F redrik Walthersson parkte auf dem Schotterweg vor dem Sommerhäuschen auf Djurö. Den vielen Autos nach zu urteilen, trafen er und Josefin als Letzte ein. Sie querten die Rasenfläche vor dem braunen Haus. Der schöne Garten stand in voller Blüte, und zwischen zwei Apfelbäumen hing eine Hängematte. Es war ein perfekter schwedischer Sommertag. Doch Fredrik fiel es schwer, ihn zu genießen. Vor einigen Tagen hatte die Polizei ihn kontaktiert und ihm mitgeteilt, wer Ossian auf dem Gewissen hatte. Anschließend hatte sich die Mörderin selbst umgebracht.

Seitdem hatten er und Josefin nur auf diesen Anruf gewartet.

Und jetzt waren sie hier.

Mauro Meyer kam ihnen entgegen, um sie mit Handschlag zu begrüßen.

»Es sind alle schon da«, sagte er leise. »Kommt rein, wir fangen an.«

Er führte sie ins Sommerhäuschen. Im Flur standen zahllose Paar Schuhe, und Fredrik zog seine ebenfalls aus. Es war eigenartig, dass man bestimmte Gewohnheiten unter allen Umständen beibehielt.

Im Wohnzimmer brauchte er einige Sekunden, um die anderen zu erkennen. Sie waren alle viel älter geworden. Und das Alter war sehr unterschiedlich mit ihnen umgegangen. Manche, wie Mauro, waren regelrecht aufgeblüht. Die vierzig stand ihm. Andere hingegen, wie Lovis Carlsson, schienen ihr Alter wie eine Ankündigung des bevorstehenden Todes mit sich herumzutragen.

Fredrik nickte Jens und Janina Josefsson zu, die schweigend auf dem Sofa saßen. Dort saßen auch Hugo und Karin neben Henry und Tobias. Ihre Kinder lebten noch, genau wie die von Jens und Janina. In dem Teil des Raumes, wo er selbst und Josefin standen und auch Mauro und Lovis saßen, herrschte eine vollkommen andere Atmosphäre.

Fredrik und Josefin nahmen am Esstisch Platz. Mauro hatte Kaffee und Zimtschnecken bereitgestellt, aber es schien niemand etwas angerührt zu haben.

»Wahrscheinlich hätte ich euch besser Schnaps anbieten sollen«, sagte Mauro, als er Fredriks Blick sah. »Aber ihr müsst ja noch fahren.«

Er räusperte sich, bevor er fortfuhr.

»Lasst uns anfangen. Wir sind alle hier zusammengekommen, außer Vendela, die wir sehr vermissen. Wie ihr wisst, hat sie sich im Frühjahr das Leben genommen. Alle dachten, sie hätte Dexter mit in den Tod genommen, weil er zur gleichen Zeit verschwunden ist. Doch dann war plötzlich zu lesen, der Sohn von Thomas Jonsmark sei in einem Stockholmer Park tot aufgefunden worden. Wir dürfen also annehmen, dass auch Dexters Tod Novas … ich meine Jessicas Werk war.«

Jens und Janina sahen sich an.

Josefin klaubte den Hagelzucker von ihrer Zimtschnecke. Fredrik hatte den Verdacht, dass ihr das gar nicht bewusst war.

»Weiß Thomas was?«, fragte Henry.

Henry hatte zusammen mit Tobias einen Sohn namens Alfons. Fredrik hatte Alfons noch nie gesehen und hatte auch nicht die geringste Lust, ihn kennenzulernen. Denn im Gegensatz zu Ossian lebte Alfons noch. Fredrik schämte sich für diesen Gedanken, aber er hätte gerne getauscht. Ein Leben gegen ein anderes. So wie Jessica es getan hatte. Oder Nova, wie sie sich später genannt hatte.

»Nein, ich glaube nicht, dass Thomas davon weiß«, sagte Mauro. »Jenny habe ich auch nichts erzählt, und als sie mir den Mord anhängen wollte, war ich ganz schön in der Klemme, aber ich habe damals nichts gesagt und werde es auch nie tun. Cecilia weiß es auch nicht. In gewisser Weise wäre es vielleicht gerecht gewesen, wenn ich verurteilt worden wäre.«

»So darfst du nicht denken.« Josefin legte Mauro eine Hand auf den Arm. »Das ist lange her. Und es war ein Unfall. Wir hatten doch keine Ahnung, was passieren würde. Wir waren Kinder. Dumm und gemein, aber Kinder.«

»Es war kein Unfall«, sagte Mauro verbittert. »Wir haben gelogen. John hatte nie etwas getan. Er war unschuldig. Wir haben uns Lügen über ihn und die anderen ausgedacht. Ich weiß nicht mal mehr, warum. Weil es spannend war? Wollten wir uns für irgendetwas rächen, das uns keinen Spaß gemacht hat? Oder hatten wir nur aufgeschnappt, die Leute wären seltsam? Entscheidend war, dass unsere Eltern uns die Lügen geglaubt haben. Und dann geriet das Ganze außer Kontrolle. Es kam zur Katastrophe. Es war doch nicht unsere Absicht … wer von uns hätte denn gedacht, dass unsere eigenen Eltern …«

Er verstummte.

Niemand sagte etwas.

Tonnenschwer lastete die Schuld auf ihnen.

»Jörgen habe ich auch nie davon erzählt«, sagte Lovis schließlich mit rauer Stimme. »Er sitzt wegen des Mordes an William in Hall ein und kann dort von mir aus verschimmeln, das Schwein, auch wenn er es nicht gewesen ist.«

Es wurde wieder still im Raum. Die meisten sahen zu Boden.

Einst wären sie füreinander durchs Feuer gegangen. Doch dann war das Leben dazwischengekommen. Einige von ihnen waren Paare geworden oder geblieben. Manche hatten Karriere gemacht. Andere lebten zurückgezogen. Lovis war die Einzige, der es richtig schlecht ergangen war. Und Vendela natürlich. Arme Vendela. Aber wie hätten sie ahnen sollen, dass ihr Leben so ein tragisches Ende nehmen würde?

Sie hatten sich geschworen, nie wieder Kontakt zueinander aufzunehmen. Nicht einmal, als Josefin ihm im vergangenen Sommer den Artikel über die kleine Lilly Meyer gezeigt hatte, die tot aufgefunden worden war, hatte Fredrik sich bei Mauro gemeldet.

»Was passiert ist, ist grauenhaft«, sagte Mauro. »Aber jetzt ist es vorbei. Jessica ist tot. Und daher möchte ich ganz sichergehen, dass unser Schwur noch gilt. Dass niemand von uns etwas sagen wird. Diese Last tragen wir gemeinsam. Schweigend. Und diejenigen von euch, die noch Eltern haben, erzählen ihnen bitte nichts. Wir selbst haben schon schwer genug an unserer Schuld zu tragen. Unsere Eltern brauchen wir nicht auch noch damit zu belasten. Wenn wir nicht gelogen hätten, wäre das alles nie passiert. So sehe ich das jedenfalls. Lassen wir die Sache einfach auf sich beruhen.«

Die anderen nickten. Dann standen sie auf und gingen, ohne sich zu verabschieden.