Tag 16
Meine Schwester schreibt mir heute auf WhatsApp, dass sie am nächsten Donnerstag jetzt doch den Zahnarzttermin hat, der ihr erst für vergangenen Dienstag abgesagt wurde. Sie setzt darunter ein jubelndes GIF. Sie hat nicht mal im Entferntesten die schlimmen Schmerzen, die das erklären würden. Sie hat nur seit drei Wochen ein Provisorium, das nun gegen eine feste Installation ausgetauscht werden soll. Ich hatte schon Provisorien, die fünf Jahre hielten. Einfach, weil niemand heiß auf einen Zahnarztbesuch ist und weil die Erfahrung zeigt, dass kaum etwas länger hält als die Dinge, die bloß als vorübergehende Behelfslösung gedacht waren. So wie dieses seltsame Gestell aus einem Drahtbügel, das mein Mann in einem Corona-Kreativitäts-Schub gebastelt hat, um die Toilettenpapierrolle im Bad so hoch zu hängen, dass (… nein, nicht etwaige Plünderer … ;-) unsere Katzen nicht dran kommen, um – wie sonst – Konfetti draus zu machen. Das wird sicher noch dort hängen, wenn wir goldene Hochzeit feiern. Ich fürchte mich schon ein wenig vor dem, was mein Mann demnächst noch so in unserem Haushalt »verbessern« wird. Erinnert mich an den Film »Ödipussi« von und mit Loriot. Du weißt schon, wo Evelyn Hamann ein sehr ruhiges, routiniertes Gattinnenleben führt mit einem Mann, der sich vor allem um seinen Job gekümmert hat. Bis dieser Mann in Frührente und nach Hause geschickt wird, um dort mit der Reorganisation eines bis dato perfekten Ablaufs alles und alle ins Chaos zu stürzen. Okay, das ist ein wenig undankbar. Mein Mann kümmert sich sehr professionell um den Haushalt – und hat sogar angefangen, seine Hemden zu bügeln (nach 27 Jahren!). Ist also weit jenseits davon, wie Loriot über die Stränge zu schlagen.
Dass mir immer schon der »Worst Case« einfällt, ist vielleicht der »Lenz’schen Übertreibung« geschuldet. Eine Erbkrankheit, jedenfalls laut meiner Mutter. Lenz war ihr Mädchenname und also der Name meiner Oma, die im Familienkreis berühmt dafür gewesen ist, jede Nichtigkeit gleich ins Monströse aufzublasen. Einfach aus dramaturgischen Gründen. Eine Methode, die offenbar jetzt auch Schule macht: Allüberall leiden vor allem die Medien am Vollbild der »Lenz’schen Übertreibung«. Klar, Corona ist furchtbar. Furchtbar genug, um es nicht immer noch schlimmer machen zu müssen. Finde ich jedenfalls. Deshalb ärgert es mich, wenn ich wie heute Morgen als Schlagzeile lese: »Erste Großstadt macht Mundschutz zur Pflicht!« Total aufgeschreckt lese ich dann, dass es sich um Jena handelt. Sosehr ich den ca. 100 000 Einwohnern den Titel gönne, aber Jena ist eben nicht München, Hamburg oder Berlin. Während die einen ziemlich übertreiben, gibt es natürlich auf der anderen Seite auch jene, die sich wie sehr kleine Kinder beim Versteckspielen verhalten und glauben, wenn sie die Augen schließen, findet sie das Virus nicht – und auch nicht der Verstand, den man braucht, um zu kapieren, wie sie nicht nur ihres, sondern auch anderer Leute Leben aufs Spiel setzen. Weißt du, wen ich meine?! Was würdest du sagen: auf einer Skala von 1 bis 10 – wie weit geht dein Respekt vor Corona?
Dicken Kuss!