21
Rares für Bares
Am nächsten Stand gab es ein Set mit Schälchen, das ihr sofort ins Auge stach. »Ich muss dir etwas gestehen«, sagte sie und senkte den Kopf. »Ich bin schüsselsüchtig.«
»Wenn ich das geahnt hätte.« Galant gab er ihren Arm frei, und sie lächelten sich einen Moment an, ehe Frieda nach einer der Schalen griff. Sie trug, bei genauerer Betrachtung, einen zart hingepinselten Goldfisch auf ihrem Grund, flüchtig, scheu und schön.
Michael nahm eine der anderen Cups in die Hand und drehte sie um, um den Stempel auf der Unterseite zu studieren. Dann holte er sein Mobiltelefon heraus, um ein Foto davon zu machen. Er trat beiseite und begann zu tippen.
»Sie sind wunderhübsch!« Frieda war entschlossen, die Schüsselchen zu erhandeln, und wandte sich der Verkäuferin zu. »Was sollen sie denn kosten?«
»Sechs Euro zusammen«, sagte die Frau, die die Schalen gemeinsam mit viel Kram verkaufte, der darauf hindeutete, dass sie den Haushalt ihrer Mutter auflöste: Bücher vom Bertelsmann Buchclub, Zinngeschirr, Muranoglas-Aschenbecher, ein Nerzmantel. Aus der Kiste mit Platten, die im Korb eines Rollators stand, schauten die Gesichter von Nicole und von Mike Krüger heraus. Sie wirkte froh um alles, das sie an diesem Tag loswerden würde. »Das macht einen Euro pro Stück«, erklärte die Frau. »Einverstanden?«
»Es sind aber nur fünf da«, meinte Frieda, die die Cups beim Stapeln in ihrer Hand nachgezählt hatte. Sie wollte gerade sagen, dass ihr das gleichgültig war.
Aber die Frau antwortete schon: »Die letzte müsste irgendwo sein!«, und tauchte ab, um in einigen noch ungeöffneten Kartons zu kramen. Von unten rief sie: »Ich hab auch die Kanne zu den Cups.«
»Ach so, es ist ein Teeservice«, sagte Frieda, die einen schönen japanischen Teekessel aus Schmiedeeisen besaß. »Ich wäre auch nur mit den Schalen zufrieden.«
In dem Moment trat Michael wieder an den Tisch. »Wir nehmen den Satz samt der Kanne, falls er vollständig ist.« Angeregt zwinkerte er ihr zu.
Die Frau bückte sich tiefer in die Kartons. »Sie muss doch hier irgendwo sein.« Ratlos, mit rotem Gesicht und Staubflusen in den Haaren tauchte sie wieder auf.
Frieda wollte es gut sein lassen. Doch Michael wiederholte, ein wenig lauter: »Zehn für alles, okay?«
»Ich dachte, du magst keine Gebrauchtwaren?«
»Du hast mich eben angesteckt.« Er wippte fröhlich auf den Zehen.
Als die Frau endlich fündig geworden war und alles umständlich in graues Packpapier gewickelt hatte, reichte er ihr schnell den Zehner über den Tisch und nahm das Päckchen an sich. Er hakte sich bei Frieda unter und zog sie mit. Endlich hatte er sie aus dem Gewirr der Menge herausmanövriert. Sie standen ein wenig abseits des Trubels unter einer Eiche neben Glascontainern, an die jemand Sperrmüll gelehnt hatte. Von einem nahen Imbissstand zog der Duft von Frittierfett herüber. Auffordernd, mit strahlendem Gesicht hielt er Frieda das Paket hin.
Sie nahm es und faltete das Papier auf.
»Vorsicht«, mahnte er. »Lass es bloß nicht fallen.«
»Was habt ihr da?«, fragte Lily und drängte sich zwischen sie, um einen Blick auf das neue Geheimnis zu erhaschen.
»Einen Schatz«, verkündete Michael. »Den Frieda entdeckt hat.« Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Sie ist ein Genie.«
Frieda wurde rot.
»Kriege ich Fritten?«, quengelte Lily.
Frieda holte die erste Schale heraus. Michael nahm ihr das restliche Paket wieder ab, sodass sie das kleine Schmuckstück ungehindert bewundern konnte. »Sie ist wirklich wunderhübsch«, sagte sie.
Michael lachte und machte eine Siegergeste mit der Faust. »Und wenn man bedenkt, dass sie sie für nichts hergegeben hat. Ich fasse es nicht!«
Frieda schaute ihn fragend an.
»Ich habe einem Freund gesimst, während du rumgesucht hast«, erklärte er. »Er leitet ein Auktionshaus, mit dem wir manchmal zusammenarbeiten, und kennt sich aus. Er hat den Manufakturstempel sofort erkannt, sagt er. Er meint, die Schalen sind aus den Zwanzigern. Und er würde das Erstgebot nicht unter zweihundert ansetzen. Das muss man sich mal vorstellen. Zweihundert! Und die schenkt uns noch die Kanne dazu.« Er lachte.
»Aber …«, sagte Frieda.
Michael breitete einladend die Arme aus. »Wir machen natürlich halbe-halbe.«
Seine Geste war eine Einladung an sie. Umarmung, Linguine con Limone und Lily. Lily hatte sie gern. Lily war das Beste an ihm.
Frieda presste ihren Fund fest an die Brust. »Ich will die Schalen aber gar nicht verkaufen«, sagte sie. »Sie gefallen mir einfach.«
Michaels Arme und Mundwinkel sanken langsam herab. Eine Weile standen sie nur da.
Frieda gab sich als Erste einen Ruck. Sie kramte ihren Geldbeutel heraus und hielt ihm einen Zehner hin. »Mein Service, bitte.« Sie wollte nichts geschenkt.
Als er den Schein nicht sofort nahm und sie sein Gesicht sah, wurde ihr klar, was ihm durch den Kopf ging: Das ganze Service war zweihundert wert.
Frieda biss sich auf die Lippen. Zweihundert hatte sie nicht. Andererseits: Das war ihr Fund gewesen; sie hatte die Schalen gewollt. Sie hatte ihn überhaupt nicht gebeten, sich einzumischen. Der Geldschein hing in der Luft.
»Krieg ich Fritten?«, wiederholte Lily.
Langsam streckte Michael die Hand aus und pflückte den Schein aus ihren Fingern. »Klar«, sagte er. »War ja deine Idee. Und wenn du nicht möchtest.« Er knüllte den Zehner zusammen und steckte ihn in die Tasche, zusammen mit seiner Faust. »Es wäre ja dumm, sich deswegen zu zerstreiten, oder?« Frieda ließ den Blick auf das Päckchen sinken, das er noch immer in der Linken hielt.
»Ach so, ja«, sagte er und reichte es ihr. Sein Lächeln wankte kaum. Nichts als ein rascher Schatten, der unter der Oberfläche vorbeiglitt.
Frieda blinzelte. Sie konnte das Paket nehmen. Es war ihres. Sie hatte es ausgesucht. Sie hatte es bezahlt. Sie hatte gewonnen. Aber sie spürte keinen Triumph. Sie wusste, sie würde sich jedes Mal unangenehm berührt fühlen, wenn sie das Service benutzte. »Behalt es«, sagte sie, drehte sich um und ging.
In der Hand hatte sie noch immer die eine Schale mit dem Fisch, der beinahe unsichtbar unter der Lasur schwamm wie eine Hoffnung unter einer dünnen Schicht Eis.
Ihr Mobiltelefon vibrierte. Es war eine SMS von Erik. Sie drückte sie weg.