T orkel! Was ist passiert? Wie geht es ihm?«
Julia lief zu dem Zimmer im Astrid-Lindgren-Kinderkrankenhaus. Torkel stand vom Stuhl an der hinteren Wand auf und kam auf sie zu. Er drückte sie so fest an sich, dass sie kaum noch atmen konnte. Sie riss sich los und sah Harry auf dem Untersuchungstisch liegen. Eine Frau im weißen Kittel beugte sich über ihn.
»Harry?«
Julia stürzte hinzu.
Harry sah sie mit seinen blauen Augen an und gurgelte erfreut, als er sie erblickte. Vor Erleichterung knickten ihr fast die Beine weg.
»Ja, dieser kleine Mann hat einen ziemlichen Wirbel veranstaltet.« Die Ärztin lächelte beruhigend. »Er hat sich etwas in den Mund gesteckt, was dort nicht hingehörte, aber sein Papa hat klug reagiert, und der Krankenwagen war schnell da. Abgesehen von dem Herzinfarkt, den Harrys Vater beinahe erlitten hätte, ist nichts Schlimmes passiert.«
Die Ärztin nahm Harry auf den Arm und überreichte ihn Julia. Sie drückte ihn an sich. Dann sah sie Torkel an.
»Danke.«
Torkel nickte nur. Jetzt bemerkte sie, dass er Tränen in den Augen hatte. Sie hatte ihn noch nie weinen gesehen. Nicht einmal bei Harrys Geburt hatte er geweint. Stattdessen war er vor Freude wie ein Duracellkaninchen durch den Kreißsaal gehüpft.
»Können wir ihn mit nach Hause nehmen?«, fragte Julia.
Die Ärztin nickte.
Torkel sammelte seine Habseligkeiten ein und ging hinter Julia zur Tür. Als er einen Arm um sie legte, merkte sie, dass er zitterte.
»Wenn du dich nach hinten zu Harry setzt, kann ich fahren«, sagte sie auf dem Weg zum Auto entschieden.
»Okay.« Torkel protestierte nicht.
Nachdem sie Harry, der immer noch fröhlich vor sich hin brabbelte, im Kindersitz festgeschnallt hatten, setzte sich Julia ans Steuer und Torkel auf die Rückbank. Als sie den Motor anlassen wollte, spürte sie eine Hand auf der Schulter.
»Warte. Ich will noch was sagen.«
Ihre Blicke trafen sich im Rückspiegel. Er schluckte.
»Ich bin ein Riesenarschloch gewesen«, sagte er.
»Torkel …«, begann sie, aber er fiel ihr ins Wort.
»Nein, lass mich. Ich habe noch nie solche Angst gehabt wie heute. Ich dachte, er würde sterben, Julia. Ich dachte wirklich, er stirbt. Und erst da habe ich kapiert, was du eigentlich leistest. Diese Eltern …«
Die Worte blieben ihm im Hals stecken.
»Ich kann mir nicht mal vorstellen, wie sie es schaffen, den Verlust eines Kindes zu überleben. Und du gehst jeden Tag zur Arbeit, um diese Morde aufzuklären. Und um zu verhindern, dass noch mehr Eltern so etwas durchmachen müssen. Und was mache ich? Ich bin zu Hause und jammere wie ein Kleinkind. Bitte verzeih mir. Ich schäme mich so. Und ich verspreche dir, ab jetzt bin ich Mister Mom. Ich werde mich nie wieder beklagen.«
Er fuhr sich mit Daumen und Zeigefinger über die Lippen, als würde er einen Reißverschluss zuziehen, dann drehte er einen unsichtbaren Schlüssel und warf ihn weg.
Julia drehte sich zu ihm um und sah ihm in die Augen.
»Du hast recht. Du warst ein Arschloch. Aber du gehörst zu mir, du Arschloch. Und du bist der beste Papa, den Harry sich hätte wünschen können. Du hast eben ein bisschen Zeit gebraucht … und daher schlage ich vor, wir vergessen das Ganze und fangen noch mal von vorne an. Weißt du was? Ich habe noch drei Wochen Urlaub, und die könnte ich jetzt nutzen, um dich mal abzulösen. Ich bin zwar gerade erst zurückgekommen, aber wenn wir diesen Fall hinter uns haben, kann nicht einmal mein Vater was dagegen sagen, wenn ich ein bisschen Urlaub nehme. Du kannst also morgen zur Arbeit gehen. Oder Golf spielen. Was immer du willst. Ich nehme Harry.«
»Ich hasse Golf, das weißt du.« Torkel lachte. »Und meine Kollegen kommen sehr gut ohne mich zurecht. Ich habe mir nur eingeredet, ich wäre unersetzlich. Aber Urlaub klingt gut. Wie wär’s, wenn wir uns eine Zeit lang gemeinsam um Harry kümmern? Und uns abwechseln. Eine Windel du und eine Windel ich. Nachts können wir uns auch abwechseln. Und wenn du wieder ins Präsidium musst, schmeiße ich den Laden allein. Wollen wir es so machen?«
Grinsend startete Julia den Motor.
Dann sah sie wieder in den Rückspiegel.
»So machen wir’s.«