V incent las die Mail von Umberto noch einmal. Sie war eingetroffen, während er mit Mina im Park gewesen war, aber gesehen hatte er sie erst zu Hause. In der E-Mail-Signatur prangte das rote Logo von TV 4 neben dem grinsenden Gesicht, das die Produktionsfirma Jarowskij repräsentierte. Umberto hatte nur geschrieben: »Es ist so weit, amico mio!«, und einen Smiley mit Sonnenbrille angefügt. Den übrigen Text hatte die Produktionsfirma verfasst. Vincent hatte sich auf einen Küchenstuhl gesetzt und starb tausend Tode.
In der Mail wurde seine Reise zu einer kleinen Insel vor der französischen Küste beschrieben. Genauer gesagt, zu der kleinen Insel, auf der Fort Boyard aufgezeichnet wurde. Die Produktionsfirma hatte einige Fotos der Festung beigefügt. Vermutlich wollte man seine Neugier wecken, aber die Bilder des militärischen Gebäudes bewirkten genau das Gegenteil. Dies war wirklich der letzte Ort, den er freiwillig aufgesucht hätte. Wenn er die Fotos vergrößerte, konnte er sogar die Kanone erahnen. Mit Sicherheit würde ihm dieses Schicksal blühen. Er wusste es jetzt schon.
Im Text stand, dass er in gut drei Wochen dort sein würde. Noch fünfundzwanzig Tage. Das war vermutlich genug Zeit, um einen Termin beim Notar zu bekommen und sein Testament zu schreiben. Hauptsache, Umberto und ShowLife bekamen keinen Pfennig, wenn er die Tortur nicht überlebte.
»Was ist das denn?«
Rebecka stand plötzlich hinter ihm und spähte neugierig auf sein Handydisplay.
»Das ist ja Fort Boyard! Aber Papa …«, stammelte sie erschrocken. »Du willst doch da nicht mitmachen, oder?«
Er drehte sich zu seiner Tochter um. Das Käsebrot, das sie in der Hand hielt, schien sie vollkommen vergessen zu haben. Das Entsetzen in ihrem Gesicht war echt.
»Und wenn doch?«, gab er zurück.
»Dann kann ich mich in der Schule nicht mehr blicken lassen. Dann ziehe ich zu Denis und gehe nie wieder vor die Tür.«
»Das kannst du dir gleich abschminken«, sagte er. »Dennis wird mich nämlich als Dolmetscher begleiten, er ist schließlich Franzose. Ich habe schon T-Shirts mit diesem Familienfoto aus dem Vergnügungspark Liseberg bedruckt, wo du in der Achterbahn ganz vorne sitzt und dieses völlig verängstigte Gesicht machst. Dennis und ich werden nichts anderes anziehen.«
Das Entsetzen in den Augen seiner Tochter verwandelte sich in Hass.
»Er heißt Denis«, zischte sie mit französischer Aussprache. »Und wenn dieses Foto auch nur in seine Nähe kommt, bist du tot.«
Ein Legoauto kam in die Küche gefahren, gefolgt von Aston, der einen Song von Queen vor sich hin summte.
»Guck mal, Papa!«, rief Aston. »Die Familie fährt in den Urlaub. Mit dem Auto. Ich spiele Fantasiefamilie. Genau wie du.«
»Ich dachte, du meinst Albtraumfamilie«, sagte Rebecka zu Aston.
»Aston, nur weil Benjamin und Rebecka eine andere Mama haben …« Anstatt den Satz zu beenden, seufzte er laut.
Rebecka sah ihn durchdringend an.
»Hoffentlich schießen Sie dich mit dieser Kanone durch die Luft und vergessen, dich festzubinden«, zischte sie leise und ging aus der Küche.
»Könntest du die Fische füttern?«, fragte er.
»Hoffentlich füttern sie die Fische mit dir!« Sie knallte ihre Tür zu.
Aston hatte nun den Refrain erreicht, den einzigen Teil, den er wirklich beherrschte, und grölte aus vollem Hals:
»The show must go ooon!«
Vincent stimmte voll und ganz zu. Die Show musste weitergehen. Die Frage war nur, wie lange noch.