Git up and dance

Tag 34

Constanze

Als ich eben »Tag 34« schrieb, kam mir die Zeit plötzlich unendlich lang vor. Zumal mit der Aussicht auf Verlängerung. Zwar eine mit Lockerungsübungen – aber offenbar rechnet man mit einem steten Wiederaufflammen der Infektionen. So wie damals bei der Spanischen Grippe. Habe mir deshalb gleich noch eine Maske bestellt. Die Hälfte meiner Bestände geht ja an meinen Mann, und bei einem Teil der Bestellungen geht es mir wie dir: werde von einer Woche auf die nächste vertröstet. Was glauben die, wofür wir die brauchen? Um in 20 Jahren die Schnabeltassen im Altenpflegeheim warm zu halten?

Ich verstehe, dass es im Moment ein Riesenaufkommen an Paketzustellungen gibt, das kaum zu bewältigen ist, aber seltsamerweise hat es ein Versender innerhalb von zwei Tagen geschafft, beim anderen warte ich schon zwei Wochen.

Vergiss bitte, was ich gestern über die vermeintlich sorgloseren Zeiten geschrieben habe. Stimmt ja gar nicht. Vor zwei Jahren war auch viel sehr Schlimmes los: Eine Freundin – starb an Lungenkrebs. Mein Vater war ganz kurz vor dem Versagen seiner Nieren ins Krankenhaus gekommen. Da sieht man mal, wie man dazu neigt, sich die Vergangenheit rosarot zu denken. So gesehen ist die aktuelle Lage zwar immer noch nicht schön, schneidet jedoch im Vergleich gar nicht so schlecht ab.

Doch nun mal zum Wesentlichen: Wollte ja heute vor allem darüber schreiben, was mich glücklich macht, und das ist absolut die Musik. Ich bin immer wieder total überrascht, wie sich meine Laune von einer Sekunde auf die andere total hebt, wenn ich mir die Kopfhörer aufsetze und mich durch meine Playlist höre. Als würde man einen Schalter umlegen oder eine fantastische Droge einwerfen. Ich bin fast immer nur mit Musik unterwegs, wenn ich nicht gerade euren so großartigen Podcast höre. Daheim läuft meistens Klassik, weil das nicht so vom Arbeiten ablenkt. Sonst bin ich ein absoluter Sampler-Hörer – und liebe deshalb etwa Soundtracks. Auch, weil man damit auf ganz neue Band-Ideen kommt. Was gar nicht geht: Metal, Techno, Electro, Schlager. Sonst aber fast alles. Mit Musik kann ich Zeitreisen unternehmen und komme damit locker bis in die 1970er – zu den ersten Klassenpartys – oder in die 1980er – in die Frankfurter Klubs, die es heute nicht mehr gibt. Nicht, dass ich besonders musikalisch wäre. Überhaupt nicht. Das Einzige, wofür ich in immerhin acht Jahren Klavierunterricht von einer unfasslich geduldigen Klavierlehrerin jemals gelobt wurde, war, dass ich vom Blatt spielen kann und eben nicht dauernd auf meine Finger schaue. Was übrigens leider auch keine große Kunst ist, wenn man mal einen Schreibmaschinenkurs gemacht hat. Oder zwei – wie ich –, weil mein Vater fand, dass das zur weiblichen Grundausbildung gehört. Und weil eine Frau, wenn alle Stricke reißen, ja immer noch in einem Büro ihr Geld verdienen kann. Und nein: Ich kann GAR NICHTS mehr auf dem Klavier spielen. Also auswendig. Mit Noten vermutlich auch nur noch »Hänschen klein«.

Das zweite Dilemma, das aus dem ersten folgt: Ich bin auch nicht besonders gut im Tanzen. Klar hatte ich im dafür richtigen Alter Tanzstunden. Aber nicht aus Neigung, sondern weil meine Eltern das so wollten – die beide übrigens großartige Tänzer gewesen sind. Trotzdem gehe ich echt gern tanzen und habe mir jetzt im Internet Möglichkeiten gesucht, mein sehr dürftiges Repertoire aufzurüsten. Man muss ja mal was tun fürs eigene Stimmungsmanagement, und da gibt es nun mal fast nichts Besseres als Musik UND Bewegung. Ich habe tolle Angebote gefunden. Zum Beispiel von der britischen Royal Academy of Dance. »You are never tutu old for ballet« heißt das Programm, das man sich auf YouTube anschauen kann und das sich an über Fünfundfünfzigjährige wendet. Jede Woche gibt es dort eine neue »lesson« für die »Silver Swans« online. Da werde ich mal reinschauen. Und ich habe mir den »Dance for Git up« vorgenommen. Der sollte selbst für einen Bewegungslegastheniker wie mich zu machen sein. Was meinst du? Machst du mit?