Tag 52
Heute war das Erste, was mir das Internet präsentierte, als ich den Laptop hochfuhr, der Satz: »Mutti gibt klein bei.« Es ging darum, dass die Herren Vorstände der Bundesländer einfach schon mal jeder für sich im Alleingang Lockerungen beschlossen haben, noch BEVOR das mit Angela Merkel besprochen wurde – wie es sich eigentlich gehört hätte. Da war er mal wieder, der enorm uncharmante Merkel-Mama-Vergleich. Ich meine, die ganze Welt ist voller Bewunderung ob der deutschen Corona-Politik – und wäre ein Mann an der Spitze unseres Landes, dazu noch einer mit einem Doktortitel, hätten wir Schlagzeilen mit einer Überdosis Respekt und Anerkennung und Artikel, die sich darum bemühten, die Gewichtigkeit, die Klugheit, die Souveränität des großen Staatenlenkers in angemessene Worte zu fassen. Stattdessen wird unser Regierungsoberhaupt mit dem enorm respektlosen »Mutti« herabgewürdigt. Nichts gegen »Mutti« an sich. Aber man muss den Begriff ja auch an der Absicht beurteilen, mit der er verwendet wird.
Zwischendurch hieß es in den letzten Wochen zwar immer wieder mal: »Es sind die Frauen, die das Land rocken« – weil sich Pflegerinnen, Supermarktkassiererinnen und Mütter im Homeoffice ja an vorderster Corona-Front schlagen, während die Männer in der langen Schlange vor dem Baumarkt hoffen, dass sie erst wieder heimmüssen, wenn die Frau die Kinder schon ins Bett gebracht hat. Und jetzt wird das bisschen Hochachtung ratzfatz wieder heruntergefahren.
Ein ähnliches Phänomen kennt man nach Kriegen, wo die Frauen, die während der Abwesenheit der Männer den harten Alltag gestemmt haben – auch in Männerberufen –, gleich wieder zurück an den Herd beordert wurden. In die Mutti-Rolle eben, damit die Männer wieder das übernehmen können, von dem sie glauben, dass es ihnen zusteht.
Ist jetzt also alles vorbei? Ist alles wie früher? War überhaupt etwas? So ein Gefühl stellt sich ein, wenn man unterwegs ist. Die Leute wollen offenbar so schnell wie möglich vergessen. Wenn sie können.
Die Besitzerin des kleinen italienischen Restaurants, bei dem ich heute mit einer Freundin war, wird dazu sicher länger brauchen. Sie hat wie so furchtbar viele auf Notbetrieb – also Take-away – umgestellt. Eigentlich wollten meine Freundin und ich bloß Essen abholen. Aber dann haben wir uns mit unserem Salat, der Pasta und zwei amtlich gefüllten Gläsern Wein gegenüber auf der anderen Straßenseite an einen der Tische gesetzt, die zu dem schon geschlossenen Backshop gehören, und ein Großstadt-Picknick gemacht. Das war sehr schön und mein Dankbarkeits-Moment des heutigen Tages.