9

Bernd oder Baumhaus

»Frieda!« Es klang ein wenig erschreckt. Ihr alter Freund wurde rot. Er nickte zu irgendetwas Ungesagtem und wippte auf den Fußspitzen, als nähme er Anlauf. Doch er blieb stumm.

Frieda schaute sich das eine Weile an. Dann sagte sie: »Danke.«

Er blinzelte überrascht.

»Für deine Empfehlung«, schob Frieda nach. »Das Museum hat sich bei mir gemeldet.«

»Oh, das«, sagte Bernd vage und nickte wieder.

»Das war sehr … nett.« Frieda hätte ihn gerne umarmt, wie früher, wenn sie einander begegneten, aber das wagte sie nicht.

»Es war …« Auch Bernd schien erst nach dem richtigen Wort suchen zu müssen. »… okay.«

Jetzt nickte Frieda. Verdammt, wo war die Zeit, da sie jetzt einen dummen Witz gemacht und ihn in den Arm geknufft hätte. »Bernd«, sagte sie endlich nach nochmaligem tiefem Einatmen, »bitte hör mir zu.«

Er sah nicht so aus, als wollte er das. Die leichte Entspannung verflüchtigte sich sofort. Sein Blick floh in alle Richtungen, nur er selbst blieb vor Ort, aus einem Grund, den er aber offenbar nicht aussprechen konnte.

Deshalb verstummte Frieda wieder. Eine Weile betrachteten sie gemeinsam das Möbelstück. Es schien ein zuverlässigerer, soliderer Bezugspunkt als ihre Vergangenheit. Schließlich legte Frieda den Kopf schräg und fragte: »Meinst du, er wäre groß genug für eine Partie Mahjong?«

Bernd musste husten. Frieda lächelte, dieses Lächeln lockte, und um ein Haar hätte er es beantwortet. Auf seinem Gesicht wagte es sich allerdings nicht auszubreiten, doch es sickerte ein wenig davon nach innen. Schließlich brachte er heraus: »Ich wollte dich schon lange anrufen, weißt du?«

»Ja?«, sagte Frieda. Am liebsten wäre sie ihm um den Hals gefallen, um die herbeigehoffte Versöhnung zu besiegeln. Aber sie beschloss, es wie die Katze zu machen und erst einmal nur zu blinzeln.

Bernd sagte: »Ich bin nämlich jetzt mit Saskia zusammen.«

»Ach«, sagte Frieda.

»Ja. Sie hat sich sehr um mich gekümmert in der Zeit, als ich … als ich verletzlich war.«

Frieda verkniff sich ein »Hab ich gemerkt«. Immerhin war sie die Leidtragende der pflegerischen Vehemenz gewesen, mit der Saskia sich Bernds und seiner Verletzungen angenommen hatte. Sie sah die gekreuzten Arme und die blockierte Tür noch allzu gut vor sich. Allerdings war sie auch diejenige gewesen, die ihn überhaupt erst verletzt hatte. Lieber bemühte sie sich, möglichst viel Wärme in ihre Stimme zu legen, als sie erwiderte: »Aber, Bernd, das ist doch wunderbar.«

»Ehrlich?« Er zwinkerte nervös. Ihr direkt ins Gesicht zu sehen wagte er noch nicht.

Frieda nickte bekräftigend. Wenn Saskia in der Lage war, Bernd in jeder Weise zu schätzen, dann würde sie sich für Bernd freuen. »Aber natürlich«, versicherte sie. Sie konnte sich aber nicht verkneifen hinzuzusetzen: »Ich hatte ganz stark das Gefühl, dass sie sich schon länger für dich interessiert hat.«

»Ja«, entfuhr es Bernd, jetzt froh wie ein Kind. »Ja, das hat sie tatsächlich. Woher wusstest du das?« Endlich fand sein Blick den ihren. Guter, lieber Bernd.

»Weibliche Intuition.« Frieda zuckte mit den Schultern. Eine Frau fauchte eine andere nicht so von der Tür eines Mannes fort, nur um die Emanzipationsbewegung zu verteidigen. Nach einer Pause fügte sie hinzu: »Ich wünsche euch alles Gute.«

»Danke.« Bernd sah noch nicht völlig erleichtert aus. Sein Blick schweifte erneut auf der Suche nach den richtigen Worten. »Saskia kann sehr bestimmend sein«, sagte er endlich. Sofort fuhr er fort: »Mir tut das sehr gut, glaube ich. Ich hab ein bisschen Aufsicht gebraucht. Du weißt ja, der Müll in meinem Auto und so.« Er versuchte ein Lachen.

»Deine Mütze.«

»Die hat sie als Erstes weggeworfen.«

Schade drum, dachte Frieda. Für sie hatte das gute Stück zu Bernd gehört. Aber sie machte eine vage, als generelle Zustimmung deutbare Handbewegung.

»Und sie, na ja …«, druckste Bernd herum.

Frieda begriff. »Sie möchte nicht, dass wir uns sehen.«

»Sie hat ein kleines Problem mit dir«, gab Bernd erleichtert zu. Als er ihr unglückliches Gesicht sah, fuhr er rasch fort: »Ich bin sicher, ich kann das mit ihr klären. So nach und nach. Mit ein wenig Zeit.«

Frieda neigte ihren Kopf zur Seite.

»Vor allem, wenn du …« Bernd guckte wieder weg. »Hast du vielleicht jemanden?«

Frieda schüttelte den Kopf. »Nein, Bernd. Ich bin allein.«

»Na ja, es wird schon werden. Mit der Zeit«, wiederholte Bernd. Die Zeit verging.

Schließlich fragte Frieda. »Können wir uns wenigstens mailen oder simsen? Oder checkt sie deine Accounts?«

»Das können wir, das können wir«, erwiderte Bernd mit aufflammender Begeisterung. Dann fiel ihm etwas ein. »Ich möchte sie nur nicht enttäuschen.«

»Ich verstehe«, sagte Frieda.

Bernd guckte sie an wie ein Welpe. »Sie steht wirklich auf mich. Sie sagt mir dreimal am Tag, dass sie mich liebt.«

Frieda spürte etwas in sich, das ein schlechtes Gewissen sein konnte. Oder Neid. Oder schlichte Traurigkeit.

Bernd bemerkte es nicht. »Sie sagt überhaupt so unglaubliche Sachen. Zum Beispiel, dass ich ein toller Fotograf bin. Dass mein Bart so schön weich ist.« Unwillkürlich strich er sich darüber.

»Das ist schön, Bernd.« Frieda musste sich räuspern. »Ich bin froh, dass du so eine nette Freundin hast. Du hast es verdient.«

Bernd strahlte. »Ich melde mich bei dir«, versprach er. »Bestimmt. Bald. Du wirst sehen. Ich krieg das hin. Wir werden uns alle prima verstehen.«

Frieda umarmte ihn, sog noch einmal den bittergrünen Duft ein. »Mach’s gut, Bernd. Und sag Saskia, sie soll Alice Schwarzer von mir grüßen.«

»Was?«, fragte Bernd und wandte sich, schon im Gehen, noch einmal um.

»Oh, nichts«, sagte Frieda und winkte. »Grüß sie einfach.«

Er wird nichts dergleichen tun, dachte sie, als sie ihm ein wenig melancholisch nachsah. Und er wird sich nie wieder melden. Aber immerhin trug er ihr nichts nach.

»Wollen Sie die Bilder wirklich sehen?«

Frieda brauchte einen Moment, ehe sie sich wieder an den Gärtner erinnerte. Er war aus seinem Van geklettert und hatte sein Mobiltelefon in der Hand. »Wir können uns auch hinsetzen.«

»Gerne«, murmelte Frieda zerstreut und ließ sich auf dem Sofa nieder.

»Haben Sie vielleicht Durst?« Er wartete ihre Antwort gar nicht ab. »Ich hab noch Eistee im Wagen.«

Frieda schaute ihm nach. Sie hatte einen Freund verloren und ein Sofa gefunden. Im Geiste malte sie das Möbelstück in die Spitze eines hohen Baumes, von dem aus sie Bernd nachwinkte, eine Tasse Tee auf den Knien balancierend und im Winde schaukelnd.

»Jetzt aber«, sagte der Gärtner, reichte ihr ein Glas und setzte sich neben sie. Wie sich herausstellte, waren die Bilder unglaublich. Sein Haus war tatsächlich eine Konstruktion, die in den hohen Ästen eines Baumes schwebte, die eine große gezimmerte Plattform trugen. Sie war, wie das Haus selbst, vieleckig angelegt. Das zirkuszeltartige Dach bestand überwiegend aus Glas.

»Das Laub schützt genug vor Wind und Regen«, erklärte er. »Mir kam es auf Licht an.«

»Was ist das nur für ein riesiger Baum?«, fragte Frieda.

»Eine Rotbuche«, sagte er. »Der Stamm hat mehr als hundertfünfzig Zentimeter Durchmesser.«

»Wahnsinn!« Frieda schüttelte ihre Locken. »In einem Kinderbuch hab ich mal so was gesehen. Allerdings wohnten Baumelfen darin.«

»Alles selbst gebaut und geschreinert.« Er lächelte. »Wenn du magst, komm doch mal vorbei.«

»Erst einmal«, sagte Frieda, »kaufe ich dein Sofa.«