W ie ist es denn deiner Ansicht nach gelaufen?«
Nach dem Meeting war Vincent verschwunden, weil er offenbar etwas mit Peder zu besprechen gehabt hatte, aber danach war er zu ihr gekommen. Sie wollte nichts lieber, als alles mit ihm zu diskutieren, aber nicht hier im Präsidium, wo die Wände Ohren hatten. Von den Blicken der Kollegen ganz zu schweigen. Ihr war nicht entgangen, dass Ruben die Augen verdreht hatte, als Vincent der Gruppe seine Theorie dargelegt hatte.
Daher war sie mit Vincent zum Kronobergsparken gegangen, der eigentlich nur ein baumbewachsener Hügel zwischen Präsidium und Fridhemsplan, aber immerhin angenehm schattig war.
»Vielen Dank für die Audienz im Wald, Königin Min«, sagte er, »aber ich wiederhole meine Frage: Halten mich die anderen für verrückt?«
Sie sah ihn mit gespielter Verwunderung an.
»Aber daran hat doch nie ein Zweifel bestanden«, sagte sie. »Wir wissen alle, dass du eine Schraube locker hast.«
»Ach so. Na dann.«
Vincent hob einen Stock auf und kratzte damit die Erde von seinen Schuhsohlen.
»Erinnere mich daran, mir nie wieder Sneakers zu kaufen«, sagte er.
»Ja, ich habe mir schon Sorgen gemacht«, sagte sie. »Ich dachte, du hättest auf deine alten Tage dein Stilbewusstsein verloren.«
Vincent entfernte einen Erdklumpen und drohte ihr mit dem Stock. Sie betrachtete das Stück Holz, als könnte sie es mit ihrem Blick in Brand stecken.
»Solange du mich wenigstens für ein Genie hältst, bin ich zufrieden.« Er ließ den Stock fallen.
»Klar.« Sie stieß ihn mit dem Fuß ins Gebüsch. »Du bist so klug. Und stark. Um nicht zu sagen, geheimnisvoll.«
»Vergiss nicht, dass ich auch kinderlieb bin.«
Warum konnte sie mit Amir nicht so unbeschwert plaudern? Oder mit irgendjemandem sonst? Amir war wirklich in Ordnung. Sie war diejenige, mit der etwas nicht stimmte. So war es immer gewesen.
Bis Vincent kam.
Mit Vincent war sie plötzlich auch in Ordnung.
Und genau das war ein Problem.
»Ehrlich gesagt, war das, was du vorhin gesagt hast …«, begann sie. »Schon sehr extrem. Schachmathematik? Mit Pferden?«
»Ich weiß.«
Vincent drehte sich zu ihr um. Er sah unglücklich aus.
»Seit der ganzen Geschichte mit Jane hat sich was verändert«, sagte er. »Ich kann Muster, die ich eigentlich erkennen müsste, nicht mehr richtig zusammensetzen. Und manchmal sehe ich Muster, die es gar nicht gibt. Es ist, als ob mein Gehirn und ich keine Freunde mehr wären. Ein Teil von mir hofft, dass ihr recht habt. Dass ihr euren Mörder gefunden habt und schon bald alles vorbei ist. Aber andererseits kann das doch nicht alles meiner Fantasie entsprungen sein.«
»Wenn, dann hättest du echt merkwürdige Fantasien.«
Vincent wurde rot und senkte den Blick.
»Warum hast du dich nicht gemeldet?«, fragte er.
Die Frage kam so plötzlich, dass sie eine Weile brauchte, um sie zu überreißen.
»Ich?«, erwiderte sie. »Ich dachte, du wolltest keinen … Du hast dich ja auch nicht gemeldet.«
»Ich weiß. Ich wusste nicht, wie … Der Fall war ja gelöst. Ich habe mir lauter Gründe ausgedacht, dich anzurufen, aber sie wären alle nicht wahr gewesen.«
Er sah noch immer nicht in ihre Richtung.
»Was ist denn die Wahrheit?«, fragte sie.
»Ich fürchte, diese Frage kann ich immer schlechter beantworten«, sagte er und wandte sich ihr endlich wieder zu.
Sie schaute direkt in seine hellblauen Augen. Der Mentalist ließ traurig die Schultern hängen. Normalerweise war seine Haltung stolz und geradlinig. Doch heute nicht. Ganz offensichtlich beunruhigte ihn etwas. Nach allem, was er ihr über Maria erzählt hatte, war das ja auch kein Wunder, aber sie hatte das Gefühl, ihn würde noch etwas bedrücken. Etwas, das ihn tief im Innern berührte. Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter.
»Vincent …«
»Dein Date!«, rief er plötzlich aus. »Hat das schon stattgefunden?«
»Die Audienz ist beendet«, sagte sie. »Wo hast du das Stöckchen gelassen, mit dem du vorhin so schön gespielt hast?«