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Schmerz

Die Katze stieß mit der Nase an die Tür. Ihr Atem hinterließ einen kaum merklichen Nebel auf dem Glas, der rasch wieder verschwand. Sie atmete aus kleinen Lungen, und sie atmete lautlos. Jetzt, in der Kälte der Nacht, wirkte sie ein wenig runder, aufgeplustert gegen den Frost, das Fell gesträubt von Dunkelheit, und der Rauch aus den Kaminen haftete an ihr, zusammen mit dem Duft von Holz und kalter Erde. Ihre Pupillen waren weit, die Augen schwärzer als der Himmel. Die Katze erkannte jedes Detail in Friedas stillem Wohnzimmer. Der Schein einer Straßenlaterne warf einen kleinen Lichthof auf den Teppich hinter der Tür. Sofa, Tisch und Schreibtisch waren nur zu ahnen, die Regale Schattenlandschaften. Das dunkle Deckenbündel auf der Couch hob und senkte sich, der verborgene Brustkasten atmend in einem unruhigen Schlaf. Es gehörte dort nicht hin. Die Katze ließ es nicht aus den Augen. Sie war mit leeren Tatzen gekommen; sie war unschlüssig.

Die Frau war spät heimgekehrt; sie war schon wieder auf Beute aus gewesen, nachtaktiv. Der Geruch nach Essen hing in ihren Kleidern. Und auch ein weiterer Kater hatte eine Duftmarke hinterlassen; sie war selbst durch die Scheibe hindurch zu riechen. Die Katze hatte das Geschehen nicht verfolgen können. Nur bis zu dem Blechkasten, in dem die Beine der Frauen und dann die ganzen Körper verschwunden waren. Sie war darunter geschlüpft, um der Frau möglichst lange nah zu sein. Dann hatte eine plötzliche Welle von Lärm und Gestank sie vertrieben. Es blieb nur der Abdruck von Friedas vertrautem Schuhgeruch neben einem Kaugummi, der am Asphalt klebte, und der Geruch von Benzin in einer Pfütze.

Die Katze hatte sich bessere Orte gesucht und gewartet.

Hatte sich endlich der Milch genähert, die die Frau ihr am Tag hingestellt hatte. Beim Trinken war in der Katze kaum ein Fünkchen Erinnerung an den Stall aufgeglommen, in dem sie geboren worden war, an die Aromen von Holz und Stroh und Mist und Urin, an Mäusedreck und Kuhgeruch, an die Herbstäpfel, die frisch gewaschene Wäsche und das staubige Korn, an die alten, alten Steine und die Ablagerungen so vieler menschlicher Hände und Schritte und Seufzer. Dort auf dem Hof hatte die Milch scharf nach Leben geschmeckt. Die Milch der Menschen schmeckte nach nichts. Vielleicht war das der Grund, warum die Frau sich traurig auf ihrem Sofa zusammengerollt hatte?

Warum lag die Frau nicht in ihrem Bett? Warum hatte sie, als sie nach Hause gekommen war, die blaue Flimmerkiste an- und wieder ausgestellt, nur um danach auf und ab zu gehen und sich schließlich auf dem Sofa zusammenzurollen? Die Katze wusste nicht, was all das bedeuten sollte, aber sie wusste, was Rastlosigkeit war, grundiert mit ein wenig Unglück. Sie kannte den ruhelosen Gang. Den willkürlichen Schlag mit der Pfote nach einem beliebigen Halm, den der Wind hatte erzittern lassen.

Und sie kannte dieses Kampieren im Nirgendwo, im freiwilligen Exil. In manchen Sommernächten auf dem Hof war es der Katze ebenso ergangen, wenn sie sich gegen die Sicherheit der Scheune entschieden und das Freie vorgezogen hatte, wo der Fuchs unterwegs war und die Eule. Manchmal konnte man nicht anders.

Die Katze hatte diese Nächte genossen. Die Frau genoss sie nicht. Ihr Atem roch nach verdorbenen Trauben und nach Tränen. Er füllte das Wohnzimmer an. Sie würde vielleicht darin ertrinken. Die Katze hob die Pfote, um an der Tür zu kratzen. Dann ließ sie sie wieder sinken. Man musste Vertrauen haben. Es war noch nicht an der Zeit.