Kaum war Inspektor Kaitz in sein Büro zurückgekehrt, da führten zwei seiner Kollegen schon Dieter Hönig herein.
Der Mann war wütend, renitent und aufsässig. Er versuchte sich loszureißen und beschimpfte die Beamten unflätig.
Hönig war ihnen allen bestens bekannt. Immer wieder wurde der Sittenstrolch in Bergesfelden auf gegriffen und hierhergebracht, weil er wieder mal junge Mädchen oder Frauen belästigt hatte.
Diesmal hatten ihn sich die Beamten geholt, weil er in einer Kneipe damit geprahlt hatte, Maria Neuhold zur Räson gebracht zu haben.
Manfred Kaitz zog seinen Trenchcoat aus und hängte ihn an den Haken.
„Ihr habt kein Recht, mich wie den letzten Dreck zu behandeln!“, schrie Dieter Hönig auf gebracht.
„Das tut ja gar keiner“, sagte Kaitz gleichmütig.
„Sagen Sie Ihren verdammten Bluthunden, sie sollen mich loslassen!“, verlangte Hönig.
Inspektor Kaitz nickte. „Lasst ihn los.“
Die Beamten gehorchten. „Sollen wir hierbleiben?“, fragte einer der beiden.
Kaitz schüttelte den Kopf. „Ist nicht nötig. Ich kam bisher immer ganz gut mit ihm zurecht.“
Kaitz‘ Kollegen verließen den Raum.
„Ihr denkt, ihr könnt mit mir machen, was ihr wollt?“, schrie Hönig aufgebracht. „Aber da seid ihr auf dem Holzweg!“
„Warum schreist du so?“, fragte der Inspektor ruhig.
„Weil ich wütend bin, verdammt noch mal!“, brüllte Dieter Hönig.
„Ich habe gute Ohren. Ich verstehe dich auch, wenn du dein Gerät auf Zimmerlautstärke stellst.“
„Weil nebenan schon geschnarcht wird, wie? Soll ich Ihnen verraten, wo sich die unfähigsten Polizisten von Deutschland befinden? In Bergesfelden.“
„Ich halte das für eine recht subjektive Meinung“, bemerkte der Inspektor und nahm Platz. „Setze dich.“
Dieter Hönig schob trotzig sein Kinn vor.
„Du kannst natürlich auch stehenbleiben. Mir ist das egal. Ich finde nur, dass es sich im Sitzen leichter redet.“
„Wozu soll ich mich setzen? Ich gehe ja doch gleich wieder.“
„Oh, also wann du gehst, entscheide ich, mein Lieber.“
„Ich habe nichts getan! Warum schleppen mich Ihre Leute hierher?“
„Willst du dich nicht doch setzen?“, fragte Inspektor Kaitz geduldig.
Hönig rückte sich den Stuhl zurecht und ließ sich wütend drauf fallen.
„Wunderbar“, sagte Manfred Kaitz zufrieden. „Und nun lass uns mal wie zwei vernünftige Menschen miteinander plaudern.“
„Wie zwei vernünftige Menschen? Denken Sie, ich weiß nicht, dass Sie mich für verrückt halten?“
„Nun, du hast immerhin ein paar Dinge getan, die ... sagen wir mal, nicht ganz in Ordnung waren.“
„Ich bin krank, das wissen Sie. Ich befinde mich in psychiatrischer Behandlung, das ist Ihnen auch bekannt. Dr. Schneider sagt, ich werd’ schon wieder, aber das braucht seine Zeit. Man müsse Geduld mit mir haben. Eine Geduld, die ihr aber nicht aufbringt.“
„Oh, das ist nicht wahr“, wehrte Inspektor Kaitz ab. „Fassen wir dich nicht mit Samthandschuhen an?“
„Absolut nicht. Ihre Männer haben mir beinahe die Arme gebrochen.“
„Aber nur, weil du sie sonst verprügelt hättest.“
„Das ist nicht wahr! Ich werde mich beschweren!“
„Lieber Himmel, du kriegst vom vielen Schreien noch eine Stimmbandlähmung.“
„Ich schreie, soviel und solange ich will.“
„Meinetwegen. Es sind deine Stimmbänder, die das aushalten müssen. Aber sage hinterher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Du möchtest dich also beschweren. In Ordnung, schieß los.“
„Nicht bei Ihnen, da würde ich zu tauben Ohren reden. Ich werde mich bei Ihrem Vorgesetzten über Sie und Ihre Kollegen beschweren. Das sind Rowdies! Schläger von der übelsten Sorte! Denen macht es Spaß, einem wie mir wehzutun!“
„Verrätst du mir, was dir Spaß macht?“, wollte der Inspektor wissen. „Das geht Sie nichts an.“
„Warum hast du gesagt, du hättest Maria Neuhold zur Räson gebracht?“
„Was weiß ich. Ich... ich wollte einfach nur angeben“, antwortete der Mann.
„Woher hattest du ihren Namen?“
„Aus dem Radio. Ich kannte sie nicht.“
„Hast du schon mal den Namen Ute Farina gehört?“, fragte der Beamte.
„Nein.“
„Warum gibst du mit einem Mord an? Kannst du mir das erklären?“, fragte Inspektor Kaitz weiter.
„Mein Gott, ich wollte mich eben irgendwie interessant machen.“
„Mit einem Mord.“
„Warum nicht?“, entgegnete Dieter Hönig.
„Damit alle denken, Mensch, dieser Dieter Hönig ist ein toller Kerl. Der bringt glatt den Mut auf, ein Mädchen zu erwürgen. Konntest du dir nicht denken, dass diese Behauptung Folgen haben würde?“
„Nein, tut mir leid, daran habe ich nicht gedacht“, sagte Hönig bissig.
„Daran hat er nicht gedacht. Also ich muss schon sagen...“
„Ich will meinen Anwalt anrufen!“, platzte es aus dem Sittenstrolch heraus.
„Ach ja, richtig, so etwas wie du hat ja sogar einen eigenen Anwalt. Womit bezahlst du ihn eigentlich? Ich meine, du verdienst doch nicht besonders gut bei dieser Getränkefirma. Macht dir Dr. Schaadt einen Sonderpreis, weil du ihn so oft bemühst? Also von mir aus, rufe ihn an. Sage mir nur noch eines: Was hattest du gestern Nacht im Heine-Park zu suchen?“
„Ich war gestern Nacht nicht im Heine-Park“, antwortete der Mann.
„Sondern?“
„Zu Hause“, behauptete Dieter Hönig.
„Kann das jemand bestätigen?“
„Selbstverständlich. Herr Hillebrandt. Er war bei mir. Wir haben Schach gespielt.“
„Wie viele Partien?“
„Sechs.“
„Und wie viele hast du gewonnen?“, fragte der Beamte.
„Keine einzige.“
„Du bist wohl noch am Lernen.“
„Also Sie würde ich jederzeit schlagen.“
Inspektor Kaitz grinste. „Das wäre keine Kunst. Ich kann nämlich nicht Schachspielen. Jetzt sinke ich wohl ziemlich tief in deiner Achtung, wie? Hast du meinen Kollegen auch von Herrn Hillebrandt erzählt?“
„Klar, aber sie wollten mir nicht glauben“, antwortete Dieter Hönig.
„Nun, sieh mal an, was du für ein Glück hast, dass ich an diesem Schreibtisch sitze. Denn ich glaube dir. Es ist nicht nötig, dass du deinen Anwalt anrufst.“
Dieter Hönig schaute den Inspektor verwirrt an. „Moment mal, wollen Sie damit sagen, dass ich gehen kann?“
„Wohin du willst, aber am besten nach Hause“, sagte Manfred Kaitz. „Und jetzt entschuldige mich. Ich habe zu tun.“