Leuchtfeuer

Tag 21

Constanze

Heute habe ich meinem Mann die Haare geschnitten. Er wollte es so. Er wollte sogar noch mehr: nämlich, dass ich mit einem Rasierer zu Werke gehe und großräumig arbeite. Aber da hatte ich Angst. Kann mich noch zu gut an Experimente in den Frauen-Wohngemeinschaften erinnern. Gern nach einigen Gläsern Wein. Einmal bin ich morgens aufgewacht, sah aus wie gestern und wurde erst an der Uni von einer Freundin gefragt, was denn da auf meinem Hinterkopf los sei. Da hatte Heike – meine Mitbewohnerin – ein großes Loch reingeschnitten und dann aufgehört. Hatte sie ebenso vergessen wie ich. Na ja, jetzt sieht mein Mann jedenfalls um die Ohren wieder manierlich aus. Beide sind noch dran, und wir denken – noch – nicht über Scheidung nach. Also jedenfalls nicht mehr als sonst. Mehr kann man nicht verlangen.

Freunde haben sich jetzt eine Haarschneidemaschine im Internet bestellt. Übrigens einer der begehrtesten Artikel derzeit. Neben – natürlich – Hefe. Hat schon was von Katastrophenmodus, wenn man anfängt, der Familie die Haare selbst zu schneiden. Ich bin immer noch guter Hoffnung, dass ich am 9. Mai den Termin bei meinem Friseur werde wahrnehmen können. Ist so ein Leuchtfeuer für mich. Klingt ein bisschen banal. Aber dass ich da schon seit zwei Monaten einen Termin eingetragen habe, der vielleicht nicht – wie all die anderen zwischendurch – Corona zum Opfer fallen wird, tröstet mich irgendwie. Ja, echt albern, über welche Kleinigkeiten man sich Gedanken macht. Vielleicht braucht man das als Kontrastprogramm zu all dem Großen und Furchterregenden, das gerade passiert. Oder einfach, weil eben nichts passiert.

Habe vorhin das wöchentliche Telefonat mit meinem Neffen geführt, der in Stockholm lebt. Zuerst haben wir festgestellt, dass wir so gut wie nichts mehr erleben. Also nichts von dem, über das wir vor Corona immer gesprochen haben: die Filme, die wir im Kino gesehen haben, wo wir essen gewesen sind, wen wir getroffen haben. Aber dann hatten wir doch ein Thema: Mein Neffe wunderte sich, wie Schweden in der deutschen Berichterstattung dargestellt wird, als würde die Regierung die Bevölkerung halt- und sorglos in die Infektion laufen lassen. Er meinte: stimmt gar nicht. Wer auch nur irgendwie daheim arbeiten kann, ist angehalten, das zu tun. Studenten bleiben der Uni fern, ebenso die älteren Schüler der Schule. Die Bewohner von Altenheimen sollten – wie hier – nicht mehr besucht werden. Nur in den Grundschulen läuft es wie gewohnt. Dazu sind wohl die meisten Läden und Restaurants geschlossen. Leider auch der Hamburger-Laden, in dem er mittags immer mit seinem Kollegen zum Essen war. Er erzählt, dass der Restaurantbesitzer nicht hätte schließen müssen, sondern dass er das freiwillig gemacht habe. So wie eben die meisten. Hat mich – muss ich sagen – ein wenig irritiert. Ich hatte gestern erst Bilder aus Schweden gesehen, bei denen es so wirkte, als seien die Straßen voller Menschen, als würde sich niemand um Corona scheren. Ich wusste auch nicht, dass Norwegen zwar sehr viele Infizierte hat, aber kaum Todesfälle.

Ist schon sehr verwirrend alles. Ich wünschte, ich hätte damals in Soziologie besser aufgepasst, als wir Statistik hatten, anstatt gerade wegen der vielen Rechnerei das Handtuch zu werfen und zur Pädagogik zu wechseln. Stimmt schon, dass man fürs Leben lernt – gerade auch in den sperrigen Fächern. Gilt natürlich nicht für Latein. Gerade wünschte ich mir, ich könnte das Große Latinum gegen Grundkenntnisse in Hauswirtschaftslehre tauschen, könnte besser und mehr kochen, hätte es irgendwie drauf, den Haushalt mit deutlich weniger Aufwand und größeren Erfolgen irgendwie in Bestform zu halten, und vor allem: könnte Maniküre und Pediküre wenigstens so gut, dass es nicht aussieht, als hätte ich mir bei einem Erdbeben der Stärke 8 die Nägel lackiert. Auch da hast du – mal wieder – die Nase vorn …