"Was ist los mit dir? Was hast du?", wollte der Liebherr-Bauer wissen, als Constanze ins Haus geschlichen kam.
"Nichts hab ich, Vater." Sie sprach kleinlaut, um sein Interesse zu wecken. Oh, sie wusste jeden richtig zu behandeln. Das war für sie überhaupt nicht schwierig.
"Geh her!", polterte Balthasar Liebherr.
Sie sträubte sich zum Schein. "Ach, bitte, Vater..."
"Hergehen sollst!"
Als artige Tochter gehorchte sie. Er saß allein in der großen Wohnküche auf der Bank. Sie blieb mit gesenktem Haupt vor dem Tisch stehen.
"Setz dich!", befahl der Großbauer.
Sie setzte sich.
"Red!", verlangte ihr Vater.
"Ach, Vater, ich möcht' nicht... Es ist mir so unangenehm."
"Red, hab ich gesagt!"
Nun denn, wenn er es unbedingt hören wollte... Sie tischte ihm eine glaubhafte Lügengeschichte auf. "Ich hab den Finkbach-Hubert getroffen. Er war auf der Schafalm, gibt mir die Schuld daran, dass die Linner-Bärbel ihn stehenlassen und Sennerin geworden ist."
"Dir? Wieso denn dir?"
"Was weiß ich?" Constanze hob die Schultern. "Vielleicht ist er nicht ganz richtig im Kopf." Sie sah ihren Vater an und fragte vorsichtig: "Ist ein Polizist, der im Oberstübchen nicht ganz sauber ist, eigentlich tragbar für unser Dorf?"
"Was hat der Polizist gesagt?", wollte der Großbauer wissen. "Was hat er getan?"
Constanze schaute auf ihre Hände, die im Schoß lagen. "Zuerst hat er mir vorgeworfen, dass die Linner-Bärbel meinetwegen nichts mehr von ihm wissen will. Dann hat er gesagt, er würd's mir nachsehen, wenn ich mit ihm zum Moosweiher hinaufgehen würde und..."
Durch Balthasar Liebherrs Körper ging ein Ruck. "Und - was?"
Constanze spielte die Heilige. "Na ja, Vater, du weißt schon..."
Der Liebherr-Bauer riss ungläubig die Augen auf. "Das hat der Polizist von dir verlangt?"
"Ich war genauso entrüstet wie du und hab natürlich nein gesagt", erzählte Constanze weiter. "Da ist er zornig geworden und hat mich wüst beschimpft. Ich möchte nicht wiedergeben, was er mich alles genannt hat - und beinahe hätte er mich auch geschlagen."
"Der Finkbach-Hubert?", fragte Balthasar Liebherr sprachlos. "Der Polizist wollte mein Kind schlagen? Ja, ist er denn von allen guten Geistern verlassen?"
"Er muss darüber, dass die Linner-Bärbel mit ihm Schluss gemacht hat, den Verstand verloren haben."
"Na warte, den Burschen kauf' ich mir. Er wird es nicht noch einmal wagen, die Hand gegen meine Tochter zu erheben." Der Großbauer stand auf.
"Wohin gehst du?", fragte Constanze, obwohl sie es wusste. Sie war stolz darauf, wie klug sie die Sache eingefädelt hatte. Sie war im Manipulieren von Menschen sehr talentiert.
"Zum Finkbach-Hubert", polterte der Liebherr-Bauer.
"Jetzt?"
"Denkst du, so etwas schiebe ich auf die lange Bank?", gab Balthasar Liebherr zurück und stampfte aus dem Haus.
Constanze blieb allein in der Küche zurück. Sie rieb sich die Hände und sagte schadenfroh: "Ja, Hubert, so kommt's, wenn man sich mit mir verfeindet."
Wenige Minuten später hämmerte der Liebherr-Bauer kräftig mit seiner derben Faust an die Tür des Polizisten, und als dieser öffnete, trat er wutschnaubend ein und stieß gereizt hervor: "Von dir hört man ja schöne Sachen."
"So?", sagte Hubert, der sich von dem aufgebrachten Großbauern nicht einschüchtern ließ. "Was hört man denn? Und von wem?"
Der breitschultrige Balthasar Liebherr kniff die Augen zusammen. "Ist es wahr, dass du die Constanze beinahe geschlagen hättest?"
"Ja, das ist wahr", gab der junge Polizist unumwunden zu. "Hat sie dir auch gesagt, warum?"
"Niemand schlägt ein Kind vom Liebherr-Bauern!", schrie der reiche Großbauer.
Hubert blieb ruhig. "Ich hab's ja nicht getan."
Balthasar Liebherr ballte die Hände zu Fäusten und nahm eine drohende Haltung an. "Du lässt die Finger von meiner Constanze, sonst lernst du mich kennen. Ich habe sehr großen Einfluss. Er reicht weit über Sonnleiten hinaus. Ein Anruf von mir genügt, und man versetzt dich nach Hintertupfing, wo die Hunde mit dem Hintern bellen!"
Der junge Polizist blieb unbeeindruckt. "Bist du fertig?", fragte er so gemütlich, als wär's eine freundschaftliche Unterhaltung. "Oder möchtest du noch mehr Dampf ablassen?" Er rümpfte die Nase. "Ich will mich nicht mit dir streiten." Jemand, der eine Tochter wie Constanze hat, ist ohnedies gestraft genug, dachte er.
"Merk dir gut, was ich gesagt habe, Polizist", knurrte der Großbauer, "und komm meiner Constanze nicht mehr zu nahe!"
Ganz bestimmt nicht, dachte Hubert. Darauf kannst du dich verlassen.