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Forelle mit Mandeln

»Bernd«, rief Frieda, die im vollen Schwung ihrer Aufregung die Tür öffnete. Dann stockte sie. Ihn zu berühren war auf einmal so schwierig. Sonst hatte sie ihn umstandslos umarmt. Doch jetzt wäre das zu viel gewesen und zugleich zu wenig. Zu verräterisch am Ende – und doch zu nichtssagend. Sie hob die Hand, zögerte, legte sie dann auf seine Brust, links, über dem Herzen. So viel weniger als sonst, zugleich so viel mehr. Das musste er doch spüren?

Und er würde hoffentlich auch bemerken, dass sie keinen BH trug unter der Bluse? Es war nicht ihre bunteste, eng anliegendste Bluse, sogar ein eher schlichtes Modell, und die Knöpfe wirkten wie zufällig offen gelassen, lässig, dabei ganz beiläufig einen ebenso tiefen Einblick gewährend, wie ein auffallendes Dekolleté es getan hätte. Auch die Strumpfhose hatte sie weggelassen. Ob er ihre nackten Füße bemerken würde?

Ob sie zu wenig getan hatte? Im nächsten Moment kam sie sich halb nackt vor, peinlich entblößt und aufdringlich, sie kaschierte es durch betont schlaksige, kumpelhafte Bewegungen. »Komm doch rein.«

»Für dich.« Er hielt ihr sein Mitbringsel entgegen, einen Karton mit der Aufschrift freilaufend.

»Eier?«, fragte Frieda erstaunt. Bernd klappte den Karton auf und ließ sie den Inhalt sehen. »Frieda-Eier«, sagte er. »Ist doch bald Ostern.«

Frieda hob eines der zerbrechlichen Dinger heraus. Irgendwie hatte Bernd es geschafft, Fotos von ihr auf die Eischale zu bringen, als zweifarbigen Druck in Sepia und Weiß.

»Die hab ich während der Arbeit geschossen«, erläuterte er. »Hab immer mal zu dir rübergehalten, ohne dass du es gemerkt hast.«

»Bernd, die sind wunderschön. Echte kleine Wunder.«

Er grinste, zufrieden mit ihrer Reaktion. »Für Yvonne hab ich auch welche gemacht, wenn sie möchte.«

»Toll«, sagte Frieda in abflauender Begeisterung. Im ersten Moment war sie bereit gewesen, das Geschenk als etwas ganz Besonderes zu sehen. Das gesuchte Zeichen dafür, dass sie das Richtige tat. Aber offenbar war es nicht so einzigartig, wie sie dachte. Alles blieb also offen. »Ich hab im Wohnzimmer gedeckt«, sagte sie.

»Gedeckt?«, fragte er, um gleich darauf in ein »Wow« auszubrechen. Frieda flüchtete in die Küche. »Du hast deinen Schreibtisch aufgeräumt«, rief er zu ihr hinüber.

Sie hob einen Topfdeckel ab und fühlte die Hitze auf ihrem Gesicht. Der Reis war gar. »Es ist mein einziger Tisch«, rief sie zurück. Sie kam mit dem Topf und stellte ihn auf die von allen Unterlagen befreite Tischplatte. »Sonst hätten wir uns auf dem Sofa zusammenfalten müssen.«

»Neuer Teppich?«, fragte er.

»Wasserschaden.« Sie verschwand, um das gedünstete Gemüse zu holen.

»Den Couchtisch hat’s auch erwischt.«

Das sind Sternzeichen, dachte Frieda. Aber sie sagte es nicht laut, Yvonnes Ermahnung eingedenk. Nicht beim ersten Date. Herrje, sie hatte tatsächlich und wahrhaftig ein Date. Mit Bernd.

Als sie zurückkam, schaute er unter das Brokattuch, das sie über ihren Computerbildschirm geworfen hatte. »Ich dachte, so fügt er sich besser in die Tischdeko«, sagte sie.

»Sieht wie ein chinesischer Schrein aus«, meinte er. »So mit den Räucherstäbchen davor.«

Sie lachte ein wenig gezwungen. »Wir können ja deine Eier dazulegen, als Opfergabe«, meinte sie. »Sind ja im Grunde Fruchtbarkeitssymbole.« Sie lachte wieder nervös. Gott, was sie für einen Unfug redete. Hoffentlich hörte er ihr nicht zu.

Aber Bernd hatte sich bereits gesetzt und inspizierte Töpfe und Schüsseln, die sie in rascher Folge auftrug. »Wir können den PC nachher anwerfen, wenn abgeräumt ist«, schlug er vor. »Wie gesagt, ich hab ein paar Ideen mitgebracht. Steht alles in der Cloud.«

»Nachher«, echote sie. Für nachher hatte sie allerdings andere Pläne. Es war wohl besser, sie ließ dieses Nachher vorerst offen. »Wein dazu?«, fragte sie.

Er hielt ihr sein Glas hin. Plötzlich musste er niesen.

»Hoppla!«, kommentierte sie freundlich und hielt die Flasche, bis es wieder möglich war, ihm einzuschenken. In seinen Händen verschwand das Glas beinahe; sie mochte diese Hände. Ihr wurde ganz anders bei dem Gedanken, was er mit diesen Händen später noch alles würde tun können.

»Du hast ja deine Kappe noch auf.« Sie schnappte sich das Tweed-Ding und nutzte die Gelegenheit, ihm wie spielerisch durch die Haare zu streichen. »Ich leg sie auf die Garderobe.« Seine Haare fühlten sich fremd an, nicht schlecht, nur ungewohnt. Fest, ein wenig strohig, schön dicht. Aus der Kappe drang dieser seltsame Geruch. Sie würde sie weit hinten auf die Ablage werfen und hoffen, dass er sie vergaß.

Als sie im Flur war, nieste er noch einmal. »Hast du neuerdings Haustiere?«, fragte er, als sie zurück ins Wohnzimmer kam.

Sie schüttelte den Kopf und setzte sich. »Da war eine Katze«, sagte sie. »Sie kam ein paarmal auf den Balkon, aber ich hab sie nie reingelassen. Sie hat bei der alten Dame im Erdgeschoss eine Heimat gefunden, glaube ich. Die hat das richtige Alter für Katzen.« Ihr Blick wanderte über den Tisch. »Die Forelle!«, rief sie und sprang wieder auf. Immer vergaß sie das Wichtigste. »Es gibt zu dem Gemüse doch Forelle mit Morcheln und Mandeln.«

»Forelle mit Morcheln und Mandeln«, wiederholte er, als sie mit der Platte aus der Küche zurückkam. »Ich glaube, ich werde alles, was du mir auftischst, komplett verspeisen.«

Na hoffentlich, dachte Frieda. Vor allem den Nachtisch.