N athalie!«
Mina brüllte, so laut sie konnte, während sie die Treppe im Hotel hinaufrannte. Im zweiten Stock stolperte sie beinahe über Nova.
»Ich bin hier!«, rief eine Mädchenstimme.
Nathalie. Ganz in ihrer Nähe.
»Ich komme«, rief Mina.
Sie beugte sich über Nova und untersuchte sie auf Lebenszeichen. Sie hatte in der letzten Stunde genug Tod für den Rest ihres Lebens gesehen. Die vielen Toten unter den Epicura-Anhängern, Ines und natürlich Peder. Es war so furchtbar sinnlos. Wenn es eine Chance gab, Nova zu retten, würde sie sie ergreifen, egal, wie sehr sie sie für all ihre Taten hasste. Doch für Nova schien jede Rettung zu spät zu kommen. Und da vorne war Nathalie.
Julia und Ruben waren direkt hinter ihr, sie konnten einen Krankenwagen für Nova rufen. Sie stand auf und rannte in die Richtung, aus der sie die Stimme gehört hatte.
Noch bevor Mina den Raum betreten hatte, sah sie eine Gestalt am Boden liegen, und konnte nichts anderes denken, als dass es nicht ihre Tochter sein durfte.
Sie stürmte ins Zimmer und fand Nathalie zusammengekauert auf dem Bett.
»Sie?!«, sagte Nathalie. »Sie kenne ich doch.«
Mina nickte. In jenem Sommer vor zwei Jahren hatten sie im Kungsträdgården Cappuccino zusammen getrunken, aber damals hatte Mina sich nicht offenbart. Sie war sich nicht sicher gewesen, ob Nathalie sich überhaupt an die Begegnung erinnerte.
»Sind Sie meine Mutter? Ich verstehe gar nichts mehr.«
Mina hörte ihr nicht mehr zu. Sie hatte gesehen, wer auf dem Boden lag. Und sie wollte es nicht wahrhaben, weigerte sich, zu realisieren, dass es Vincent war. Ihr Vincent. Der ihr ganz nah gekommen war. Der einzige Mensch, der das durfte.
Und nun lag er einfach da, als ob er sich gar keine Gedanken darüber gemacht hätte, was das für sie bedeutete.
»Was hast du getan?«, murmelte sie. »Vincent, was hast du getan?«
Sie ging auf die Knie und untersuchte ihn genauso auf Lebenszeichen, wie sie es bei Nova getan hatte. Und genau wie bei Nova konnte sie keine entdecken.
»Wir haben einen Krankenwagen gerufen«, sagte Julia, als sie ins Zimmer trat, »aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Nova tot ist …«
Sie verstummte, als sie Vincent erblickte.
»Oh, Scheiße. Mina …«
»Sind Sie meine Mutter?«, fragte Nathalie noch einmal.
Mina konnte nicht antworten. Sie hatte gerade ihre Tochter zurückbekommen. Sie hätte überglücklich sein müssen. Aber als sie sich wieder erhob und von Vincent entfernte, als sie aufstand, um den Rest des Tages und den nächsten Tag und diesen Monat und dann das Jahr und den Rest ihres Lebens ohne ihn, ohne Vincent, zu verbringen, da gab es auf der Welt für sie nichts als Traurigkeit.