Kapitel 2 - Die Nacht des Feuers

 

Schillernde, glitzernde Lichter durchfluten den warmen Sommerwald, tanzen mit den Schatten im Rausch des Windes und tauchen die Flur, auf der ich barfuß laufe, in malerische Farben. Ich spüre das weiche Moos zwischen meinen Zehen, rieche den Duft der blühenden Bäume und lege den Kopf in den Nacken, um den Augenblick zu genießen.

Auf einmal streichen mir zwei große Hände sanft über den schmalen Rücken, gleiten an meinen Seiten entlang und greifen schließlich um mich herum.

Erst jetzt bemerke ich, dass ich nackt bin, doch es macht mir nichts aus.

Ich höre ein sehnsüchtiges Schnaufen und spüre einen Atemzug im Nacken, dem ein sanfter Kuss folgt. Beim Blick über meine Schulter berührt meine Nase das duftende Haar und das ebenmäßige Gesicht des Fremden, der hinter mir aufgetaucht ist.

Er schweigt, lächelt nur mild und ich lehne mich an ihn. Auch er trägt keine Kleidung. Als ich seinen Leib berühre, fühle ich seinen warmen, harten Schwanz an meinem Steißbein. Ich seufze sehnsüchtig auf, greife nach hinten und massiere ihn mit den Fingerspitzen, bis ich die ersten Tropfen auf seiner pulsierenden Kuppe verreiben kann. Er stöhnt tief und erregt, lehnt sich leicht nach vorn und legt seine Lippen auf meine. Sein Mund ist weich, leidenschaftlich und feucht.

Widerstrebend löse ich mich von seiner Zunge, beuge mich nach vorn und greife zwischen meinen Beinen hindurch an mein begierig puckerndes Loch. Es ist richtig heiß, unglaublich nass, geschwollen und glitschig, und als ich zwei meiner Finger hineinschiebe, saugt es sie förmlich in sich.

„Bitte ...“, keuche ich heiser und fasse nach dem mächtigen Pfahl hinter mir. „Tut es ...“

In einer fließenden Bewegung streichen die Pranken des schweigenden Fremden erneut über mich, dann packt er meine Hüften, setzt seinen Bolzen an und drückt ihn mir bis zum Anschlag in den glitschigen, heißen Eingang. Ich stöhne hemmungslos in den Wald. Alles in mir beginnt zu beben und ich komme so heftig, dass ich kaum noch atmen kann.

Doch der Fremde hört nicht auf.

Der Griff seiner Pranken wird energischer, er zieht seinen Harten bis zur Hälfte aus meinem Körper, dann rammt er ihn mir erneut hinein, immer fester und schneller. Es schmerzt. Ich japse nach Luft, doch mein Hals ist plötzlich so wund, als hätte ich Scherben geschluckt.

„Nein ... hört auf ... das tut weh“, keuche ich gepeinigt, huste einige Tropfen Blut und mit einem Mal verändern sich die Farben um mich herum. Der Wald glüht, die Rinden der Bäume bersten und schließlich gehen auch die Blätter in Flammen auf.

„Oh nein! Ahahh au ... nicht! ... Hilfe!!! Hört auf ... bitte hört auf! “, schreie ich verzweifelt mit kratziger Stimme, doch der Mann hinter mir packt stattdessen meinen Hals, würgt mich mit beiden Händen und fickt mich dabei noch härter.

Blut besprenkelt den Boden. Die bis eben klare Luft verfärbt sich schwarz und brennt mir in den Augen. Meine Brust verkrampft sich schmerzhaft wie in einem Anfall. Ich ersticke ... dann wache ich auf.

Ich schnelle aus meiner liegenden Position hoch, atme scharf ein, doch sofort beginne ich jämmerlich zu husten.

Die giftige Luft ist echt! Unsere Hütte ist voller Rauch! Als ich nach oben schaue, sehe ich auch warum, worauf mein Herz für einen Schlag aussetzt. Das gesamte Dach glüht! Es muss von außen brennen, denn das Feuer frisst sich durch die dicke Reetschicht nach innen und diese droht jeden Moment einzustürzen!

Ich wälze mich keuchend aus dem Bett und krieche über den Boden zur offen stehenden Tür, wo die Luft einigermaßen klar ist. Je wacher ich werde, desto deutlicher höre und sehe ich jetzt auch die vor Angst und Panik schreienden Menschen, die aus ihren brennenden Häusern fliehen, und verstehe endlich, dass wir angegriffen werden.

'Diese feigen Sausäcke von Eburonen!!!'

Im schwächsten Moment unseres Daseins, als wir erschöpft und betrunken von der nächtlichen Feier sind, überrennen uns diese ehrlosen Schweine mitten in der Nacht - ohne Vorwarnung? Schlimmer noch! Sie haben Fackeln auf unsere leicht entflammbaren Dächer geworfen, um sich nicht die Hände an denen schmutzig machen zu müssen, die zu jung, zu alt oder zu krank sind, um es aus dem Bett zu schaffen!

Vater ?“, brülle ich, doch er scheint sich bereits ins Freie gerettet zu haben, denn sein Bett ist leer. Wahrscheinlich war er noch immer zu betrunken, um daran zu denken, auch mich zu wecken.

Nackt krauche ich zu meiner Truhe, wuchte den Deckel auf und nehme meine Waffen samt Einschlagtüchern heraus: Bogen, Pfeile und einen Dolch. Das Dach beginnt einzubrechen. Balken knarzen, brennende Teile fallen zu Boden und ich halte mir eines der Tücher vor Mund und Nase. Dann stehe ich schwankend auf, will mir wenigstens noch meine Lederhose schnappen, aber in diesem Moment kracht der Deckenbalken herunter und ich springe im letzten Augenblick aus der Tür. Das Haus, in dem ich aufgewachsen bin, stürzt zusammen und alles, was ich jemals besaß und kannte, verbrennt darin.

„Oh nein ... verdammt“, ächze ich, als ich endlich wieder atmen kann, doch auch auf den Wegen zwischen den Häusern herrscht brennendes Chaos. Manche unserer Männer verteidigen bereits das Dorf. Unter ihnen auch Jotun und Thole, die halbnackt gegen die gut bewaffneten, angreifenden Krieger vorgehen und versuchen, diese zurückzudrängen. Frauen schreien, Kinder weinen, es stinkt nach verbrannten Haaren, Fleisch und Kleidung. Schnell binde ich mir wenigstens das knappe Tuch um die Hüften. Lange habe ich jedoch nicht, um mich zu fassen, denn in diesem Moment springt die Tür eines benachbarten Hauses vor mir auf und die Familie unseres Bäckers stürzt heraus. Eines der mit Ruß verschmierten Kinder scheint bewusstlos zu sein, die anderen zwei husten genauso erbärmlich wie ihre Eltern.

„Zum hinteren Tor!“, rufe ich ihnen zu und will gerade eines der Mädchen auf die Arme nehmen, um es zu tragen, da schleudert ein massiger Krieger seine Axt in den Türbalken, haarscharf an meinem Schädel vorbei.

„Hiergeblieben, Kleiner!“ Vom Feuer der Zerstörung umringt, lacht der mit Blut beschmierte Koloss, als ich erschrocken zurückweiche. So wie alle Kelten im Krieg haben auch diese Männer ihre Haare in Kalkwasser gewaschen, damit sie dick und steif vom Kopf abstehen und sie noch gefährlicher aussehen lassen. Dieser Kerl ist jedoch allein durch seine Größe schon einschüchternd genug.

„Los, verschwindet! Schnell !“, zische ich den anderen zu und sie rennen los, während der Eindringling schon kampfeslustig brüllt und seine Waffe aus dem Holz reißt, um mich erneut anzugreifen. Da fällt mein Blick auf die roten Streifen in seinem Gesicht.

'Diese Kriegsbemalung … das ist kein Eburone!!!'

Er holt aus, ist stark, aber langsam. Die Schneide seiner Axt verfehlt mich ein zweites Mal, kracht stattdessen in die Lehmwand des anderen Hauses, bleibt stecken und ich wirble um ihn herum. Ich nutze den Moment, greife nach meinen Pfeilen, lege an, spanne und schieße dem Kerl gleichzeitig drei von ihnen in den Rücken, worauf er sich brüllend nach hinten durchbiegt.

Naaaarhg ! Du kleiner Hundsfott !“, schreit er und will sich meine Pfeile aus seinem Fleisch ziehen, doch seine gewaltigen Muskeln verhindern, dass er an die Mitte seines Rückens herankommt. [Fußnote 5] „Duuu ... Ich drück dir mit bloßen Händen die Kehle ein, du Wicht!“

Der Berserker lässt seine Axt fallen und greift mich frontal an. Als er zupacken will, versuche ich unter seinen Händen hindurchzuschlüpfen, doch diesmal schafft er es, mich am Fuß zu erwischen. Er zerrt mich zurück und schleudert mich einmal gegen die Regenfässer des Bäckers, die unter dieser Wucht zerbersten. Mir bleibt vor Schmerz die Luft weg. Doch Zeit, mich zu sammeln, habe ich nicht, denn er kniet auch schon über mir und packt tatsächlich meinen Hals.

„Du schwächlicher Wurm! Gleich leistest du deinen Ahnen Gesellschaft! Morrigan [Fußnote 6] reißt dich in ihre Fäng-“ Ich stoppe seinen Redefluss, indem ich ihm geistesgegenwärtig meinen Dolch in den Hals ramme. Er gurgelt, lässt mich los, greift sich fassungslos an seine Wunde und starrt mich an, während ich von seinem spritzenden Blut besudelt werde. Dann kippt er wie ein nasser Sack zu Boden.

Ich atme scharf ein und wälze mich zur Seite. Das Herz hämmert so heftig in meiner Brust, dass es zu springen droht, dennoch lassen mich die Todesschreie meines Clans wie in Trance handeln. Ich ziehe die Pfeile aus dem leblosen Körper und rappele mich auf. Ehe ich jedoch anderen zu Hilfe eilen kann, kommen mir schon zwei weitere Krieger entgegen, die ihren Gefährten gehört haben.

„Was ist denn hier los?“ Diesen beiden klebt noch nicht so viel Dreck und Blut im Gesicht, weshalb ich endlich die Kriegsbemalung erkenne und sie ihrem Stamm zuordnen kann. „Ihr … Ihr seid Vangionen ! Wieso greift Ihr uns an?“, krächze ich heiser und ich verstehe es einfach nicht.

„Sieh einer an. Der Nacktfrosch will eine Runde plaudern“, spottet der eine, doch der andere schaut nur argwöhnisch auf seinen toten Mitstreiter.

„Unterschätze den kleinen Mistkerl nicht. Der hat Kilion getö-“

Wieso greift Ihr uns an?“, wiederhole ich mich verzweifelt brüllend und spanne meinen Bogen. „Die Aresaken haben keinen Streit mit dem Clan der Vangionen!“

„Aber mit den Eburonen“, antwortet der Erste und lacht dabei höhnisch. „Seit einer Ewigkeit verhöhnt ihr sie, macht faulen Handel mit ihnen und drängt sie immer mehr ab. Also gaben sie uns eine halbe Jahresration ihrer Vorräte, um sich ein Bündnis mit uns zu sichern …“

„Das waren unsere Vorräte“, stelle ich diese dreiste Behauptung richtig und kann nicht fassen, dass das alles ein abgekartetes Spiel ist. „Diese Mistkerle haben uns mit ihrem verseuchten Vieh vergiftet, um uns zu schwächen, und bezahlen nun mit unserem Anteil am Handel den Krieg gegen uns?!“

„Wie auch immer.“ Die gleichgültige Antwort wird von einem Schulterzucken begleitet und die Vangionen drängen mich weiter in Richtung einer Ecke, während sie ihre Schwerter auf mich richten. „Du kannst dich gleich bei den Göttern beschweren, wie ungerecht die Welt zu dir gewe-“

Halt !“ Eine tiefe, laute Stimme ertönt von der Seite und ich kann kaum glauben, wer da plötzlich durch die Flammen auf uns zukommt. Es ist kein Geringerer als mein Albtraum aus dieser Nacht, der wahr zu werden scheint. Der Hüne, den ich wenige Stunden zuvor in den Wäldern sah, trägt jetzt dieselbe rote Kriegsbemalung wie die anderen Angreifer und ist damit unbestreitbar mein Feind. Sein Blick schwenkt von meinem Bogen zu meinem Gesicht und er mustert mich scharf. „Ihr seid der Sohn von Häuptling Thorgert, nicht wahr? Der Knabe, der die Pfeile beherrscht.“

„Ganz recht“, knirsche ich zwischen den Zähnen hervor. „Und ich beherrsche sie sehr, sehr gut !“

Der Riese vor mir grinst etwas schief und nickt, was ihn aber nicht davon abhält, ebenfalls sein Schwert auf mich zu richten. „Nehmt die Waffe runter, Junge, und wir werden Euch Gnade erweisen, so wie allen, die sich ergeben.“

'Gnade ...?'

Kein Kelte dieser Welt würde bei einem Feind Gnade walten lassen, ohne selbst daraus einen Nutzen zu ziehen. Doch als ich mich umsehe und meine Chancen abschätze, sieht es nicht gut für mich aus. Ich wurde in eine Hausecke gedrängt, drei voll bewaffnete Krieger stehen mit gezogenen Schwertern vor mir, das Feuer hat inzwischen das gesamte Dorf erfasst und ich stehe beinahe nackt mittendrin.

'Ich kann höchstens einen töten, ehe mich die anderen beiden niederstrecken ...'

Ich erahne, was ein Aufgeben für mich bedeutet, auch wenn ich die bisherigen Raubzüge meines Vaters noch nicht begleiten durfte. Kelten machen selten Gefangene und wenn doch, dann haben diese für ihr restliches Leben sämtliche Rechte als Mensch verloren.

'Nein … ich werde nicht als Sklave enden! Lieber sterbe ich und reiße noch einen von ihnen mit in den Tod, ehe ich mich ergebe!'

Langsam lege ich meinen Köcher samt dem Bogen ab, denn im Nahkampf behindert er mich nur. Dann strecke ich die Hände in die Luft.

Der fremde Anführer nickt wohlwollend und gibt seinen Männern daraufhin ein Zeichen. Einer senkt sein Schwert und kommt überlegen grinsend auf mich zu. In diesem Moment rolle ich blitzschnell nach unten, reiße einen meiner Pfeile vom Boden und will diesen dem Feind in den Hals rammen. Der Krieger reagiert zu spät, die Spitze durchsticht bereits seine Haut, doch da trifft mich ein fieser Hieb von der Seite in den Magen. Statt seine Schlagader zu durchbohren, ritzt ihn die scharfkantige Pfeilspitze nur oberflächlich an und ich sacke zur Seite.

Noch während ich zusammengekrümmt hustend nach Luft ringe, packt der Anführer meine Haare, zerrt mich daran in die Höhe und zieht mich ganz dicht vor sein Gesicht, ehe er lacht.

„Wäre auch wahrhaft enttäuschend gewesen, wenn Ihr Euch einfach so ergeben hättet.“ Er entwaffnet mich, wirft mich seinen Leuten in die Arme und nimmt meinen Bogen als Trophäe an sich. „Fesselt ihn! Danach bringt ihr ihn zu den anderen Gefangenen … und gebt ihm eine Hose.“

***

'Ich habe versagt.'

Als sie mich durch mein brennendes Dorf zerren, wage ich es kaum, mich umzusehen.

Der Gestank hat sich verschlimmert. Blut durchtränkt die Wege zwischen den Häusern, oder ist es der rote Wein aus den zerschlagenen Fässern? Ich weiß es nicht, aber bei dem schmatzenden Geräusch unter meinen Füßen auf dem nassen Boden dreht sich mir der Magen um, und bei jedem Schritt, den ich gehe, zerfrisst mich mein Gewissen.

'Das alles ist meine Schuld! Hätte ich doch nur von meiner Begegnung mit diesem Mistkerl berichtet, dann hätten wir ganz sicher nicht gesoffen, sondern uns wenigstens gedanklich auf einen Überfall vorbereitet!'

„Rein da!“, befiehlt einer der Männer, zieht die Luke unseres leeren, unterirdischen Getreidelagers auf und die verängstigten Gesichter von gut einem Dutzend Frauen und Kindern starren mich an. Offenbar blieben sie geplant vom Gemetzel verschont und werden nun hier zwischengelagert. Der Handlanger schubst mich hinein und ich lande unsanft auf dem harten Lehmboden. Kurze Zeit später wirft er mir eine Leinenhose ins Gesicht, die er aus einem der noch nicht komplett in Flammen stehenden Häusern geholt hat. „Keine Tricks, Aresake, sonst scheiße ich auf Raikons Befehl und dein Schädel landet gespalten im Dreck!“

Die Luke donnert zu und wird von außen verriegelt, während ich hilflos zusammensacke.

'Raikon … natürlich.'

Wer sonst hätte diesen Überfall planen können, wenn nicht der berüchtigtste aller vangionischen Krieger? Er ist ein Bastard und trotzdem ist es in der gesamten keltischen Gemeinschaft bekannt, dass Häuptling Yorik ihn höher stellt als die Söhne mit seiner Ehefrau. Seine Fähigkeiten im Kampf sind legendär, auch wenn er gerade mal siebenundzwanzig Winter zählt.

„Alarik, ist alles in Ordnung?“, flüstert mir die zitternde Stimme von Jowna entgegen und ich atme auf, dass sie am Leben ist.

„Jowna! Oh, Dagda [Fußnote 7] sei Dank!“, antworte ich zutiefst erleichtert. „Ja, es geht schon.“ Zuerst ziehe ich mir die Hose über und binde das Bogentuch wie einen Umhang um meine Schultern, weil es hier unten bitterkalt ist. Danach sehe ich mich um. Das gestaltet sich jedoch äußerst schwierig, denn es dringt nur wenig Licht vom Schein des Feuers durch die dünnen Schlitze zwischen den Brettern der Luke. „Ist jemand verletzt?“

Verneinendes Raunen ist zu hören. Bevor ich hineingestoßen wurde, habe ich gesehen, dass einige von ihnen Schnitt- und Platzwunden haben, doch es scheint nichts Todbringendes zu sein, solange diese zeitnah behandelt werden. Sie sind zäh, aber das, was uns als Kriegsgefangene erwartet, könnte noch viel schlimmer sein als der Tod.

Kurz überlege ich, die schwere Luke aufzubrechen und mit den anderen zu fliehen, doch vier Vangionen bewachen und öffnen diese immer wieder, um weitere Gefangene hineinzustoßen. Noch vor dem Morgengrauen ertönt gewaltiges Triumphgeschrei, als mein Vater, hörbar vor Wut brüllend, im Zweikampf gegen Raikon fällt, und damit ist der Krieg so schnell vorbei, wie er begonnen hat.

Das war's. Die Ära des stolzen Clans der Aresaken endet hier und heute in einer einzigen Nacht.

Und ich bin schuld daran.

***

Um meinen Vater trauere ich nicht. Warum auch? Schließlich hatte ich nie eine gefühlsmäßige Bindung zu ihm, aber um alle anderen tut es mit leid. Jowna weint die ganze Zeit in den Armen ihrer Mutter und auch mein Herz betrübt Jotuns Tod mit Abstand am meisten. Er starb als treuer Krieger und verteidigte meinen Vater bis zum letzten Atemzug.

Nachdem die Vangionen die Häuserbrände gelöscht haben, plündern sie alles noch Verwertbare. Den Wiederaufbau überlassen sie den Eburonen, auch wenn sie ganz sicher selbst ein paar Siedler herschicken werden, um den Pakt zu halten. Unsere Verluste, die letzten Krieger, die meinem Vater beigestanden und an seiner Seite den Tod gefunden haben, stapeln sie auf den von uns errichteten Brandhaufen für die verseuchten Tiere. Und so enden ihre Leiber wie die der toten Kühe, Schafe und Schweine.

Erst als die Sonne schon hoch am Himmel steht, öffnet Raikon persönlich das Getreidelager und wirft wortlos einige Brotlaibe nach unten. Er reicht uns drei Kannen Wasser runter und wirkt beinahe gütig, doch dabei mustert er uns so auffällig, dass ich sofort weiß, was er vorhat. Er will uns alle versklaven und Sklaven sind letztendlich nichts weiter als eine Ware, die es in Schuss zu halten gilt, bis sie versilbert wird.

Nachdem wir etwas gegessen haben, lässt er uns ins Freie, gut bewacht von seinen Schergen, die ganz genau aufpassen, dass keiner von uns flieht. Wir sind nicht die Einzigen. Ich sehe zwei weitere Gruppen Gefangener, die herangeführt werden, die restlichen Überlebenden des Clans. In einer entdecke ich Thole, der zwar verletzt, aber am Leben ist. Die Kinder und auch einige der Frauen weinen aus Angst und können nur schwer beruhigt werden. Raikon lässt uns zügig in einer Reihe Aufstellung nehmen und wählt mit einfachem Fingerzeig diejenigen aus, die er seinem Häuptling als Geschenk mitbringen will. Er entscheidet sich für drei kräftige junge Burschen, sechs Mädchen, darunter auch Jowna, und mich - den Sohn des Häuptlings. Die übrigen Gefangenen lässt er auf Karren steigen und gibt sie einer Handvoll seiner Kriegsbrüder in Obhut. Diese sollen die Menschen in den Norden bringen, solange sie noch in halbwegs guter körperlicher Verfassung sind. Ich kenne diese Vorgehensweise aus Erzählungen meines Vaters. Am Hafen werden Familien dann auseinandergerissen, Kriegsgefangene als Sklaven verkauft und mit Schiffen in die ganze Welt verschickt.

Wir hingegen werden gefesselt und bekommen Leinensäcke über den Kopf gezogen, die nach fauligem Gemüse stinken. Ein raues Seil schneidet sich grob in meine auf dem Rücken gefesselten Handgelenke und zieht meinen Hintermann, während ein zweites meinen Bauch umschlingt und mich selbst vorwärts zerrt. So knüpfen sie uns in einer Reihe an ihre Pferde und zerren uns aus unserem geliebten Dorf, das wir wohl niemals wiedersehen werden.

Zuerst müssen wir den ganzen Tag hindurch laufen, auch wenn die meisten von uns so geschwächt sind, dass sie ständig hinfallen und immer wieder aufgerichtet werden müssen.

„Das dauert zu lange“, ruft Raikon irgendwann erbost und hält seine Leute an. „Die verrecken uns noch, bevor wir auch nur die Hälfte des Weges geschafft haben! Nehmt sie auseinander!“

Ich höre, wie er sein Schwert zieht und befürchte, dass er die Langsamsten von uns umbringen will, um die anderen anzuspornen. Dann aber rucken die Seile mehrmals und ich spüre, dass sie uns nicht mehr zusammenhalten.

„Jeder nimmt einen von denen aufs Pferd! Wir reiten die Nacht hindurch!“, ertönt die Stimme des Anführers erneut und bereits im nächsten Augenblick werde ich gezwungen, mich hinzuhocken und die noch immer gefesselten Arme unter meinen Füßen durchzuziehen, um sie vor dem Körper zu haben. Dann umschlingt ein Arm meine nackte Brust und hievt mich hoch. Kaum sitze ich auf einem der kräftigen Kaltblüter, werde ich zurechtgerückt und spüre die Schenkel eines anderen Mannes an meinen Beinen. Danach zieht mir jemand den Leinensack vom Kopf und ich blinzle gegen die untergehende Abendsonne. Schlagartig schießt mir das Blut ins Gesicht, als ich erkenne, dass es ausgerechnet Raikon ist, der mich auf sein Pferd gezogen hat. Für einen Augenblick starre ich gepeinigt über meine Schulter hinweg in sein überlegenes Grinsen. Zu allem Übel zieht er mich auch noch näher an sich heran, bis meine gesamte Kehrseite an seinen Körper gepresst ist. Meine Wangen beginnen zu glühen. Der Mann, der für den Tod meines Vaters verantwortlich ist, deckt seinen Mantel beinahe fürsorglich um meinen zitternden Leib und lächelt mich an, als hätten wir uns gerade bei einem Becher Wein kennengelernt. Ich spüre die Hitze seines großen Körpers selbst durch seine Kleidung und ein betörender Duft drängt sich in meine Nase. Was ist das? Immortellenöl? ... Leder? ... Wacholder? Was auch immer, es vernebelt mir den Verstand.

„Wir reiten gen Norden. Die Nacht wird kalt, entfernt Euch also nicht zu sehr von mir.“ Einen Moment überlege ich, ob ich darüber lachen oder tatsächlich dankbar sein soll, doch da raunt er bereits leise: „Hier … nehmt das.“ Er hat ein Stück Trockenfleisch aus seiner Manteltasche gezogen und hält es mir hin. Unsicher nehme ich den Fetzen Nahrung, doch ein Danke kommt mir nicht über die Lippen.

Raikon pfeift und setzt den Gaul unter uns wieder in Bewegung. Die anderen folgen ihm.

Je länger wir reiten, desto mehr sackt mein erschöpfter Körper auf dem schaukelnden Untergrund in sich zusammen und irgendwann schlafe ich ein, während mein Kopf an der Schulter des Kriegers lehnt.