D a alle außer Ruben noch im Haus waren, brauchte Mina nicht lange, um die Gruppe zusammenzutrommeln. Die müden Gesichter machten jedoch deutlich, dass Vincent sich auf diese Weise nicht gerade beliebter machte. Sie hatte es sich natürlich nicht nehmen lassen, darauf hinzuweisen, dass das Treffen seine Idee gewesen war. Nicht einmal Peder mimte Begeisterung. Mina konnte die anderen verstehen. Sie war auch genervt von Vincent. Zur Strafe für die überflüssige Bemerkung hatte sie ihm gedroht, er müsse zu Fuß von der Billardhalle zum Präsidium gehen. Seinetwegen würde sie Alice beim nächsten Mal bitten müssen, ihr einen anderen Tisch zuzuweisen.

»Es tut mir leid, dass wir jetzt noch einmal zusammenkommen«, sagte Vincent. »Aber es wäre zu kompliziert gewesen, das Ganze am Telefon zu besprechen. Ich habe über eine Sache nachgedacht, die Peder vor …«

Er sah auf die Uhr.

»… vor zwei Stunden gesagt hat.«

»Und was habt ihr beiden in der Zwischenzeit gemacht?«, fragte Ruben mit vielsagendem Unterton.

Er hatte Astrid nicht mehr an seiner Seite und war offensichtlich wieder ganz der Alte.

»Das geht dich nichts an«, gab Mina zurück. »Aber ich kann dir versichern, dass die Kugeln frisch gewaschen waren und Vincents Stöße kräftiger sind, als man annehmen könnte.«

Christer und Peder brachen in schallendes Gelächter aus, aber Ruben stieg die Zornesröte ins Gesicht. Er schien vor Scham im Boden versinken zu wollen. Es war wunderbar. Endlich hatte sie es ihm gezeigt. Nach all den Jahren, in denen Ruben ihr mit anzüglichen Blicken, blöden Bemerkungen und Beleidigungen das Leben schwer gemacht hatte, war er mal so rot angelaufen wie ein Schuljunge.

»Ich darf doch annehmen, dass ihr Billard gespielt habt?«, fragte Adam zaghaft.

Christer lachte noch lauter.

»Und schon wieder ist die ganze Klasse außer Rand und Band«, seufzte Julia. »So gern ich mich noch ein wenig mit euch herumschlagen würde – ich werde zu Hause von jemandem erwartet, der mir noch wichtiger ist. Und reifer ist er auch.«

Mina entging nicht, dass Julia nur eine Person erwähnte. Torkel und sie waren sich offenbar noch immer nicht grün.

»Also, worum geht es?« Julia sah Mina an.

Mina trat einen Schritt zurück und deutete auf Vincent.

»It’s all yours«, sagte sie.

Vincent räusperte sich und stellte sich wieder vor den Stadtplan.

»Wie ich euch schon am Nachmittag erklärt habe, müsste die nächste Leiche laut meiner Theorie hier im Gebiet rings um die Djurgårdsbrunnsviken aufgefunden werden. Was wir jedoch nicht wissen, ist, wann der Täter oder vielmehr die Organisation oder Sekte wieder zuschlagen. Ich glaube jedoch, dass ich es herausbekommen habe. Peder hatte recht. Die Tatzeitpunkte sind wie Billardkugeln, die mit immer höherer Geschwindigkeit aufeinanderprallen.«

Sämtliche Polizisten im Raum sahen ihn verwirrt an.

»Und dafür bin ich gerade mit dem Auto extra aus Vallentuna gekommen?«, fragte Ruben.

Aber Mina mochte Vincent so am liebsten. Wenn er so von seinen eigenen Gedanken in Anspruch genommen wurde, dass er die anderen vergaß. Seine Körpersprache veränderte sich, wenn er nachdachte. Er wurde dann lockerer. Als ob er sich sicherer fühlte. Es schien, als wäre er die restliche Zeit über immer auf der Hut. Aber jetzt nicht. Jetzt war er der Vincent, den sie ganz nah an sich herangelassen hatte.

»Ich habe das Muster die ganze Zeit nicht erkannt«, sagte Vincent, der Rubens bissige Zwischenfrage offenbar überhört hatte. »Nicht einmal, als Milda sagte, der Fund im Fatbursparken könne höchstens seit zwei Monaten dort liegen, ist es mir aufgefallen. Aber es stimmt alles zu gut überein, um Zufall zu sein.«

»Womit stimmt es denn überein?«, fragte Ruben noch gereizter.

Adam und Julia sahen Vincent erwartungsvoll an, während Christer die Stirn runzelte, als versuchte er ernsthaft, dem Mentalisten zu folgen. Peder hingegen wandte sich dem leeren Keksteller zu. Die letzten Kekse hatte Ruben anscheinend Astrid mitgegeben.

»Mit der Beschleunigungskurve.« Vincent trat an das Whiteboard.

Er nahm einen Stift und begann zu schreiben.

»Seht mal. Die Verwendung der Knight’s tour zeigt, dass wir es mit Individuen zu tun haben, die ihre Handlungen nach streng mathematischen Vorgaben ausrichten. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, sie würden sich bei der Frequenz dieser Handlungen anders verhalten. Lilly ist letztes Jahr Anfang Juni verschwunden. William dieses Jahr Ende Januar. Es liegen sieben Monate dazwischen. Wenn die Leiche im Park wirklich höchstens zwei Monate dort gelegen hat, wie Milda sagt, dann muss sie Mitte Mai verschwunden sein. Dreieinhalb Monate nach William. Und Ossian ist acht Wochen später verschwunden. Wisst ihr, worauf ich hinauswill?«

Vincent zeigte auf das, was er ans Whiteboard geschrieben hatte.

Lilly –> William; 7 Monate

William –> Fatbursparken; 3 ,5 Monate

Fatbursparken – > Ossian; 1 ,75 Monate (8 Wochen)

»Der Zeitraum zwischen den Taten halbiert sich jedes Mal«, sagte er.

»Ach, du Scheiße«, murmelte Christer.

»Das würde bedeuten, dass das nächste Kind vier Wochen nach Ossian verschwindet«, sagte Julia.

»Genau.« Vincent nickte.

»Moment mal«, sagte Christer. »Hast du nicht gesagt, dass es vierundsechzig Mal passiert, wenn wir das Ganze nicht stoppen? Weil es so viele mögliche Schritte wie Felder auf dem Schachbrett gibt? Es sieht mir aber nicht so aus, als würden diese Halbierungen noch viele Möglichkeiten offenlassen.«

»Da hast du recht«, sagte Vincent. »Gut beobachtet. Wenn sich der Zeitraum zwischen den Taten halbiert, kann der Mörder noch höchstens vier Taten verüben. Anschließend müssten die Entführer sonst ein Kind pro Tag entführen, und dann bald eins pro Stunde, und das erscheint mir ausgeschlossen. Nach acht Entführungen findet das Ganze also sein natürliches Ende. Ich sage nicht, dass es acht werden müssen. Aber es könnte so kommen. Im Moment sollten wir uns jedoch darauf konzentrieren, die fünfte zu verhindern.«

Keiner im Raum sagte etwas. Offenbar nahmen alle Vincent ernst. Selbst Ruben wirkte nachdenklich.

»Was heißt das jetzt genau, Vincent?«, fragte Julia langsam. »Wie viel Zeit haben wir noch, bis es wieder passiert?«

»Du hast es ja selbst gesagt.« Der Mentalist klopfte ans Whiteboard. »Die nächste Entführung wird vier Wochen nach der von Ossian passieren. Jetzt ist Sonntagnachmittag. Nächsten Mittwoch liegt Ossians Entführung drei Wochen zurück. Wenn wir den Fall nicht lösen, wird also in zehn Tagen irgendwo in Stockholm noch ein Kind entführt.«