„Du siehst umwerfend aus.“ Steve sah zu, wie ich mir vor dem Spiegel des Zimmers, das er für uns im Collared gebucht hatte, meinem Aussehen den letzten Schliff gab. Im Gegensatz zu den Zimmern, die ich immer bekam, wenn ich mit Gail hier gewesen war, besaß dieses Zimmer keinen Schaukelstuhl und keinen Wickeltisch. Es hatte einen Hauch von altem Hollywood, komplett mit einem extravaganten Waschbecken.
„Ich muss zugeben, als ich gesehen habe, wie du diese Schichten aufgetragen hast, dachte ich, es würde eine heiße Sauerei werden. Besonders die braunen Linien, die du um deine Nase gezogen hast.“
Ich konnte nicht anders als lachen. Das war mir auch schon passiert. Es hatte viel Übung und Geduld gebraucht, um zu lernen, wie man sich schminkte, damit ich nicht wie ein kleines Kind aussah, das sich mit der Schminke seiner Mutter ausgetobt hatte. Und ja, lange Zeit machten nicht alle Schichten für mich Sinn. Aber jetzt? Jetzt fügten sie sich wunderbar zusammen.
„Es nennt sich Konturierung und ist etwas, woran ich gearbeitet habe. Ich glaube, ich mag es.“ Ich schüttelte den Kopf und wuschelte mir durch die Haare.
Als ich angefangen hatte, mich mit Make-up zu beschäftigen, sah ich immer sehr weiblich aus, wenn ich damit fertig war. Und daran war nichts auszusetzen. Ich sah gut aus und war zufrieden mit dem, was ich erreicht hatte. Aber mittlerweile war ich so geübt darin, dass ich meine maskulinen Gesichtszüge nicht mehr komplett wegschminkte, sondern eine Kombination von beidem hinbekam, mit der ich mich sehr wohlfühlte. Der Bartwuchs und die verwuschelten Locken machten einen großen Unterschied.
„Ja, ich auch.“
„Es ist der Bart, der es ausmacht.“ Ich strich über meine Kinnbehaarung. Ursprünglich hatte ich Angst gehabt, sie wachsen zu lassen, aber nun würden sie vorerst bleiben. Ich fühlte mich nicht nur sexy, wenn ich so aussah, sondern es half auch bei der ganzen Professor-Ausstrahlung.
Mein Bart war ein Gewinn für beide Seiten.
„Da stimme ich dir zu.“ Steve schloss den Reißverschluss seiner Tasche. Es gab keinen wirklichen Grund für ihn, sie mitzunehmen. Er hätte auch einfach sein graues T-Shirt und seine Jeans anlassen können, die er getragen hatte, als wir ankamen, anstatt sich hier umzuziehen. Nichts an seiner Kleidung verriet, dass er in einen Sex-Club ging. Vielleicht verriet sie, dass er sich mehr für Männer als für Frauen interessierte, aber Steve machte nie einen Hehl aus seiner Sexualität. Nein, dass er sich umzog, war, um mich zu beruhigen.
„Immer ein Daddy.“ Ich neigte meinen Kopf zu seiner Tasche als Anerkennung und Dank für seine freundliche Geste.
„Ja“, er legte seinen Arm um meine Schulter. „Das sind wir. Vielleicht können wir jemanden für dich finden, mit dem du spielen kannst?“
„Ich halte fest, dass du dich nicht einbezogen hast.“
„Ich spüre es nicht wirklich“, gestand er. „Bin aber immer offen dafür.“
Auch wenn er das sagte, wusste ich aufgrund unserer Freundschaft, dass er nicht der Typ für zufällige Treffen war.
„Lass uns nachsehen, ob wir bekannte Gesichter finden.“
Seit wir uns zurückgezogen hatten, um uns fertig zu machen, hatte sich der Club gefüllt. Es war schwierig, ein ruhiges Plätzchen zu finden, um sich zu unterhalten und den Abend zu genießen. „Vielleicht im hinteren Teil?“, fragte ich, nachdem wir uns durch die traditionellen Tische und Stühle gewunden hatten, aber nichts fanden.
„Wir können es versuchen.“ Er zuckte mit den Schultern und wir sahen uns weiter um. Dabei wären wir fast in die arme Camille hineingerannt, eine meiner Lieblingsmitarbeiterinnen aus der Zeit, als ich noch Stammgast war.
„Tut mir leid“, entschuldigte ich mich. „Wir waren auf der Suche nach einem Tisch und hätten vorsichtiger sein sollen.“
Sie blinzelte zu mir hoch, ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Du siehst toll aus. Es freut mich, dass du heute hergekommen bist.“
Ein Teil der Angst, hierherzukommen und meine andere Seite zu zeigen, verflog. „Ich dachte mir, es ist Zeit, wieder unter Gleichgesinnte zu gehen, oder besser gesagt, Steve dachte, es wäre Zeit für mich. Obwohl es so aussieht, als hätten wir uns einen sehr geschäftigen Tag ausgesucht.“
„An Freundschaftsabenden ist immer viel los, aber heute Abend sind mehr Leute hier als sonst. Einer der Clubs, die diese schicke Software benutzen, an deren Entwicklung Marion beteiligt war, ist wegen einer Tagung oder so in der Stadt und sie haben die Gelegenheit genutzt, uns einen Besuch abzustatten.“
Ich konnte mich vage daran erinnern, davon gehört zu haben, und wäre ich nicht immer noch etwas unsicher, ob ich hier sein sollte, hätte ich mich genauer erkundigt.
Camille fuhr fort: „Folgt mir. Ich weiß genau den richtigen Platz für euch.“
Wir fragten sie nicht, sondern ließen uns von ihr in eine entfernte Ecke führen, wo bereits einige Leute saßen.
„Steve und Nathan suchen einen Platz“, verkündete sie.
„Bei mir ist noch Platz“, sagte ein Mann in einem Strampler, der im Schneidersitz auf dem Boden saß. „Magst du malen?“
„Ich lasse euch dann mal in Ruhe Bekanntschaft schließen.“ Camille ging und versprach, mit etwas Wasser zurückzukommen.
„Ich bin Nathan und das ist mein Freund Steve, und ich liebe es zu malen.“ Natürlich konnte ich das Angebot meines neuen Freundes nicht ablehnen. Das wäre total unhöflich. „Aber du musst erst deinen Daddy fragen, ob das okay ist.“ Ich wollte an meinem ersten Abend im Club nicht gegen das Protokoll verstoßen.
„Ich bin Evan, und ich habe keinen Daddy. Ich habe einen Sebastian. Er mag es, dass ich Freunde habe.“ Er lehnte sich an den Mann hinter ihm, der ein Halsband trug – ein Hundehalsband. Nichts an ihm schrie nach Daddy.
„Er ist gut darin, neue Freunde zu finden.“ Der Mann griff nach unten und zerzauste Evans Haare auf eine spielerische Art. „Ich bin Sebastian und Evan gehört zu mir.“ Nicht, Evan ist mein Little , sondern Er gehört zu mir. „Wir würden uns freuen, wenn du dich uns anschließen würdest. Ich glaube, ein paar meiner Pup-Freunde wollten heute ebenfalls kommen, aber es sollte genügend Platz für alle da sein.“
Ich setzte mich neben Evan und wählte eines der Ausmalblätter aus. Es war ein Hund. Auf jedem war ein Hund abgebildet, aber verschiedene Rassen. „Du musst Hunde mögen“, bemerkte ich, während ich einen roten Buntstift nahm.
Steve saß neben Sebastian und plauderte, während ich mich mit Evan unterhielt. In einem Raum voller Lautstärke war das eine kleine Oase. Das hatte ich vermisst. Es war etwas Besonderes, mit jemandem zusammen zu sein, der sich in seinem Kink-Space befand. In diesem Szenario war ich nicht sein Daddy oder ein Caregiver, und das war genau das, was ich heute Abend brauchte.
„Ich liebe Hunde“, brummte er. „Bist du ein Daddy? Hast du einen Little? Du bist gut im Ausmalen.“ Er blickte nicht von seinem Blatt auf, sein grüner Hund war sehr schön geworden.
„Ich bin ein Daddy, aber ich habe keine Little mehr.“ Ich tauschte die Buntstifte und malte den Himmel aus. „Danke, dass ich mit dir malen darf.“
„Es macht Spaß, neue Freunde zu finden, sogar Daddy-Freunde.“ Er malte die Ohren des Hunds aus und setzte seinen Stift ab. „Du solltest eine Sonne machen.“ Er drehte sich um und kletterte auf Sebastians Schoß, sein Bild in der Hand. „Ich habe einen grünen Hund gemalt.“ Er kuschelte sich an den Mann. „Willst du tauschen?“
„In ein paar Minuten, mein süßer Junge. Lass uns warten, bis ein paar unserer anderen Freunde hier sind, damit sie wissen, wo sie sitzen können.“ Er küsste Evan auf die Wange. Und die Zärtlichkeit, die in dieser Geste war, war fast zu persönlich, um dabei zu sein. „Willst du noch etwas malen oder hier bei mir bleiben?“
„Es ist nicht nett, neue Freunde allein zu lassen.“ Er krabbelte zurück auf den Boden, griff nach einem anderen Blatt und warf einen Blick auf mein Blatt. „Die Sonne sieht gut aus. Schade, dass wir hier keine Glitzerstifte haben. Mit glitzernden Buntstiften wäre sie noch toller.“
Er hatte recht. Er hatte absolut recht. Wir malten weiter und plauderten über Kleinigkeiten, als Camille mit unserem Wasser zurückkam. „Ich habe ein paar Streuner gefunden“, scherzte sie. Ich riss den Kopf hoch, um zwei Männer zu sehen, von denen einer in voller Pup-Ausrüstung auf Händen und Knien um den Tisch kroch. Der andere war – Max.
Mein Max.
Ich erstarrte, die Angst machte sich in mir breit. Von all den Leuten, die ich hier vermutete, war Max keiner gewesen.
Ich bemerkte den Moment, in dem er mich erkannte, und das beklemmende Gefühl, das ich verspürte, verschwand, als er lächelte. Es war nicht sein schüchternes, normales Lächeln, es war ein breites Grinsen.
„Professor.“ Er nickte mir zu.
Alle Augen waren auf Max und mich gerichtet.
Ich stand auf. „Nathan. Nenn mich Nathan.“ Seine Augen waren mit blauem Kajal geschminkt, und obwohl er ein Halsband trug, machte Max nicht den Anschein, als sei er fest liiert. Aber vielleicht war das auch nur Wunschdenken meinerseits. Sein T-Shirt passte ihm wie angegossen, die Farbe strahlte Freude aus. Es war mit einem Hund bedruckt, der das Horn eines Einhorns auf der Stirn hatte und es hatte die Aufschrift Pup-Corn. Was hatte das zu bedeuten? War er ein Little? War er ein Pup? War er eine Mischung aus beidem? War das wichtig?
„Das ist Steve, aber ich schätze, du erinnerst dich an ihn.“ Ich zeigte auf meinen Freund.
Maxʼ Augen schossen zu meinem Freund.
„Hallo, Professor Zucker.“ War er jetzt wieder in Steves Klasse?
„Nicht hier.“ Steve stand auf und streckte seine Hand aus. „Im Collared bin einfach Steve.“
Der Mann im Pup-Outfit stieß ein kleines Fiepen aus und Max sagte: „Das ist mein Freund Julian.“
„Jetzt, wo ihr euch alle vorgestellt habt, oder was auch immer das war“ – Sebastian stand auf – „werden Evan und ich tauschen.“
Ich setzte mich hin und zog meine Knie an, damit sie Hand in Hand, an mir vorbeigehen konnten, um zu tauschen , was auch immer das heißen mochte.
„Hast du … Würdest du dich wohler fühlen, wenn Steve und ich uns woanders hinsetzen würden?“, bot ich an und war froh, als Max den Kopf schüttelte und sich zu mir setzte.
„Mir wäre es lieber, du würdest das nicht tun.“ Die Röte, die ich bei ihm so mochte, überzog sein Gesicht.
„Mir wäre es auch lieber, wenn ich es nicht täte.“