbot. Philipps’ Gegnerschaft war nicht nur politisch bedingt. Er war ein äußerst ehrgeiziger, aber nur mittelmäßig begabter Journalist und umgab sich aus Prinzip mit schwachen und unscheinbaren Gefolgsleuten, die ihm nicht gefährlich werden konnten. In jedem, der ihm intellektuell überlegen war, witterte er eine Gefahr. Er handelte nach dem Motto: »Unter Blinden ist der Einäugige König.« Sämtliche Artikel, die ich anbot, lehnte er ab. Ich kam regelmäßig in mein Büro, hatte aber nichts zu tun. Man hatte mir den neueren PC weggenommen und dafür das älteste Modell aus dem Keller geholt. Auch hatte ich keine Sekretärin mehr. Philipps und seine Gefolgsleute hatten mich totgestellt. Meine Gegner hofften, mich auf diese Weise so zu zermürben, dass ich irgendwann freiwillig gehen würde. Es war jedoch umgekehrt. Ich hielt durch, und Peter Philipps musste später gehen, weil der nächste Chefredakteur Thomas Löffelholz dessen intrigante Persönlichkeit durchschaute.
Ich nutzte die Zeit und schrieb, da ich ja sonst nichts zu tun hatte, während der Arbeit ein Buch mit dem Titel »Wohin treibt unsere Republik?«, das 1995 erschien. Hier stellte ich die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland kritisch als Prozess der Auflösung des antitotalitären Konsenses dar und setzte mich mit den Folgen der Kulturrevolution von 1968 auseinander.
Für das Buch konnte ich das große und gut sortierte Archiv des Springer-Verlages nutzen, zu dessen Chef ich einen sehr guten Draht hatte. Eine wichtige Hilfe war darüber hinaus Noelle-Neumann, die mir umfangreiches Material aus den Umfragen ihres Allensbacher Institutes zur Verfügung stellte. Noelle-Neumann schrieb nach Erscheinen des Buches: »Soweit ich sehe, ist dies das erste Buch, das die demoskopischen Daten mit Sachkenntnis voll in die Analyse einbezieht … Zahlreiche Zusammenhänge werden hier nüchtern, ohne Polemik, mit vorzüglicher Kenntnis von Personen und Fakten übersichtlich beschrieben; damit sichert dieses Buch die Kenntnis von Vorgängen der Zeitgeschichte, die drohten, nicht mehr wahrnehmbar zu sein.«
Ein zentrales Thema des Buches war der steigende Einfluss der Grünen. Die Einwirkungen dieser Partei, so schrieb ich, gingen weit über ihre Beteiligung an Landesregierungen und die in Wahlen dokumentierten Erfolge hinaus. »Entscheidender ist, dass es den Grünen immer wieder gelingt, politische Themen zu besetzen und die Meinungsführerschaft in der öffentlichen Diskussion zu übernehmen.«
Ein ganzes Kapitel widmete ich der Kritik an der »Sozialdemokratisierung der CDU«, die schon damals begonnen hatte – und viel später unter Angela Merkel ihren Abschluss finden sollte. Mit dem Begriff der »Modernisierung« der CDU sei nichts anderes gemeint, »als die Anpassung an den von 1968 geprägten Zeitgeist«, so meine Kritik. »Bei vielen Fragen ist es heute schon so, dass die Grünen die Richtung vorgeben, dann die SPD nachzieht und schließlich die Union mit einem deutlichen Verzögerungseffekt nachhinkt. Die Debatte um die ›Quotenregelung‹ ist ein Beispiel, aber auch bei zahlreichen anderen Themenkomplexen geben die Grünen inzwischen den Ton an. So haben sich in der Diskussion über die Kernenergie die grünen Positionen zunehmend durchgesetzt.« Ich warnte in dem Buch davor, dass die SPD langfristig – entgegen ihren damaligen Beteuerungen – sowohl mit den Grünen als auch mit der PDS zusammenarbeiten werde. Im schlimmsten Fall, so meine Befürchtung, komme es zu einer Linksunion aus SPD, Grünen und PDS, die aus Deutschland eine »DDR light« machen wollten.
Das Buch nutzte ich auch, um meine Positionen klarzustellen, die in der öffentlichen Wahrnehmung oft bis zur Unkenntlichkeit verdreht wurden. So wurde immer wieder behauptet, ich sei ein Gegner der Westbindung Deutschlands, obwohl ich mehrfach genau das Gegenteil geschrieben hatte. In einem Beitrag für das von mir mit herausgegebene Buch »Westbindung« hatte ich bereits 1993 unterstrichen, dass nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes »die Einbindung unseres Landes in das westliche Bündnis erneut an Wichtigkeit gewinnt«, weil sich durch die Rückkehr in die alte Mittellage neue Unsicherheiten für Deutschland ergäben. »Nur die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten«, so warnte ich nun in »Wohin treibt unsere Republik?«, »kann uns davor bewahren, dass aus dieser neu-alten Lage wieder eine Isolation Deutschlands resultiert.« Gleichzeitig wandte ich mich scharf gegen die Utopie, den deutschen Nationalstaat aufzulösen und in einem europäischen Bundesstaat aufgehen zu lassen.
Naturgemäß gab es harsche Kritik an dem Buch in Medien wie der »Frankfurter Rundschau«, der »Zeit« oder der taz. Die taz brachte einen ganzseitigen Verriss, in dem es hieß: »Zitelmanns Analyse verbleibt im Bereich des Ideologischen … Seine KPD/ML-Vergangenheit lässt grüßen.« Autor des Verrisses war Bernd Rabehl, ehemals einer der Wortführer der 68er-Bewegung, später dann gern gesehener Vortragsredner bei der NPD. Rabehl war 2009 sogar als gemeinsamer Kandidat der beiden rechtsextremen Parteien DVU und NPD für das Amt des Bundespräsidenten im Gespräch, zog seine Zusage jedoch kurz vor der Nominierung zurück. So viel zur Person des Rezensenten, der mein Buch in der linken taz als »zu ideologisch« kritisierte.
Hoch rechnete ich es Christian Wulff an, dass er in der »Bild«-Zeitung die Lektüre meines Buches empfahl: »Ein sehr analytisches Buch über die Mediengesellschaft der Political Correctness«. Ich war Wulff öfter in einem liberalen Gesprächskreis begegnet, den der FDP-Mann Werner Bruns in Hannover organisierte. Sehr viel später musste Wulff als Bundespräsident selbst erleben, wie es ist, Zielscheibe einer unfairen Kampagne zu werden.
Am wichtigsten war jedoch für mich der Zuspruch aus der obersten Führungsriege des Springer-Verlages. Bei der Präsentation des Buches am 9. Februar 1995 im Berliner Hilton-Hotel saß der Aufsichtsratsvorsitzende Bernhard Servatius in der ersten Reihe. In einem Mediendienst, der über die Buchvorstellung berichtete, hieß es, dass die Präsenz von Servatius »gleichsam für den Autor des Abends, Rainer Zitelmann, einer Seligsprechung gleichkam«. Der Springer-Vorstandschef Jürgen Richter war dagegen nicht dabei – er gehörte nicht zu meinen Freunden, weil ihm der ständige Ärger um meine Person auf die Nerven ging.
Der Historiker Michael Wolffsohn hielt die Laudatio auf das Buch, und als er geendet hatte, kam Servatius vor den 100 anwesenden Gästen demonstrativ als Erster zu mir und gratulierte mir zu meinem Buch, das er »in einem Zug« und mit allergrößter Zustimmung gelesen habe. Ich freute mich über diese Solidaritätsbekundung des Aufsichtsratsvorsitzenden, zumal die Betriebsratsvorsitzende gerade gefordert hatte, der Verlag solle »den rechten Zitelmann entlassen«. Ich erwiderte: »Professor Servatius, danke für Ihre netten Worte, aber das sind alles nur abgelehnte Artikel, die nicht in der ›Welt‹ erscheinen konnten.« Er beruhigte mich: »Lieber Herr Zitelmann, das wird sich bald ändern. Glauben Sie mir. Da kommt jetzt jemand, der wird dafür sorgen, dass Sie wieder schreiben können.«
Dieser »jemand« war der bereits erwähnte Thomas Löffelholz, ehemals Chefredakteur der »Stuttgarter Zeitung«. Löffelholz war ein vielfach ausgezeichneter Journalist, der unter anderem zwei Mal den Theodor-Wolff-Preis verliehen bekommen hatte und für seine journalistischen Leistungen mit dem Ludwig-Erhard- und dem Karl-Bräuer-Preis geehrt worden war. Vor seiner Berufung zum Chefredakteur und Herausgeber der »Welt«, so berichtete er mir später, sei in seinen Gesprächen mit dem Aufsichtsrat ein großes Thema gewesen: »Wie halten Sie es mit Zitelmann?«. Löffelholz hatte zufällig kurz davor mein Buch »Adenauers Gegner« gelesen, das ihm gefiel. Er kannte mich nicht, aber ließ sich durch die Anti-Zitelmann-Propaganda nicht verunsichern, sondern wollte sich sein eigenes Urteil bilden.
Ich konnte ihn zuerst nicht einschätzen. In der heißen Phase, als ich befürchten musste, dass der Springer-Vorstandschef Richter meine Entlassung betreiben könnte, sicherte ich mich daher ab. Ich berichtete dem CSU-Politiker Peter Gauweiler, den ich sehr gut kannte und regelmäßig traf, über die Zustände in der »Welt«, und er erzählte dies Leo Kirch, dem Großaktionär der Springer AG. Kirch rief daraufhin direkt bei Richter an: »Lasst den Zitelmann in Ruhe«. Am gleichen Tag erhielt ich einen verwunderten Anruf von dem geschäftsführenden Redakteur Joachim Degenhardt: Er habe gehört, es gebe Gerüchte, dass man mich entlassen wolle. Er verstehe gar nicht, woher diese Gerüchte kämen, auf jeden Fall stimmten sie nicht.
Löffelholz war eine positive Überraschung für mich. Er war ein in der Wolle gefärbter Liberaler und Freigeist, der dafür sorgte, dass ich wieder große politische Kommentare auf der Meinungsseite der »Welt« schreiben konnte. Wenn er spürte, dass mich Leute wie Philipps blockierten, setzte er sich energisch für mich ein. Löffelholz ermunterte mich damals, verstärkt wieder zu historischen Themen in der »Welt« zu schreiben.
Auch mit dessen Nachfolger Mathias Döpfner, der später Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG wurde, verstand ich mich gut. Ich hatte Döpfner in einem von mir initiierten politischen Gesprächskreis, dem »Berliner Kreis«, kennengelernt, als er noch Chefredakteur der Berliner »Wochenpost« war. Unter Döpfner begann eine zweite Phase meiner Tätigkeit bei der »Welt«, nämlich als Leiter des Immobilienressorts. Bevor ich darauf eingehe, möchte ich über zwei politische Initiativen berichten, die im Herbst 1994 und im Frühjahr 1995 für ein großes öffentliches Echo sorgten.