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Im Haus des Liebherr-Bauern gab es Schweinshaxe mit Kraut und Semmelknödeln. Der kräftige Großbauer langte tüchtig zu. Der Appetit, mit dem er aß, war ansteckend.

"Krank?", sagte er mit vollem Mund und fett glänzenden Lippen im Kreise seiner Familie und mit den Knechten und Mägden am Tisch. "Die Linner-Bärbel? Ernsthaft krank? Wer sagt das?"

"Die Gerlich-Walburga", antwortete Josefine Liebherr.

Balthasar Liebherr winkte ab. "Ach, die. Die ist selber krank, und zwar im Kopf." Er schüttelte sein Haupt. "Was die sich immer aus dem Finger saugt."

"Eine blühende Phantasie hat sie, das muss man ihr lassen", grinste Toni, der Sohn, der mit dem gleichen Appetit gesegnet war wie sein Vater. "Wenn du das Pech hast, dass sie dich zum Doktor gehen sieht, rennt sie gleich zum Pfarrer und empfiehlt ihm, sich darauf vorzubereiten, dir die Letzte Ölung geben zu müssen."

"Die Gerlich-Walburga hätte man früher auf den Scheiterhaufen gestellt", sagte Constanze und schob ihren leeren Teller von sich.

Der Großbauer nickte. "Sie ist wirklich eine böse Hexe."

"Nimm dir noch was, Constanze", sagte Josefine Liebherr zu ihrer Tochter.

"Ich hab schon genug, Mutter."

"Du hast doch kaum was gegessen."

"Ich muss auf meine Linie achten", sagte Constanze.

"So ein Blödsinn. Bist ohnehin ganz schlank."

"Und das möchte ich auch bleiben", sagte Constanze schmunzelnd.

"Wenn sie weniger isst, bleibt mehr für uns", grinste Toni und holte sich noch einen Knödel auf seinen Teller.

"Die Linner-Bärbel ist bestimmt nicht krank", kam der Liebherr-Bauer noch einmal auf die Sennerin zu sprechen. "Um die brauchen wir uns sicher keine Sorgen zu machen, deshalb werde ich mich auch nach keiner anderen Sennerin umschauen."

"Solange sie vom Polizist und von allen anderen Mannsbildern nichts mehr wissen will, bleibt sie uns ganz gewiss als Sennerin erhalten", sagte Toni.

Und Constanze dachte: Ich würd' dort oben auf der Schafalm den Verstand verlieren. Was ist denn das für ein Leben - ein Leben ohne Männer?