A ls sie aus Upplands Väsby ins Präsidium zurückkamen, zog Ruben sich schnell ein frisches weißes Hemd an, das er sich extra von zu Hause mitgebracht hatte. Er hatte sich am Morgen absichtlich nicht rasiert, weil er wusste, dass ihm die unrasierten Wangen in Kombination mit seinem Beruf eine spannende und, ja, irgendwie gefährliche Ausstrahlung verliehen. Und auch wenn er zurzeit nicht aktiv flirtete, war es nie verkehrt, einen guten Eindruck zu machen. Die Vereinbarung mit seiner Therapeutin Amanda besagte ja nur, dass er nicht auf die Jagd gehen durfte. Was erlaubt war, wenn eine Frau ihn anbaggerte, hatten sie nicht besprochen. Er konnte schließlich nichts dafür, wenn er der betreffenden Frau ganz beiläufig einen Stupser in die richtige Richtung gegeben hatte.

Seine Gedanken wanderten die ganze Zeit zu der Erkenntnis, zu der er bei Großmutter gekommen war. Astrid musste seine Tochter sein. Doch wie zum Teufel sollte er mit dieser Neuigkeit umgehen?

Vorerst musste das sowieso warten, denn bald würde Adams Expertin für extremes Gruppenverhalten eintreffen. Bald würde Nova kommen. Bei ihrem guten Aussehen war sie es vermutlich gewohnt, viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Ihr goldener Teint hätte auch auf eine Herkunft aus Brasilien oder Asien hindeuten können, und ihr selbstbewusstes Lächeln strahlte Freundlichkeit aus. Sie hatte sogar Grübchen. Mit ihrer Eleganz mitzuhalten, war das Mindeste, was er tun konnte.

Und hoffen, dass sie sich nicht an ihn erinnerte.

Bei der Vortragsreihe für Polizisten, die sie vor einigen Jahren gehalten hatte, hatten Hunderte seiner Kollegen zugehört. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich an ihn erinnerte, war verschwindend gering. Obwohl er an zwei Abenden mit ihr ausgegangen war. Und dann im Kopierraum versucht hatte, sie zu verführen. Aber so was passierte einer Frau wie Nova wahrscheinlich täglich.

Allerdings ging hier jetzt schon alles schief, obwohl sie noch gar nicht da war. Während Adam zum Empfang hinunterging, um sie zu begrüßen, türmte Peder Plundergebäck auf. Aber eine Frau wie Nova lud man nicht zu klebrigen Blätterteigteilchen ein, der bot man ein Glas Cava an. Und dazu vielleicht vegane Energiekugeln.

»Die Vanillecreme wird in deinem Bart hängen bleiben«, brummte er in Peders Richtung und setzte sich an den Tisch.

Ruben hatte seinen Duft von Montblanc extra ein wenig früher aufgelegt, damit er sich mit seinem Körpergeruch vermischte, bevor das Meeting begann. Sprühte man sich zu spät ein, roch man frisch parfümiert, ein typischer Anfängerfehler. Verging jedoch zu viel Zeit, war der Duft kaum noch wahrnehmbar. Was dauerte jetzt so lange? Und warum starrte Mina ihn so an?

»Was willst du?«, zischte er mürrischer als beabsichtigt.

Mina zuckte zusammen.

»Kann es sein, dass du ein bisschen nervös bist?«, meinte sie. »Ist was passiert?«

»Nervös? Ich?« Er lachte verkrampft. »Nervös war ich zuletzt, als mir eine Minderjährige an die Wäsche wollte.«

»Ruben!«, sagte Julia mit scharfem Unterton. »Wir haben das doch schon tausendmal besprochen … Ah, da seid ihr ja!«

Adam und Nova kamen herein und machten der Unterhaltung damit ein Ende. Perfektes Timing. Rubens Aftershave und sein Körpergeruch waren eine harmonische Verbindung eingegangen, und Mina gegenüber brauchte er sich nicht mehr zu erklären. Seit einem Jahr musste er sich jedes Mal, wenn er mit Gunnar und den anderen aus der Spezialeinheit Mittag essen ging, Frauengeschichten aus den Fingern saugen. Er war so daran gewöhnt, sich welche auszudenken, dass sie ihm automatisch über die Lippen kamen, manchmal auch zum falschen Zeitpunkt. So wie jetzt. Es war vermutlich nur eine Frage der Zeit, wann man ihn enttarnen würde. Ihm ging langsam der Stoff aus.

Nicht, dass Mina sich noch für ihn zu interessieren schien. Als Nova den Raum betrat, hatte sich ihr Blick verfinstert. Ein typischer Fall von weiblicher Eifersucht. Auf ihre strenge Art war Mina zwar hübsch, jedenfalls wenn man über ihre schuppigen Hände hinwegsah, aber zu glauben, sie könnte sich mit Novas mondäner Eleganz messen, war lächerlich. Frauen, wie gesagt. Er unterdrückte einen Seufzer und setzte sich aufrecht hin.

»Hallo, ich heiße Julia Hammarsten und leite diese Gruppe.« Sie gab Nova die Hand. »Adam haben Sie ja schon kennengelernt. Und dann haben wir hier noch Ruben, Mina, Christer und Peder.«

Ruben kniff die Augen zusammen und nickte kaum merklich, während er Nova anlächelte. Das war eine erprobte Technik, die er normalerweise bei Vernehmungen anwendete. Sie vermittelte dem Gesprächspartner das Gefühl, verstanden zu werden. Die meisten Menschen entspannten sich daraufhin. Nova hingegen nickte höflich zurück, dann ließ sie ihren Blick zu Peder hinüberwandern und schenkte ihm ein warmherziges Lächeln. Rubens Charme war offensichtlich etwas eingerostet. Aber immerhin schien sie ihn nicht wiederzuerkennen. Und als sie ihn nicht mehr ansah, konnte er in aller Ruhe feststellen, dass die beiden oberen Knöpfe ihrer weißen Bluse geöffnet waren. Leider war ihr Rock sehr weit, da konnte man die Form des Hinterns nicht so gut erkennen. Auf der anderen Seite ließen solche Röcke viel Spielraum für Fantasie. Manchmal trugen Frauen unter dem Rock keinen Slip. Amanda sollte sich nicht so haben, Gedanken waren schließlich frei.

Novas Lächeln erstarb, als ihr Blick auf Mina fiel, die ihr nicht die Hand reichte. Andererseits tat sie das nie. Wann lernte sie endlich, sich zu benehmen? Oder Handschuhe zu tragen?

»Wie Adam Ihnen ja schon gesagt hat, ermitteln wir in einem Fall von Kindesentführung. Der Junge heißt Ossian«, berichtete Julia, nachdem Nova auch von Christer begrüßt worden war. »Derartige Entführungen sind extrem selten. Und außerdem sind die Kidnapper im Prinzip genauso vorgegangen wie in einem anderen Fall von vor einem Jahr. Daher vermuten wir, dass es eine Verbindung gibt.«

»Was genau heißt extrem selten?« Nova setzte sich.

Sie hatte den Platz genau gegenüber von Ruben eingenommen. Ihm war das mehr als recht. Allerdings hätte sie für seinen Geschmack noch einen Blusenknopf öffnen können. Peder schob ihr den Teller mit den Plunderteilchen hinüber, und sie nahm sich tatsächlich eins. Als sie hineinbiss, blieben ein paar Blätterteigkrümel an ihren Lippen hängen, und Ruben beobachtete aufmerksam, wie sie sich die Lippen ableckte.

Plötzlich hielt sie inne und starrte Ruben mit aufgerissenen Augen an. Oh, nein. Sie hatte den Vorfall doch nicht vergessen.

»Ich glaube, wir sind uns schon mal begegnet«, sagte sie kühl. »Brauchst du immer noch Assistenz beim Ausdrucken?«

Rubens Wangen glühten.

»Nein, das schaffe ich mittlerweile ohne Unterstützung.«

Als er merkte, wie der Satz klang, wurde er knallrot. »Lassen wir das.«

Der Rest der Gruppe betrachtete ihn verwundert, während in Novas Augen ein amüsiertes Leuchten aufblitzte. Eins zu null für sie.

»Um deine Frage zu beantworten, Nova – du hast hoffentlich nichts dagegen, wenn ich dich in das kollegiale Du in dieser Gruppe einbeziehe«, er warf Julia einen fragenden Blick zu, doch die schien nichts dagegen zu haben. »Es werden jedes Jahr Hunderte von Kindern von besorgten Eltern vermisst gemeldet. Die meisten tauchen innerhalb weniger Stunden wieder auf. Im Normalfall sind sie zu Freunden gegangen und haben beim Spielen die Zeit vergessen. Was in diesen beiden Fällen hier passiert ist, nämlich dass Kinder tatsächlich entführt und getötet wurden, ist eins der gefürchtetsten Verbrechen, kommt aber fast nie vor. Fast.«

»Getötet?« Entsetzt legte Nova ihr Gebäckstück zurück auf den Teller.

Julia nickte und zeigte auf die Kaffeekanne. Nova schüttelte den Kopf.

»Lilly Meyer wurde letzten Sommer auf einem Bootssteg in Hammarby Sjöstad aufgefunden«, erläuterte Christer. »Unter einer Plane. Und Ossian ist letzten Samstag tot unter einer Gangway aufgefunden worden. Es ist zum Verzweifeln.«

»Du kannst dir vorstellen, dass der Fall für die Medien ein gefundenes Fressen ist«, sagte Ruben. »Die Nachrichten ähneln einem HBO -Thriller für den Durchschnittsschweden zu Hause auf seinem Sofa. Und jeder ist froh, dass es nicht um das eigene Kind geht.«

Nova senkte den Blick.

»Das Mädchen, das letztes Jahr verschwand, wurde nach drei Tagen tot aufgefunden«, sagte Julia. »Und bei Ossian ist genau das Gleiche passiert. Er wurde bei der af Chapman auf Skeppsholmen aufgefunden, nachdem er drei Tage lang verschwunden gewesen war. Bis jetzt ist es uns gelungen, den Leichenfund nicht an die Medien durchsickern zu lassen, aber sie werden vermutlich jeden Augenblick Wind davon bekommen. Die Parallelen können natürlich Zufall sein, aber möglicherweise haben wir es mit denselben Tätern zu tun.«

Nova starrte sie an.

»Verzeihung«, sagte sie, »aber welche Rolle spiele ich dabei? Ich weiß wirklich nicht, wie ich euch helfen kann, so gerne ich das tun würde. Aber ich habe keine Ahnung von … Mördern.«

»Die Entführungsmethode ist identisch«, erläuterte Adam. »Aber die Täter sind es nicht. Uns liegen in beiden Fällen Täterbeschreibungen vor. Lilly wurde von einem älteren Paar entführt, Ossian von einer Frau um die dreißig. Also hat Ossians Entführerin entweder etwas über Lillys Entführung gelesen und die Tat kopiert, oder …«

»Oder die Täter kennen sich«, fügte Nova hinzu. »Was bedeuten würde, dass eine Gruppe dahintersteckt, auch wenn es eine kleine ist, die kein Problem damit hat, extreme Handlungen auszuführen. Jetzt verstehe ich.«

»Ja, und an dieser Stelle kommst du als Expertin ins Bild«, sagte Julia. »Wir müssen verstehen, wie solche Menschen denken.«

Nova ergriff das Wort. »Ich habe im Laufe der Jahre viel Erfahrung mit extremen Gruppen gesammelt. Die gängige Bezeichnung lautet Sekte. Es begann alles mit einer Frau, die widerwillig zu uns gekommen war. Ihre Eltern hatten lange vergeblich versucht, sie aus einer sektenähnlichen Gruppierung herauszuholen. Mit unserer Hilfe konnte sie sich endlich befreien, und heute arbeitet sie sogar für uns. Ich habe aus dem Prozess unheimlich viel gelernt. Allmählich sprach sich herum, dass wir ihr beim Sektenausstieg geholfen hatten, und wir bekamen immer mehr Anfragen. Sektenentwöhnung umfasst zwar nicht den größten, aber einen wichtigen Teil unserer Tätigkeit. Ich hoffe wirklich, dass ich euch mit meinen Erfahrungen irgendwie bei eurer Arbeit weiterhelfen kann.«

Ruben stellte sie sich mit offener Bluse vor. Vielleicht sollte er sie doch fragen, ob sie nicht Lust hätte, mit ihm im Kopierraum zu verschwinden.

»Jeder kann in die Fänge einer Organisation oder Sekte geraten und vorher nicht für möglich gehaltene Dinge tun«, fuhr Nova fort. »Die Menschen suchen nur nach Zugehörigkeit.«

»Wie bei Charles Manson und seiner Manson-Family?«, fragte Christer nachdenklich.

»Ja, oder wie bei der Braut Christi und ihrer Gemeinde in Knutby. Ich habe übrigens zwei ehemalige Gemeindemitglieder von Åsa Waldaus bei Epicura«, sagte Nova.

»Ich habe gehört, dass Åsa selbst mittlerweile mit ihrem alten Vater ein abgeschiedenes und ärmliches Dasein fristet«, brummte Christer. »Ihre narzisstischen Träume von Macht und Reichtum musste sie offenbar begraben. Geschieht ihr recht.«

»Entschuldigung, aber wieso glauben wir plötzlich, es würde eine Sekte dahinterstecken?« Peder rieb sich den Bart. »Drei Verrückte, die sich zufällig kennen, sind doch nicht gleich eine Sekte. Und ist eine Sekte nicht eine religiöse Bekenntnisgemeinschaft? Seit wann haben Kidnapper religiöse Motive?«

»Wir glauben gar nichts.« Julia wedelte mit einem Kunststoffhefter. »Wir sind für alle Ermittlungsansätze offen. Du musst allerdings zugeben, dass wir es nicht oft mit Gruppen zu tun haben, die solche Taten gemeinsam begehen. Noch dazu im Abstand von einem Jahr. Ich glaube nicht, dass sie verrückt sind. Dafür sind die Taten zu gut geplant. Und somit wären wir wieder bei Novas Kenntnissen über extremes Verhalten.«

»Das mit den Sekten und der Religion ist ein Missverständnis«, warf Nova ein.

Ruben sah ihr an, dass sie jetzt vollständig in den Arbeitsmodus übergegangen war. Das mit dem Kopierraum konnte er wahrscheinlich vergessen.

»Bei Sekten kann es um alles Mögliche gehen«, fuhr sie fort. »Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen über die Ähnlichkeiten von religiösen Sekten, politischen Bewegungen und totalitären Ideen im Allgemeinen. Allen gemein sind bestimmte extremistische Gedankenmuster. Natürlich wird in einer Sekte immer eine Form von Anbetung praktiziert, aber die kann sich auch auf einen vergötterten Präsidenten richten. Ganz egal, ob Donald Trump oder Fundamentalismus, Menschen lassen sich von fast allem überzeugen. Und falls sich eure Kidnapper kennen, dann verbindet sie vermutlich eine starke Überzeugung. Ansonsten wären sie zu so furchtbaren Morden nicht in der Lage. Ist Mord die richtige Bezeichnung?«

Christer nickte grimmig und kraulte Bosse hinter dem Ohr.

»Die Morde an Lilly Meyer und Ossian Walthersson«, sagte er. »Beide fünf Jahre alt.«

Bosse sah sein Herrchen wimmernd an.

»Es muss keine religiöse Überzeugung zugrunde liegen«, sagte Nova. »Um Leute dazu zu bringen, Kinder zu entführen, braucht man nur eine starke Führungsperson.«

Ruben rümpfte innerlich die Nase. Wissenschaftliche Untersuchungen, dass er nicht lachte. Sie klang fast wie Vincent. Aber Nova war natürlich eine deutliche Verbesserung. Auch wenn sie ihre Aufmerksamkeit größtenteils auf Peder richtete. Vielleicht hatte Ruben die magische Anziehungskraft dieses Hipsterbarts doch unterschätzt. In einem Punkt hatte Julia jedenfalls recht. Es war ein ungewöhnlicher Fall, und daher mussten sie in ungewöhnlichen Bahnen denken. Und wenn Nova zu diesem Zweck öfter herkommen musste, hatte er nichts dagegen einzuwenden.

»Eine Führungsperson?«, fragte Julia.

»Ja. Wenn eine Gruppe von Menschen extremes Verhalten an den Tag legt, das stark von geltenden Normen und Gesetzen abweicht, steht fast immer eine starke Führungsperson dahinter. Jemand, der manipulativ, mächtig oder Furcht einflößend genug ist, um die anderen zu überzeugen.«

»Nehmen wir mal an, wir haben es mit einer solchen Gruppe zu tun«, sagte Julia. »Rein theoretisch. Welche Rückschlüsse lassen sich dann aus den Morden auf die Gruppe ziehen? Wer sind diese Leute?«

Nova dachte nach.

»Okay«, sagte sie dann. »Sekten, ganz egal, ob sie politisch, religiös oder anders ausgerichtet sind, mögen Rituale. Rituale definieren die Bewegung. Und was ihr mir erzählt habt, weist eindeutig auf rituelle Züge hin. Vielleicht sogar auf Symbolhandlungen. Sowohl Lilly als auch Ossian sind drei Tage lang verschwunden, bevor sie aufgefunden werden. Die Drei ist, wie ihr sicher wisst, die heiligste aller Zahlen. Schon Pythagoras im antiken Griechenland hielt sie für die perfekte Zahl. Sie kann Geburt, Leben und Tod symbolisieren. Anfang, Mitte, Ende. Die Dreieinigkeit im Christentum. Gemäß dem psychologischen Modell von Exposition, Etablierung und Veränderung geschieht im Märchen alles dreimal. Das Problem ist nur, dass die Drei so vieles bedeuten kann. Schwer zu sagen, was sie hier zu bedeuten hat. Die Platzierung der Leichen ist auch interessant.«

Ruben seufzte. Nun erinnerte sie ihn zu sehr an Vincent. Eigentlich war es merkwürdig, dass sie nicht gleich Vincent um Hilfe gebeten hatten. Aber vielleicht kannten sich Mentalisten nicht mit Sekten aus. Irgendwie freute es Ruben auch, dass sogar Vincent Lücken hatte.

»Wie meinst du das?«, fragte Julia.

»Lilly und Ossian wurden beide in Wassernähe aufgefunden. Sind sie ertrunken?«

»Nein«, sagte Mina. »Lilly ist durch Ersticken zu Tode gekommen. Ossians Todesursache ist noch nicht festgestellt worden. Aber als wir ihn auffanden, war er trocken.«

Ruben fiel auf, dass dies Minas erste Wortmeldung heute gewesen war.

»Warum also waren sie am Wasser?«, hakte Nova nach. »Wasser hat eine ungeheuer starke, geradezu göttliche Symbolkraft.«

»Wir jagen also Wasser anbetende Fanatiker mit einer Vorliebe für die Zahl Drei«, sagte Mina spitz. »Klingt wirklich viel naheliegender, als dass ein Pädophilenring oder zwei Fälle von missglücktem Menschenhandel dahinterstecken. Ihr wisst schon, diese Dinge, die in der realen Welt manchmal vorkommen.«

Nova zuckte mit den Schultern.

»Ich gebe dir recht«, sagte sie. »Die Sektentheorie ist eher unwahrscheinlich. Aber vielleicht sollten wir uns nicht an dem Wort Sekte aufhängen. Denn ganz unabhängig davon, wie wir die Taten einordnen, weisen sie eindeutig rituelle und symbolhafte Züge auf. Es wäre verwunderlich, wenn es da keinen Zusammenhang gäbe. Und angesichts der unterschiedlichen Täterbeschreibungen würde ich vermuten, dass noch mehr Personen involviert sind. Ein älteres Paar und eine jüngere Frau? Irgendjemand hat sie zusammengeführt und dazu gebracht, diese Taten zu begehen.«

»Warum kann denn nicht einer der Kidnapper der Anführer sein?«, fragte Mina. »Ich verstehe nicht, wieso es mehr Leute sein sollen.«

Nova nickte.

»Es ist durchaus möglich, dass sie nur zu dritt sind. Aber der Anführer einer extremistischen Gruppierung hat immer einen Plan. Die Entführungen selbst in die Tat umzusetzen, hätte ein viel zu hohes Risiko mit sich gebracht, erwischt zu werden, und somit wäre der gesamte Plan hinfällig gewesen. Daher glaube ich, dass es in diesem Fall noch mehr Akteure gibt.«

Nova wandte sich an Julia.

»Ich habe zwar keine Ahnung von Ermittlungsarbeit«, sagte sie. »Aber ich wage zu behaupten, dass in Schweden niemand so viel Erfahrung mit extremen Bewegungen hat wie ich. Nach allem, was ihr mir erzählt habt, bin ich überzeugt, dass es sich um rituelle Handlungen einer hierarchisch organisierten Gruppierung mit einer Führungsperson an der Spitze handelt. Derartige Taten erfordern, wie gesagt, starke Überzeugungen. Natürlich kann es auch ganz andere Erklärungen geben, von denen ihr viel mehr versteht als ich. Ich kann nur über das sprechen, was ich sehe.«

»Täter mit einer Vorliebe für Wasser«, brummte Christer. »Zum Glück ist Stockholm eine Stadt, in der Wasser überall in Reichweite ist. Wäre ja auch zu schön gewesen, mal auf etwas zu stoßen, das uns die Arbeit erleichtert.«

»Ich habe nicht gesagt, dass Wasser wirklich wichtig ist«, sagte Nova. »Ich wollte nur auf die aus meiner Sicht größten Gemeinsamkeiten hinweisen.«

»Fällt dir noch was ein, Nova?«, wollte Julia mit einem Blick auf die Uhr wissen. »Ansonsten machen wir hier Schluss. Ich würde gerne bei Gelegenheit wieder Kontakt zu dir aufnehmen.«

Nova schien einen Augenblick nachzudenken, dann schüttelte sie den Kopf. Dabei fiel ihr das dunkle Haar ins Gesicht. Ruben merkte, wie gern er es berührt hätte. Verdammt. Die Sache mit dem Zölibat war nicht sonderlich gut durchdacht.

»Ach, doch, eine Sache noch«, sagte Nova, als Julia aufstand. »Falls ihr es wirklich mit einer Sekte zu tun habt, dürft ihr eins nicht vergessen. Es nützt überhaupt nichts, die Entführer hinter Gitter zu bringen. Sie sind vermutlich nur unbedeutende Mitglieder, und die lassen sich immer ersetzen. Die einzige Möglichkeit, die Gruppierung zu stoppen, besteht darin, ihren Anführer zu finden. Denjenigen, der die … Morde angeordnet hat. Den müsst ihr kriegen.«

»Du willst damit sagen, dass die Gruppierung sonst so lange weitermacht, bis sie den erwähnten Plan zu Ende gebracht hat«, murmelte Peder. »Und das wiederum könnte bedeuten, dass wir noch mehr tote Kinder zu sehen bekommen. Und noch mehr zerstörte Familien.«

Es wurde still im Raum. Nova sah Peder lange an. Ruben spürte einen wachsenden Kloß im Hals. Er wollte nicht der Erste sein, der etwas sagte.

»Ich fürchte, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen«, sagte Nova.