Verschieberitis

Tag 62

Susanne

Habe – passend zu dem Geburtstags- und GUS-Staaten-Thema gestern Abend – gerade gelesen, dass in der Ukraine unzählige Babys auf ihre Eltern warten. Babys, die von Leihmüttern ausgetragen wurden. In der Ukraine, einem der ärmsten europäischen Länder, ist das erlaubt. In den meisten europäischen Staaten hingegen nicht. Jetzt aber warten die Babys auf ihre »Eltern«, die aus aller Welt stammen und nicht einreisen dürfen. Solange die Eltern nicht kommen dürfen, liegen die Neugeborenen nun in einem Hotel, Bettchen an Bttchen, und harren der Dinge. Auswirkungen des Virus, die man so gar nicht auf dem Schirm hatte.

Habe heute darüber nachgedacht, für wen Corona am schlimmsten ist. Klar, für die, die das Virus erwischt. Aber unter denen, die nicht krank werden, finde ich es für die Alten der Gesellschaft fast am grauenvollsten. Zu wissen, es bleibt einem nicht mehr viel Lebenszeit, und dann so eingeschränkt zu sein. Keine Reisen mehr und kaum Sozialkontakte. Die Vergnügungen, die im Alter noch so bleiben, sind absolut limitiert. Alle anderen haben ja – im besten Fall jedenfalls – noch Zeit. Genug Lebenszeit, um zu sagen: Was soll’s, dann fahre ich halt erst im nächsten Jahr nach Kanada. Selbst wir, die wir zwischen fünfzig und sechzig sind, haben ja noch ein bisschen Luft.

Was sagt uns das? Wir sollten Dinge nicht immer vertagen, sondern machen. Nicht denken: Wenn ich mal mehr Zeit habe, dann …, sondern gleich buchen. Man weiß eben nie, was kommt, und deshalb sollte man diese Verschieberitis aufgeben. Ein kleiner Erkenntnisgewinn in C-Zeiten. So, wie man seine guten Klamotten tragen und nicht für bessere Gelegenheiten aufheben sollte …

Alle zwischen dreißig und sechzig hatten eine Jugend, mehr oder weniger unbeschwert, und haben die Chance, dass sie nach Corona noch einiges machen können: reisen, feiern, mit Freunden zusammen sein. Für die Alten tickt die Uhr. Unbarmherzig. Auch für die Kinder und Jugendlichen finde ich es schwierig. Die Welt – eben noch für alle erreichbar – hat die Tore geschlossen. Werden Kleinkinder irgendwann denken, die Maske gehöre zur normalen Bekleidung? Was macht es mit Jugendlichen, wenn ihr Leben so eingeschränkt ist? Hinterlässt das Spuren? Hoffnungsvolle Grüße