»Wenn du an ihn denkst, ohne ihn zu vermissen, dann will dich der Gedanke vielleicht auf etwas anderes aufmerksam machen. Etwas, das weniger mit Nick, sondern mehr mit dir zu tun hat.« Najah gab Ella eine Packung Zigaretten.
»Danke, dass du noch mal aufgemacht hast.« Mit dem Fingernagel kratzte Ella an dem Foliennippel der Verpackung und riss die Schachtel, nachdem sie ihn endlich erwischt hatte, auf. »Also«, sie steckte sich eine Zigarette an, »das Vermissen ist vorbei. Aber es ist verwirrend, dass jeder Gedanke an Leon gleich einen an Nick anstößt. Ich dachte, das hätte ich abgeschlossen. Überhaupt sind diese ganzen Beziehungsgedanken extrem ermüdend.« Ella hielt Najah die Zigarettenschachtel hin. »Möchtest du auch eine?«
Najah warf einen Blick nach draußen. Der Himmel verdunkelte sich immer mehr, inzwischen zerrte schon der Wind an den Baumkronen. Wäre Ella nicht aufgetaucht, hätte sie es vermutlich vor dem Gewitter in ihre Wohnung geschafft. Der Tag hatte sie überrollt, im Kiosk war pausenlos Kundschaft gewesen. Die Füße und der Rücken schmerzten.
Ein Donnergrollen ließ Najah zusammenzucken und mit einem inneren Seufzer nahm sie die angebotene Zigarette. Bevor sie sie anzündete, schloss sie die Waggontür von innen, damit es nicht hineinregnen würde.
»Ich meine«, sagte Ella, »die meiste Zeit verbringe ich damit, über Männer nachzudenken. Nick, Wulf, Marte, jetzt Leon, zwischendurch mal Jonze – was für ein Brainfuck. Und einer von denen lebt nicht mal mehr.«
»Die Toten sind am lautesten.«
Ein Blitz erhellte den Straßenbahnwaggon und Najah flackerte darin wie im Stroboskoplicht. »Siehst du.«
Gleichzeitig legten beide eine Hand auf ihren Brustkorb. Najah mittig auf den Kettenanhänger, Ella links auf ihr Tattoo.
Draußen begann es zu tosen.
Najah öffnete den großen Glastür-Kühlschrank mit dem Dosensortiment. »Mit einem Getränk lässt es sich angenehmer hier verharren.« Sie nahm sich einen Baileys Iced Coffee Latte und schüttelte ihn. »Was möchtest du?«
»Sieht lecker aus, den nehme ich auch.«
Einzelne dicke Regentropfen fielen draußen auf das Straßenpflaster. Der Platzregen folgte unmittelbar. Im gleichen Maße wie er immer schnellere und lautere Beats auf die Stahlhülle des Kiosks hämmerte, legte sich Ellas Aufruhr. »Nick hatte recht. Ich sollte weniger an morgen und gestern denken. Morgen kommt sowieso. Vermutlich werde ich also mitbekommen, wie es weitergeht.«