Hinterhof

»Schon wieder ein Päckchen für dich«, rief Marte ihr entgegen, als Ella auf den Hinterhof kam. Er war barfuß und goss seine drei Tomaten und den kleinen Blühstreifen, den er unter seinen Fenstern für Bienen ausgesät hatte. Auf dem Tisch stand sein aufgeklappter Laptop.

»Schon wieder gar nichts erwartet. Danke fürs Entgegennehmen.« Ella ließ sich auf einen Stuhl fallen und steckte sich eine Zigarette an, in der Hoffnung, dass es so entspannt wirken würde, wie sie es kannten. »Leider nur eine kurze Pause. Muss gleich wieder los. Nur schnell das Outfit wechseln und dann zur Filmpremiere.« Sie nahm das Päckchen vom Tisch. Statt eines Absenders links oben eine Schwalbe. Es war von Selle. Ella widerstand dem Impuls, es sofort aufzureißen.

»Etwa der legendäre Jugendkulturfilm? Sind nicht alle Mitwirkenden inzwischen in Rente?« Marte hatte von dem sich über Jahre hinziehenden Projekt gelesen und es erleichterte ihn, scheinbar ungezwungen einen lockeren Kommentar einwerfen zu können. Er setzte sich zu Ella und nahm ebenfalls eine Zigarette, obwohl er, kurz bevor sie aufgetaucht war, gerade erst eine ausgemacht hatte.

Ella lachte. »So ungefähr.«

»Gehst du mit Adamma und Maschenka?«

»Nein. Alleine.«

Marte zog einen Augenblick länger als üblich an seiner Zigarette und Ella bemerkte ein mikroskopisches Zucken seiner Augenbrauen.

»Erstaunt?«, fragte sie.

»Ein bisschen.« Er betonte es fast wie eine Frage. »Alleine war bisher ja nicht so dein Ding.«

»Stimmt. Aber ist ja auch kein Konzert.« Ella streifte ihre Sandalen ab, die nicht so luftig waren, wie sie beim Kauf erhofft hatte. Ihre Füße sahen weißlich aus. Wie zu lange gebadet. »Es gibt da durchaus Unterschiede.« Tatsächlich gab es die. Allerdings, da gab Ella Marte und seiner skeptischen Mimik recht, gehörte die Filmpremiere eher in die Konzert-Kategorie und noch vor Wochen hätte sie vermutlich einen Riesenaufstand betrieben, um eine Begleitung an der Seite zu haben. Sie betrachtete ihren Zigarettenfilter und drückte mit dem Daumennagel eine Rille hinein.

»Du hast mich geheilt«, sagte sie und grinste. »Es kommt mir nicht spektakulärer vor als ein Einkauf im Supermarkt.«

»Ich sollte Therapeut werden. Dann könnte ich mir sogar eine größere Wohnung leisten.«

»Würdest du etwa wegziehen?«

»Niemals.«

»Ich bin froh.« Ella drückte ihre Zigarette aus.

Nachdenklich, fand Marte. Als wollte sie noch etwas sagen. Doch sie lächelte nur und stand auf. »Wir sehen uns.«

»Bis dann.« Er sah ihr nach, bis sie in ihrem grünen Trägerkleid durch ihre Hintertür verschwunden war. Resedagrün. Marte weckte seinen Laptop aus dem Ruhezustand und bestellte im Netz eine Dose Maschinenlack.

Hinter der Tür glitt das resedagrüne Kleid auf den Dielenboden und wurde, nachdem Ella sich im Bad kurz frisch gemacht hatte, gegen ein silbriges der gleichen Art ausgetauscht. Obwohl schon klar war, worauf es hinauslaufen würde, hockte sich Ella anschließend vor ihr Schuhregal und starrte hinein.