S eit wann lebst du in Schweden?«
Adam stieß innerlich einen tiefen Seufzer aus. Er überlegte, Rubens Frage zu ignorieren, wusste aber auch, dass Small Talk ein wesentlicher Bestandteil polizeilicher Autofahrten war. Er wünschte nur, ihm wäre endlich einmal eine andere Frage gestellt worden.
»Ich bin hier geboren.«
»Aha. Okay.«
Stille. Immer wieder stellte Adam fest, dass seine Antwort stumme Verwunderung auslöste.
»Und deine Eltern? Wo kommen die her?«, fragte Ruben.
»Uganda.«
»Uganda, aha.«
Wieder Stille.
»Verdammt, ich muss zugeben, dass ich keine Ahnung von Uganda habe.«
»Nein, wieso solltest du auch? Ich weiß auch nicht besonders viel über Uganda.«
Adam verdrehte verstohlen die Augen. Irgendetwas an Ruben provozierte ihn, und das lag nicht nur an seinen tendenziösen Fragen.
»Wann sind sie denn geflüchtet?«
»Sie sind nicht geflüchtet. Meine Mutter hat in Schweden eine Professur bekommen. Als sie hier war, merkte sie, dass sie schwanger war, aber mit meinem Vater wollte sie nie was zu tun haben.«
»Ah, verdammt.« Ruben nickte. »Hast du dich denn nie gefragt, was dein Vater für ein Mensch ist? Nie Kontakt zu ihm aufgenommen?«
»Nein, wieso sollte ich? Ich vertraue auf das Urteil meiner Mutter. Wenn sie ihn nicht für würdig hielt, an meinem Leben teilzuhaben, wird sie gute Gründe dafür gehabt haben.«
»Oh.« Ruben sah bedrückt aus. »Diese Art von Vater.«
Adam warf ihm einen kurzen Blick zu, konzentrierte sich dann aber wieder auf die Fahrbahn. Das Privatleben seiner Kollegen interessierte ihn nicht im Geringsten.
Die Hochhaussiedlung in Rissne, in der Lovis wohnte, ragte vor ihnen auf, und Adam bog zum Parkplatz ab. Ruben saß immer noch schweigend da und wirkte beklommen. Adam überprüfte noch mal die Adresse. Erster Eingang hinter dem Parkplatz. Er sah sich um und zeigte in die Richtung.
»Da drüben. Das muss der Spielplatz sein, auf dem Williams Eltern ihn angeblich zum letzten Mal gesehen haben.«
»Ich bin immer noch felsenfest davon überzeugt, dass der Vater ihn umgebracht hat«, brummte Ruben.
»Ich will jetzt nicht mit dir diskutieren. Lass uns einfach unsere Arbeit machen.«
Er hörte selbst, wie ungeduldig er klang. Aber er hatte die Nase voll von den Kollegen, die sich mit der einfachsten Lösung zufriedengaben.
Sie nahmen die drei Treppen zu Lovis’ Wohnung. Vor der Nachbarwohnung stand ein Kinderwagen mit einem schlafenden Baby. Das Kind regte sich und gab ein leises Wimmern von sich, als sie bei Lovis anklopften. Es dauerte lange, bis sich etwas tat, aber schließlich hörten sie schlurfende Schritte hinter der Tür. Stille. Dann wurde der Schlüssel im Schloss umgedreht und die Tür langsam geöffnet. Aber nur einen Spalt.
»Ja?«
Die Stimme klang heiser, und Adam schlug schon durch den Türspalt eine Alkoholfahne entgegen.
»Hier ist die Polizei. Wir möchten über William sprechen.«
»Aha, jetzt wollen Sie also über William sprechen.«
Sie wollte die Tür wieder zuziehen, aber Adam stellte schnell seinen Fuß in den Spalt.
»Lovis. Lassen Sie uns bitte rein. William zuliebe.«
Wieder Stille. Dann ließ sie die Beamten eintreten. Sie schlurfte voraus in die dunkle Wohnung. Alle Fenster waren mit schwarzen Tüchern verhängt, und es roch nach einer Mischung aus Abfall, verdorbenen Lebensmitteln und Zigarettenrauch. Adam hörte hinter sich Ruben leise husten.
»Sie können sich dort hinsetzen.«
Im Wohnzimmer zeigte Lovis auf ein durchgesessenes Sofa mit zahllosen Flecken und Brandlöchern. Auf dem Tisch standen volle Aschenbecher und leere Wodka- und Weinflaschen. Nur ein paar gerahmte Fotos an den Wänden schmückten den Raum. Lovis mit William. Jörgen und Lovis zusammen. Ein Kind, vielleicht Lovis, mit stolzer Miene auf einem Pferd.
Adam setzte sich, ohne zu zögern, sah aber aus den Augenwinkeln, dass Ruben überlegte, stehen zu bleiben. Er warf ihm einen vielsagenden Blick zu. Sie waren hier, um die Mutter eines ermordeten Kindes zu befragen. Ruben verstand den Wink und nahm ebenfalls Platz.
»Ist es wegen Jörgen? Ist was passiert? Sie wissen ja, er sollte nicht im Knast sitzen. Er hat William nicht umgebracht.«
Mit zitternden Händen zündete sich Lovis eine Zigarette an, nahm einen Lungenzug und sah sie wütend an. Dann zeigte sie aufgeregt mit dem Finger auf sie.
»Dieser Junge, der verschwunden ist! Wegen dem sind Sie hier! Der Mörder von William hat sich ihn jetzt auch geschnappt! Ich habe es doch immer gewusst! Ich habe immer gesagt, dass Jörgen es nicht war!«
»Dazu können wir momentan nichts sagen.« Adam machte eine entschuldigende Geste. »Aber wir nehmen die Umstände seines Todes noch einmal ganz genau unter die Lupe. Und daher würden wir Sie gerne …«
»Raus!«
Lovis starrte sie an.
»Wir müssen Sie fragen …«
Adam räusperte sich. Der Rauch reizte seine Atemwege, und seine Augen tränten.
»Raus!«
Lovis sprang auf und stieß versehentlich eine Flasche Smirnoff um, die über den Boden rollte und dann liegen blieb.
»Gehen Sie endlich! Raus!«
Ruben stand auf, und Adam tat es ihm nach. Vielleicht würden sie noch einmal zurückkommen müssen. Aber im Moment war es besser, Lovis Zeit zu geben, sich wieder zu beruhigen.
Als die Tür krachend hinter ihnen ins Schloss gefallen war, schüttelte Adam seine Enttäuschung ab. Bei dem Gespräch mit Lovis war nicht viel herausgekommen.
Sie mussten noch zwei Besuche machen. Bei der Zeugin. Und bei Jörgen.