Constanze

Das ist im wahrsten Sinne des Wortes echt süß von dir: mir einen Streuselkuchen anzubieten. Aber du hast recht – als Tochter eines Bäckers bin ich mit freiem Zugang zu jedweden Backwaren aufgewachsen, und so hat sich die Süß-Sensation ziemlich schnell gelegt. Wir waren auch die einzigen Kinder im Umfeld, die bei den sogenannten »bunten Nikolaustellern« oder Oster-Naschwaren müde abgewinkt haben. Bei uns gab es stattdessen das kleine Süß-Programm und dafür Dinge – also Buntstifte, Malblöcke. Meine Schulfreundinnen und später meine Freunde konnten es nicht fassen, dass ich nicht den ganzen Tag in der Backstube saß und Kuchen in mich reinstopfte. War mir also schon früh klar, dass erst Verknappung bei den Menschen Begehrlichkeiten weckt. So wie am Anfang der Krise beim Toilettenpapier oder der Hefe.

Hatte heute schon ein weiteres eindrückliches Corona-Erlebnis: ein Interview mit Ivana Seger, die in einem Hospiz arbeitet und außerdem mit ihrer Labradorhündin Sissi in Palliativstationen und Hospizen eine tiergestützte Therapie anbietet. Unfasslich, was so ein Hund da an Beruhigung, Freude, Entspannung bewirkt – und auch das: Schmerzen dämpft.

Das war schon so, bevor Corona kam. Jetzt aber darf Sissi natürlich nicht mehr zu den Kranken. Das ist nicht nur ein herber Verlust für die Schwerstkranken. In nur wenigen Wochen könnte das ganze wundervolle Projekt vor dem finanziellen Aus stehen … (www.emmahilft.de). Als sie mir das erzählte, merkte ich mal wieder, wie enorm stark unsere Sehnsucht nach Verdrängung ist. Wie sehr man sich wünscht, dass jetzt alles wieder gut ist. Bloß weil es ein paar Lockerungen gibt und Söder heute gerade die Ausgangssperre für Bayern aufgehoben hat.

Mit diesem Gefühl von Fast-schon-Normalität und Dankbarkeit war ich heute in den Tag gestartet – als wäre der böse Zauber vorbei. Ist aber ja alles noch da: die Gefahr, die Folgen, die Panik, die drohenden Pleiten. Trotzdem hat mir Ivana auch den glücklichsten Moment des einundfünfzigsten Corona-Tages beschert durch die Erkenntnis, dass es Menschen wie sie gibt, die bei der Frage nach dem Berufsziel nicht gesagt haben: »Reich werden!«, sondern: »Helfen!«