FÜNF
Als Jutta die Briefschlitzklappe hörte, schwang sie sich aus dem Bett, stieg in ihren Slip und zog sich Bärchens Hemd über. Bärchen hatte sich über Nacht freigestrampelt. Sein stattlicher Bauch hob und senkte sich. Leicht amüsiert warf Jutta einen Blick auf seinen Stummelschwanz, kaum vorstellbar eigentlich, dass er ihn dennoch in Stellung bringen konnte. Nun ja, halbwegs jedenfalls und dann doch überraschend ausdauernd. Aber so oder so – sie mochte ihr Bärchen. Er war eine treue Seele, sie hatte ihn wirklich gern, genau.
Die Post lag auf dem Fliesenboden, Werbung und eine Postkarte. Sie zeigte eine Amsterdamer Grachtenansicht. Sie war von Michael. Er schrieb: »Projekt vor dem Abschluss, bin voraussichtlich Dienstag zurück. Halt dir frei, wir haben was zu feiern. In Love M.«
Das war neu. Bislang hatte er seine diversen Aufträge immer nur beiläufig erwähnt – »musste kurzfristig nach Stuttgart«, »Dresden – kann ’ne Woche in Anspruch nehmen«, »wieder mal Berlin«. Viel mehr hatte er nie gesagt, sie waren immer fix in der Kiste, hatten was getrunken und manchmal auch einen durchgezogen. Bei irgendwelchen Indianergesängen. Darauf stand er.
Und jetzt das. Das war ja schon fast so was wie eine Liebeserklärung.
In ihrem Schlafzimmer regte sich Bärchen.
Jutta steckte die Karte hinter die Vase auf dem Garderobenboard und ging zu ihm.
Bärchen hockte aufrecht im Bett, reckte und streckte sich, blies clownsmäßig die Backen auf und schien bester Laune zu sein.
»Ein herrlicher Morgen«, tönte er. »Wir werden drüben im Marriott frühstücken.«
»Ich muss um zehn Uhr den Laden aufschließen.«
»Ruf deine Kollegin an. Sie muss übernehmen. Du hast ein wichtiges Gespräch.«
»Bärchen …«
»Du hast es gestern Abend selbst angesprochen. Dein Wunsch,
dir ein eigenes kleines Kosmetikstudio einzurichten.«
»Ach«, sagte sie. »Da wär erst noch eine Menge abzuklären, angefangen bei den Räumlichkeiten – genau.«
»Jaja, aber in erster Linie waren es die Kosten. – Ich kann dir fünfzigtausend zuschießen.«
Jutta schüttelte spontan den Kopf. »Du spinnst! Das will ich nicht! Woher willst du die denn auch nehmen? Ich denke, deine Holde kontrolliert bei dir sämtliche Ausgaben.«
Bärchen grinste breit.
»In meiner Position hat man Zugriff auf diverse Töpfe«, sagte er geschwollen und warf Jutta einen Schmatzer zu.
»Du wolltest dich melden«, sagte Jutta in ihr Handy und streifte ihre Schuhe ab. Ein stressiger Tag im Laden lag hinter ihr.
»Ich bin noch nicht zurück«, sagte Schorsch. Es klang, als stehe er direkt neben ihr.
»Wo bist du denn?«
»Wo auch Michael zuletzt war, auf seiner letzten Reise.«
»Ich hatte heute eine Karte von ihm in der Post. Aus Amsterdam.«
»Genau.«
»Was heißt das?«
»Er hatte einen Auftrag, und der hat böse geendet. Ich will wissen, warum.«
»Schorsch, ich … okay, ich weiß nicht, was plötzlich in dich gefahren ist, aber ich …«
»Ich hab mich zu lange nicht mehr für ihn interessiert.«
»Aber jetzt, auf einmal … mein Gott!« Sie atmete tief durch. »Dann sag mir wenigsten schon mal, was du mit seiner Wohnung vorhast.«
»Mit welcher Wohnung?«
»Michaels Apartment! Mein Gott, seine Eigentumswohnung!«
»Die gehört ihm?«
Jutta verdrehte die Augen. Sie mühte sich aus ihrem Kostümrock.
»Verdammt!«
»Was? Wieso? Ich meine … Sorry, Jutta, aber das ist mir
momentan echt egal. Wir reden später. Was hat Mike denn geschrieben …?«
Oktober 1997
Sie stand unter der Dusche, als es an der Wohnungstür klingelte. Sie ließ es klingeln und duschte weiter, sie war geschafft, die Eröffnung der Filiale in den Kolonnaden des Hauptbahnhofs, Small Talk und dabei unentwegt auf den Beinen. Sie trocknete sich ab, zog den Morgenmantel über und schlang ein Tuch um ihre feuchten Haare. Es klingelte wieder.
Sie schaute durch den Spion.
Michael!
Mein Gott, Michael!
Er hielt eine Flasche Champagner und eine rote Rose in die Höhe.
Sie öffnete ihm.
»Keine Chance«, begrüßte er sie. »Vor mir kannst du dich nicht verstecken.«
»Was soll das? Ich versteck mich doch nicht! Was zum Teufel willst du?!«
»Tsss, tsss, tsss«, machte er. »Ganz die Alte.«
Er sah sich im Flur um, linste in den Wohnraum.
»Gibt’s Gläser? – Trinken wir auf eine wunderbare Zukunft im hochheiligen Köln, keusch und züchtig, in aller Freundschaft!«
Sie lachte. Sie lachte ein lautes und schrilles Lachen, ihr Morgenmantel klaffte auf. Sie raffte ihn wieder zusammen.
»Was glaubst du, wer du bist? Tauchst plötzlich hier auf nach … nach wie vielen Jahren eigentlich? Verdammt! Ich weiß es schon gar nicht mehr!«
»Du solltest dich freuen! Immerhin hatten wir weitaus mehr Spaß zusammen als du mit Schorschi.«
Sie schnaubte verächtlich.
»Schorschi! Was weißt du denn schon. – Im Übrigen steht ihr euch in nichts nach.«
»Wirklich nicht?«
»Tu nicht so selbstgefällig!«
Er verstärkte sein Lächeln.
Sie schlug ihm die Rose aus der Hand. Er schüttelte den Kopf und zog sie an sich. Heftig. Sie spürte die Flasche an ihrem Rücken,
spürte seine Lippen auf ihren Lippen, seine Zunge. Er presste sie noch enger an sich … sie konnte erst wieder einigermaßen klar denken, als er sich von ihr weg auf den Rücken rollte.
»Wir sollten jetzt wirklich einen Schluck trinken«, sagte er.
Sie erwiderte nichts, stand auf und holte Gläser und Zigaretten. Er prostete ihr zu, sie tranken.
Sie rauchten.
»Glaub ja nicht, dass sich das wiederholt«, sagte sie nach einer Weile.
»Ich denke nicht über den Tag hinaus«, sagte er.
»Hast du keinen Job?«
»Ich arbeite selbstständig.«
»Und als was, bitte?«
»Beratung. Bei Computersystemen. Bin viel unterwegs.«
»Das wird Schorschi aber freuen.«
»Wieso? Was meinst du?«
»Musste er dir nicht ständig aus der Patsche helfen?«
»Sagt er das?«
»Nein?«
»Er soll aufpassen, was er so redet. Sonst kommt noch mal jemand auf die Idee, genauer nachzufragen.«
Sie lächelte.